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Fandom:
Relationship:
Characters:
Additional Tags:
Language:
Deutsch
Stats:
Published:
2023-03-20
Completed:
2023-04-07
Words:
12,209
Chapters:
11/11
Comments:
74
Kudos:
78
Bookmarks:
2
Hits:
832

Schlaflos in Słubice

Summary:

Vincent zieht für sein Masterstudium nach Słubice und hofft dieses dort in Ruhe und ohne Ablenkung durchziehen zu können. Doch gleich am ersten Tag lernt er seinen Nachbarn Adam kennen, der ihm fortan regelmäßig aus der Patsche helfen muss. Bei jeder nachbarschaftlichen Begegnung erfahren die beiden ein bisschen mehr übereinander…

Notes:

Es gibt in dieser Fic (bzw. in diesen Snippets) ein paar Anleihen an Hildes Erde, aber auch Unterschiede, z.B. wohnen Vincent und Adam im gleichen Haus und Vincent ist für sein Studium nach Słubice gezogen.

Chapter 1: Der Umzug

Chapter Text

Vincent wollte nur noch ein kleines Stückchen zurücksetzen, um den Sprinter in eine eigentlich gar nicht mal so kleine Parklücke zu manövrieren, als er im letzten Moment aus dem Augenwinkel ein Motorrad heranrasen sah, das das Heck des Sprinters nur um Haaresbreite verfehlte. Vincent stieg in die Eisen und verhinderte im letzten Moment einen Zusammenstoß, während das Motorrad mit quietschenden Reifen unweit der Haustür, durch die Vincent gleich gehen würde, um zu seinem neuen Zuhause zu gelangen, zum Stehen kam. Wer auch immer unter dieser Motorradkluft und dem Helm steckte, schien sich der brenzligen Situation entweder wirklich kein bisschen bewusst zu sein oder scherte sich zumindest nicht um Vincent, der sich mit klopfendem Herzen leise fluchend am Lenkrad festkrallte und erst einmal tief durchatmete. Das hätte ihm gerade noch gefehlt! Er war die letzten zweieinhalb Stunden von Berlin aus in diesem riesigen, unförmigen Kasten die Landstraße entlang getuckert, die ganze Zeit über darum bemüht, unversehrt nach Słubice zu kommen, da musste er jetzt nicht wirklich noch auf den letzten Metern in einen Unfall verwickelt werden. Und zurückbringen musste er das Ungetüm schließlich auch noch. Das lag ihm jetzt schon im Magen, wenn er ehrlich war.

 

Nachdem sich Vincent einigermaßen von dem Schock erholt hatte, beschloss er, sich erst einmal die Wohnung anzusehen. Es dämmerte ihm, dass es doch vielleicht ein bisschen leichtsinnig gewesen war, eine Wohnung zu mieten, ohne sich diese vorher wenigstens einmal vor Ort angesehen zu haben. Aber sie war günstig, für ihn als Studi ein unschlagbares Argument. So günstig, dass er sich erst einmal nicht ernsthaft um einen Nebenjob bemühen müssen würde. Er würde hier also endlich einmal Zeit haben, um sich voll und ganz auf sein Studium konzentrieren zu können. Ohne jegliche Ablenkung.

 

Vincent betrat das Mietshaus durch die offen gelassene Haustüre. Im Treppenhaus schlug ihm gleich ein muffiger Geruch entgegen. Der Putz blätterte schon von den Wänden, ein Kinderwagen versperrte halb den Weg und aus mindestens einer Wohnung plärrte laute Musik. Vincent wurde erst da wieder schmerzlich bewusst, dass es sich um ein Mehrparteienhaus handelte, sprich, dass er tatsächlich Nachbar*innen haben würde. Wenigstens hatte er hier die Wohnung für sich allein, nachdem sein kurzer Ausflug in die Welt der Wohngemeinschaften krachend gescheitert war. Nie wieder Putzpläne, die sowieso von allen außer ihm missachtet wurden, nie wieder lautstarke spontane Partys nachts um halb zwei, nie wieder betrunkene Mitbewohner*innen, die den halben Tag das Bad blockierten, weil sie dort ihren Rausch ausschliefen und sich zu allem Überfluss aus Versehen eingeschlossen hatten.

 

Nein, hier würde Vincent alleine sein können. Die Wände waren hoffentlich dick genug, um von Lärm und Geräuschen seiner Mitmenschen verschont zu bleiben. Er hoffte zudem, dass er wenigstens in den ersten Tagen niemandem im Treppenhaus begegnen würde. Für ihn gab es nämlich kaum ein unangenehmeres Gefühl, als neu in einem Mehrparteienhaus zu sein, kritisch beäugt zu werden, sich ständig fragend, ob nun eine offizielle Vorstellung von einem erwartet wurde oder nicht. Allein eine normale Begrüßung, selbst ein einfaches Hallo, kostete Überwindung. Nur hatte er nicht daran gedacht, dass er nicht alle seine Sachen allein in die Wohnung tragen können würde. Er besaß zwar alles in allem relativ wenig Zeug, aber zumindest die Matratze und das Sofa würde er nicht allein in den ersten Stock schleppen können. Aber alles der Reihe nach. Erst einmal würde er sich nun die Wohnung ansehen. Und die war... nun…was sollte er sagen… ok. Kein Schmuckstück eben, aber praktisch. Es gab ein Schlafzimmer, eine Küche, ein Bad. Das Licht ließ sich anschalten, Wasser strömte aus den Wasserhähnen, wenn man diese aufdrehte. Das war ja schon einmal die Hauptsache. Alles andere wäre bei dem Preis auch wirklich zu viel verlangt. Vincent riss erst einmal alle Fenster auf, um quer zu lüften, denn der muffige Geruch aus dem Treppenhaus schien sich auch schon seinen Weg in die Wohnung gebahnt zu haben. Er würde es sich hier schon schön machen. Ein paar Pflanzen und Lichterketten und die Wohnung würde gleich besser aussehen. Hoffte er zumindest.

 

Nach und nach schleppte Vincent alle Taschen, Tüten und Kartons in die Wohnung. So langsam schalt er sich doch dafür, dass er keine Hilfe hatte annehmen wollen. Er hatte sich das alles etwas einfacher vorgestellt. Etwas ratlos starrte Vincent schließlich in den fast leeren Laderaum des Sprinters. Nun befanden sich darin nur noch die großen, schweren Teile.

 

„He, du, brauchst du Hilfe?“

 

Vincent fuhr herum und erblickte einen Mann, vielleicht zehn Jahre älter als er selbst, in abgewetzter Jeans und schwarzem T-Shirt, der ein paar Meter von ihm entfernt stehen geblieben war und ihn abwartend anschaute. Ein äußerst attraktiver Mann war das… mit kurzen dunkelblonden, leicht zerzausten Haaren, leicht ergrautem Dreitagebart, einem schelmischen Lächeln, tattoowierten, muskulösen Oberarmen-

 

„Oder hast du vor, die Sachen da allein nach oben zu schleppen?“

„Was?“ Vincent brauchte einen Moment, um gedanklich wieder im Hier und Jetzt anzukommen. „Ja. Also ich meine nein, also nein, ich schaffe das wohl nicht allein.“

 

Der Mann kam näher, bedachte Vincent mit einem leicht spöttischen Lächeln und war im nächsten Moment schon auf die Ladefläche des Sprinters gesprungen. Zusammen schafften sie es, selbst Vincents wuchtiges Sofa ohne große Mühe nach oben in seine Wohnung zu schleppen.

 

„Vielen Dank!“

„Da nicht für.“

„Ich bin übrigens Vincent.“

„Adam. Ich wohne direkt gegenüber.“ Adam zeigte vage auf die gegenüberliegende Haustüre, spielte dann wieder nervös mit seinem Schlüsselbund.

Vincent nickte wortlos. Aus der Nähe sah Adam noch viel attraktiver aus. Grüne Augen und oh Gott, diese Lachfältchen um ebendiese Augen, das sollte wirklich verboten werden-

„Also ich muss dann mal.“

„Ja, ist gut. Vielleicht sieht man sich ja mal“, sagte Vincent und hoffte plötzlich, dass er Adam doch sehr bald wieder begegnen würde.

„Ja“, sagte Adam nur knapp, drehte sich um und schloss die Türe zu seiner Wohnung auf. Vincent lehnte im Türrahmen und sah Adam dabei zu, wie dieser in seiner Wohnung verschwand. Erst da bemerkte er, dass auf der Rückseite von Adams schwarzem T-Shirt ein Schriftzug prangte: POLIZEI. Oha. Vincent versuchte, sich Adam nicht in einer Polizeiuniform vorzustellen. Die Betonung lag auf versuchte...

 

***

 

Vincent hatte die ersten drei Tage damit verbracht, allerlei Dinge zu erledigen, sprich den Sprinter zurückzufahren (Gott sei Dank war er das Ding wieder los), Regale aufzubauen und sein neues Zuhause insgesamt wohnlicher zu gestalten, die nahegelegene Gegend zu erkunden und sich die passenden Kurse für das anstehende Semester rauszusuchen. Adam war er bei alledem allerdings nicht mehr begegnet. Das Einzige, was er von seinem Nachbarn mitbekommen hatte, war, dass dieser offenbar die Gewohnheit pflegte, mitten in der Nacht aus dem Haus zu gehen oder nach Hause zu kommen – gut, das hing sehr wahrscheinlich mit seinem Job zusammen – oder bis spät in die Nacht hinein fernzusehen oder lautstarke, genervt klingende Telefonate zu führen, mal auf Deutsch, mal auf Polnisch, wenn Vincent Letzteres richtig erkannt hatte. Auch das war nicht weiter erstaunlich, schließlich waren sie ja hier schon in Polen, wenn auch nur einen Steinwurf von der deutschen Grenze entfernt. Und Adams Nachname – Vincent hatte da mal unauffällig auf das Türschild geschaut – Raczek – ließ ja auch vermuten, dass Adam zumindest polnische Wurzeln hatte, wenn nicht gar Pole war.