Work Text:
Im Nachhinein fällt Adam auf, dass es schon mit der Kaffeemaschine angefangen hat.
An dem Tag, an dem Leo freigestellt wurde, weil er Lausch erschossen hatte, ging auch noch die Kaffeemaschine kaputt. Und natürlich war ihr Arbeitgeber nicht bereit, eine schicke neue anzuschaffen, es gibt ja den Automaten im Flur und den Wasserkocher in der Küche.
In den paar Tagen, in denen Pia dann auch noch krankgeschrieben war und sie irgendwie die seltsame Stille im Büro überbrücken mussten, hatten Adam und Esther sich zusammengetan und eine neue Kaffeemaschine bestellt, inklusive Entkalkungstabletten und ordentlichem Kaffee. Das Gerät kam an dem Tag an, an dem Leo wieder ins Büro kam, und Adam hatte eigentlich gedacht, Leos Augen würden aufleuchten, wenn er auch auf der Arbeit guten Kaffee trinken könnte.
Aber dann kam zuerst „woher kommt die denn“, „was hat die gekostet, das kannst du aber nicht abrechnen“ und dann „oh, ihr habt das zusammen gemacht?“ und dann Stille.
Es hat über eine Woche und eine Nachtschicht gebraucht, bevor Leo die Maschine das erste Mal bedient hat.
Das zweite Mal ist es Rainer. Das ist eher Zufall (Rainer Zufall, würde Adam sagen, wenn das seine Art Humor wäre) – Leo ist gerade in der Chefetage unterwegs, Rainer hat nur noch zwanzig Minuten Mittagspause, Adam hat Hunger. Da gibt er sich gerne Rainers Gesellschaft und seine Schwärmerei über seinen Lieblingsfilm, irgendein Klassiker mit russischer – oder italienischer? – Mafia und Uhren, und kehrt nach der Mittagspause mit Rainer in ihr Büro zurück.
Leo bedankt sich für das Stück Gemüselasagne, das Rainer ihm extra geholt hat und in einer Tupperdose auf seinen Tisch stellt, aber für den Rest des Tages ist er sehr still und findet die Woche über immer neue Ausreden, nicht mit in die Kantine zu kommen. Adam denkt sich nichts dabei und wenn Rainer es tut, sagt er zumindest nichts. Aber gut, Rainer ist der, der Leo Mittagessen mitbringt. Adam hingegen schafft es so gut wie nie, daran zu denken, einen zweiten Schokoriegel zu kaufen. Nicht dass Leo sowas essen würde.
Eine von denen, die auf Rémys Party waren, Miriam, trifft er zufällig am Bahnhof, als er sonntagabends aus Berlin zurückkommt. Sie lädt ihn für Freitag ein. Er fragt, ob Rémy auch da sein wird, und da die Antwort „vielleicht“ lautet, kann er ihr nur unter Vorbehalt zusagen. Er denkt nicht, dass es ein ermittlungsrechtliches Problem geben wird, der Fall ist ja abgeschlossen, die Leute auf der Party waren nicht involviert außer als Zeugen, aber er will sicher gehen.
„Nee“, sagt Leo langsam und reibt sich den Nacken. „Ist kein Problem.“
Adam runzelt die Stirn. „Du klingst, als wär’s eins.“
„Ist es aber nicht.“ Leo steht auf und zieht seine Jacke von der Stuhllehne. „Rechtlich völlig in Ordnung. Also hau rein. Viel Spaß.“ Er wirft Adam ein flüchtiges Lächeln zu. „Grüß sie vielleicht nicht von mir.“
Adam grinst. Die Vorstellung, mit Leo zusammen dort aufzukreuzen, amüsiert ihn, aber ehe er fragen kann, ist Leo schon aus der Tür und in den Feierabend verschwunden.
„Kommst du noch mit was trinken?“
„Nee, danke. Heute Abend ist Grillfest bei den Nachbarn.“
„Es ist Oktober“, bemerkt Esther skeptisch.
„Ja. Abgrillen. Macht man jetzt so, hat mir Tobi erklärt.“
„Tobi wohnt in Nr. 23, schräg gegenüber“, souffliert Leo für Pia und Esther. Esther sieht ihn mit demselben zweifelnden Blick an.
„Na, dann viel Spaß euch beiden. Aber sagt doch vorher, dass ihr verabredet seid – dann müssen Pia uns nicht tagelang was für den Team-Freitagabend überlegen, hm?“
„Oh, ich bin nicht dabei.“ Leo hebt abwehrend die Hände, dreht sich so, dass er neben Pia und Esther steht und Adam ihnen gegenüber. „Wohin wolltet ihr denn?“
Pia stupst ihn mit der Hüfte an. „Du kannst gerne mit Schürki zum Grillfest der Nachbarn gehen. Über deinen Bohnensalat freuen die sich sicher.“
„Dazu müsste ich jetzt erst mal Bohnen kochen.“ Leo streckt ihr halb die Zunge heraus. „Außerdem wurde ich nicht eingeladen. Du wirst mich nicht los heute Abend, Heinrich, vergiss es.“
Adam bringt ihm ein Schüsselchen Bohnensalat von Elke aus Nr. 45 mit. Leo lächelt, aber er nimmt es mit nach Hause, wo Adam es zwei Tage später, als er Leo abholen will und sich in der Küche noch einen Schokoriegel aufmacht, im Mülleimer findet.
Freitagabend, Feierabend, Fall gelöst: ein Triple, das man feiern muss. Und wenn der Vorschlag, Pizza zu bestellen, schon von Leo kommt, wird Adam dem geschenkten Gaul sicher nicht ins Maul sehen und die Dreiviertelstunde Lieferzeit ohne Murren mit Aufräumen verbringen.
Die Pforte kündigt ihre Bestellung an, da hat Leo gerade den nassen Lappen in der Hand, mit dem er den Besprechungstisch abwischt.
„Ich geh“, ruft Pia erleichtert – sie mag das Aufräumen nicht, weil ihr dabei immer vor Augen geführt wird, dass sie für den größten Teil des Chaos aus Akten, Notizzetteln und leeren Essensverpackungen verantwortlich ist, auch wenn ihr das niemand im Team zur Last legt. „Hab ich einen Hunger. Das war echt eine gute Idee, Leo.“
Leo lächelt zufrieden, ehe er – hoffentlich zum letzten Mal an diesem Tag – guckt wie ein Teamleiter. „Wir müssen uns aber mal Alternativen überlegen. Wir können echt nicht immer mit Pizza feiern.“
„Ich sag ja. Flammkueche.“ Esther wirft ihm einen liebevoll-spöttischen Blick zu. „Das ist schonmal die Hälfte an Teig und Kohlehydraten. Und notfalls rennst du einfach wieder dem Auto des nächsten Verdächtigen hinterher.“
Wenn es nach Adam geht, kann Leo das sehr gerne machen. Nicht, dass Leo den zusätzlichen Sport nötig hätte, um eine Pizza zu verarbeiten. Oder weniger gut aussehen würde, wenn er das mal nicht täte. Aber wenn er rennt, also – Adam sieht ihm gerne dabei zu. Oder rennt mit ihm. Wie früher. Nur dass jetzt Leo schneller ist.
„Also, Adam und ich werden das morgen wegschaffen.“ Pia grinst unbekümmert und nimmt ein paar Scheine aus ihrem Portemonnaie. Auf Leos fragenden Blick hin erklärt sie: „Wir gehen bouldern.“
Leos Blick wandert von ihr zu Adam, der nickt. Pia hat es ihm vorgeschlagen, als Adam neulich erzählt hat, dass ihm Sport ohne Ziel und Kontext – laufen, pumpen und der ganze Kram – absolut nichts geben.
„Oh.“
In Leos Stimme schwingt ein Unterton mit, der einen über fünfzehn Jahre alten Instinkt in Adam auslöst und ihn Leo anlächeln lässt. „Willst mit?“
„Nee, lass mal. Meine Schulter macht gerade wieder Zicken.“ Leo lächelt schief und zieht besagte Schulter hoch, dann sieht er zur Bürotür, durch die Pia eben verschwunden ist, um die Pizza in Empfang zu nehmen. „Ich geh auch noch mal kurz um die Ecke.“
Und weg ist er.
Dabei war er erst vor einer Viertelstunde auf der Toilette. Und mit seiner Schulter ist alles in bester Ordnung, sonst hätte er vorhin nicht so mühelos die Kartons mit ihren Akten durch die Gegend wuchten können.
Irgendetwas stimmt doch nicht.
In Ermangelung besserer Optionen sieht Adam hilfesuchend zu Esther, die mit verschränkten Armen an ihrem Schreibtisch steht und die Brauen hochgezogen hat. Es fehlt eigentlich nur noch die Nagelfeile. Oder eine flauschige weiße Katze.
Adam wendet sich schaudernd wieder ab und beginnt, das Besteck aus der Teeküche auf dem Tisch zu verteilen.
„Ihr beide seid echt blind, was den anderen angeht“, sagt Esther in seinem Rücken. „Hölzerchen ist eifersüchtig.“
Die Gabel, die Adam hinlegen wollte – als ob sie nicht sowieso alle mit den Fingern essen – fällt klirrend auf den Teller und hinterlässt einen kaum sichtbaren hellgrauen Strich.
Eifersüchtig? Was hat Adam verpasst?
„Aber er weiß doch, dass Pia mit dir zusammen ist?“
Das Geräusch, das Esther von sich gibt, erinnert ihn an einen sterbenden Hirsch. Soll aber wohl ein Stöhnen sein.
„Nicht auf dich, du Genie. Auf Pia.“
Auf Pia? Leo ist auf Pia eifersüchtig, weil Adam mit ihr klettern geht? Adam versucht, seine Gedanken zu sortieren, während er als Serviettenersatz ein paar Blätter Küchenpapier abreißt, faltet und unter das Besteck klemmt. Eifersucht? Wenn er sich das so überlegt, würde es schon viel erklären. Wieso Leo immer so komisch reagiert, wenn Adam irgendwas mit anderen Leuten macht. Insbesondere, wenn es irgendeinen Bezug zu Leo hat. So wie das Mittagessen mit Rainer oder der Bohnensalat.
Aber wenn Leo eifersüchtig wäre, sollte er dann nicht versuchen, mehr Zeit mit Adam zu verbringen? Ihn und Pia zum Bouldern begleiten, um sicherzugehen, dass sie nicht irgendwo in fünf Metern Höhe und ohne richtigen Halt unter den Füßen plötzlich anfangen, rumzumachen, oder was auch immer Leo sich vorstellt? Wobei, nee, Leo weiß, dass Adam nicht auf Frauen steht. Also, was soll denn die Eifersucht? Soll Adam keine eigenen Kontakte knüpfen in Saarbrücken? Eigentlich müsste das Leo doch freuen, weil Adam mit jedem neuen Kontakt einen Grund mehr hat, hierzubleiben.
Diese Gedanken macht Adam sich. Aber was am Ende aus seinem Mund kommt, ist ein lapidares:
„Aber...wir sind nicht zusammen oder so?“
„Das weiß er ja auch.“ Esther stößt sich vom Tisch ab und platziert ihre und Pias Wasserflaschen auf dem Besprechungstisch. „Deswegen nimmt er sich so zurück. Aber du bist eben seine wichtigste Bezugsperson.“
Ja, so viel weiß Adam auch, aber er ist doch nicht der einzige Mensch in Leos Leben. „Er hat doch andere Freunde, mit denen er was machen kann.“
„Hat er die?“ Ein schneller Blick zur Tür, bevor Esther leise, aber eindringlich fortfährt. „In all der Zeit, die ich ihn jetzt kenne, hat er nie von einer Partnerin oder einem Partner gesprochen. Auch nicht von einem oder einer Ex. Zocken und Fitnessstudio sind jetzt nicht die sozialsten Hobbys und die GdP-Sitzungen sind auch nicht gerade gesellige Kontaktbörsen. Er ist eifersüchtig, wenn du etwas mit anderen Leuten unternimmst, aber er will dich nicht bedrängen, deswegen zieht er sich stattdessen komplett raus. Und –“ Ihr Blick huscht wieder zur Tür. „Du sagst bitte kein Wort hiervon zu Pia, sonst fühlt sie sich schlecht, weil sie Leo Kummer bereitet hat.“
Als ob Adam überhaupt irgendjemandem erzählen wird, dass er dieses Gespräch mit Esther geführt hat. Noch nicht einmal sich selbst. Sonst müsste er sich fragen, ob sie auch ihn selbst so durchleuchtet hat, eine kleine persönliche Akte über ihn in ihrer Schreibtischschublade liegt, falls Leo mal nachfragt, was denn mit Adam los sei.
Leo. Eifersucht. Eifersucht, Leo. Die beiden Worte springen wie Flipperkugeln durch sein Hirn, während Leo Pia die Tür aufhält und sie die Pizzaschachteln auf dem Tisch verteilt.
„Alles okay, Adam? Du wolltest schon Quattro Stagioni, oder?“
Pias Frage schreckt ihn aus seinen Gedanken. Aus den Augenwinkeln sieht er noch Esthers drohenden Blick. „Äh. Ja. Sorry. Danke.“
Solche Überlegungen sollte er ohnehin nicht auf leeren Magen anstellen.
Am Samstag hat er das Ganze fast schon wieder vergessen. Pia jagt ihn eine Wand nach der anderen hoch und seine Muskeln brennen auf eine gute Art und Weise erschöpft, als sie schließlich zum letzten Mal auf den Boden zurückkehren. Ehe Adam protestieren kann, hat Pia einen Arm um seinen Nacken geschlungen und ein Selfie von ihren grinsenden, verschwitzten Gesichtern gemacht. Sie schickt es an Esther, dann an Adam selbst, und dann sieht sie ihn so erwartungsvoll an, dass er nur lachend nachgeben und das Bild an Leo weiterleiten kann.
Mit jeder Minute, die verstreicht, ohne dass Leo auf das Bild reagiert oder antwortet, drängt sich Esthers Tirade von gestern mehr und mehr in den Vordergrund von Adams Gedanken. Und je länger er darüber nachdenkt, desto mehr ärgert er sich. Zum einen über sich selbst, weil es ihm schlicht und einfach nicht aufgefallen ist, was mit Leo los ist. Zum anderen aber über Leo, weil der offenbar die Zähne nicht auseinanderkriegt, Adam zu sagen, was mit ihm los ist. Solange das nicht gesagt ist, hat Leo schließlich überhaupt keinen Anspruch auf irgendwas. Und selbst dann – Adam hat ein, zwei Beziehungen hinter sich, in denen der andere Typ versucht hat, ihn zu isolieren; nicht damit klarkam, dass Adam Freunde hatte. Das wird er sich garantiert nicht noch einmal geben, auch nicht für Leo.
Als irgendwann am Sonntagnachmittag Leos Antwort auf das Selfie in Form zweier schnöder Emojis kommt – „👍😊“ –, schnaubt Adam daher nur missgelaunt. Will Leo sich durch Rückzug mysteriös und interessant machen? Das hat bei Adam noch nie funktioniert. Dann halt nicht, denkt er und legt das Handy weg.
Bis Montag ist sein Ärger noch nicht abgeebbt, schwelt unter der Oberfläche wie leicht zu entfachende Glut, auch wenn er sein Bestes gibt, das Gefühl zu ignorieren. Pia erzählt Leo und Esther begeistert von ihrem Boulderabenteuer und Adam unterstützt sie mit Nicken, Lachen oder kleinen Bemerkungen, während er fasziniert beobachtet, wie aufmerksam Esther ihr zuhört, obwohl Pia ihr am Samstagabend und Sonntag garantiert schon mindestens die Hälfte davon erzählt hat.
„Sorry, ich muss nochmal kurz...der Bericht liegt noch im Kopierer.“
Leos Satz ist der Luftstoß, der Adams Glut auflodern lässt und die Flammen seines Ärgers entfacht. Er legt der verletzt dreinschauenden Pia kurz die Hand auf die Schulter, dann fährt er von seinem Stuhl hoch und erwischt die Tür, kurz bevor sie hinter Leos Abgang wieder zufällt.
„Leo?“
„Nicht jetzt, Adam.“ Leo beugt sich tatsächlich hinunter und holt ein paar Blätter aus dem Kopierer. Okay, vielleicht lag der Bericht wirklich noch da, aber das erklärt die Art des Abgangs nicht. So dringend war es mit ihrer morgendlichen Besprechung auch nicht, zumal sie noch gar keinen neuen Fall haben. Also, was ist Leos Problem?
„Was ist eigentlich dein scheiß Problem?“
„Ich hab gesagt, nicht jetzt, Adam.“
„Aber ich will das jetzt wissen.“
Verkniffen und bleich sieht Leo ihm ins Gesicht. „Was willst du wissen?“
„Was dein scheiß Problem ist! Hör mir doch zu, wenn du schon Pia komplett schneidest!“
„Ich hab sie nicht –“
„Klar hast du sie geschnitten. Bist mitten in ihrer Erzählung rausgerannt, hast ihr gar nicht richtig zugehört.“
„Ich hatte ja nichts zum Thema beizutragen –“
Oh, langsam hat Adam wirklich die Nase gestrichen voll. „Ich hab dich gefragt, ob du mitwillst, du Arschloch!“
Wie ein Arschloch klingt Leo ganz und gar nicht, als er antwortet. Ganz klein ist seine Stimme und irgendwie belegt, wie Adam sie zuletzt in der Schule gehört hat, aber nie ihm selbst gegenüber.
„Ach, du warst schon mit Pia verabredet, da wollte ich echt nicht stören.“
Okay. Hat Adam es doch gewusst, dass das mit der Schulter nur ein Vorwand war.
Und:
Holy shit.
Esther hatte Recht.
Oder?
„…sag mal, bist du eifersüchtig?“
Leo senkt den Blick. Adam sieht die Bewegung in seiner Kehle, als er schluckt. Ein Atemzug durch die Nase, ein Blick zur Seite, und Leo schiebt sich an ihm vorbei. Adams Hand schnellt ohne sein Zutun vor und schließt sich, so weit das geht, um Leos Oberarm.
„Antworte mir gefälligst!“
Die wütenden Funken springen auf Leo über. Mit einem Ruck macht er sich los, sieht Adam direkt ins Gesicht und zischt zum dritten Mal: „Nicht. Jetzt.“
Die folgende Teambesprechung ist die angespannteste, die Adam in Saarbrücken je erlebt hat. Vielleicht gab es noch üblere vor ihm oder während er in der Lerchesflur war, aber dieses passiv-aggressive Am-Konflikt-Vorbei-Kommunizieren stößt ihm sehr unangenehm auf. Leo sieht ihn kaum an, außer, wenn es darum geht, ihm eine Aufgabe zuzuteilen. Pia wirkt noch immer etwas geknickt. Esther sitzt mit verschränkten Armen da und schaut so ablehnend auf Leo wie zu Beginn von Adams Zeit in Saarbrücken.
Zu Adams Erleichterung fasst Leo sich kurz. „Okay, das war’s. Ich fahre dann gleich mal zu Henny und kläre die Punkte im Bericht noch mit ihr ab.“
Wenn Leo dem Konflikt aus dem Weg gehen will, bitte. Adam wird sich nicht aus dem Büro verkrümeln, weil das Leo unangenehm sein könnte.
„Pia, hast du noch einen Moment, bitte?“
Sowohl Adam als auch Esther sehen verblüfft hoch und zu, wie Pia und Leo nach nebenan gehen. Durch die Glasscheibe hört man nichts, aber es sieht nach einem sehr eindringlichen Gespräch aus.
Nicht, dass Adam dem allzu viel Aufmerksamkeit widmet. Geht ihn doch nichts an, was Leo macht. Pffft.
Interessiert ihn auch nicht, dass Leo Pia kurz den Arm um die Schulter legt, bevor er sich endgültig auf den Weg in die Pathologie macht. Auch wenn er sich wünscht, er könnte so entspannt wie Pia jetzt auf seinem Bürostuhl sitzen und Bananenchips knabbern.
„Und?“
Der Himmel segne Esthers besorgte Neugier. Pia zuckt nur mit den Schultern. „Er hat sich entschuldigt dafür, dass er vorhin so brüsk war.“
Offenbar im Frieden mit dieser Situation bietet sie Adam die Tüte an, doch er schüttelt nur ablehnend den Kopf.
„Spannend. Bei dir kann er sich entschuldigen, aber mir zu erklären, was los ist, ist zu viel verlangt.“
„Ach, Schürki.“ Esther steht auf und klaubt ihre Siebensachen und das Diktiergerät zusammen für die letzte Zeugenbefragung. „Das mit euch beiden ist was Besonderes, kapier das doch endlich. Das kann man nicht mal eben im Büro besprechen.“
Dann also nicht im Büro. Auch kein Problem. Steht Adam eben abends vor Leos Tür und klingelt. Leo lässt ihn herein, weil Leo ihn immer hereinlässt; es könnte ja ein Notfall sein. Adam vermutet, dass er so guckt, als sei es ein Notfall. Ist es ja auch irgendwie. Er muss das jetzt einfach wissen.
„Ich muss es wissen.“
„Was denn?“
„Ob du eifersüchtig bist.“
Leo seufzt und dreht sich weg. „Adam…“
„Nichts Adam. Vorhin hast du gesagt ‚nicht jetzt‘, aber jetzt ist ein anderes jetzt und ich will’s wissen. Geht ja immerhin um mich.“
Wie immer, wenn ihm die Dinge über den Kopf wachsen, verbirgt Leo sein Gesicht in den Händen. Als würden die Probleme zumindest für einen Moment verschwinden, wenn er sie nicht sehen kann. Entsprechend gedämpft klingt seine Stimme, als er spricht.
„Ich wollte nie, dass du’s weißt.“
„Du wolltest nie – was? Was glaubst du denn, was ich mir denke, wenn du jedes Mal schmollend verschwindest, wenn ich mich mit jemand anderem gut verstehe?“
„Ich schmolle nicht –“
„Natürlich schmollst du! Du drehst dich um und gehst weg, guckst mich nicht mehr an, fragst mich nicht, wie’s war, und wenn ich dich frage, ob du mitwillst, wiegelst du ab. Wenn der Duden Bilder hätte, wärst du unter dem Eintrag für ‚schmollen‘ zu finden.“
Leo hat die Hände fallen lassen, ist bleich geworden. „So hab ich das nie gemeint.“
„Sondern?“
„Adam, wenn du das so wahrgenommen hast, dann tut es mir leid.“ Adam kann nur verständnislos die Stirn runzeln, je eindringlicher Leo auf ihn einredet. „Ich kann nur nicht…ich wollte nicht, dass du siehst…ich bin – nicht gut darin, dich zu teilen. Ich werde dann schlecht gelaunt. Und ich wollte verhindern, dass du das merkst. Deswegen bin ich weggegangen. Hab versucht, mich rauszuziehen. Hat ja anscheinend nicht geklappt“, ein bitteres Lachen, ein Haareraufen, „aber verdammt, ich weiß nicht, was ich anders machen kann. Ob ich noch was anders machen kann.“
„Du…kannst mich nicht teilen.“ Wie Eiswasser rinnt die Erkenntnis, dass er in dieser Hinsicht richtig lag, über Adams Wirbelsäule.
Leo schluckt, schüttelt kaum merklich den Kopf.
„Sorry, Leo.“ Die Worte kommen Adam zäh über die Lippen. „Aber ich lass mich nicht vereinnahmen. Nicht mal von dir.“
Er dreht sich zur Tür, fühlt sich, als würde er durch nassen Sand waten, bis seine Hand auf der Klinke liegt.
„Wie machst’n das sonst mit deinen Beziehungen? Durften die auch alle keine Freunde haben?“
„Beziehungen?“ Leo klingt fassungslos, der Heuchler. „Adam, wovon redest du?“
„Ja, Leo. Beziehungen.“ Er dreht sich um, guckt Leo ins Gesicht, weiß nicht, wohin mit seiner Enttäuschung, seiner Wut, seinem gebrochenen Vertrauen in seinen besten Freund. „Das willst du doch von mir, oder? Aber so funktioniert das nicht. Ich bin nicht ausschließlich für dich da.“
„Das weiß ich doch!“ Leo macht einen Schritt auf ihn zu, stolpert sofort wieder zurück. Dreht sich um und flieht in seiner eigenen Wohnung vor Adam, in die Küche, wo er aus dem Fenster starrt, die Nase so dicht am Glas, als würde er hoffen, durch die Scheibe verschwinden zu können. „Das ist ja das Problem.“
„Was ist das Problem?“
Schweigen.
„Ich versteh’s nicht, Leo, erklär’s mir.“ Der Türrahmen ist scharfkantig unter Adams Hand, Warnung und Versicherung zugleich; das hier kann wehtun, aber er kann gehen.
Leos Schultern zittern.
„Mein ganzes Leben hab ich…war ich allein. Hab gehofft, da wäre irgendwann jemand, für den ich die Nummer Eins wäre. Die wichtigste Person. Aber ich war’s nie, für niemanden. Als du weg warst und ich mir über ein paar Dinge im Klaren wurde, hab ich mir manchmal vorgestellt, ich wär’s für dich gewesen. Wir dachten, du wärst tot…es war eine sichere Fantasie. Eine, die nicht von der Realität zerstört werden konnte.“
Adam schluckt, als ihm klar wird, dass Esther auch in dieser Hinsicht Recht hatte: Leo ist ein einsamer Mensch, schon immer gewesen.
„Aber dann warst du wieder da. Und es gab Momente, da hab ich…gedacht, vielleicht waren diese Fantasien nicht nur das. Vielleicht könnten sie irgendwie wahr werden. Aber du hast mir wieder und wieder klar gemacht, dass ich nicht deine Priorität bin. Und ich…“ Leo holt tief und zitternd Luft und Adam hört mit Entsetzen den Schluchzer, der ihm dabei in der Kehle steckt. „Ich hab versucht, damit klarzukommen. Das zu akzeptieren, mich für dich zu freuen, dich nicht merken zu lassen, wie mich das trifft. Ich hab keinen Anspruch auf dich, also kann ich von dir nicht fordern, mich vorzuziehen. Rational weiß ich das. Aber gerade deswegen tut es so weh, wenn du was mit anderen Leuten machst. Weil ich Angst habe, dass ich irgendwann nur noch an dritter, fünfter, zehnter Stelle stehe. Und jemand anders an erster. Und ich weiß –“ er macht eine Geste, die Adams Protest auf seinen Lippen versiegen lässt. „Ich weiß, dass das dir gegenüber nicht fair ist. Ich mache dir da auch gar keine Vorwürfe. Aber das ändert nichts daran, dass es mir wehtut.“
Die darauffolgende Stille ist so ohrenbetäubend, dass jeder Herzschlag in Adams Kopf dröhnt wie ein Pistolenschuss.
Leo löst sich langsam von der Aussicht auf dem Küchenfenster und dreht sich halb um, sein Profil ergänzt um die Silhouetten der Kräuter im Blumenkasten davor.
„Und jetzt wäre ich dir dankbar, wenn du mich alleine lassen und das alles für dich behalten könntest. Ich…ich schreib einen Versetzungsantrag, wenn du das willst, ich zieh weg, halte mich von dir fern, aber…aber bitte sag es niemandem.“
„Leo, nein, was –“ Adams Körper überholt seine Gedanken, seine Worte, stolpert auf Leo zu und packt ihn bei den Schultern, hakt die Unterarme über seine Schultern, fast einer Umarmung gleich.
„Das denkst du von mir? Dass ich das gegen dich verwenden könnte? Dass ich dich loswerden will? Dass du nicht meine Nummer Eins bist? Was glaubst du denn, warum ich nach Saarbrücken zurückgekommen bin, für meine abgefuckte Familie oder was?“ Das unpassende Lachen, das in seiner Kehle aufsteigt, kann er gerade so unterdrücken, nicht aber das breite Lächeln auf seinem Gesicht, scheißglücklich, weil Leo – also. Adam ist weit davon entfernt, ein Experte in diesen Angelegenheiten zu sein. Aber das war schon eine Liebeserklärung. Oder?
„Aber –“ Zu seiner grenzenlosen Erleichterung spiegelt sich sein Lächeln auf Leos Gesicht, noch etwas zaghafter und trüber zwar, aber das kann ja noch werden. „Aber du hast nie was gesagt.“
Jetzt muss er doch lachen. „Du hast nie gefragt!“
Leos Schultern zucken unter seinen Armen. „Hatte Angst, dass du nein sagst. Oder lachst.“
„Und ich erst, Leo.“ Adam stößt einen Schwall Luft aus. „Ich zieht dich doch ständig nur mit in die Scheiße, seit ich zurück bin. Schon davor, wenn man’s genau nimmt.“
„Hat mich ja nicht davon abgehalten, bei dir zu bleiben, du Genie.“
„Stimmt.“ Adam grinst. „Du bist immer da. Hast du doch gesagt. Wieso sollte ich mir da jemand anderen suchen?“
„Kann ja sein, dass ich dir irgendwann langweilig werde. Nicht genug.“
„Hey, Leo, nein.“ Adam lehnt seine Stirn an Leos. „Das sehe ich nicht passieren.“
Nicht mit Leo „ich will Gerechtigkeit um jeden Preis, ich will das jetzt wissen, ich muss meinen Kopf durchsetzen, und wenn ich dafür Dienstbeschwerden, Leib und Leben riskiere“ Hölzer, und ja, Adam ist sich bewusst, dass er selbst oft genug Auslöser für Leos riskante Alleingänge ist. Irgendwie sind sie ja schon füreinander gemacht.
Was allerdings nicht bedeutet, dass Leo ab jetzt die einzige Person in Adams Leben sein wird.
„Aber…ich werd weiterhin mit anderen Leuten zu tun haben. Mit Pia bouldern gehen. Mit Rainer in die Kantine. Mit den Nachbarn grillen. Das lasse ich mir von dir nicht nehmen, verstehst du? Das muss dir klar sein.“
„Ich versteh.“ Leos Hände finden seine Hüften, legen sich vorsichtig an seine Seiten. „Ich glaube…ich glaube, ich könnte besser damit umgehen, wenn ich wüsste, dass du am Ende des Tages wieder zu mir kommst.“
Nach fünfzehn Jahren Ungewissheit ist das nur fair, denkt Adam. Ein Arrangement, auf das er sich einlassen kann. Und außerdem eine ziemlich perfekte Steilvorlage:
„Haaah, Leo, Baby, wenn du willst, bin ich auch am Ende der Nacht noch bei dir.“ Mittlerweile tut das Grinsen fast weh, so breit ist es, und in seinem Inneren flattert ein ganzer Schmetterlingsschwarm umher.
„Spinner.“ Aber unter der Röte in seinen Wangen muss auch Leo lächeln.
„Yep.“
„Also…bezieh ich dir das Gästebett?“
„Wozu?“
„Zum hier Schlafen natürlich.“
Adam legt ihm eine Hand in den Nacken, zieht ihn so nah an sich, dass sich ihre Lippen schon fast berühren.
„Schlafen? Nee. Wenn ich hierbleibe, bist du meine Priorität.“
