Work Text:
We’re never already,
we’re never already.
Can we, can we,
Surrender…
Die Triebwerke ratterten laut. Ihre Verwirbelungen knallten gegen den Flugzeugkörper und erzeugten ein ständig wiederholendes Rauschen. Das blanke Metall des Innenraums war dunkelgrün lackiert.
Überall ragten Haken und Hebel aus der Verkleidung. An einigen von ihnen hingen Kabel und Seile, an anderen waren Taschen und Kisten mit starken Gepäckbändern befestigt.
Ihre Kameraden saßen im vorderen Teil des Rumpfes. Obwohl immer nur drei von ihnen in einer Sitzreihe nebeneinander saßen, redeten alle miteinander. Weil sie gemeinsam durch etwas gegangen waren, was sie verändert hatte.
Sie waren auf vieles vorbereitet worden. Doch das, was passiert war, hatte ihnen niemand erklären können.
Im hinteren Teil des Rumpfes waren keine Sitze angebracht worden. Es waren auch weniger Personen in diesem Bereich untergebracht.
Denn für sie wurde mehr Platz gebraucht.
Eine der Plätze gehörte ihr. Neben ihr hing ein Perfusor an der Wand. In der Halterung daneben klemmte ein EKG. Und zu ihren Füßen stand ein großer Sack mit all ihren Sachen. Der raue Stoff des Sackes war an einigen Stellen schon abgerieben, und das Etikett mit dem Flugziel vom Hinweg war nur noch ein Fetzen.
Sie konnte ihre Kameraden im vorderen Teil reden hören, und doch nahm sie nichts war. So, als ob alles in Watte gepackt war.
Sie waren verschwitzt, genauso wie sie. Seit Monaten gab es keinen Moment, der richtig kühl gewesen war. Das würde sich bei der Landung ändern. Regen, zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder.
Die langen, gefleckten Hosen und Overalls aus festem, beigen Stoff. Dort waren sie mehr Schutz vor Sonne und gefährlichen Tieren gewesen, als trocken zu halten. Der dicke gewebte Stoff, so schwer zu zerstören. Und doch war es passiert.
Der rote Staub, der überall gewesen war, lag auch hier noch in der Luft. Obwohl beim Einstieg alles desinfiziert und abgespritzt wurde, roch es vertraut. Sie betrachtete das rötliche Glitzern vor sich, welches durch die einstrahlende Sonne und die feinen Partikel entstand.
Fast hatte die Situation etwas tröstliches.
Etwas friedliches.
Nichts erinnerte mehr an letzte Woche.
Doch.
Der rote Staub. Fast so rot, wie sein Blut.
Und ein leerer Sitz.
Ein weiteres Bild schoss ihr durch den Kopf.
Seine Augen.
Als sie sich mit letzter Kraft um die Ecke des Containers herum gedrückt hatte, die Walter im Anschlag. Der Knall, als das Geschoss den Lauf verließ und sich seinen Weg bahnte.
Und der Schmerz.
Die Schwärze, die sie wie ein Mantel einschloss und für einen Moment alles vergessen ließ.
Sie spürte das Ziehen. Den Druck an ihrer Schulter.
Mühsam drehte sie den Kopf zur Seite. Neben ihr stand ein Mann. Er trug ebenfalls Overall und schwere Stiefel, so wie alle anderen im Flugzeug.
In seiner Hand hatte er einen Gegenstand. Dieser war aus rotem Gummi, mit einem schwarzen runden Metallstück am Ende. Ihr Gehirn brauchte einen Moment, um zu verknüpfen. Ein Stethoskop.
Der Mann war der Arzt. Er war für sie zuständig.
Sie wollte die Hand heben, um zu signalisieren, dass alles in Ordnung war.
Doch etwas hielt ihre Hand zurück. Eine schwere Schiene. Vom Unterarm bis zum Schlüsselbein. Sie fixierte das instabile Gerüst ihrer Schulter.
Er berührte sie an der Hand und sie hielt seine fest. Wie ein Ertrinkender, der sich an den Rettungsring klammert.
Der Arzt blickte sie an. Sah die tiefe Angst in ihren Augen.
Vorsichtig lockerte er ihren Griff um seine Hand. Sanft zog er ihr die Sauerstoffmaske vom Gesicht und legte sie noch mit dem Schlauch verbunden über das Gerät. Dann nahm er das Stethoskop und hängte es sich um.
In dem Moment gab es einen Ruck, und das Flugzeug rüttelte, getrieben durch ein Luftloch. Sie rutschte auf der Liege herum, stieß mit dem Arm gegen die Bande.
Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Oberkörper.
Es knackte.
In ihrem Gehirn legte sich ein Schalter um. Von einem Moment auf den anderen war sie wieder da draußen.
Der Widerstand an ihrer Schulter, als sie zu Boden gerissen wurde. Völlig ahnungslos. Dort, wo sie sich alle so sicher gefühlt hatten.
Wenige Stunden zuvor hatten sie noch gesprochen. Waren zusammen in der Kantine gewesen. Sie, zum Essen, nach beendeter Schicht. Und er, um sich vor seinem Außeneinsatz noch etwas Proviant zu holen. Sie hatten sich über seine Kinder unterhalten. Seine Frau hatte versprochen Gulasch zu kochen, wenn er wieder da war. Ein richtig gutes, das hatte er vermisst. Weil das im Camp immer etwas zu zäh wurde, vom langen Warmhalten und Garen.
Es wären nur noch drei Tage gewesen. Drei Tage, bis sie wieder zuhause waren.
Und doch war es nie soweit gekommen.
Jetzt würde er zurück kommen. Ein letztes Mal.
Sie spürte, wie sich eine Hand auf ihre legte und diese drückte. Aber sie konnte sie nicht bewegen. Die Maske wurde ihr wieder übergezogen, das Gasgemisch strömte wieder heraus.
Stocksteif lag sie da, gefangen in ihren Gedanken. In den Bildern, die sie zurück rissen.
Ihr Brustkorb fühlte sich zusammengepresst an, wie von einem Schraubstock umspannt. In ihrer Kehle ein Kloß, der immer größer zu werden schien.
Und trotz der Atemmaske auf ihrem Gesicht schien die Luft immer weniger zu werden.
Dünner.
Panisch keuchte sie. Versuchte jedes bisschen Sauerstoff in ihre Lungen zu saugen. Ihre Hände verkrampften sich, schlossen sich zu Fäusten.
Sie wollte sich aufsetzen, aufspringen, wegrennen.
Doch der Gurt über ihren Beinen hinderte sie, was die Panik nur verstärkte.
In ihrem Gesichtsfeld tauchten zwei Personen auf. Der Arzt. Und eine Frau.
Sie sprachen sie beide an, redeten auf sie ein. Doch sie verstand nicht, sah nur die sich bewegenden Lippen, ohne etwas zu hören.
Die Frau legte eine Hand auf ihre verkrampfte Faust. Die andere auf ihren Brustkorb.
Der Widerstand, der ihr dadurch entgegen kam, ließ ihren Fluchtreflex erschlaffen. Währenddessen griff der Arzt in eine Tasche, die in einer großen schwarzen Box lag, und holte eine Spritze heraus. Der Inhalt war farblos und klar.
Er nahm eine der Schläuche, die zu ihrem ZVK führten und öffnete die Schutzkappe. Mit leichtem Druck gab er den Inhalt der Spritze hinein. Dann schloss der die Schutzkappe wieder.
Die Frau nahm ihre eine Hand vom Brustkorb. Während sie immer noch panisch keuchte, spürte sie, wie das Mittel seine Wirkung zeigte.
Ihre Atmung wurde ruhiger, die Beklemmung verschwand. Genauso wie die Bilder. Die Frau ließ ihre verkrampfte Hand los.
Ihre Finger erschlafften und die geballte Faust lockerte sich. Schlaff rutschte ihre Hand von der Liege herunter und hing hinab.
Ihr Blick wurde glasig, sie starrte ins Nichts. Sie bemerkte nur noch am Rande, wie die Frau wieder in den vorderen Bereich des Fliegers ging, und der Arzt zurück auf seinen Sitz am hinteren Ende ihrer Liege rutschte. Es schien, als würde er sie nicht weiter beobachten.
Doch ihm war es nicht entgangen.
Die Träne, die ihr über das Gesicht rollte. Und auf den schweren Stoff ihrer Uniform tropfte, diesen dunkler verfärbte.
Genauso, wie das Blut, vor drei Tagen.
Ihr Blut.
Er hatte sie als allererstes gesehen, nach dem sie in die Krankenstation gebracht worden war.
Nicht gewusst, ob sie es schaffen würde. Zu groß war der Blutverlust gewesen.
Ihr gesamter Overall war im Brustbereich dunkel gewesen. Dunkel von ihrem Blut, aus der Schusswunde. Die Kugel hatte das Schlüsselbein getroffen, viel zerstört.
Sie hatten nur die erste Versorgung gemacht, geröntgt, die Kugel entfernt und alles Genäht.
Operieren konnten sie nicht, zu groß das Risiko einer Infektion. Deswegen war alles geschient worden, für den Transport nach Hause.
Wobei, was war für sie überhaupt zuhause ?
Er hatte ihre Akte gesehen. Ihre vielen Wechsel, von Dienststelle zu Dienststelle, Aufgabe zu Aufgabe. Immer auf der Suche nach dem richtigen Ziel.
Jetzt lag sie dort auf der Trage, sediert. Er hatte es tun müssen.
Wenn sie sich weiter so bewegt hätte, hätte sich der Bruch verschieben können, und das wäre das Ende für ihren Dienst gewesen.
Doch wenn das Medikament in einer Stunde aufhören würde zu wirken, musste er da sein für sie.
Sie starrte immer noch teilnahmslos an die Decke.
Langsam wurde die Umgebung wieder klarer. Die Geräusche lauter, die Gefühle stärker.
Und mit ihnen tauchte der Schmerz wieder auf. Wie ein Stachel in ihrem Herzen.
Sie spürte die Feuchtigkeit der Tränen noch auf ihren Wangen. Das heiße Pochen im Schlüsselbein. Und das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein.
Weil sie dort, wo sie sicher sein sollte, nicht sicher gewesen war. Dieser eine Moment hatte ihr alles genommen.
Vertrauen.
Nie wieder. Das wusste sie.
Nie wieder würde sie jemandem so vertrauen können, wie sie es bei ihm getan hatte.
Der, mit dem sie über alles reden konnte. Zu dem sie ging, wenn sie es nicht aushielt, all die schlechten Botschaften zu hören.
Der, der mit ihr in der Kantine gesessen hatte und sich gemeinsam über den schlechten Kartoffelbrei beschwert hatte.
Der für sie wie Familie gewesen war.
Sie merkte, wie sich schon wieder Tränen ihren Weg über ihr Gesicht bahnten. Doch dieses Mal machte sie keine Anstalten es zu verhindern.
Hinter ihr bewegte sich plötzlich etwas. Sie drehte ihren Kopf herum. Es war der Arzt, der hinter ihr saß. Als er ihre Bewegung bemerkte, blickte er von seinem Notizblock auf. Mitsamt des Kugelschreibers steckte er ihn in die Kiste, die neben ihm stand.
Dann sah er sie an.
Vorsichtig streckte er seine Hand aus und legte sie neben ihr auf der Liege ab.
Wie von selbst ergriffen ihre Finger seine. Hielten sie einfach nur fest.
Nach einer Weile bemerkte sie ein vorsichtiges Streicheln. Sanft fuhr er mit seinem Daumen über ihren Handrücken. Spendete ihr stillen Zuspruch.
Das alles gut werden würde.
Auch wenn es gerade nicht so aussah.
Während des gesamten restlichen Fluges hielt er ihre Hand. Nur einmal ließ er sie kurz los, um neues Schmerzmittel in den Perfusor einzuspannen.
Doch dann war er sofort wieder da. Und nahm ihre Hand.
Die Maschine ruckelte, als sie zum Landeanflug ansetzte.
Der Druck auf ihren Ohren nahm zu. Langsam ging es abwärts, mit ruckelnden Bewegungen. Er hatte ihr, vorausschauend, ein Polster zwischen Schulter und Bande gelegt. Damit nicht das gleiche passierte.
Als die Maschine den Boden berührte, gab es ein Quietschen und Ächzen von den Bremsen.
Die Landeklappen ratterten vom starken Bremswiderstand und wackelten.
Am Ende der Landebahn schwenkte das Flugzeug herum. Ohne weitere Schubkraft rollte es auf das Vorfeld zu.
Wo bereits ein Meer blau blinkender Fahrzeuge stand.
Als die Hecklucke des Flugzeugs, begleitet von einem Warnsignal, nach oben auf schwenkte, stand der Arzt auf. Dabei ließ er ihre Hand allerdings nicht los.
Während im vorderen Teil der Ausstieg ihrer Kameraden begann, glitt ihr Blick wieder in Richtung Decke.
Sie hörte, wie der Arzt den Perfusor aus der Halterung an der Wand nahm, und mitsamt des EKGs zu ihren Füßen auf die Trage legte.
Dann legte er einen Hebel am unteren Ende der Trage um.
Zwei weitere Personen traten heran. Einer der beiden ging zu ihren Füßen. Der anderen in Richtung Kopfteil. Zusammen hoben sie die Trage an.
Es wackelte, als sie, vorbei an den Sitzreihen, in Richtung der weit geöffnete Hecklucke getragen wurde.
Neben ihr lief der Arzt, immer noch ihre Hand in seiner. Spendete ihr Trost, gab ihr das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Das Dunkelgrün der Deckenverkleidung wechselte zum Grau der metallischen Heckklappe.
Als sie die Rampe hinunter getragen wurde, rutschte sie ein Stück hinab, doch der Gurt stoppte ihre Bewegung. Ihre Schulter und ihr Brustkorb pochten schmerzhaft, und die grelle Beleuchtung der Lampen blendete sie in den Augen.
Es ging einige Schritte geradeaus, da spürte sie es.
Die feuchten kalten Tropfen des Regens auf ihrem Gesicht. Das Gefühl, was sie seit sechs Monaten nicht mehr gespürt hatte.
Was sie vermisst hatte.
Die warme Hand des Arztes in ihrer war noch einige Schritte da. Doch dann fühlte sie, wie er sie los ließ. Alleine ließ. Suchend blickte sie sich um, sah ihn. Vor dem Flugzeug stehend. Er sah sie, sah die Panik in ihren Augen. Panik, dass er weg ging,
Dass er sie alleine ließ. Derjenige, dem sie vertraut hatte.
Und während sie so durch den Regen liefen, durchnässt wurden, spürte sie es plötzlich.
Die Angst, die sie empfing.
Die ab jetzt ihr Begleiter sein würde.
Tränen liefen ihr die Wangen herunter.
Nie wieder.
Nie wieder würde sie vertrauen.
Denn das, war das einzige, was sie angreifbar machte.
Nähe.
