Chapter 1: Prolog: Wie wäre es Sonntag?
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Im Bistro Flordelis, wo die Einrichtung mit ihren königlichen Rottönen unbestreitbar für ein hohes Maß an Eleganz sorgte, war weniger los als sonst, was Platan überraschte. Besonders an einem Freitag hätte er nachmittags mit einem munteren Schwarm aus Menschen gerechnet, die es nach ihrem Feierabend allesamt hierher zog, um das Wochenende ausgelassen, aber mit Stil, willkommen zu heißen. Offensichtlich hatte er sich in dem Punkt geirrt, denn man konnte die aktuellen Besucher, ihn eingeschlossen, an einer Hand abzählen.
Vielleicht gab es inzwischen andere Stoßzeiten, zu denen das Bistro gut besucht war. Möglich wäre es, da Platan schon länger nicht mehr hier gewesen war. Seine Arbeit als Pokémon-Professor von Kalos hatte ihn in den letzten Wochen mehr als sonst gefordert, weil er wieder einigen Kindern ein Pokémon anvertraut hatte, damit sie ihre Reise mit einem treuen Partner durch die Region starten konnten. Natürlich behielt er ihre Schritte dabei im Blick und traf sich zwischendurch mit ihnen. Nicht nur, um sich den Pokédex zeigen zu lassen, sondern um ihnen vor allem Ratschläge mit auf den Weg zu geben und sich von ihren bisherigen Erfahrungen erzählen zu lassen.
Neben seinem Hauptberuf war er außerdem auch noch als Gründer der Kubus Garde sehr beschäftigt. In den letzten Jahren konnte diese Organisation sich in Kalos einen Namen machen und demnach stetig wachsen. Inzwischen war sie überall verwurzelt und sei es nur durch die Mitglieder, die aus verschiedenen Städten der Region stammten. Sie besaßen auch ein eigenes Verwaltungsgebäude in Illumina City.
Das Ziel der Kubus Garde war es, sowohl die Natur als auch die Pokémon zu schützen. Daher war Platan selbst öfter in der Wildnis unterwegs, um gemeinsam mit den anderen ein wachsames Auge auf diese beiden Dinge zu haben. Sie halfen verletzten Pokémon, wiesen Umweltverschmutzer zurecht und stellten sich manchmal sogar gegen Firmen, sollten diese planen Lebensräume zu zerstören, nur um mehr Baufläche für sich zu gewinnen. Es gab also im Prinzip immer etwas zu tun.
Allerdings war es im Moment etwas ruhiger geworden und die Reise der Kinder verlief ohne nennenswerte Probleme. Also hatte Platan es sich erlaubt diese Gelegenheit zu nutzen und seinen alten Freund um ein Treffen zu bitten. Leider lag das letzte mit diesem schon viel zu lange zurück, zumindest für Platans Geschmack, und wohl auch für den von Flordelis. Jedenfalls schien er sich über den Vorschlag, sich zu treffen, gefreut zu haben, wenn auch gewohnt zurückhaltend.
Zwar konnten sie sich jederzeit über den Holo-Log unterhalten, doch auf Dauer war das einfach nicht genug. Ihm fehlte es, Flordelis' Stimme direkt zu hören, statt nur bei einem dieser zahlreichen Telefonate, und ihn persönlich vor sich zu haben. Deshalb war Platan wohl auch viel zu schnell nach seinem Feierabend ins Bistro geeilt, wo er seitdem auf die Ankunft von Flordelis wartete und solange eine Tasse Kaffee trank.
Falls sein Freund etwas länger arbeiten müsste, was durchaus öfter vorkam, dürfte er noch eine Weile auf sich warten lassen. Dennoch war Platan bereits gut gelaunt und unterhielt sich unterdessen entspannt mit dem Barkeeper, der von dieser Ablenkung jedoch nicht allzu erfreut zu sein schien, so kam es Platan vor. Und doch konnte er nicht anders, als ihm leidenschaftlich von der letzten Rettungsaktion in der Wildnis zu erzählen.
Zwischendurch warf der Barkeeper immer wieder einen prüfenden Blick Richtung Eingangstür und hörte Platan kaum zu, nickte aber ab und an aus Höflichkeit. Irgendwann wirkte der Mann dann auf einmal regelrecht erleichtert und entschuldigte sich rasch bei ihm, um in Richtung des Weinregals davon zu huschen. Verwundert sah Platan ihm hinterher. Hatte dem Barkeeper die Geschichte nicht mal ein bisschen gefallen?
„Platan“, ertönte eine tiefe Männerstimme neben ihm, „lenkst du wieder meine Angestellten ab?“
Sofort lenkte Platan den Blick zur Seite und seine grauen Augen leuchteten ein wenig auf, als er Flordelis neben sich stehen sah. Endlich, er war da. Genau wie erwartet klang dessen Stimme von Angesicht zu Angesicht noch angenehmer.
„Flordelis~“, entglitt es Platan beschwingt und er strahlte ihn geradezu an. „Verzeih mir. Ich musste mich selbst etwas ablenken, während ich ungeduldig auf deine Ankunft gewartet habe.“
Zügig stieg er vom Barhocker – wobei die Schlüssel von Clavion an seinem Gürtel anfingen zu klimpern – und breitete einladend die Arme aus.
Schmunzelnd sah Platan ihn an. „Wie wäre es mit einer Umarmung? Wir haben uns schließlich lange nicht gesehen.“
Flordelis runzelte seine Stirn. „In der Öffentlichkeit?“
Richtig, er musste unter Leuten stets genau darauf achten wie er sich verhielt, weshalb seine Mimik in der Regel eher ausdruckslos wirkte, meistens jedoch auch etwas zu ernst. Auch wenn momentan nicht viele Personen im Bistro anwesend waren, genügte vermutlich schon eine einzige Umarmung, um ein Gerücht zu starten. Dieses Risiko konnte Flordelis wohl nicht eingehen. Glücklicherweise freute Platan sich zu sehr darüber ihn zu sehen, weswegen er keine große Sache daraus machte und auch seine Stimmung konnte nicht so leicht getrübt werden.
Als er die Arme sinken ließ, zwinkerte er ihm nur verspielt zu. „Dein Verlust, mein Lieber~.“
Danach klopfte Platan kurz auf den Barhocker neben seinem und nahm selbst wieder Platz. Flordelis setzte sich ebenfalls und bedankte sich knapp, als der Barkeeper ihm ohne jegliche Aufforderung ein Glas Wein hinstellte. Im Anschluss ergriff der Mann wortwörtlich die Flucht, indem er in die Küche eilte und somit vermutlich einer weiteren Erzählung von Platan entgehen wollte. Dieser war aber nun ohnehin voll und ganz auf Flordelis konzentriert.
„Ich freue mich sehr, dass es mit dem Treffen heute geklappt hat“, betonte Platan aufrichtig. „Eigentlich hätte ich dich gerne schon viel früher gesehen, doch ich hatte einfach keine Zeit. Die nächsten Stunden gehöre ich nun aber ganz dir.“
„Du bist sehr beschäftigt, hm?“, stellte Flordelis fest, gefolgt von einer Frage: „Wie laufen deine Bemühungen?“
„Oh, alles läuft gut“, antwortete Platan zufrieden und nahm den letzten Schluck von seinem Kaffee. „Wir benötigen nur dringend einen Ort, wo wir verletzte Pokémon eine Weile unterbringen können. Die Pokémon-Pension auf der Rivière-Promenade kann das schon länger nicht mehr stemmen. Viele von uns pflegen die Pokémon bei sich zu Hause gesund, bis sie wieder fit genug sind.“
Oft endete es damit, dass die Pflegekinder hinterher einfach bei dem jeweiligen Mitglied blieben, was natürlich nicht schlecht war, doch irgendwann hätte jeder sein Limit erreicht und könnte keine weiteren Pokémon aufnehmen.
Platan schüttelte den Kopf und sah seinen Freund – in dessen Augen eindeutig Bewunderung aufflackerte, untermalt von einem Hauch Entschlossenheit – lächelnd an. „Genug von meiner Arbeit. Wie geht es dir? Du hast vermutlich nicht sehr viel mehr Freizeit als ich, oder?“
Genussvoll nahm Flordelis zunächst einen Schluck seines Weins, erst danach antwortete er ihm: „Ich stehe tatsächlich ein wenig unter Stress. Wenngleich ich mich mehr mit Zulieferern und Großhändlern auseinandersetzen muss, als mit Pokémon oder Umweltzerstörern.“
Zweifellos dürfte das auf seine ganz eigene Art anstrengend sein. Wie viele trockene Gespräche mit Zulieferern, Händlern oder Geschäftspartnern sowie Qualitätskontrollen mochten täglich Flordelis' Aufmerksamkeit fordern? Da konnte Platan froh darüber sein seine Arbeitszeit manchmal in der Natur verbringen zu können.
Er stützte sich mit dem Ellbogen auf der Theke ab und bettete das Gesicht in seiner Hand, während er Flordelis mitfühlend ansah. „Das klingt alles andere als romantisch, aber es muss natürlich auch erledigt werden.“
Leise seufzend schloss Platan die Augen. „Es ist schade, dass wir so unterschiedliche Wege eingeschlagen haben. Ich vermisse die Zeiten, in denen wir zusammen die Mega-Entwicklung erforscht haben.“
Im Großen und Ganzen hatte es nur Flordelis und ihn gegeben, während sie bahnbrechende Forschungen betrieben, für das Wohl jener Trainer, die Mega-Entwicklungen einsetzen könnten. Anders als sie beide, bedauerlicherweise.
Dank dieser gemeinsamen Forschungen hatten sie sich jeden Tag gesehen, nun war es schon ein guter Monat, wenn sie einmal in den vier Wochen Zeit füreinander fanden.
Schmunzelnd öffnete Platan wieder ein Auge. „Sollen wir zusammen durchbrennen und die ganze Arbeit einfach hinter uns lassen?“
Anscheinend sorgte diese Frage dafür, dass Flordelis sich ein wenig anspannte. Fand er diese Vorstellung etwa nicht verlockend? Nein, das war es nicht.
„Platan ...“ Flordelis schüttelte mit dem Kopf. „Ich weiß nicht, was du dir von diesen Scherzen versprichst.“
Platan blinzelte überrascht. „Scherze?“
Nachdenklich zog sein Freund die Augenbrauen ein wenig zusammen, wohl weil er sich nach dieser Reaktion nun selbst fragte, ob das Angebot tatsächlich ernst gemeint war.
Sicher, sie könnten nicht wirklich einfach so von hier verschwinden und alles zurücklassen. Dadurch würde nur zu viel Chaos entstehen. Trotzdem würde Platan sich nicht dagegen wehren, wenn Flordelis zugestimmt hätte. Vielleicht könnten sie auf diese Weise zumindest ein paar Tage nur zu zweit verbringen, bevor sie zurückkehren und wieder für Ordnung sorgen müssten. Jeder auf seine Weise.
Unsicher drehte Platan die leere Kaffeetasse ein wenig hin und her. „Entschuldige, ich wollte dich nicht bedrängen.“
Jedenfalls ging er davon aus, dass Flordelis seinen Vorschlag unter anderem deshalb als Scherz abtat.
„Du musst dich nicht entschuldigen“, entgegnete Flordelis beruhigend. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass du deine Arbeit einfach liegenlässt – nicht einmal für ein paar Tage.“
Nach diesen Worten schwieg Flordelis kurz.
„Aber vielleicht sollten wir uns wieder häufiger treffen“, schlug er dann vor.
Augenblicklich hellte sich Platans Gesicht auf. „Das wäre wundervoll~. Ich habe dir so viel zu erzählen, dafür reicht ein Treffen bei Weitem nicht aus. Außerdem berührt mich deine Stimme live auch viel mehr als-“
Ein Quietschen unterbrach ihn mitten im Satz. Kurz darauf erwachte Etwas in einer Seitentasche seines Laborkittels zum Leben. Es war ein Dedenne, ein Weibchen, das neugierig den Kopf nach draußen streckte.
„Ah~.“ Herzlich lächelnd sah Platan auf das Pokémon hinab. „Wieder wach? Hast du gut geschlafen?“
Dedenne antwortete darauf, indem sie ausgiebig gähnte und anschließend auf seine Schulter kletterte, wo sie ihre Wange an der von Platan rieb. Die elektrischen Funken kitzelten ihn, weshalb er leise lachen musste.
„Flordelis, darf ich dir Dedenne vorstellen?“ Behutsam tätschelte er ihren Kopf. „Wir haben uns bei meinem letzten Rettungseinsatz kennengelernt. Sie war sehr geschwächt, doch inzwischen geht es ihr wieder besser. Ist sie nicht zauberhaft?“
Das Kompliment brachte ihre Knopfaugen zum Glitzern. Flordelis betrachtete die Kleine einen Moment seltsam unschlüssig.
„Ja“, sagte Flordelis schließlich, ein wenig tonlos, „sie ist wirklich ... zauberhaft. Wird sie jetzt bei dir bleiben?“
„Noch eine Weile, aber ich würde sie gerne wieder zurück in ihren natürlichen Lebensraum bringen.“
Diese Antwort gefiel Dedenne nicht, denn sie pumpte Luft in ihre Wangen, wodurch es so aussah, als hätte sie jede Menge Futter in ihren Backentaschen gebunkert.
„Willst du nicht? In der Natur ist es viel schöner als in der Stadt“, erklärte Platan ruhig. Bevor Dedenne darauf aber reagieren konnte, streckte er eine Hand in Flordelis' Richtung aus. „Dedenne, das ist ein alter Freund von mir.“
Neugierig kletterte sie über seinen Arm auf seine Hand, um sich Flordelis aus der Nähe anzuschauen. Ihre Nase zuckte dabei mehrmals.
Platan lehnte sich ein wenig vor, bis er ihr leise zuflüstern konnte: „Flordelis ist der Nachfahre der Königsfamilie von Kalos.“
Sogleich nahm Dedenne ihren Schweif in die Pfoten und hielt sich ergriffen an diesem fest. Ehrfürchtig starrte sie seinen Freund mit großen, glänzenden Augen an.
Flordelis schmunzelte ein wenig. „Ich habe den Eindruck, dir bedeutet meine Abstammung mehr als mir, mein Freund.“
Vorsichtig setzte Platan Dedenne – die weiterhin in ihrer Schockstarre der Bewunderung feststeckte – wieder auf seiner Schulter ab und griff stattdessen nach einer Hand von Flordelis.
„Egal, was für eine Abstammung du hättest, ich würde mich immer geehrt fühlen, mit dir befreundet sein zu dürfen“, versicherte Platan eindringlich und schenkte Flordelis ein warmes Lächeln. „Daher würde es mir viel bedeuten, wenn wir uns wieder öfter treffen könnten. Gerne auch mal in einem privaten Umfeld. Vielleicht darf ich das mit der Umarmung dann nachholen.“
Er zwinkerte Flordelis zu. „Und das meine ich nicht als Scherz~.“
Etwas an Platans Worten besaß anscheinend eine gewisse Wirkung, was kaum zu erkennen war, aber sein Freund starrte ihn nun schweigend an und blinzelte dabei nicht mal mehr, seine Augenbrauen zuckten leicht. Zu gerne hätte Platan gewusst, was gerade in seinem Kopf vorging. War die Reaktion, die sich in Flordelis abzuspielen schien, positiv oder negativ? Wäre es zu aufdringlich, ihn offen danach zu fragen?
Sekunden später atmete Flordelis ein wenig durch, während er die Augen schloss. „Nun, dann sollten wir uns wirklich öfter treffen. Du ... könntest ja mal wieder zu mir kommen. Ich denke, ich habe ein paar neue Bücher, die dir gefallen würden.“
Zu Flordelis? Dort war Platan schon ein paar Jahre nicht mehr gewesen, falls er sich nicht irrte.
„Oh, die will ich mir auf jeden Fall ansehen~“, sagte er zu, auf Anhieb begeistert von diesem Vorschlag. „Ich komme dich liebend gerne besuchen. Wie wäre es Sonntag? Wenn ich die anderen bitte, für den Notfall hilfsbereite Trainer zu kontaktieren, die bei uns verzeichnet sind, kann auch ich einen freien Tag daraus machen.“
Widerwillig ließ Platan Flordelis' Hand wieder los, um ihn nicht zu sehr in Verlegenheit zu bringen. Immerhin befanden sie sich nach wie vor in der Öffentlichkeit und Flordelis zog sie auch sofort zurück, kaum dass es ihm möglich war. Vielleicht sollte Platan sich etwas mehr zurückhalten, denn offensichtlich behagte es Flordelis nicht, wenn er Körperkontakt suchte. Oder Scherze machte. Danach könnte er ihn direkt am Sonntag fragen, schließlich wären sie dann unter sich.
Aber was, wenn es seinen Freund wirklich störte? In dem Fall kam es ihm fast besser vor, einfach nichts zu sagen und so weiterzumachen wie bisher. Andererseits lud Flordelis ihn zu sich nach Hause ein, also musste Platan sich wohl keine Sorgen machen. Am besten entschied er das am Sonntag einfach spontan. Erst mal freute er sich einfach nur darüber, mehr Zeit mit Flordelis verbringen zu können. Also nickte Platan zufrieden für sich.
„Ein ganzer Tag nur für uns“, schwärmte er. Diese Aussicht ließ seine Augen erneut aufleuchten. „Das ist genau das, was ich brauche~.“
Flordelis öffnete seine Augen wieder – und zuckte kaum merklich zurück, als sich ihre Blicke trafen.
„Dann ist es abgemacht“, beschloss Flordelis ruhig. „Du kommst am Sonntag zu mir.“
„Fein, fein~.“ Platan legte eine Hand auf seine Brust. „Ich werden so früh wie möglich bei dir sein~.“
Offenbar hatte Dedenne den Nachfahren der Königsfamilie nun lange genug bewundernd angestarrt. Sie sprang plötzlich quietschend von Platans Schulter und warf erwartungsvoll einen Blick in seine Tasse, doch da sie schon leer war, gab sie schließlich einen enttäuschten Laut von sich.
„Kaffee solltest du ohnehin nicht trinken“, merkte Platan entschuldigend an. „Wenn du willst, bestelle ich eine Kleinigkeit für dich. Dieses Bistro hat für jeden etwas zu bieten~.“
Amüsiert legte er eine Hand an sein Kinn. „Vorausgesetzt der Barkeeper traut sich nochmal zu uns zurück. Ich scheine ihn wirklich mit meiner Erzählung verjagt zu haben.“
Bei seinem letzten Satz klang er betrübt, was ihn selbst überraschte.
„Ich glaube, nicht jeder in Illumina City kann mit deiner Vorliebe für Geschichten umgehen“, erklärte Flordelis. „Für manche ist es ... erschlagend.“
Nach diesen Worten zögerte er kurz, ehe er noch etwas ergänzte: „Nicht für mich. Aber andere scheinen damit nicht umgehen zu können.“
Nicht für mich.
Diese Worte erfüllten Platans Herz und ließen ihn verträumt Lächeln. Deswegen hatte er es so sehr vermisst, Zeit mit Flordelis zu verbringen. Nur in seiner Nähe spürte er diese Verbundenheit, die etwas ganz Besonderes war. Flordelis wusste sogar seine Geschichten zu schätzen, in die er stets viel Leidenschaft hinein legte. Anders als der Barkeeper, seine Assistenten oder viele andere Menschen.
Du bist einfach so viel besser als sie alle zusammen, Flordelis.
Das bewies Flordelis unbewusst sogleich, indem er kurz die Kellnerin anhielt, die sich um die Tische kümmerte, und sie darum bat, in der Küche darauf hinzuweisen, dass die Bar nicht unbesetzt bleiben sollte. Sie nickte darauf verstehend und ging direkt los, um seine Anweisung durchzugeben. Sicher hatte er das in erster Linie für Dedenne getan, damit sie wirklich eine Kleinigkeit zum Essen bekäme und nicht erst ewig warten müsste. Wie fürsorglich von ihm.
„Deren Verlust“, fügte Flordelis anschließend seinen letzten Worten noch hinzu. „Deine Geschichten sind immer eine Bereicherung.“
Es war tatsächlich deren Verlust. Am besten sollte Platan damit aufhören, anderen etwas zu erzählen, und sich stattdessen nur noch auf Flordelis konzentrieren. Diese Vorstellung war angenehm befreiend.
„Das bedeutet mir sehr viel.“ Platan lehnte sich ein wenig näher zu ihm. „Vielen Dank, mein Lieber.“
Um Flordelis – dessen Augen auf einmal einen faszinierenden Glanz besaßen, noch mehr als sonst – nicht erneut zu sehr zu bedrängen, setzte er sich direkt wieder aufrecht hin und sah ihn erwartungsvoll an. „Magst du eventuell die Geschichte darüber hören, wie ich Dedenne gerettet habe? Der Barkeeper hat bedauerlicherweise auf das Ende verzichtet.“
Genau genommen war Platan bei dieser Rettung nicht ganz alleine, einige andere Mitglieder der Kubus Garde waren dabei gewesen, doch er hatte die Leitung übernommen, also passte das schon.
Flordelis warf einen kurzen Blick auf Dedenne, dann nickte er Platan zu. „Ich dachte schon, du würdest mir diese Geschichte vorenthalten wollen.“
Mit diesen Worten vollführte eine einladende Handbewegung. „Erzähl mir alles über diese Tat.“
Dedenne bekam natürlich mit, dass die Rede von ihr war, weshalb sie sich den beiden aufgeregt zuwandte. Sie setzte sich gemütlich auf der Theke hin und hielt ihren Schweif fest, während sie gespannt darauf wartete, dass Platan anfing.
„Dedennes leben in der Nähe von Cromlexia und dem Miroir-Weg“, begann Platan enthusiastisch zu erzählen. „Und genau dort beginnt die Geschichte dieser Rettungsaktion.“
Wie immer war er beim Erzählen überaus leidenschaftlich, erst recht weil Flordelis derjenige war, der ihm aufmerksam zuhörte. Das motivierte ihn umso mehr. Er konnte es kaum erwarten ihm am Sonntag noch mehr Geschichten zu erzählen, am besten so viele wie möglich. Platan würde aber auch darauf achten, möglichst oft Flordelis zu Wort kommen zu lassen, um dessen Stimme in sich aufzunehmen, nach der er sich so sehr gesehnt hatte.
Und nun sehnte er bereits den Sonntag herbei.
Chapter 2: Kapitel 1: Das hat mich immer an dich erinnert
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Leise summend schritt Platan entspannt durch das wohlhabende Wohnviertel am Rande von Illumina City. Eine wahrlich glanzvolle Gegend, welche einen mit ihren hellen, prunkvollen Gebäuden und den akribisch gepflegten Gärten geradezu blendete. Außer ihm war momentan keine andere Menschenseele draußen zu sehen, nur einige Dartiris untermalten mit ihrem melodischen Zwitschern die friedliche Ruhe, von der die Atmosphäre an diesem Ort erfüllt war. An einem Sonntag wirkte es fast so, als sei dieser Teil der Stadt unbewohnt.
Leblos, aber eine perfekte Ordnung – obwohl die teilweise lieblos gestalteten Gärten in seinen Augen auch einen etwas traurigen Anblick boten, aber Geschmäcker waren nun mal verschieden.
Dafür herrschte wenigstens Ordnung.
Ordnung und Frieden.
Beruhigend.
Wie lange war es her, seit Platan sich zuletzt so leicht gefühlt hatte? Sicher lag es nicht nur an der greifbar ruhigen Atmosphäre in diesem Wohnviertel, sondern vor allem an der Vorfreude in seinem Herzen, während er sich dem schönsten Gebäude am Ende der Straße näherte. Einem Anwesen mit einer majestätischen Ausstrahlung, das über allen anderen thronte und doch eine gewisse Schlichtheit besaß, durch die es noch mehr an Erhabenheit gewann.
Mit jedem Schritt, der ihn näher zu diesem Haus brachte, wuchs die Vorfreude noch mehr.
Platan hatte dafür gesorgt, dass ihn an diesem Tag niemand stören und dennoch alles problemlos laufen würde. Es sollte also vollkommen in Ordnung sein, wenn er sich ausnahmsweise Zeit für etwas anderes nahm. Für jemanden. Jemanden, der mehr für ihn war als nur ein Freund. Er hatte Flordelis ohnehin viel zu lange vernachlässigt, dabei war er für Platan ein wichtiger Teil seines Lebens.
Darum hatte er sich an diesem Morgen nicht lange mit dem Frühstück aufgehalten, sondern nur einen Kaffee getrunken und die Pokémon versorgt, bevor er anschließend seine Wohnung in der Stadt verließ. Den Kittel hatte Platan zu Hause gelassen, immerhin arbeitete er heute nicht, auch wenn ohne ihn etwas fehlte. Stattdessen trug er einen grauen Mantel, um sich vor der kühlen Brise zu schützen. Dedenne döste wieder in einer Seitentasche vor sich hin und war noch zu müde, sie würde erst später munter werden.
Einen Großteil der Strecke hatte Platan natürlich mit dem Taxi zurückgelegt und beschlossen, den Rest zu Fuß zu gehen. Schon um die Ordnung und den Frieden nicht zu zerstören oder den natürlichen, reinen Gesang der Dartiris. Außerdem war der letzte Weg nicht allzu weit. Nach einer Weile hatte Platan sein Ziel schließlich erreicht und ging aufgeregt auf die Tür zu.
Warum hatte es so lange gedauert, wieder hierher zu kommen? Hatte ihn wirklich nur die Arbeit davon abgehalten? Wäre er seiner Sehnsucht nur früher gefolgt …
Besser spät als nie.
An der Haustür angekommen, atmete Platan kurz durch und hob die rechte Hand. Bevor er aber klingeln konnte, löste sich plötzlich Clavion von seinem Gürtel unter dem Mantel, schwebte hervor und versuchte eifrig mit den Schlüsseln selbst aufzuschließen, doch natürlich passte keiner davon ins Schloss – leider.
„Hierfür haben wir keinen Schlüssel, Clavion“, belehrte Platan ihn schmunzelnd und betätigte die Klingel. „Vielleicht gibt Flordelis dir einen, wenn du ihn nett darum bittest.“
Unsicher sah Clavion ihn an und huschte dann lieber schnell zurück an seinen Gürtel, als hätte er niemals erfolglos versucht diese Tür aufzuschließen. Während Platan darauf wartete, dass Flordelis sie – hoffentlich – für ihn öffnete, dachte Platan laut vor sich hin: „Ob er mir einen gibt, wenn ich ihn frage? Nein. Warum sollte er das tun?“
Schön wäre es aber. Wirklich schön.
***
Es hatte Flordelis wirklich gefreut, als sein Freund vor einigen Tagen ein Treffen vorschlug, das letzte war bedauerlicherweise schon viel zu lange her gewesen. Die Unterhaltungen über den Holo-Log, so zahlreich sie gewesen waren, fühlten sich schlicht nicht wie dasselbe an. Umso mehr empfand Flordelis es als positiv, dass Platan selbst vorgeschlagen hatte, sie sollten sich wieder treffen. Und nun käme er sogar zu ihm nach Hause ...
Darüber freute Flordelis sich noch mehr, so seltsam es klingen mochte. Gut, er hatte Platan von sich aus eingeladen, also sollte er diesem Tag auch mit guten Gefühlen begegnen.
Entsprechend ungeduldig wartete er am Sonntag bereits direkt nach dem Frühstück auf Platan, der ihm keine genaue Uhrzeit genannt hatte, vermdutlich weil er Spannung aufbauen wollte. Vorbereitungen auf seine Ankunft hatte Flordelis trotz der fehlenden Zeitangabe aber schon getroffen und alles stand auf dem Glastisch vor ihm bereit. Fast als könnte diese Mühe dazu beitragen, dass Platan so früh wie möglich auftauchte.
So saß Flordelis nun in seinem geräumigen Wohnzimmer auf einem der roten Sessel, mit Pyroleo neben sich, dessen Kopf auf seinem Schoß lag, um sich ausgiebig kraulen zu lassen. Deswegen fuhr Flordelis mit seiner linken Hand über Pyroleos Haupt und durch seine Mähne. Sein rechter Ellenbogen ruhte auf der Armstütze des Sessels, so dass er seinen eigenen Kopf auf seiner Faust abstützen konnte.
Während er wartete kam er nicht umhin, sich zu fragen, ob Platan ihm in dieser privaten Atmosphäre noch eine Umarmung anbieten würde – und ob Flordelis diesmal darauf eingehen würde. Irgendwie wollte er genau das. Aber andererseits ... was sollte Platan dann von ihm denken?
Ehe er diesen Gedanken weiter ausbauen konnte, ertönte die Türklingel, was Flordelis nur selten zu hören bekam. Kramshef, der auf seiner Stange in einer Ecke des Wohnzimmers saß, wurde sofort aufmerksam und krächzte einmal laut, als Aufforderung an Flordelis, nachzusehen. Dem kam er sofort nach. Zusammen mit Flordelis erhob sich auch Pyroleo und schritt anschließend gemeinsam mit ihm zur Haustür, wie Kramshef wohlwollend feststellte. Garados und Wie-Shu, die sich im Garten aufhielten, hatten wahrscheinlich nicht einmal etwas von der Klingel mitbekommen.
Kaum erreichte Flordelis die Tür, atmete er noch einmal durch – damit seine Freude nicht zu sichtbar wurde, am Ende war er sonst derjenige, der aufdringlich wirkte –, dann erst öffnete er sie mit einem leichten Lächeln.
Erleichtert stellte er fest, dass es sich bei dem Besucher tatsächlich um seinen Freund handelte.
„Hallo, Platan“, grüßte er ihn knapp. „Komm herein.“
Platan lächelte ebenfalls, nur wesentlich deutlicher. „Guten Morgen, mein Lieber~.“
Danach begrüßte er auch noch Pyroleo herzlich, bevor er mit eleganten Schritten über die Türschwelle zu schweben schien, was ein unbeschreiblich faszinierender Anblick war. Diesen Gedanken schüttelte Flordelis aber rasch wieder ab.
„Wir beide haben uns ja auch ewig nicht mehr gesehen“, bemerkte Platan, als er vorsichtig mit der Hand über Pyroleos Kopf fuhr. „Du siehst richtig gut aus~.“
Pyroleo musterte ihn für einen langen Moment, als müsste er sich erst entsinnen, wer eigentlich gerade vor ihm stand, aber dann gab er schon ein zufriedenes Brummen von sich, während er die Streicheleinheit sichtlich genoss. Irgendwie sah es danach aus, als würde sein Partner sich mehr über Platans Berührung freuen als über seine. Das wäre fast verletzend, wenn Flordelis ihn nicht seltsamerweise verstanden hätte. Etwas zu gut vielleicht.
Kopfschüttelnd schloss er die Tür hinter Platan. „Du hattest es wirklich eilig, mich zu sehen, hm? Bestimmt hast du nicht einmal richtig gefrühstückt.“
Jedenfalls hatte er schon während ihrer gemeinsamen Forschungen nur so spärlich gegessen wie ein Dartiri, wenn überhaupt.
Ertappt lächelte Platan ihn unschuldig an. „Ich hatte auch keinen Hunger, weil ich nur an dich denken konnte. Ah, fast hätte ich es vergessen!“
Nach diesen Worten ließ er von Pyroleo ab und breitete erwartungsvoll die Arme aus. „Jetzt sind wir nicht mehr in der Öffentlichkeit. Bekomme ich also eine Umarmung?“
Statt darauf direkt zu antworten, hallten andere Worte in Flordelis' Kopf wider: Weil ich nur an dich denken konnte.
Wieder und wieder verstand Platan es wirklich äußerst gut, diese verwirrenden Gefühle in Flordelis wachzurufen, schon kurz nach seinem Eintreffen. Ein Glück für sie beide, dass Flordelis das irgendwie mochte.
Wenigstens lenkte er das Thema sogleich auf die Umarmung, auf die Flordelis sich irgendwie auch schon gefreut hatte. ... Irgendwie war ein Wort, das er oft in Verbindung mit Platan gebrauchte.
„Sicher“, sagte Flordelis und trat direkt einen Schritt auf Platan zu, „wenn du darauf bestehst.“
Auf einmal strahlte Platan regelrecht, als er zustimmte, was sein Herz sofort schneller schlagen ließ.
„Und wie ich darauf bestehe~.“
Glücklicherweise umarmte Platan ihn dann auch sofort, so konnte nur Pyroleo den Rotschleier auf Flordelis' Gesicht sehen.Vorsichtig legte Flordelis auch die Arme um Platan und hoffte dabei, sein Herzschlag würde ihn gerade nicht verraten – oder dass sein Freund nicht darauf achtete, der zufrieden durchatmete.
So verharrten sie für einige Sekunden, ehe Flordelis sich vernehmlich räusperte. „Ich denke, das genügt.“
Damit ließ er die Arme schon wieder sinken. Eigentlich hätte er nichts dagegen gehabt, ihn noch länger zu umarmen, aber er vertraute diesem verwirrenden Gefühl nicht so gänzlich.
„In Ordnung~.“ Auch Platan ließ ihn los und zwinkerte ihm zu. „Ich hole mir später noch eine.“
Noch eine? ... Darauf freute Flordelis sich schon.
Schwungvoll drehte Platan sich um und ließ den Blick schweifen. „Scheint sich kaum etwas verändert zu haben, seit ich das letzte Mal hier war. Es kommt mir jedenfalls so vor.“
Da konnte er nur zustimmen: „Ich neige auch nicht zu großen Änderungen in meinem Haus. Da ich ohnehin kaum hier bin, wäre es vermutlich nur Verschwendung, sich immer zu viele neue Sachen anzuschaffen, die dann nicht entsprechend gewürdigt werden.“
Ganz zu schweigen von den Ressourcen, von denen das zehren würde. Nein, er benutzte seine Sachen so lange wie möglich, damit zumindest er ressourcensparend leben konnte so weit es ihm möglich war.
Darauf nickte Platan anerkennend. „Sehr vorbildlich. Von dir war das aber nicht anders zu erwarten, mein Lieber.“
Nach diesen Worten hielt er einen kurzen Moment inne. Woran dachte er wohl?
„Ich habe übrigens heimlich jemanden hier reingeschmuggelt“, entschuldigte Platan sich dann und griff vorsichtig in die Seitentasche seines Mantels, um die verschlafene Dedenne herauszuholen. „Ich konnte sie nicht alleine zu Hause lassen.“
Schmatzend streckte Dedenne sich auf seinen Händen, während sie auf dem Rücken lag, und blinzelte quietschend. Wahrscheinlich sollte es Flordelis nicht wundern, dass Platan Dedenne bei sich hatte, selbst heute – und deswegen störte es ihn auch nicht so wirklich. Er erteilte Pyroleo nur einen mahnenden Blick, als dieser sich zu sehr für das kleine Maus-Pokémon interessierte.
Anschließend nickte er Platan zu. „Das ist in Ordnung. Einen so zauberhaften Gast kann ich nur begrüßen.“
Deswegen sah er auch noch Dedenne direkt an. „Willkommen in meinem Heim, Dedenne.“
Derweil zog Pyroleo sich ins Wohnzimmer zurück, möglicherweise ein wenig beleidigt, weil er sich in seiner Jägerehre gekränkt fühlte. Oder weil er Kramshef auf mehr Besuch hinweisen wollte. Nachdenklich sah Platan Pyroleo hinterher, sicher plante er schon nächstes Mal eine Kleinigkeit für ihn mitzubringen. Beneidenswert.
Dedenne war durch die Begrüßung von Flordelis schlagartig wach geworden. Mit einer Pfote hielt sie ihren Schweif und winkte ihm mit der anderen verlegen zu. Schmunzelnd strich Platan sich den Mantel von einer Schulter, damit er Dedenne dort absetzen und ihn sich anschließend richtig ausziehen konnte.
„Offensichtlich hast du ihr Herz gestohlen“, meinte Platan, während er den Mantel an die Garderobe hing. „Verständlich~.“
Auch Flordelis schmunzelte ein wenig. „Das ging wirklich schnell.“
Dabei durchzuckte ihn der Gedanke, dass er lieber ein ganz anderes Herz gestohlen hätte. Und Platans Verständlich ließ einen kleinen, unscheinbaren Funken erwachen, dem er aber lieber nicht zu viel Bedeutung beimessen wollte. Vielleicht spielte Platan auch nur auf etwas ganz anderes an – wie auf diesen seltsamen Artikel, der ihn als einen der begehrtesten Junggesellen Kalos' ausgewiesen hatte. Flordelis war deswegen immer noch etwas verstimmt.
Aber erst einmal bat er Platan, ihm ins Wohnzimmer zu folgen. „Dort lässt es sich bestimmt gemütlicher reden.“
Zustimmend folgte Platan ihm Richtung Wohnzimmer. Anhand der quietschenden Laute von Dedenne konnte Flordelis sich vorstellen, wie sie gerade neugierig den Blick schweifen ließ und dabei die Positionen auf Platans Schultern wechselte, um alles aus verschiedenen Winkeln betrachten zu können.
Kaum betraten sie das Wohnzimmer, musterte Kramshef Platan und Dedenne misstrauisch, nur um der Kleinen dann mit einem Krächzen zu verstehen zu geben, dass er hier der Chef war. Typisch eben. Instinktiv machte Dedenne sich auf Platans Schulter noch kleiner. Pyroleo lag in seinem Bett und betrachtete sie mit nervös wedelndem Schweif.
Lächelnd hob Platan die Hand, verbunden mit einem Gruß an Kramshef. „Sind deine anderen Pokémon im Garten?“
„Ja, Garados und Wie-Shu ziehen den Garten vor. Dort ist mehr Platz – auch zum Trainieren.“
Wie-Shu war in dieser Hinsicht eben ein typisches Kampf-Pokémon, immer auf dem Weg, sich selbst zu verbessern und neue Höhen zu erreichen, selbst wenn kaum noch Kämpfe anstanden.
Flordelis vollführte eine einladende Handbewegung zum Sofa und den Sesseln. „Setz dich. Ich habe für dich auch noch Kaffee gekocht.“
Entsprechend stand ein Tablett auf dem Wohnzimmertisch mit einer Kanne dampfenden Kaffees und zwei Tassen. Daneben stand ein Teller mit Illumina-Galetten.
„Falls Dedenne eine Galette möchte, kannst du ihr eine geben.“
Bei dem Wort Galette stellte Dedenne sich sofort wieder aufgeregt aufrecht hin und quietschte leise. Offensichtlich verband sie mit diesem Begriff etwas sehr Positives.
„Du bist wirklich fürsorglich, vielen Dank~“, sagte Platan gerührt, gefolgt von einem weiteren Zwinkern. „Wenn du dir so viel Mühe machst, will ich am Ende gar nicht mehr nach Hause gehen. Du solltest also etwas aufpassen.“
Mit ein wenig Genugtuung stellte Flordelis fest, dass sein Besucher sich auf das Sofa setzte, was dazu führte, dass er neben ihm Platz nehmen konnte. Sofort griff Platan nach einer Illumina-Galette und gab sie Dedenne, die artig gewartet hatte. Begeistert fing sie gleich an daran zu knabbern und gluckste dabei glücklich. Anschließend bediente Platan sich an dem Kaffee.
„Nun, du kannst dich hier wie zu Hause fühlen“, merkte Flordelis auf Platans Worte an. „Also ... musst du nicht so schnell wieder gehen.“
Ihm zu sagen, er müsste gar nicht mehr gehen, klänge vermutlich sehr seltsam, selbst für jemanden wie Platan, deswegen korrigierte Flordelis sich schnell, bevor die Worte überhaupt in dieser Form über seine Lippen kamen.
Mit einer Tasse Kaffee in den Händen lehnte Platan sich gemütlich zurück. „So schnell verlasse ich dich heute bestimmt nicht. Ich habe dir viel zu viel zu erzählen, aber vor allem will ich deine Stimme hören.“
Ruhig schenkte Flordelis sich selbst auch noch Kaffee ein – und hätte bei dem letzten Teil dieses Satzes fast etwas verschüttet, konnte sich aber rechtzeitig fangen –, ehe er sich ebenfalls zurücklehnte.
Lächelnd starrte Platan in seinen Kaffee. „Unsere Gespräche über den Holo-Log haben mir in letzter Zeit oft geholfen, nicht in der ganzen Arbeit zu ertrinken. Darum wollte ich dich unbedingt wieder treffen.“
„Also arbeitest du wohl wirklich zu viel“, hielt Flordelis fest. „Ich würde dir sagen, dass du das nicht machen solltest, aber ich fürchte, ich bin in dieser Hinsicht nicht anders als du, deswegen habe ich dafür wohl kein Recht. Sei aber trotzdem ein wenig achtsamer. Die Welt benötigt Menschen wie dich.“
Noch immer versank Platans Blick in dem Kaffee, seine Mimik schien ein wenig ernster geworden zu sein. Oder bildete Flordelis sich das ein? Auf jeden Fall machte er sich Sorgen um Platan.
Nachdenklich schloss Flordelis die Augen. „Wenn es dir hilft, besser aufzupassen, sollten wir uns wirklich öfter treffen.“
Für einen kurzen Moment herrschte Stille, bis er spürte, wie Platan ihn sanft anstieß. „Ich bin dafür~. Auch für dich sind Pausen zwischendurch äußerst wichtig. Wir können uns gegenseitig dabei helfen uns auch mal zu entspannen~.“
Flordelis öffnete die Augen wieder und sah Platan an, der den Kopf gehoben hatte. Sein Lächeln war zurückgekehrt. Er war froh, dass seinem Freund die Idee genauso gut gefiel wie ihm. Es war zwar sehr unwahrscheinlich gewesen, aber Platan hätte auch der Meinung sein können, dass andere Sachen letztendlich wichtiger waren.
„Dann lass uns das fest ausmachen, bevor wir es in unserem stressigen Alltag wieder vergessen.“
Um sich selbst ein wenig Mut zuzusprechen, nahm Flordelis zuerst einen Schluck seines Kaffees, dann brachte er einen Vorschlag vor: „Wie wäre es mit jedem Sonntag?“
Das war ambitioniert von ihm, aber …
„Oder wäre das zu viel für dich?“
Sprachlos starrte Platan ihn daraufhin an und sofort befürchtete Flordelis, dieser Vorschlag sei doch etwas zu viel des Guten gewesen. Ein zu großer Schritt nach vorne.
Nur weil sie früher mehr miteinander zu tun hatten und Platan am Freitag noch selbst bedauert hatte, dass sie das nicht mehr taten, musste das ja nicht bedeuten, er wolle so viel Zeit mit Flordelis verbringen. Immerhin war es inzwischen eine Weile her, möglicherweise hatten sie sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt – oder Platan war seine Aufgabe doch wichtiger, verständlicherweise.
Sollte er den Vorschlag zurücknehmen und sich dafür entschuldigen, viel zu früh zu aufdringlich geworden zu sein?
„Nein, absolut nicht“, versicherte Platan dann doch rasch, womit er Flordelis die Anspannung nahm. „Ich fände das wundervoll.“
Bei diesen Worten glitzerte das graue Augenpaar geradezu, deswegen glaubte Flordelis wohl auch, einen Hauch Verlegenheit in Platans Schmunzeln wahrzunehmen. Auf jeden Fall war ihm die Freude anzusehen.
„Das lasse ich dich jetzt nicht mehr zurücknehmen“, warnte Platan ihn. „Auch falls du heute noch feststellen solltest, dass es gar nicht so entspannend ist, den ganzen Tag mit mir zu verbringen.“
„Ich bezweifle, dass du mich derart stressen kannst, dass ich dieses Angebot zurücknehmen wollen würde“, erwiderte Flordelis ihm. „Ich kenne dich, Platan. Zeiten mit dir sind sehr entspannend.“
„Wenn du das sagst, habe ich keinen Grund daran zu zweifeln.“ Zufrieden hob Platan die Tasse an und nahm genussvoll einen Schluck Kaffee. Ob ihm bewusst war, wie elegant er dabei aussah? „Ich fühle mich bereits jetzt viel besser, wenn ich weiß, dass ich dich nächsten Sonntag wiedersehen werde.“
Unterdessen knabberte Dedenne immer noch an der Illumina-Galette. Sie schien ihr Essen gerne ausgiebig zu genießen, statt zu schlingen. Kurz hielt sie aber inne und quietschte zustimmend, worauf Flordelis ihr knapp zulächelte, ehe er sich weiter auf Platan konzentrierte.
Dieser sprach nämlich bereits weiter: „Oh, dann können wir auch mal zusammen einen gemütlichen Spaziergang machen. Ich kenne inzwischen einige Orte in der Wildnis, die schöner sind als jeder künstlich angelegte Park. Ich bin davon überzeugt, gerade du wirst diese Schönheit sehr zu schätzen wissen.“
Ein Spaziergang in der Wildnis klang wie eine schöne Sache, wie etwas, das sie unbedingt machen müssten. Flordelis zweifelte auch nicht daran, dass er diese Schönheit zu schätzen wüsste. Natürlich wusste Platan das. Nicht umsonst war Flordelis stets darum bemüht, die Schönheit dieser Welt für die Nachwelt zu erhalten, weswegen er sich auch mit seinem Labor Mühe gab, ressourcenbewusst zu arbeiten und Dinge zu entwickeln.
Nun konnte Flordelis es kaum erwarten, sich anzusehen, was für Orte Platan ausfindig gemacht hatte.
„Lass uns das auf jeden Fall machen“, bat er ihn deswegen. „Man kann nicht genug Schönheit in sich aufnehmen.“
Ein enthusiastisches Nicken folgte von Platan, seine Augen begannen ein wenig zu leuchten. „Und was könnte schöner sein, als die unberührte Natur? Lass uns nächsten Sonntag unbedingt einen Spaziergang machen. Die wilden Pokémon sind sehr friedlich, wenn sie merken, dass man nicht versucht sie einzufangen oder ihren Lebensraum zu zerstören.“
Der nächste Sonntag versprach schon jetzt überaus denkwürdig und vor allem schön zu werden.
Plötzlich sah Platan ihn dann sehnsüchtig an, so kam es ihm jedenfalls vor. Oder interpretierte er etwas an diesem Blick falsch? Wieder war Flordelis sich unsicher, was sein Freund von ihm wollte oder erwartete.
„Jetzt möchte ich aber erst mal einfach nur deiner Stimme lauschen“, verkündete Platan. „Also erzähl, was hast du in letzter Zeit privat so gemacht? Im Bistro hast du nur von deiner Arbeit geredet.“
Warum erwähnte Platan andauernd, seiner Stimme lauschen zu wollen?
Am besten antwortete Flordelis ihm und dachte nicht weiter darüber nach: „Ehrlich gesagt hatte ich nicht viel private Zeit. Es war eben viel zu tun. Das Labor leitet sich nicht allein, nebenbei nehme ich teilweise noch an der Forschung teil und dann ist sehr viel PR-Arbeit vonnöten.“
Nach dieser Erläuterung hob Flordelis die Schultern ein wenig. „Aber wenn ich Zeit für mich hatte, habe ich meist gelesen oder mich um meine Pokémon gekümmert.“
Was Kramshef mit einem Krächzen bestätigte.
„Sich um seine Pokémon zu kümmern ist immer erfüllend. Es ist schön, dass du dafür zwischen all der Arbeit noch Zeit findest.“ Dennoch machte Platan ein ernstes Gesicht und legte ihm eine Hand auf die Schulter, während er ihn eindringlich ansah. „Ich befürchte aber, wir beide kümmern uns eindeutig zu wenig um uns selbst. Mein privater Alltag sieht im Grunde genauso aus wie deiner. Wenn wir so weitermachen, wird uns das eines Tages noch unglücklich machen.“
Leider wusste Flordelis aber auch nicht, was er sonst anders machen sollte. Immerhin hatte er ein Ziel, das er erreichen wollte, wie konnte er sich da guten Gewissens Zeit für sich nehmen? Und wofür überhaupt? Abgesehen von seinen Pokémon säße er dann ohnehin alleine hier. Er könnte ja wohl kaum immer Platan anrufen oder ihn zu sich einladen, nur um nicht allein zu sein. Das wäre lächerlich.
Die Mimik von Platan entspannte sich wieder und er lächelte Flordelis zuversichtlich zu. „Umso besser, dass unsere Sonntage zukünftig nur noch uns gehören werden.“
Das stimmte.
Falls es ihnen gelang, dieses Vorhaben umzusetzen, hätten sie von nun an die gemeinsamen Sonntage.
Platan löste die Hand von Flordelis' Schulter. „Da du eben das Lesen erwähnt hast, magst du mir die Bücher zeigen, von denen du vorgestern gesprochen hast?“
„Sicher“, stimmte Flordelis zu.
Also stellte er die Tasse auf dem Tisch ab und erhob sich, um an das Bücherregal im Wohnzimmer zu treten und ein paar bestimmte Exemplare herauszusuchen.
„Eines davon stammt diesmal aus Paldea“, erklärte er dabei in Platans Richtung. „Warst du schon einmal dort?“
Auch Platan stellte die Tasse auf dem Tisch ab und schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Ich habe nur davon gehört, wie viel unberührte Natur es dort geben soll. Eines Tages würde ich gerne mal dorthin reisen.“
„Dann sollten wir das zusammen machen“, beschloss Flordelis kurzerhand, während er Platan das entsprechende Buch – eine Sammlung verschiedener Geschichten über ungewöhnliche Phänomene in Paldea – bereits reichte. „Ich bekomme regelmäßig Einladungen für Technik-Veranstaltungen in Fermanca City. Bislang habe ich sie immer abgelehnt.“
Hauptsächlich weil er sich nicht sicher gewesen war, ob der Holo-Log dort überhaupt eine große Chance haben könnte, und er nicht für mehr Elektro-Schrott verantwortlich sein wollte.
„Aber wenn du mich begleitest, könnten wir wenigstens noch mehr tun, als nur diese Veranstaltung zu besuchen. In Bolardin soll es einen Künstler geben, der sich besonders auf Pflanzen-Pokémon spezialisiert hat. Das klingt als könnte er für dich interessante Ausstellungsstücke geben.“
Dieser Vorschlag fand ebenfalls bei Platan Anklang: „Ich würde dich sehr gerne begleiten. Diese Ausstellungsstücke könnten mir wirklich gefallen. Du kennst mich ziemlich gut~.“
Dankend nahm er das Buch entgegen, das er sofort neugierig betrachtete, genau wie Dedenne, die beim Essen innehielt und sich etwas nach vorne lehnte.
Auf Platans Worte musste Flordelis ein wenig schmunzeln. „Nun, du hast sogar beim Forschen oft dazu geneigt, sehr viel zu plaudern. Ich glaube, ich kenne einige deiner Vorlieben und Dinge, die dich begeistern.“
Oder wie er seinen Kaffee am liebsten trank. Genau wie welche Kaffeesorte und wie man sie am besten zubereitete. Oder seine Lieblingsmärchen. Alles Dinge, die Platan ihm im Laufe der gemeinsamen Forschungszeit erzählt hatte und die Flordelis niemals losgeworden war. Natürlich hatte er sie auch nie loswerden wollen, da es hierbei um Platan ging.
„Jedenfalls erinnere ich dich daran, dass du mich begleiten wolltest, wenn ich die nächste Einladung bekomme“, fügte Flordelis noch hinzu.
„Du kannst mich gerne an alles erinnern, was du willst.“
Warum klang Platans Stimme bei diesen Worten ungewohnt zärtlich? Sie erzeugte eine Gänsehaut auf seinen Armen.
Da kam es ihm ganz gelegen, dass Platan nun das Buch aufschlug und das Thema darauf zurück lenkte: „Das sieht auf jeden Fall sehr interessant aus.“
Rasch zog Flordelis noch die anderen drei Bücher aus dem Regal und legte sie vor Platan auf dem Tisch ab, bevor er sich wieder zu ihm setzte und dann auch einen Blick in das Buch warf. Zwar hatte er es schon gelesen, aber die Illustrationen waren dennoch jedes Mal erneut ein Blickfang, weswegen er Platan ab und zu auf bestimmte, feine Details darin hinwies, sobald er weiterblätterte.
Dabei fiel Flordelis wie so oft auf, wie angenehm und einfach sich alles in Platans Nähe anfühlte. Er hatte nicht einmal den Eindruck, dass er sich besondere Mühe machen müsste, darauf zu achten, wie er sich ausdrückte oder gab. In Platans Gegenwart konnte er ... einfach er selbst sein.
Bei ihrem Wiedersehen im Bistro ging es Flordelis schon durch den Kopf und nun führte ihn diese Erkenntnis abermals zu der Frage zurück, ob Platan bei all seinen Freunden so war. War er bei jedem so anhänglich und auf Nähe betont? Hatte es nichts weiter zu bedeuten? Sorgte er bei anderen mit seinem Verhalten auch für Verwirrung? Alleine der Gedanke ließ schmerzhafte Flammen von Eifersucht durch seine Brust zucken.
Zudem wäre da auch die Frage: Hatte Platan überhaupt noch andere Freunde? Bisher redete er nie über etwas in der Art, nur über seine Assistenten oder Bekannte. Womöglich wollte er mit Flordelis auch einfach nicht darüber sprechen und eigentlich gab es doch zahlreiche Freunde, mit denen Platan seine Zeit verbrachte.
Der Gedanke machte ihn krank.
Aber er konnte ihn auch nicht fragen. Wie käme das denn?
Sobald sie wieder etwas mehr Zeit miteinander verbracht hatten, könnte Flordelis ihm diese Fragen eines Tages vielleicht stellen. Vielleicht. Bis dahin bemühte er sich, die Verwirrung nicht Überhand nehmen zu lassen. Verzichten wollte er nämlich auch nicht auf sie. Diese Verwirrung gehörte für ihn zu Platan dazu und war irgendwie … angenehm. Darum würde Flordelis diese Nähe genießen, solange sie anhielt.
***
Es war für Platan sehr erfüllend und spannend, zusammen mit Flordelis das Buch durchzugehen, Seite für Seite. Er war erstaunt darüber, auf was für filigrane Details sein Freund bei den Illustrationen achtete und wie viel Bedeutung sie teilweise für das Gesamtbild besaßen. So kam es, dass sie viel Zeit darin investierten sich das Buch anzuschauen. Alleine wäre es mit Sicherheit nur halb so interessant, doch mit Flordelis direkt einige Gedanken austauschen zu können war viel besser. Einfach perfekt.
Diese gemeinsame Zeit verdeutlichte Platan nur noch einmal, wie viel besser als alle anderen Menschen Flordelis war. Deswegen fühlte er sich in seiner Nähe mit Sicherheit auch so wohl und gelöst. Bei ihm konnte Platan einfach ... er selbst sein, so schien es ihm. Genau wie es sein sollte.
Inzwischen kam es ihm auch albern vor, jemals angenommen zu haben, er könnte zu aufdringlich für Flordelis sein. Offenbar wollte dieser ihn gerne um sich haben. Sonst hätte Flordelis sicher nicht den Vorschlag gemacht, sich jeden Sonntag zu treffen. Was das betraf, war Platan nun beruhigt.
Nachdem Dedenne ihre Illumina-Galette vollständig verputzt hatte, war sie auf seiner Schulter eingeschlafen. Allerdings wachte sie schnell wieder auf, als Flordelis Platan darauf hinwies, dass es Zeit für das Mittagessen sei. Schon damals, während sie gemeinsam geforscht hatten, war er oft derjenige gewesen, der ihn daran erinnern musste, sich zwischendurch zu stärken. Deshalb war es ein vertrautes Gefühl, das Platan vermisst hatte, wie ihm auffiel.
Nach dem Essen nahm er sich anschließend die Zeit auch noch Wie-Shu und Garados im Garten zu begrüßen – letzterer jagte mit seinem finsteren Blick Dedenne so viel Angst ein, dass sie versuchte unter Platans Hemd zu kriechen, um sich dort zu verstecken, was ihr jedoch nicht wirklich gelang. Das Garados von Flordelis war aber sehr gut erzogen, wie Platan der Kleinen erklärte, was sie ein bisschen beruhigen konnte.
Die Zeit verflog viel zu schnell und bald war schon Abend. Erneut brachte Flordelis ihn dazu etwas zu essen, danach machten sie es sich nochmal eine Weile auf dem Sofa gemütlich. Leider rückte der Moment aber unausweichlich näher, in dem Platan sich vorerst wieder von Flordelis trennen müsste, was ihm ein betrübtes Seufzen entlockte.
„Ich fürchte, langsam wird es Zeit für uns aufzubrechen“, sagte Platan gedämpft – Dedenne zuckte zwar ein wenig mit den Ohren, blieb aber zusammengerollt auf der Lehne des Sofas liegen, wo sie zwischendurch auch ein Schläfchen gemacht hatte, und döste weiter vor sich hin, mit dem Schweif in ihren Armen.
„Stimmt, es ist schon spät“, stellte auch Flordelis fest. „Du musst morgen auch wieder arbeiten.“
Wahrscheinlich müsste Platan sich morgen durch viele Berichte kämpfen, die der heutige Tag eingebracht hatte, aber dafür konnte er Zeit mit Flordelis verbringen. Also war es das wert gewesen.
„Bevor wir gehen“, warf Platan bedeutungsvoll ein, „möchte ich dir aber gerne noch etwas geben.“
Sanft lächelnd streckte er seinem Freund eine Hand entgegen. "Gib mir deine Hand~.“
Erst wollte er noch anmerken, dass Flordelis ihm vertrauen könne, doch er verzichtete darauf. Sicherlich wäre diese Anmerkung garantiert nicht nötig. Sonst hätte Flordelis ihn nicht zu sich nach Hause eingeladen, wo er bestimmt nicht jedem Einlass gewährte. Und wie erwartet reichte er Platan auch ohne zu zögern seine Hand.
„Ich hoffe nur, du erwartest kein Gegengeschenk“, wandte Flordelis dabei ein. „Mir war nicht bewusst, dass wir uns heute beschenken würden.“
„Oh, du hast mir heute schon ein Geschenk gemacht“, korrigierte Platan ihn. „Du hast mir dich geschenkt, und das für jeden zukünftigen Sonntag. Das bedeutet mir sehr viel. Darum möchte ich dir gerne etwas zurückgeben. Schließlich sollte man nicht nur Nehmen, richtig?“
Etwas an Flordelis' Blick auf diese Worte irritierte Platan ein wenig, aber er ließ sich dennoch nicht beirren und griff mit seiner anderen Hand in die Hosentasche, aus der er einen Mega-Stein hervorzog. Diesen legte er Flordelis in die Hand. Der mittlere, dicke Strang in dem Mega-Stein war tiefrot, umschlossen von zwei hellblauen. Alle drei schmiegten sich eng aneinander und waren von ein paar goldenen Akzenten durchzogen.
„Den habe ich bei einem meiner Einsätze in der Wildnis gefunden“, erläuterte er für Flordelis. „Ich habe den DNA-Strang mit unserer Datenbank abgeglichen, doch er passt zu keinem uns bekannten Pokémon. Faszinierend, oder?“
„Bist du sicher, dass ich ihn einfach behalten kann?“, fragte Flordelis, nachdem er bestätigt hatte, wie faszinierend das war. „Bestimmt ist er ein wichtiges Forschungsobjekt.“
„Du musst ihn nehmen“, betonte Platan schmunzelnd. „Ich habe nämlich das Gefühl, er gehört zu dir.“
Er betrachtete den Mega-Stein, während er das näher erläuterte: „Wenn du genau darauf achtest, kannst du spüren, dass er etwas Hitze verströmt. Gleichzeitig geht von ihm aber auch eine Art frische Brise aus. Wild und zugleich sanft. Das hat mich immer an dich erinnert. Darum ist das mein ...“
Größter Schatz. Wenn Platan an Flordelis dachte, hatte er den Mega-Stein ins Sonnenlicht gehalten und ihn sehnsüchtig betrachtet. Besonders die hellblauen Stränge erinnerten ihn an Flordelis' Augen. Nun könnte er sie jeden Sonntag sehen, also war es nicht mehr nötig sich an den Stein zu klammern.
„Ah, ich sollte nicht so weit ausschweifen“, ermahnte er sich selbst lachend. „Dafür ist nicht mehr so viel Zeit. Jedenfalls denke ich, dass du ihn nehmen solltest. Vielleicht findest du eines Tages eine Verwendung für ihn. Sag mir dann auf jeden Fall Bescheid.“
„Dann danke ich dir, Platan.“ Flordelis lächelte. „Ich werde gut auf den Stein aufpassen.“
„Ich weiß.“ Ebenfalls lächelnd zwinkerte Platan ihm zu. „Dafür musst du unsere Abmachung aber nun auf jeden Fall einhalten. Wir werden uns jeden Sonntag treffen~.“
Der Mega-Stein sollte das nur nochmal besiegeln und eine zusätzliche Bindung schaffen.
„Also dann, wir sollten wirklich los.“
Mit diesen Worten drehte Platan sich zu Dedenne und hob sie hoch, ohne sie zu wecken. Er könnte sie einfach wieder in der Seitentasche seines Mantels schlafen lassen. Schweren Herzens stand er auf, genau wie Flordelis, der den Mega-Stein fest in der Hand hielt.
„Wir telefonieren unter der Woche“, sagte Flordelis, mit überraschend bestimmender Stimme.
„Selbstverständlich“, entgegnete Platan, ohne darüber nachdenken zu müssen, und ging Richtung Garderobe. „Ich muss doch darauf achten, dass du dich nicht überarbeitest.“
Behutsam legte er Dedenne in eine der Taschen seines Mantels, ehe er ihn abnahm und sich selbst überzog. Dabei fuhr er bereits fort: „Und du musst natürlich auch auf mich aufpassen.“
Als er den Mantel angezogen hatte, wandte er sich Flordelis zu. „Richtig?“
„Stimmt. Wer sonst achtet darauf, dass du ausreichend isst?“
Was das Thema Essen anging, blieb Flordelis wahrhaftig hartnäckig. Diese Fürsorge rührte ihn.
Platan lachte leise. „Entschuldige, dass ich dir damit zusätzliche Arbeit bereite.“
Nach diesen Worten breitete er die Arme aus. „Nun, ich hatte es ja bereits angekündigt, als ich bei dir angekommen bin, also ...“
So erwartungsvoll wie bei seiner Ankunft sah er Flordelis an und wartete geduldig auf eine weitere Umarmung zum Abschied. Zu seiner Freude wusste Flordelis, was Platan von ihm wollte, und trat einen Schritt auf ihn zu. Diesmal zog er ihn als erstes in eine Umarmung.
„Mach es gut, Platan. Sei vorsichtig auf deinem Heimweg.“
„Keine Sorge, ich passe auf“, versprach er Flordelis und erwiderte die Umarmung zufrieden. „Achte du auch auf dich. Ich schreibe dir, wenn wir zu Hause angekommen sind.“
Darauf hörte Platan ein vertrautes Klimpern und wusste sofort, ohne es zu sehen, dass Clavion wieder versuchte die Haustür mit einem Schlüssel zu öffnen. Deshalb löste Platan sich – viel zu früh für seinen Geschmack – von Flordelis und wandte sich seinem Pokémon kopfschüttelnd zu.
„Immer noch nicht, Clavion“, belehrte er amüsiert.
Sofort schwebte Clavion frustriert zurück an seinen Gürtel und tat so, als sei er nur ein ganz gewöhnlicher Schlüsselbund.
Über die Schulter hinweg warf er Flordelis nochmal einen Blick zu. „Bis nächsten Sonntag, mein Lieber.“
„Bis nächsten Sonntag, Platan“, verabschiedete er sich – so sanft, dass die Sehnsucht Platan bereits wieder vereinnahmte, kaum dass er einen Schritt zur Tür hinaus war.
Chapter 3: Kapitel 2: Möchtest du uns dabei helfen?
Notes:
Dieses Kapitel kam so nicht im RPG vor, ich habe es für diese FF zusätzlich geschrieben (darum ist es auch viel kürzer). Leider kam ich nie dazu Szenen in der Kubus Garde zu schreiben, weil ich dann die ganze Zeit mit mir selbst oder einen halben Roman hätte posten müssen, nur damit darauf eh keine Reaktion folgen könnte ... :'D
Also kann ich das nun ab und zu nachholen. Yay~! >:3
Chapter Text
Die folgenden Tage sorgten für eine bisher anstrengende Woche.
Es gab eine Jugendbande, die im Moment verstärkt für Ärger sorgte und bevorzugt beim Brun-Weg in den Ruinen herumhing, wo sie jede Menge Müll hinterließ. Obendrein neigten sie dazu die Nester von wilden Pokémon zu zerstören. Die Pokémon Ranger in diesem Gebiet waren damit überfordert, zumal sie sich um wichtigere Angelegenheiten kümmern mussten, und baten immer wieder die Kubus Garde um Hilfe. Auch Platan war schon vor Ort gewesen, um mit den Jugendlichen zu reden, jedoch bisher ohne ersichtlichen Erfolg. Dieses Problem dürfte ihnen noch eine Weile erhalten bleiben.
Im Labor war es dagegen zwar schon wesentlich ruhiger, aber auch dort gab es einiges zu tun. Hin und wieder riefen die Kinder an, zeigten ihm ihre Pokédex-Einträge und erzählten von ihren aktuellen Erlebnissen. Für sie verlief die Reise nach wie vor gut, also musste er sich um sie keine Sorgen machen, sondern konnte sich um die Arbeit im Büro kümmern. Ohne Sina und Dexio wäre ihm der ganze Papierkram schon vor Ewigkeiten über den Kopf gewachsen, doch die beiden nahmen ihm dort einiges ab.
Ende der Woche schloss Platan das Labor bereits gegen Mittag und schickte alle nach Hause, weil er sich die restlichen Stunden des Tages voll und ganz um die Kubus Garde kümmern wollte. Also ließ er den Kittel im Büro zurück und nahm nur seine Schultertasche mit, in die Dedenne sich stattdessen zurückziehen konnte. Dort drin würde sie vermutlich die meiste Zeit über schlafen, während er als Leiter der Organisation dem Hauptsitz einen Besuch abstattete, um sich nicht nur über die neuesten Vorkommnisse informieren zu lassen – was er regelmäßig tat –, sondern auch um ihre nächsten Aktionen zu planen.
Wenn er dafür persönlich erschien, steigerte das die Arbeitsmoral erheblich. Daher hatte er sich auch vorgenommen die Mitglieder an diesem Tag mit einer Rede zusätzlich zu motivieren, denn sie mussten unbedingt fleißig bleiben. Nur gemeinsam konnten sie ihr Ziel erreichen: eine bessere Welt.
Das Verwaltungsgebäude der Kubus Garde lag am südlichen Ende der Frühlingsallee in Illumina City, also nicht allzu weit entfernt von Platans Labor. Ihm war es wichtig, jederzeit schnell dort nach dem Rechten sehen zu können, weshalb er nach geeigneten Büroflächen in der Nähe gesucht hatte. Wie durch ein Wink des Schicksals war er durch … einen guten Kontakt glücklicherweise schnell fündig geworden und somit besaß seine Organisation schon seit einer Weile einen eigenen Hauptsitz.
Ein Gebäude, das sich eng zwischen die anderen schmiegte und von außen unscheinbar und gewöhnlich aussah. Eben schlicht, aber zweckmäßig. Für Platan war das vollkommen ausreichend, zumal die Miete recht günstig war, was er ebenfalls seinem Kontakt zu verdanken hatte. Außerdem plante er bereits, mit seinen Mitgliedern sehr bald umzuziehen, sofern es bei ihnen weiterhin gut lief.
Was das betraf, war er optimistisch, denn jeder von ihnen arbeitete hart und mit Leidenschaft. Für die Pokémon, die Natur und die Ordnung. Für ein friedlicheres Miteinander.
Zu Fuß benötigte Platan nur wenige Minuten zu ihrem Hauptsitz. Als er das Gebäude betrat, hielten sich im Eingangsbereich schon einige Mitglieder auf, von denen er sofort begeistert begrüßt wurde, was Platan herzlich erwiderte. Nicht jeder könnte heute leider anwesend sein, doch er wusste, diejenigen, die hier waren, täten ihr Bestes, seine Worte an die anderen weiterzutragen. Also war das in Ordnung.
Nach einigen knappen, lockeren Gesprächen mit ein paar Leuten, betrat Platan den Aufzug, weil er sich oben in einem der kleineren Büros vorbereiten wollte. Gerade, als die Türen langsam dabei waren sich zu schließen, hörte er, wie plötzlich nach ihm gerufen wurde.
„Chef! Warten Sie! Es ist wichtig!“
Rasch hinderte er die Fahrstuhltüren daran, sich zu schließen, so dass auch zwei Mitglieder noch hastig mit hinein huschen konnten. Erschöpft schnappten sie nach Luft und lehnten sich an den Wänden an. Wenige Sekunden später schlossen sich die Türen schließlich und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
Besorgt betrachtete Platan die beiden. „Alles in Ordnung? Ist etwas passiert?“
Es waren zwei junge Frauen, die unbedingt mit ihm sprechen wollten, doch sie versuchten noch zu Atem zu kommen. Wie seine Assistenten im Labor, Sina und Dexio, trugen sie weiße Uniformen, nur mit grünen Schleifen anstelle von anderen Farben. Einheitliches Aussehen förderte den Zusammenhalt und machte die Kubus Garde zudem sichtbarer.
Alle sollten wissen, dass sie existierten und immer zahlreicher wurden. Darum wollte Platan auf eine Uniform nicht verzichten, jeder musste sie tragen. Vor seiner Rede plante er sich deshalb auch selbst noch umzuziehen, die entsprechende Kleidung lag dafür auch in einem Schließschrank bereit.
„Alles … gut“, antwortete eine der Frauen etwas verspätet, wobei sie noch ein wenig keuchte. „Wir haben tolle Nachrichten!“
Ein stolzes Glitzern lag in ihren Augen, genau wie bei der anderen Frau, die als nächstes aufgeregt weitersprach: „Wir haben uns deswegen extra beeilt, um Sie noch vor der Versammlung zu erwischen. Wir haben wieder eine gefunden!“
Sofort ahnte Platan, wovon die Rede sein musste. In ihm erwachte nun auch die Aufregung.
Voller Erwartung lehnte er sich ein wenig vor. „Tatsächlich?“
Beide nickten mehrmals, nach wie vor stolz, und eine von ihnen griff in eine der Seitentaschen ihrer Uniform. „Ja, quasi frisch eingefangen!“
In der Sekunde, in der sie nach diesen Worten einen Hyperball hervorzog, kam der Aufzug im gewünschten Stockwerk an. Erneut öffneten sich die Türen, allerdings war Platan zu sehr auf den großartigen Fund konzentriert, den sie ihm mitgebracht hatten. Sein Blick klebte geradezu an diesem Hyperball.
Schweigend hob er eine Hand, nahm ihn an sich und lehnte sich zurück.
Kaum hatte Platan ihn berührt, spürte er eine Art Kribbeln in der Brust.
Dieses Gefühl sorgte dafür, dass er einen seiner Mundwinkel triumphierend hob. „Ja … fantastisch! Das ist fantastisch!“
Widerwillig löste er den Blick vom Pokéball und musterte die beiden Frauen nochmal genauer, kramte angestrengt in seinem Gedächtnis nach. „Camille und Yvette, richtig?“
Freudig bestätigten sie ihre Namen – also hatte er die richtigen gewählt. Allmählich wurde es bei der Zahl der Mitglieder schwer, sich jeden zu merken, aber er wusste, wie viel es bei einigen Menschen bewirken konnte, sich solche persönlichen Details einzuprägen. Zu seinem Vorteil besaß er für solcherlei Nebensächlichkeiten ein erstaunlich gutes Gedächtnis.
„Das war hervorragende Arbeit!“, lobte Platan sie enthusiastisch, wobei er seine freie Hand auf Yvettes Schulter legte. „Es wird auch die anderen freuen, davon zu hören. Ich werde es direkt bei der Versammlung verkünden. Vielen Dank, dass ihr es mir sofort gebracht habt.“
„Nichts zu danken“, warf Camille ein. „Für uns war das selbstverständlich.“
„Ich bin wirklich froh, mit solch zuverlässigen und fleißigen Verbündeten wie euch gesegnet zu sein“, betonte Platan schmeichelnd. „Bitte unterstützt die Kubus Garde auch weiterhin.“
Etwas verlegen versicherte Yvette darauf, dass sie immer ihr Bestes geben würden. Dankend bat Platan sie anschließend darum, sich nun eine Pause zu gönnen, bevor die Versammlung begann. Inzwischen hatten die Fahrstuhltüren sich wieder geschlossen, also musste er sie manuell über eine der Tasten öffnen. Freundlich verabschiedete er sich von Camille und Yvette, dann schritt er zügig durch den Gang. Zu dem bescheidenen Büro, welches er oft nutzte, wenn er hier war.
Unterwegs behielt er den Hyperball in der Hand und konnte den Blick kaum von ihm nehmen. Ein weiterer Schritt war getan. Ein weiterer Schritt zu der Erfüllung des Traumes, für den die Kubus Garde täglich mit Herzblut kämpfte.
***
Wie der Rest des Gebäudes war auch der Versammlungsraum übersichtlich. Vermutlich hätte nicht jedes einzelne Mitglied der Kubus Garde hier Platz gefunden, demnach war es ohnehin besser, dass nicht alle anwesend sein konnten. Aber es waren mehr als genug da, wie Platan zufrieden feststellte, denn der gesamte Raum war gefüllt, bis in die Ecken.
Er selbst stand an einem Rednerpult, auf einer kleinen Bühne, mit einem guten Blick auf die versammelten Menschen. Zahlreiche Augenpaare waren erwartungsvoll und gespannt auf ihn gerichtet. Bis eben war noch leises Getuschel zu hören gewesen, nun herrschte absolute Stille. Wohlwollend blickte Platan auf sie hinab und zupfte sein schwarzes Jackett zurecht, das er sich über ein grünes Hemd angezogen hatte. Seine Schultertasche lag momentan im Büro, damit Dedenne dort in Ruhe weiterschlafen konnte – sie hätte ohnehin nur sein Gesamtbild gestört.
Schließlich eröffnete er seine Rede: „Ich heiße euch heute alle herzlich willkommen, meine Lieben. Es erfüllt mich mit Freude, eure strahlenden Gesichter zu sehen, und ich weiß es sehr zu schätzen, dass ihr euch die Zeit genommen habt hier zu erscheinen, obwohl wir davon viel zu wenig haben. Wir alle sind stets schwer damit beschäftigt dem Chaos, das dunkle Schatten über Kalos wirft, Einhalt zu gebieten, und ich kann euch deswegen nicht oft genug dafür danken, mit wie viel Kraft und unerschütterlichem Willen ihr euch dem tapfer entgegen stellt.“
Schwungvoll breitete Platan die Arme aus und seine Stimme gewann an Energie: „Vielen Dank! Ohne euch wäre die Kubus Garde niemals so weit gekommen und das Chaos hätte uns sicher längst restlos verschlungen! Ich kann nicht in Worte fassen, wie stolz ich auf euch bin! Jeder einzelne von euch kann auch auf sich selbst zu recht stolz sein!“
Überwältigt begann die Menge zu applaudieren. Das Leuchten in ihren Augen erhellte den Raum, aber Platan wollte diesem treuen Schimmern noch viel mehr Intensität verleihen. Deshalb kam es ihm sehr gelegen, dass er dank Camille und Yvette bei dieser Rede etwas verkünden konnte. Nicht nur das, er könnte ihnen allen wieder einen Hauch von dem zeigen, wofür sie arbeiteten. Einen Hauch von dem, was sie alle begehrten.
Die Versammelten hingen ihm förmlich an seinen Lippen, als er fortfuhr und ihnen noch mehr schmeichelte. Mit sanften und ausdrucksstarken Worten, untermalt mit seiner natürlichen Fähigkeit lebhaft sowie fesselnd zu reden. Reden war seine Spezialität. Sobald er einmal anfing, konnte er nicht mehr aufhören. Und sie liebten es, ihm zuzuhören – anders als der Barkeeper im Bistro oder Menschen außerhalb der Kubus Garde.
Seltsamerweise … kam ihm während der heutigen Rede etwas anders vor als sonst.
Davon ließ er sich aber nicht beirren.
Nachdem er eine Weile von ihren bisherigen Erfolgen erzählt hatte und welche Schritte sie als nächstes gehen sollten, kam er zu dem Teil, der den Höhepunkt ihrer Versammlung darstellen sollte. Schon die Ankündigung entfachte einen Begeisterungssturm, wie er es sich erhofft hatte. Natürlich erwähnte er lobend Camille und Yvette, zog den Hyperball aus der Tasche seines Jacketts hervor und entließ feierlich das Pokémon, welches darin eingefangen worden war.
Ein Iscalar schwebte nun vor ihm. Wahrlich entzückend.
Orientierungslos sah es sich nervös um und versuchte bereits mit den blinkenden Lichtern an seinem Körper den Kampfeswillen aller zu schwächen. Dabei war niemand daran interessiert es anzugreifen, aber das konnte Iscalar nicht wissen. Offenbar machten die vielen Menschen ihm Angst und versetzten es dadurch selbst in eine passive Haltung, denn seine Tentakel, mit denen es normalerweise angriff, zog es eng an sich heran.
Da die versammelten Mitglieder nur Zuschauer waren, übernahm Platan es, mit dem kleinen Pokémon zu sprechen: „Keine Angst, dir wird nichts passieren.“
Unsicher zuckte es zusammen und wandte sich ihm zu.
„Ich weiß, du musst sehr verwirrt sein“, sprach Platan beruhigend auf es ein. „Fremder Ort. Viele Menschen. Das kann für dich nur beängstigend sein.“
Lächelnd legte er eine Hand auf seine Brust. „Aber ich versichere dir, dass wir keine bösen Absichten haben. Du bist sicher.“
Die Wärme in seiner Stimme schien Iscalar tatsächlich zu beruhigen, auch wenn es ihn noch mit großen Augen anstarrte.
„Mein Name ist Platan, ich bin der Anführer der Kubus Garde“, erklärte er geduldig. „Wir wünschen uns eine Welt, in der Ordnung und Frieden herrscht. Besonders für Pokémon. Ihr seid kostbar und bedeutend für den Frieden. Möchtest du uns dabei helfen? Nur du hast die Kraft in dir, die wir dafür brauchen, die Welt zu verbessern.“
Blinzelnd drehte Iscalar sich auf den Kopf und sah Platan nun ratlos an, was ihn zum Schmunzeln brachte. Eines der blinkenden Lichter des Pokémon besaß einen etwas anderen, farblichen Schimmer.
„Du spürst es also überhaupt nicht?“, hakte er bedauernd nach. „Darf ich es dir zeigen?“
Ein heller Laut kam darauf von Iscalar, das sich fast verspielt anhörte. Sah so aus, als dürfte das ein friedlicher Austausch werden. Perfekt, immerhin ging es hierbei um den Frieden.
Platan glaubte, zu spüren, wie die anderen den Atem anhielten, während er diesmal die Hand in eine seiner Hosentaschen sinken ließ, um etwas hervorzuholen. Dabei handelte es sich aber nicht um einen weiteren Ball, es war etwas kleiner. Kleiner, jedoch von wesentlich größerer Bedeutung. Und Platan hielt es Iscalar entgegen, das abermals ahnungslos blinzelte.
„Mein Liebes“, hauchte er einfühlsam, „arbeite mit uns zusammen, ja?“
Im nächsten Augenblick sogen alle scharf die Luft ein und beobachteten gebannt, wie Iscalar Teil ihres Plans wurde. Niemand von ihnen wagte es auch nur für eine einzige Sekunde zu blinzeln, denn keiner wollte diesen denkwürdigen Moment verpassen …
***
Zufrieden klimpernd hing Clavion sich wieder an seinen Gürtel, nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte. Überaus praktisch, jedes Mal. Ebenso zufrieden ließ Platan sich seufzend auf dem Bürostuhl vor dem Schreibtisch nieder, der sauber und aufgeräumt war, abgesehen von der Schultertasche, die er dort abgelegt hatte. Ansonsten war auch der Raum an sich ordentlich. Vor allem wenn es nur wenig Platz gab, war Ordnung von unschätzbarem Wert. Immer. Ein Grund, weshalb er sich darüber ärgerte, selbst manchmal im Chaos zu versinken, wenn es zu viel zu tun gab. Das war wirklich eine Schande.
Dafür war die heutige Versammlung ein großer Erfolg gewesen.
Wie geplant waren alle mit noch mehr Motivation und Inspiration zurück an die Arbeit gegangen, um die besprochenen Aktionen durchzuführen. Anfangs hatte Platan seine Zweifel gehabt, ob er eine Organisation mit stetig wachsenden Mitgliedern anständig genug leiten könnte, doch wie sich herausstellte war er ein Naturtalent. Zumindest konnte er sich bisher nicht beklagen, abgesehen von der zusätzlichen Arbeit. Alles lief fabelhaft.
Wenn die Kubus Garde sich weiterhin anstrengte, erfüllte sich bald sein größer Wunsch.
… Größter?
„Mein größter Wunsch“, flüsterte Platan nachdenklich. „Mein größter Schatz ...“
Da war es schon wieder. Dieses Gefühl, irgendetwas sei anders als sonst.
Sein Gedanke wurde unterbrochen, als seine Armbanduhr einen Signalton von sich gab. Der integrierte Holo-Log verkündete, dass ihn gerade jemand anrief. Ohne darüber nachzudenken nahm Platan an und aus dem Ziffernblatt heraus setzte sich ein blaues Hologramm zusammen, gefolgt von einer tiefen, ruhigen Männerstimme: „Bonjour, Platan. Ich … Alles in Ordnung?“
Flordelis.
Der Anrufer war Flordelis!
Sein Hologramm sorgte für ein angenehm beruhigendes Licht und seine Stimme zauberte Platan sofort ein Lächeln auf die Lippen: „Bonjour, Flordelis~. Natürlich ist alles Ordnung, jetzt, wo ich deine Stimme hören kann. Wie komme ich zu der Ehre?“
Einen Moment wirkte Flordelis irritiert, fing sich jedoch schnell wieder und ging auf die Frage ein: „Ich wollte nur nachhaken, wo wir uns diesen Sonntag treffen wollen. … Sofern die Verabredung noch steht.“
War er etwa unsicher? Irgendwie war das in gewisser Weise entzückend, da man das von Flordelis eher nicht kannte. Sonst war er immerzu gefasst und undurchschaubar. Darum freute es Platan jedes Mal, auch andere Seiten an ihm erleben zu dürfen.
„Selbstverständlich steht die Verabredung noch~“, versicherte Platan ihm beschwingt. Er lehnte sich näher zu dem Hologramm und zwinkerte ihm zu. „Aus dieser Abmachung lasse ich dich nicht mehr entkommen.“
Kaum merklich lehnte Flordelis sich etwas zurück – schüttelte dann stirnrunzelnd den Kopf. „Schön, also was schwebt dir für Sonntag vor?“
„Na“, sagte Platan, mit melodischer Stimme, und lehnte sich zurück, „ich dachte, wir nehmen uns wirklich diesen Spaziergang in der Natur vor.“
„Gut, machen wir das.“ Flordelis nickte ihm zu. „Ich freue mich schon darauf.“
Ein leises Quietschen ertönte in der Schultertasche und zaghaft lugte kurz darauf Dedennes Kopf hervor, den Platan mit der rechten Hand behutsam kraulte. Daraufhin gähnte sie herzhaft.
„Fein, fein~. Ich freue mich auch schon darauf, dich in die Wildnis entführen zu dürfen. Das wird ein wundervoller Tag!“
Chapter 4: Kapitel 3: Das ist wirklich wunderschön
Chapter Text
Obwohl Platan in dieser Woche regelmäßig mit Flordelis über den Holo-Log kommuniziert hatte, konnte er nach jedem Anruf das nächste Treffen am Sonntag kaum erwarten. Die Arbeit war, trotz des großen Erfolges bei der Versammlung, in letzter Zeit einfach seltsam kräftezehrend gewesen. Als es dann endlich so weit war und der Sonntag begann, entführte Platan seinen Freund wie besprochen gegen Mittag für einen Spaziergang in die Natur. Natürlich hatten sie zuvor zusammen gefrühstückt, worauf Flordelis bestanden hatte.
Gemeinsam verließen sie Illumina City Richtung Norden und betraten den Romantia-Waldweg, blieben jedoch nicht lange auf dem Pfad, sondern Platan führte Flordelis tiefer in die Wildnis hinein, wo Menschen noch keine Spuren hinterlassen hatten.
Anfangs mussten sie ein wenig darauf achten wo sie hintraten, wegen der Sumpfflächen, was die Dunkelheit des Waldes ihnen nicht leicht machte. Die Bäume standen oft dicht beieinander und ließen nur mäßig Sonnenlicht durch. Unterwegs wurden sie aufmerksam von den wilden Pokémon beobachtet, aber von diesen nicht als Gefahr eingestuft. Deshalb saß Dedenne auch entspannt auf Platans Schulter und betrachtete interessiert die Umgebung. Ihr kleines Näschen wackelte unentwegt dabei.
Anscheinend hatte Flordelis ein wenig Probleme, ihm zu folgen, denn Platan musste manchmal kurz innehalten, um auf ihn zu warten. Kein Wunder, solche Wege war man als Geschäftsmann garantiert nicht gewohnt. Sicher hatte Platan ihn auch damit überrascht, wie wörtlich der Spaziergang durch die Natur gemeint gewesen war. Dabei hatte er angemerkt, Flordelis in die Wildnis entführen zu wollen. Umso mehr wusste Platan es zu schätzen, dass Flordelis diese ungewohnte Bewegung stoisch auf sich nahm, ohne sich zu beschweren. Die Anstrengung würde sich auch für ihn lohnen.
Schließlich erreichten sie die Stelle, die Platan Flordelis zeigen wollte. Eine große Lichtung mit einem See, der in der Sonne magisch glitzerte und funkelte. Auch die Bäume wirkten nicht mehr so schaurig wie beim Waldweg, im Gegenteil. Sämtliche Blätterdächer strahlten in einem königlichen Rot und Orange, schienen den Ort sogar schützend zu umarmen. Über den Boden zogen sich goldene Gräser und zahlreiche schneeweiße Blumen, zwischen denen sich Knofensa versteckten. Einige streckten dennoch neugierig den Kopf nach oben.
Im See schwammen mehrere Quapsel und ein Morlord, welche sich nicht von ihrer Anwesenheit stören ließen. Am Rande des Wassers – auf dem Gehweiher herumtanzten – krochen Viscora herum und unterhielten sich munter miteinander.
Alles war ruhig. Friedlich. Möglicherweise fühlte die warme Brise an diesem Ort sich deswegen ungemein heilsam an. Nahezu heilig.
„Da wären wir~“, verkündete Platan aufgeregt und präsentierte alles, indem er schwungvoll die Arme ausbreitete. „Ist das nicht wunderschön?“
Mit großen Augen betrachtete Dedenne diesen Ort und quietschte leise vor Ehrfurcht. Bei Flordelis wirkte es so, als sei für ihn jegliche Anstrengung sofort vergessen, während er die Umgebung ebenfalls auf sich wirken ließ. Dabei entspannte er sich merklich, was er nach seiner Arbeitswoche sicher auch gut gebrauchen konnte.
Schließlich wanderte Flordelis' Blick zu ihm – und die Faszination in seinen Augen erfüllte Platans Herz mit Freude.
„Ja“, antwortete Flordelis, nachdem er Platan einen kurzen Moment nur schweigend angesehen hatte, „wunderschön.“
Platan ließ die Arme wieder sinken und stützte sie in seine Hüfte, während er zufrieden nickte.
„Ich wusste doch, dass es dir hier gefallen wird.“
Er lächelte Flordelis herzlich zu. „Entschuldige, dass wir vorher ein Stück durch den Romantia-Wald laufen mussten. Dieses sumpfige Gebiet ist nicht gerade ungefährlich, da ... spreche ich aus Erfahrung. Aber es hat sich gelohnt~.“
Dedenne nickte auf seiner Schulter mehrmals und umklammerte gerührt ihren Schweif – umso mehr wunderte Platan sich darüber, warum sie nicht zurück in die Wildnis wollte, wenn ihr dieser Ort so sehr zu gefallen schien. Wäre das nicht besser, als eine überfüllte Großstadt, in der die Natur größtenteils ausgemerzt worden war?
„Platan“, sagte Flordelis, dessen Stimme auf einmal dunkler wurde, „was ...?“
... Was wollte er fragen?
Hatte es damit zu tun, dass Flordelis auf einmal etwas besorgt wirkte? Weil Platan erwähnt hatte, Erfahrung mit den Gefahren des Sumpfes zu haben? Eventuell ... hätte er das nicht erwähnen sollen.
„Hier werden wir uns hervorragend entspannen können“, fügte Platan deshalb noch zur Ablenkung hinzu.
Erst hielt Flordelis' besorgter Ausdruck an, schließlich schüttelte er dann den Kopf und lächelte Platan zu. „Du hast recht, wir sollten uns hier entspannen können. Danke, dass du mir diesen Ort gezeigt hast.“
Da er seine Frage nicht zu Ende führen wollte, sollte Platan auch besser nicht nachhaken.
„Das Beste hast du noch gar nicht gesehen“, merkte er stattdessen verheißungsvoll an.
Ohne darüber nachzudenken griff er nach Flordelis' Hand und zog ihn behutsam mit sich, näher zum See. Natürlich achtete er darauf keine Knofensa zu stören, die sich immer noch im Gras und zwischen den Blumen aufhielten.
Am Ziel angekommen, stellte Platan sich mit Flordelis zwischen einige Viscora und zwinkerte ihnen freundlich zu, während Flordelis ihnen entschuldigend zunickte. Darauf neigten sie irritiert ihre Köpfe.
„Lasst euch nicht stören.“ Aufgeregt sah er Flordelis an. „Wirf mal einen Blick ins Wasser.“
Flordelis folgte dieser Bitte sogleich und Platan hielt dabei weiter seine Hand fest. Am Grunde des Sees wuchsen einige Kristalle, die denen aus der Spiegelhöhle ähnlich waren. Nur besaßen sie die Form von großen Blumen – sie ähnelten Seerosen. Ihr Schimmern war geheimnisvoll und sorgte dafür, dass bunte Lichtreflexionen durch das Wasser huschten, mit denen ein paar der Quapsel zu tanzen versuchten, was sehr zauberhaft aussah.
Gespannt beobachtete er Flordelis, nachdem er ebenfalls für ein paar Sekunden einen Blick ins Wasser geworfen hatte. Er selbst wusste immerhin, was es dort zu sehen gab – also interessierte ihn der Anblick seines Freundes gerade mehr. Vor allem seine Reaktion.
Nach kurzer Zeit, in der Flordelis zuerst nur irritiert von den Lichtreflexionen zu sein schien, weiteten sich seine Augen erstaunt.
Und dann atmete Flordelis tief durch, worauf sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Das ist wirklich wunderschön. So etwas habe ich noch nie gesehen.“
Platans Mimik wurde noch weicher und sanfter, als er dieses Lächeln sah. Dieser Anblick war ...
„Wunderschön“, wiederholte er verträumt. „Wahrhaftig.“
Ihm wurde bewusst, dass er Flordelis etwas zu intensiv anstarrte, weshalb er doch selbst auch nochmal einen Blick ins Wasser warf. „Ich war auch überrascht, als ich das zum ersten Mal gesehen habe. Vielleicht steckt irgendein Mysteriöses Pokémon hinter diesen Blumenkristallen. Inzwischen habe ich mir ziemlich viele Geschichten darüber ausgedacht, wie sie dort unten gewachsen sein könnten.“
Erst sagte Flordelis darauf nichts, doch dann folgte eine Frage: „Magst du mir die ein oder andere erzählen, wenn wir schon hier sind?“
Etwas überrumpelt lenkte Platan den Blick zurück zu Flordelis, der immer noch ins Wasser blickte. „Was?“
Inzwischen war Dedenne von seiner Schulter geklettert, um etwas aus dem See zu trinken – was die Viscora allesamt direkt eifrig nachahmten, als wäre das ein lustiges Spiel.
„Also, ich weiß nicht.“ Unsicher sah Platan zur Seite. „Die Geschichten, die ich mir ausdenke, sind nicht sonderlich ... gut. Ich glaube, sie sind entweder zu überfüllt mit Details oder zu simpel.“
Er wusste nicht so recht, wieso ihm das mit seinen eigenen Geschichten überhaupt herausgerutscht war. Sonst behielt er das stets für sich. Eben weil er davon überzeugt war, dass sie nicht erzählenswert seien. Es machte ihm trotzdem Spaß, sich welche auszudenken.
Wieder sagte Flordelis darauf zuerst nichts, bis er ihm doch Mut zusprach: „Ich bin mir sicher, dass die Geschichten wunderbar sind. Wenn du sie nie jemandem erzählt hast, fehlt dir wahrscheinlich die Perspektive eines Außenseiters. Ich bin durchaus bereit, sie mir als Testsubjekt anzuhören, damit du erfährst, ob dein Zweifel gerechtfertigt ist.“
Nun, wenn Platan seine eigenen Geschichten mit jemandem teilen müsste, dann nur mit Flordelis. Sein Freund wäre nicht nur ehrlich bei seiner Beurteilung hinterher, sondern würde ihm vor allem geduldig und interessiert bis zum Schluss zuhören. Vielleicht sollte Platan diese Chance also nutzen und es einfach wagen. Zumal er Flordelis eigentlich auch keine Bitte abschlagen wollte.
„Was du sagst, klingt sehr einleuchtend.“ Nervös atmete Platan ein wenig durch. „In Ordnung, warum nicht? Machen wir es uns gemütlich und ich erzähle dir von meinen Ideen.“
Derweil hatte Dedenne bemerkt, dass die Viscora sie nachahmten, weshalb sie nun einige Posen vormachte und sich daran erfreute, wie die anderen Pokémon weiter mitmachten. Sie wäre also wohl auch erst mal beschäftigt.
„Dann machen wir das.“ Flordelis lächelte. „Ich bin schon gespannt.“
Wenn er ihn so anlächelte, wurde Platan erst recht schwach. Nun wollte er ihm seine Geschichten sogar unbedingt erzählen.
***
Platans Unsicherheit bezüglich seiner eigenen Geschichten war geradezu bezaubernd. Deswegen war sich Flordelis erst nicht sicher gewesen, ob er weiter darauf bestehen oder ihn erlösen sollte. Ehe er sich davon hatte abhalten können, war er schon dabei ihm Mut zuzusprechen. Das ... war das Gegenteil von erlösen.
Dennoch freute er sich, als Platan zustimmte und hoffte gleichzeitig, ihm seine Nervosität noch nehmen zu können. Flordelis hatte nicht vor, ihn in Grund und Boden zu kritisieren – obwohl er ohnehin nicht glaubte, dass das notwendig werden würde. Bestimmt wären seine Geschichten großartig und Platan konnte das nur nicht einschätzen.
Schon immer hörte Flordelis ihm gern bei den Geschichten zu, die Platan gelesen oder aufgeschnappt hatte. Mit Sicherheit wäre er noch mehr angetan, wenn es diesmal um eine vollkommen selbst ausgedachte Geschichte ging. Also würde er ihm danach erzählen, wie perfekt sie gewesen war. Genau wie Platan selbst.
... Wo kam dieser Gedanken denn jetzt her?
Da Platan noch immer seine Hand festhielt, zog er ihn wieder mit sich, um sich mit ihm wenige Schritte vom See entfernt ins Gras zu setzen. Es fühlte sich weich an, fast als würde man auf einem Kissen sitzen. Leider war das aber der Moment, in dem er Flordelis' Hand schließlich losließ.
Anschließend fing Platan tatsächlich an ihm eine seiner eigenen Geschichten zu erzählen. Anfangs etwas ungelenk, vermutlich weil er noch immer nervös war. Mit der Zeit entspannte er sich aber mehr und mehr, bis er sogar anfing zu gestikulieren.
In der Geschichte, die Platan ihm erzählte, war der Romantia-Wald ein Ort, den sowohl Menschen als auch Pokémon mieden, weil man sich vor den Sümpfen, der Dunkelheit sowie den schaurigen Fratzen fürchtete, welche einige in den Baumstämmen wahrzunehmen glaubten. Bald entstanden allerlei düstere Gerüchte über dieses Gebiet, was dazu führte, dass niemand mehr dorthin ging.
Allerdings lebte in dem Wald ein Mysteriöses Pokémon und wurde schnell einsam, darum versuchte es Lebewesen zu sich zu locken. Eigentlich wollte es ihnen nur zeigen, wie harmlos sein Zuhause war und es dort durchaus schöne Seiten zu entdecken gab, in der Hoffnung, dadurch bald wieder mehr Gesellschaft zu bekommen. Leider jagte es den anderen aber nur noch mehr Angst ein. Eines Tages wurde schließlich einstimmig beschlossen den gesamten Romantia-Wald einfach niederzubrennen, bevor noch etwas Schlimmeres geschah.
„Das Mysteriöse Pokémon war sehr bestürzt.“ Mitfühlend legte Platan eine Hand auf seine Brust. „Es war verzweifelt. Niemals hatte es jemandem Angst einjagen wollen. Und nun sollte seinetwegen der Wald vernichtet werden, nur weil die anderen dessen Schönheit nicht sehen konnten. Genau in diesem Moment erkannte es, was es tun musste. Also begab es sich zu dem See, in dem es einst geboren worden war.“
Es ließ sich auf den Grund sinken und setzte dort seine geheimnisvollen Kräfte frei. Eine Welle aus Energie rauschte durch den Wald und hinterließ überall magische Kristallpartikel in der Luft, deren wunderschöner Anblick kurz darauf tatsächlich neugierige Menschen und Pokémon anlockte. Statt sich zu fürchten, beruhigte dieser magische Zauber sie so sehr, dass sie zum ersten Mal ihre Umgebung richtig wahrnahmen und erkannten, welche eigentümliche Faszination der Romantia-Wald besaß. Auf einmal wirkte er nicht mehr so schaurig wie zuvor.
Also brannten man den Ort doch nicht nieder, sondern fing an ihn zu erkunden.
Viele Wochen, gar Monate, erfüllten die Kristallpartikel jeden Winkel des Waldes. Wilde Pokémon ließen sich dort nieder. Menschen bauten einen Pfad durch das Gebiet. Irgendwann erlosch der Zauber aber, weil die Energie des Mysteriösen Pokémons restlos versiegt war. Zurück blieb nur eine bildschöne Lichtung mitten in diesem einst gefürchteten Wald, wo sich am Grunde des Sees mehrere Kristallblumen gebildet hatten.
„Ein letztes Geschenk des Pokémons, um jeden, der diese Stelle zufällig entdecken sollte, daran zu erinnern, wie viel Schönheit ein vermeintlich schauriges Herz in Wahrheit besitzen kann.“
Damit hatte Platan die Geschichte wohl zu Ende geführt und atmete tief durch.
Aufmerksam hatte Flordelis Platan die ganze Zeit gelauscht, vom ersten Satz an vollkommen verloren in dieser Geschichte – und in der Mimik und den Gestiken des Erzählers. Deswegen hatte er auch der Versuchung widerstehen müssen, seine Augen zu schließen, um sich ganz auf Platans Worte zu konzentrieren, denn er wollte keinesfalls etwas von dem verpassen, was außerhalb der Geschichte vor sich ging. Sobald Platan erzählte, wurde er zum Gesamtkunstwerk, auch heute wieder.
Unsicher senkte Platan den Kopf. „Das war es. Mir wollte kein guter Name für das Pokémon einfallen, aber es ist ohnehin mysteriös, also benötigt es nicht zwingend einen, schätze ich.“
„Es braucht auch keinen Namen“, bestätigte Flordelis ihm. „Das macht es mysteriöser.“
Beruhigend lächelte er Platan zu und musste sich davon abhalten, nach seiner Hand zu greifen, obwohl ihm diese Wärme fehlte. „Ich hatte übrigens recht. Die Geschichte war wunderbar. Du musst dein Licht nicht unter einen Scheffel stellen, mein Freund.“
Überrascht hob Platan den Kopf wieder. „Findest du?“
Offenbar war er erleichtert über dieses Urteil, zumindest wirkten seine Augen sofort wesentlich lebendiger, gleichzeitig schien er aber auch verlegen zu sein.
„Damit habe ich nicht gerechnet. Vielen lieben Dank.“ Platans Lächeln war noch herzlicher und strahlender als sonst. „Wenn es dir gefallen hat, bin ich vollkommen zufrieden~.“
„Es ist erstaunlich, dass du in manchen Bereichen so schlecht von dir zu denken scheinst“, bedauerte Flordelis. „Dabei habe ich bislang noch nichts bei dir entdeckt, in dem du nicht außerordentlich bist.“
Falls doch, versteckte Platan diese Tätigkeit außergewöhnlich gut, so viel stand fest. Andererseits gab es aber auch bestimmt viele Dinge, die Platan ihm noch nicht demonstriert hatte – bedauerlicherweise. Aber er konnte ihn auch nicht dazu auffordern, einfach alle möglichen Dinge für ihn vorzuführen, nur um seine Theorie zu bestätigen. Das war unmöglich.
„Jetzt übertreibst du aber“, meinte Platan, in einem geschmeichelten Tonfall.
Danach rückte er noch etwas dichter zu Flordelis, um in einem dramatischen Flüsterton weitersprechen zu können: „Du hast mich noch nie kochen sehen. Pokémon-Kämpfe liegen mir auch nicht. Meine Versuche, irgendeine Kampfkunst zu erlernen, sind ebenfalls allesamt kläglich gescheitert. Aber willst du wissen, wobei ich wirklich die schlechteste Figur abgebe? Beim Skaten.“
Stimmt, das waren alles Dinge, bei denen er Platan nie gesehen hatte. Dass er nicht kochen konnte, würde auch erklären, warum er nicht viel aß – oder konnte er nicht kochen, weil er nicht viel aß? Die schlechteste Figur überraschte Flordelis dann wirklich.
„Beim Skaten? Tatsächlich?“ Sein Blick huschte an Platans Körper hinunter und wieder hinauf. „Dabei sieht es aus, als hättest du den idealen Körperbau dafür. Also ... ich meine nur. Fehlt es da an der Körperbeherrschung?“
Seine Frage war eher für sich selbst gemeint gewesen, aber nachdem er sie ausgesprochen hatte, war er wirklich neugierig.
„Bedauerlicherweise mangelt es mir beim Skaten an allem“, antwortete Platan, wobei er sehr ehrlich klang. „Ich kann weder bremsen noch die Geschwindigkeit regulieren. Manchmal scheinen sich die Rollen unter meinen Füßen wie von Geisterhand von ganz alleine zu bewegen, um mich geradewegs in die nächste Mülltonne zu befördern.“
Lächelnd zuckte Platan mit den Schultern. „Daher habe ich es schon lange aufgegeben, zu meiner eigenen Sicherheit. Und vermutlich auch der einiger anderer Menschen sowie Pokémon.“
„Nun, ich kenne mich leider auch nicht mit dem Skaten aus, sonst würde ich anbieten, dir zu helfen. Aber bedauerlicherweise wurde mir nur das Eislaufen gelehrt. Ich glaube nicht, dass sich das vergleichen lässt.“ Nach diesen Worten dachte Flordelis kurz nach. „Allerdings gibt es da keine Rollen, die sich verselbstständigen könnten und keine Mülltonnen, die auf dem Eis auf dich lauern. Vielleicht sollten wir also einmal zusammen Schlittschuhlaufen gehen. Ich bringe es dir dann auch bei.“
Oder war das vielleicht schon wieder zu aufdringlich?
„Du musst aber nicht, wenn du nicht willst“, schob er deswegen direkt hinterher.
„Oh doch, ich will!“, betonte Platan sofort aufgeregt.
Dass Platan derart begeistert sein würde, überraschte Flordelis so sehr, dass er für einen Moment zusammenzuckte. Aber es gelang ihm, sich schnell wieder zu entspannen, um mit einem Lächeln zu reagieren. Offenbar hatte Platan bei seiner Zustimmung ein ziemlich beeindruckendes Bild vor Augen, so wie sein Gesicht gerade strahlte.
Wohl in einem Versuch, sich etwas zu fangen, räusperte Platan sich ein wenig. „Ich würde mich freuen, wenn du mir das Schlittschuhlaufen beibringst.“
„Dann werden wir einen unserer Sonntage dafür nutzen“, beschloss Flordelis.
Wahrscheinlich würde Platan von der Kälte erschlagen werden, aber wenn er sich genug bewegte und sie regelmäßig Pausen für einen heißen Kaffee einlegten, dürfte das schon gehen.
„Du wirst die erste Person sein, der ich etwas beizubringen versuche. Ich bin gespannt, wie gut es mir gelingen wird.“
Entschlossen hob Platan eine Faust. „Ich werde mich bemühen, dich nicht zu enttäuschen, und ein fleißiger Schüler sein. Vielleicht gewinne ich dadurch auch etwas an Eleganz, das wäre schön~.“
Plötzlich ... lehnte Platan sich bei ihm an und atmete entspannt durch. „Wobei die Zeit mit dir immer noch das größte Geschenk ist~.“
Diese Nähe und diese Worte fachten schlagartig Flordelis' inneres Feuer an. Für einen kurzen Moment – wirklich nur den Bruchteil einer Sekunde, ein Wimpernschlag lang – überlegte er, seine Vorbehalte einfach in den Wind zu werfen und Platan zu küssen.
Aber er tat es nicht.
Falls Flordelis all diese Signale nur falsch verstand, weil Platan bei jedem seiner Freunde so war – immer noch ein furchtbar schmerzhafter Gedanke –, würde er damit nur das zerstören, was zwischen ihnen bestand. Und noch war Flordelis nicht bereit, darauf zu verzichten.
„Aber du bist schon sehr elegant“, warf er stattdessen ein, um sein Herz wieder zu beruhigen. „Glaubst du wirklich, da bräuchte es noch mehr?“
„Mehr Eleganz schadet nie“, erwiderte Platan überzeugt.
Das wollte Flordelis nicht verneinen.
Bevor er aber irgendetwas darauf sagen konnte, schloss Platan einfach die Augen und blieb in dieser Position. Nahe bei ihm. Als wollte er diesen Moment eine Weile genießen. Oder interpretierte Flordelis zu viel hinein? Warum war es so schwer, die Lage richtig einzuschätzen?
Auf jeden Fall war Flordelis derjenige, der es genießen wollte, darum verzichtete er auf weitere Worte, um diesen Moment durch nichts frühzeitig zu beenden. In Verbindung mit den warmen Sonnenstrahlen und den sanft raschelnden Baumkronen kam ihm dieser Augenblick beinahe nur wie ein Traum vor.
Nur Platan und er, umgeben von Natur und Pokémon. Genau so dürfte es ruhig öfter sein. Zu schade, dass sie irgendwann zurück nach Illumina City müssten. Allerdings hatten sie noch Zeit. Erst wenn er Platan wieder ans Essen erinnern müsste, sollten sie den Rückweg antreten. Denn Flordelis war die Gesundheit seines Freundes sehr wichtig.
Bis dahin ... wollte er diese Zweisamkeit so lange wie möglich genießen.
Chapter Text
„Nebel ...“, murmelte Platan abwesend. „Woran erinnert mich das nur?“
Umgeben von blühenden Pflanzen, die in Hängetöpfen mit ihrem Grün seiner hellen Küche stets eine lebendige und harmonische Atmosphäre verliehen, wartete er darauf, dass die Kaffeemaschine fertig wurde. Währenddessen starrte er nachdenklich aus dem Fenster. Neben ihm schwebte Clavion und betrachtete, leise klimpernd, ebenfalls den Nebel, der an diesem Morgen ganz Illumina City einhüllte. Der Anblick rief etwas tief in Platan wach, das er noch nicht zu fassen bekam. Irgendetwas ...
Aber was?
Auch seine Erinnerungen waren seltsam vernebelt.
Quietschend presste Dedenne, die auf der Fensterbank saß, ihre Pfoten und ihr Gesicht gegen die Scheibe, als könnte sie dadurch irgendwie durch diesen dichten Nebel hindurch sehen. Darüber musste Platan entzückt schmunzeln und strich dabei über Chevrumms Rücken. Sie stand dicht bei ihm und rieb behutsam ihr Geweih an ihm, statt Interesse an dem Nebel draußen zu zeigen.
Platan genoss es, morgens in Ruhe etwas Zeit mit seinen Pokémon zu verbringen, bevor er sich in die Arbeit stürzte. Ihre Nähe schenkte ihm Geborgenheit und Kraft. Wie gerne hätte er auch seine anderen Pokémon aus ihren Bällen gelassen, doch leider war für sie seine Wohnung viel zu klein – obwohl Bisaflor sich in der Regel nicht daran störte, einfach nur reglos in einer Ecke zu liegen und zu schlafen.
Sicher würde Flordelis es ihm erlauben, seinen Pokémon in dessen Garten etwas Auslauf zu gönnen. Ob Platan ihn nächsten Sonntag mal fragen sollte?
... Der nächste Sonntag.
Noch vier Tage, bis er wieder einen wundervollen Tag mit Flordelis verbringen durfte. Dieser Gedanke schenkte ihm zusätzlich Kraft.
Gerade, als die Kaffeemaschine verkündete, dass sie fertig war, meldete sich plötzlich auch der Holo-Log in seiner Armbanduhr. Da Platan bereits zurecht gemacht war, konnte er den Anruf direkt annehmen, hatte aber kein gutes Gefühl dabei. Eine Art böse Vorahnung.
Innerhalb von Sekunden setzte sich das blaue Licht aus dem Ziffernblatt zu einem Hologramm zusammen, das zu einem Mitglied der Kubus Garde gehörte. Einem älteren Mann, der einen ziemlich angespannten Eindruck machte. Sah so aus, als würde sich Platans böse Vorahnung bestätigen.
„Chef! Verzeihen Sie, dass ich Sie so früh schon stören muss, aber es gibt Probleme.“
Sofort wurde Platan ernst. „Was ist los?“
Chevrumm hatte ihr Geweih von ihm gelöst und blickte unruhig zu ihm auf. Auch Dedenne ließ von der Fensterscheibe ab und drehte sich zu ihm. Clavion schwebte ein wenig nervös hin und her.
„Wilde Pokémon strömen nach Cromlexia und sorgen dort für Unruhe“, erklärte der alte Mann, merklich darum bemüht ruhig zu sprechen. „Wir sind diesen Meldungen nachgegangen und haben herausgefunden, dass sie vom Miroir-Weg vertrieben werden. Von einer Gruppe aus Leuten, die dort etwas mit den Kristallen anstellen. Sie wirken sehr feindselig. Wir benötigen dringend Verstärkung, um gegen sie anzukommen.“
Mit anderen Worten, alle Mitglieder, die sich darauf verstanden zu kämpfen, waren momentan mit anderen Fällen beschäftigt – und die verzeichneten Trainer wurden nur um Hilfe gebeten, wenn Platan nicht zur Verfügung stand. Wahrscheinlich mühten sich die meisten immer noch mit den Jugendlichen beim Brun-Weg ab. Eigentlich hatte Platan auch eher mit weiteren Problemen dort gerechnet. Dieser Fall war aber vollkommen neu für ihn. Nur der Ort nicht, denn dort hatte es auch schon Einsätze gegeben.
„Ich fliege sofort los“, versicherte Platan und schaltete mit einem Handgriff die Kaffeemaschine aus. „Mit Glurak sollte ich in einigen Minuten da sein.“
Erleichtert nickte das Hologramm ihm zu. „Vielen Dank, Chef. Wir halten hier solange die Stellung.“
„Unternehmt nichts, bis ich da bin“, bat er eindringlich.
„Verstanden.“
Das Hologramm löste sich wieder ins Nichts auf. Zum Glück hatte Platan all seinen Mitgliedern einen Holo-Log besorgt, auch wenn die Kosten dafür ziemlich hoch gewesen waren. Auf diese Weise war die Kommunikation aber wesentlich leichter, effektiver, und es steigerte das Gefühl der Verbundenheit immens, wenn man das Gesicht der Person sehen konnte, mit der man sprach. Für diese Erfindung war er Flordelis wirklich dankbar.
Fordernd sah Platan seine Pokémon an. „Ihr habt es gehört, wir müssen los.“
Sofort hing Clavion sich geschwind an seinen Gürtel und Dedenne sprang auf seinen Arm, um von dort aus auf seine Schulter zu klettern. Kaum setzte er sich in Bewegung, schnellte Chevrumm an ihm vorbei. Ihre Hufen donnerten dabei unangenehm laut über den Boden. Zu Platans Verwunderung versperrte sie ihm dann auch noch den Weg aus der Küche, indem sie sich in den Türrahmen stellte.
„Chevrumm?“ Ratlos schüttelte Platan den Kopf. „Ich habe keine Zeit, lass mich durch.“
Darauf antwortete Chevrumm mit einem tiefen Blöken, doch der Ausdruck in ihren Augen verriet Platan, dass sie besorgt war. Vielleicht sogar verängstigt?
Deshalb trat Platan näher an sie heran und strich behutsam durch ihren Blätterkragen. „Seit wann bereiten dir solche Einsätze Sorgen? Du weißt doch, dass so etwas zu meinem Alltag gehört. Ich habe mich selbst dafür entschieden.“
Forschend sah Chevrumm ihn an.
„Außerdem habe ich Bisaflor, Turtok und Glurak“, erinnerte er sie und lächelte beruhigend. „An ihnen kommt niemand vorbei.“
Dem musste auch Chevrumm zustimmen, immerhin kannte sie die drei gut genug. Dennoch lenkte sie den Blick erst zu Dedenne und zuckte mit den Ohren, als die Kleine etwas quietschte. Offenbar half es, denn anschließend gab Chevrumm nach und machte Platan Platz.
„Danke“, sagte er erleichtert. „Ich lasse dich ja auch nicht hier. Wir gehen alle zusammen und sorgen für Ordnung.“
Entschlossen nickte Platan für sich. „Also lasst uns gehen.“
Zügig schritt er Richtung Wohnungstür und zog sich an der Garderobe noch rasch einen Mantel über, bevor er tatsächlich nach draußen in den Nebel trat. Dieser dichte, undurchdringbar erscheinende Nebel, der an diesem Morgen nicht nur eine alte Erinnerung in Platan wachzurütteln versuchte, sondern auch Probleme mit sich brachte.
***
Der Miroir-Weg war das Zuhause vieler verschiedener Arten von Pokémon.
Unter anderem von Dedenne, die dort ihre Nester bauten und sich oft auch nach Cromlexia wagten, wo sie sich von den wenigen Bewohnern oder Besuchern zusätzliches Essen erhofften. Allerdings war es unverzeihlich, wenn sie gewaltsam aus ihrem Zuhause vertrieben wurden. Das war vor einiger Zeit leider schon mal vorgekommen – an diesem Tag hatte Platan die kleine Dedenne gerettet und vorübergehend bei sich aufgenommen.
Letztes Mal hatte Platan nicht nachvollziehen können, warum einige Leute die Nester loswerden wollten. Da man auch nicht versucht hatte die Dedenne einzufangen, kam auch kein Handel mit Pokémon in Frage. Nun lag die Vermutung nahe, dass die Unruhestifter vor einer Weile die selben waren wie die, welche nun etwas mit den Kristallen anstellten. Vermutlich hätten sie dafür nicht nur die Dedenne verscheucht, wären sie nicht von der Kubus Garde aufgehalten worden. Wilde Pokémon störten wahrscheinlich bei dem, was sie taten.
Und nun nutzten sie den Schutz des Nebels zu ihrem Vorteil.
Der lag nämlich beinahe über ganz Kalos, was erstaunlich war. Zwar hatte Platan schon gehört, dass es hin und wieder im Laufe der Zeit vorgekommen sein sollte, dass sich ein dichter Nebel an manchen Tagen überall in der Region ausbreitete, doch in dem Ausmaß erschien es ihm beinahe unwirklich. Gar märchenhaft. Genau bei diesem Gedanken regte sich wieder etwas in ihm, sorgte zum einen für ein Gefühl des Unbehagens und auf der anderen Seite wohnte dem eine gewisse Faszination inne. Es war genauso seltsam wie dieser Nebel.
Vielleicht würde er noch darauf kommen, was ihn daran so sehr beschäftigte.
Nun musste er schnell am Einsatzort ankommen.
Eigentlich war es viel zu gefährlich momentan zu fliegen, wenn die Sicht so schlecht war. Sein Glurak konnte sich aber dennoch an einigen prägnanten Dingen orientieren, die hier und da aus dem Nebelschleier hervor ragten. Dazu zählte auch der Berg, in dem sich die Spiegelhöhle befand. Westlich davon lag der Miroir-Weg, wo an mehreren Stellen Kristalle aus dem Boden wuchsen, so natürlich wie Bäume. Ihr helles, sanft bläuliches Leuchten war nur schwach durch das Grau des Nebels zu erkennen, wie eine flüchtige Erscheinung.
Da der Flugwind zu unangenehm für Dedenne gewesen war, hatte sie sich wieder in eine Manteltasche zurückgezogen – Chevrumm musste in ihren Pokéball zurück – und kam auch nicht heraus, als Platan schließlich mit Glurak auf dem Miroir-Weg landete, nahe Cromlexia. Fröstelnd legte Platan die Arme um sich. Er konnte Dedenne gut verstehen und beneidete sie etwas darum, wie gemütlich und warm sie es haben musste. Etwas lenkte ihn aber dann von dem kühlen Flugwind ab, den er immer noch spürte.
Gerade huschten einige Nidoran, Männchen und Weibchen, panisch an ihnen vorbei und flüchteten nach Cromlexia. Nicht weit entfernt waren Stimmen zu hören und laute Geräusche, als würde auf einen Schlag durch grobe Weise große Mengen an Glas zersplittern, die ein unangenehmes Klingeln in den Ohren verursachten – das genaue Gegenteil von dem lieblichen Läuten der Klingplim, von denen ebenfalls einige in dieser Gegend lebten.
Sicher wäre es eigentlich besser, sich zuerst mit den Mitgliedern seiner Kubus Garde zu treffen, von denen welche bereits vor Ort sein mussten. Falls hier aber gewaltsam Kristalle zerstört wurden, wollte Platan keine weitere Sekunde verlieren und diese Leute davon abhalten.
Deshalb lief er sofort los, ließ sich von den Geräuschen leiten. Ohne jegliche Aufforderung folgte Glurak ihm und seine schweren Schritte ließen den Boden leicht erzittern, jedoch nicht so sehr wie dieser klirrende Lärm, bei dem stets der gesamte Miroir-Weg vor Schmerz bebte. Jedenfalls kam es Platan so vor. Etwas in seiner Brust zog sich jedes Mal schmerzvoll zusammen, sobald erneut das Geräusch von zersplitterndem Glas unheilvoll durch den Ort hallte.
Der Nebel war wirklich störend. Platan bahnte sich nahezu blind seinen Weg durch die Wildnis abseits des Pfades, stolperte dabei ein paar Mal fast über Wurzeln oder verfing sich beinahe in einem Gebüsch. Aber dann ...
... schälten sich aus dem Nebel irgendwann auf einmal einige Menschen hervor. Allesamt trugen sie dunkle Kleidung und Masken mit Strickmützen, mit denen sie ihre Gesichter verhüllten. Mit grober Körpersprache erteilten sie einigen Kampf-Pokémon Befehle und drängten sie zur Eile. Die Faust eines Maschocks schoss in dieser Sekunde gegen einen der Kristalle, von dem einige kleine Teile absplitterten.
„Halt!“, rief Platan fordernd. „Hört sofort auf damit!“
Einige der Leute zuckten erschrocken zusammen und fluchten empört. „Scheiße, so schnell?! Verpiss dich und stör uns gefälligst nicht! Nockchan, Patronenhieb!“
Tatsächlich schoss aus dem Nebel blitzschnell, mit der Faust voran, ein Nockchan zielsicher auf Platan zu. Sein Glurak reagierte sofort und warf sich vor ihn, mit ausgebreiteten Flügeln, um den Angriff wie ein Schild abzufangen. Der Patronenhieb prasselte auf Gluraks angespannten Körper ein, doch er steckte das mit einem Schnauben mühelos ein.
Dafür würde Platan ihm später ausgiebig danken, in diesem Moment war es aber wichtiger schnell einen Gegenangriff zu starten. „Luftschnitt!“
Kräftig schlug Glurak mit seinen Flügeln, schon als Platan den Befehl nur zur Hälfte ausgesprochen hatte, und schleuderte Nockchan mit mehreren Klingen aus gebündelter Energie zurück, womit er ihn derart effektiv traf, dass es daraufhin keuchend liegenblieb. Dafür kamen aber schon weitere Kampf-Pokémon nach, nämlich das Maschock und ein Rasaff. Damit dürfte Glurak auch keine Probleme haben.
Konzentriert erteilte Platan ihm weitere Befehle und hörte nebenbei wie die Leute bei den Kristallen noch mehr fluchten. Wütend wiesen sie ihre Kampf-Pokémon dazu an durchgehend anzugreifen, mit den stärksten Attacken, die ihnen wohl zur Verfügung standen, doch Glurak wich entweder aus oder steckte diese Techniken einfach ein. Der Kampf-Typ richtete bei ihm ohnehin nur halb so viel Schaden an als gewöhnlich. Im Gegensatz dazu konterte Glurak mit noch mehr effektiven Flug-Angriffen.
Mitten im Kampf versuchte ein Kicklee zwischendurch Platan hinterhältig von hinten anzugreifen, konnte dank einer Feenbrise von Clavion aber zumindest kurz abgewehrt werden. Von den glitzernden Partikeln geblendet stolperte Kicklee ungeschickt zurück und das gab Platan Zeit Chevrumm aus ihrem Ball zu lassen, damit sie sich um diesen Gegner kümmern könnte.
Maschock konnte von Glurak schon nach kurzer Zeit auch besiegt werden, nur Rasaff hielt sich, aufgrund seines blinden Zorns, hartnäckig. Sein Trainer schrie dem Pokémon immer wieder neue Befehle an den Kopf und Rasaff befolgte sie rasend. Deshalb blieb Gluraks Aufmerksamkeit lieber voll und ganz bei diesem, weshalb Chevrumm sich alleine um Kicklee kümmern musste.
Geschickt wich sie mehrmals dem gefährlichen Feuerfeger aus, bei dem Kicklee mit brennenden Beinen angriff – und dass es diese Technik beherrschte, verriet Platan, dass die Pokémon gut trainiert worden sein mussten. Trotz dieser Tatsache schlug auch Chevrumm sich tapfer und attackierte Kicklee jedes Mal, nachdem sie ausgewichen war. Ihre Geduld und ihre Reflexe zahlten sich bald aus, denn es gelang ihr auf diese Weise den Gegner am Ende von den Füßen zu reißen.
Glurak war es derweil auch gelungen Rasaff so sehr zuzusetzen, dass es vor Erschöpfung nicht mehr aufstehen konnte, obwohl es das mühevoll versuchte und dabei aufgebracht grunzte. Aus dem Nebel erschienen daraufhin noch mehr Kampf-Pokémon, welche sich vermutlich bis jetzt weiter auf die Kristalle konzentriert hatten. Allerdings schüttelte Platan mit einem strengen Blick den Kopf.
„Davon rate ich euch ab.“ Ruhig zog Platan den Pokéball von Turtok hervor. „Ich habe noch mehr Pokémon, die genauso stark sind wie Glurak und Chevrumm. Ich würde es aber bevorzugen, eure Pokémon nicht weiter unnötig verletzen zu müssen.“
Chevrumm stellte sich mit einer stolzen Haltung neben ihn und blökte warnend. Dem schloss sich Glurak mit einem tiefen Brummen an. Nur weil sie so selbstbewusst waren, konnte auch Platan entsprechend überzeugend erscheinen. Normalerweise lagen ihm Kämpfe nicht so sehr.
Schweigend warfen die Leute sich gegenseitig Blicke zu, was Platan nutzte, um sich einen groben Überblick zu verschaffen. In seinem Sichtfeld befanden sich vier Menschen und drei weitere Pokémon – noch ein Maschock und zwei Tauros. Abgesehen von den Maschock und Tauros waren die anderen Kampf-Pokémon nicht in Kalos heimisch. Demnach kamen diese Leute womöglich aus einer anderen Region.
„Meine Fresse!“, keifte der breit gebaute Trainer von Rasaff, dessen hellbraune Augen vor Wut eher rötlich wirkten, und unterbrach damit Platans Gedanken. „Wo kommst du Porenta überhaupt her?! Zu dieser Zeit, in diesem Nebel und am Arsch der Welt sollte doch überhaupt niemand sein! Niemand, den interessiert, was wir hier machen!“
Verstimmt runzelte Platan ein wenig die Stirn. „Wir sind hier nicht am ... Wie auch immer. Eure Aktion hier hat die wilden Pokémon verängstigt.“
Ausgehend von dem Temperament dieser Leute hatten sie die meisten garantiert sogar bewusst verjagt. Zum Wohle eines halbwegs friedlichen Gespräches merkte Platan das aber erst mal nicht an.
„Sie sind nach Cromlexia geflohen und das blieb nicht unbemerkt. Darum wurden wir-“
„Ja, und wer ist wir?!“, unterbrach der Mann ihn genervt. „Der Rest ist mir so was von Schnuppe. Komm zum Punkt, Mann.“
... Sollte nicht eigentlich Platan derjenige sein, der seiner Empörung Luft machte?
An seiner Stelle übernahm das aber Glurak, indem er ungehalten mit seinem Schweif auf den Boden peitschte und dabei drohend schnaubte. Darauf antwortete das besiegte Rasaff mit einem respektlosen Grunzen, ähnlich wie sein Trainer. Bei allen anderen bewirkte Glurak dagegen schon eher, dass sie ehrfürchtig schwiegen.
Kurz schloss Platan die Augen und atmete ein wenig durch, ehe er auf den Punkt kam: „Mein Name ist Platan, ich bin der Pokémon-Professor von Kalos.“
„Wow, Glückwunsch“, gratulierte der Rebell der Gruppe unbeeindruckt.
„Und“, fuhr Platan unbeirrt fort, „der Anführer der Kubus Garde. Wenn Menschen der Natur und den Pokémon schaden, kümmern wir uns darum. Aus diesem Grund bin ich hier.“
Darauf zuckte der andere mit den Schultern. „Willst du uns jetzt festnehmen oder was?“
„Ich will erst mal wissen, warum ihr die Kristalle beschädigt“, sagte Platan gefasst. „Sie sind ein fester Bestandteil der Natur in dieser Gegend.“
Man vermutete, sie gehörten zu einer unterirdischen Energiequelle tief im Herzen der Spiegelhöhle. Leider war es schwer, sie vollständig zu erkunden und dem genauer auf den Grund zu gehen, weil man sich dort leicht verlief. All die Spiegelflächen führten jeden leicht in die Irre und es gab allerlei geheimnisvolle Gerüchte darüber, warum manche Menschen, die sich zu tief in die Spiegelhöhle wagten, verschwanden.
Für Platan war die Antwort offensichtlich.
Jemand oder etwas wollte nicht, dass das Chaos diesen Ort auch noch verseuchte. Absolut verständlich. Menschen mussten endlich lernen, nicht überall erwünscht zu sein. Dass sie sich nicht alles zu eigen machen und dadurch die natürliche Ordnung stören durften.
Innerlich schüttelte Platan den Kopf und rief sich selbst zur Ordnung. Nun musste er sich auf das Gespräch konzentrieren.
„Erspar uns die Moralpredigten“, stöhnte der Mann – die hellbraunen Augen hinter der Maske glühten immer noch vor Wut, wirkten aber auch müde und erschöpft. „Wen stört es schon, wenn wir ernten, was für jeden frei zugänglich in der Wildnis wächst? Nur die dämlichen Gutmenschen. Nach deiner Logik dürften wir nicht mal Beeren in der Wildnis pflücken. Merkste selber, ne?“
Ernten?
Die Kristalle?
Wozu? Was wollten sie damit? Etwa mit ihnen handeln? An ihnen forschen?
Egal, was davon zutraf, es war ... typisch Mensch. Statt Respekt vor der Natur zu zeigen, waren sie so ... so ...
Unbewusst ballte Platan die Hände zu Fäusten und öffnete bereits den Mund, um diesem Druck in seiner Brust nachzugeben, doch als jemand hinter ihm atemlos „Chef!“ rief, lenkte ihn das von diesem Gefühl ab. Kurz darauf eilten zwei Mitglieder der Kubus Garde zu ihm. Einer war der ältere Mann, mit dem Platan via Holo-Log gesprochen hatte, die andere eine stattliche Frau mit Hornbrille.
Wie lauteten ihre Namen? Spontan konnte Platan sich nicht entsinnen.
„Geht es Ihnen gut?“, erkundigte die Frau sich besorgt und legte dabei eine Hand auf seinen Rücken.
Keuchend sah der ältere Mann ihn reumütig an. „Wir hätten wissen müssen, dass Sie sich gleich alleine in den Kampf stürzen werden, statt auf einen Anruf zu warten.“
„Schon in Ordnung“, beruhigte Platan sie rasch. „Mir geht es gut. Danke, für eure Sorge.“
Über diese Unterstützung zeigte sich der eine Mann aus der Gruppe, dessen Wut weiterhin an der Oberfläche brodelte, alles andere als erfreut: „Du hast uns nur hingehalten, bis deine Leute da sind! Glaubt ja nicht, dass wir uns freiwillig ergeben! Wir haben nämlich auch noch mehr Pokémon! Wir gehen hier nicht kläglich unter, unser Zorn brennt größer!“
„Unser Zorn wird euch weitaus heftiger treffen!“, entgegnete die Frau von der Kubus Garde furchtlos. „Wir sind diejenigen, die für Ordnung sorgen!“
„Kubus Garde!“, stieß der ältere Mann aus.
„Ordnung!“, wiederholte sie darauf leidenschaftlich.
„Schnauze!“, fauchte ihr Widersacher. „Wir nehmen uns, was wir wollen! Wann wir es wollen!“
„Beruhigt euch!“, beschwor Platan alle Anwesenden. „Bitte, wir sollten-“
Reden.
Warum konnten sie nicht in Ruhe reden? Wollte Platan überhaupt wirklich reden? Offenbar konnte man mit diesen Leuten nicht reden. Wie oft hatte er genau diese Szene schon erlebt? An anderen Orten, in anderen Einsätzen. Jedes Mal glaubten die Menschen, sie könnten tun und lassen, was sie wollten. Es war frustrierend. Dabei wollte Platan nur ...
Ordnung. Frieden. Nicht noch mehr Chaos. Noch mehr Kämpfe.
Pokémon-Kämpfe lagen ihm doch eigentlich überhaupt nicht.
Was würde Flordelis tun?
Im Augenwinkel nahm er wahr, wie das zweite Maschock und die beiden Tauros sich bereit machten anzugreifen, weshalb er energisch einen Schritt nach vorne wagte. „Schluss damit!“
Glurak unterstützte seine Forderung mit einem eindrucksvollen Brüllen, das durch Mark und Bein ging. Da musste sogar der Mann schwer schlucken, der die ganze Zeit nicht aus seiner Raserei herausgekommen war.
„Keine Kämpfe mehr!“, entschied Platan und warf dabei seinen rechten Arm schwungvoll zur Seite. „Es wird auch kein einziger Kristall mehr berührt! Ihnen wird kein weiterer Kratzer zugefügt! Wenn ihr diesen Ort nicht auf der Stelle verlasst ...“
Platan durchbohrte die anderen mit seinem Blick. „... werde ich richtig ungemütlich.“
Kopfschüttelnd wichen die Menschen und auch die Pokémon unruhig zurück, verschwanden beinahe im Nebel. Der eine Mann blieb zwar felsenfest dort stehen, wo er war, wagte es aber auch in dieser Sekunde nicht etwas einzuwerfen.
„Ich will euch aber nicht einfach nur verjagen, so wie ihr es mit den armen Pokémon getan habt“, fügte Platan hinzu. „Damit erzeuge ich nur auf andere Weise Chaos. Darum biete ich euch eine zweite Chance an.“
Einen Moment holte er kaum merklich Luft, bevor er mit ruhigerer Stimme fortfuhr: „Niemand sollte der Natur schaden, aus welchem Grund auch immer. Falls ihr keine andere Möglichkeit habt, weil euch Probleme dazu zwingen, gebe ich euch eine. Ihr könnt gerne auf mich zukommen, solltet ihr Hilfe benötigen. Wir finden gemeinsam sicher einen besseren Weg, wie ihr eure Energie einsetzen könnt und regeln alles zusammen.“
Nach diesen Worten starrte der Mann ihn für eine Weile mit einem undefinierbaren Blick an. Irgendwann zog er schweigend einen Pokéball hervor und rief sein Rasaff zurück, woran seine Kollegen sich ein Beispiel nahmen und das auch bei ihren eigenen Pokémon taten. Dann brach ihr – augenscheinlicher – Anführer in Gelächter aus.
„So einen naiven Mist habe ich schon lange nicht mehr gehört. Da vergeht einem die Lust auf Stress.“ Abwehrend hob der Mann die Hände, was wohl eine Geste für Glurak sein sollte, doch er sprach weiter mit Platan. „Wir ziehen uns zurück, aber du wirst es noch bereuen, dich heute hier so aufgespielt zu haben.“
Nach dieser Ankündigung ... zogen sie sich tatsächlich zurück. Versanken im Nebel. Zurück blieben nur Splitter der Kristalle und einige Kampfspuren als Beweis dafür, was soeben hier geschehen war. Erst als Glurak entspannt die Flügel anlegte, konnten sie absolut sicher sein, dass sie die Störenfriede vertrieben hatten. Nur Chevrumm scharte mit ihrem Huf ein wenig unsicher auf dem Boden.
„Aber Chef“, wandte der alte Mann ein, womit er die eingekehrte Stille brach, „hätten wir sie nicht der Polizei melden sollen?“
„Und wollen sie denen echt helfen?“, fragte die Frau zusätzlich. „Was ist mit unserem Plan?“
Um Chevrumm zu beruhigen, tätschelte Platan ihren Rücken, während er auf die Fragen antwortete: „Bis wir unseren Plan in die Tat umsetzen können, gilt es, weiterhin für Ordnung und Frieden zu sorgen. Außerdem hat dieser Ort bereits genug gelitten. Ich wollte weitere Kämpfe vermeiden, auch für die Pokémon dieser Menschen. Sie tragen keine Schuld an dem, was ihre Trainer tun.“
Beeindruckt nickte die Frau ihm zu. „Verstehe. Ihr Herz ist wirklich mit den Pokémon und der Natur verbunden. Sie sind ein wahrer Wächter~.“
... Wächter?
„Oh.“ Platans Blick verlor sich im Nebel. „Jetzt erinnere ich mich wieder.“
„Pardon?“, hakte der alte Mann nach.
Lächelnd winkte Platan ab. „Nicht so wichtig. Bleiben wir noch eine Weile in dieser Gegend, nur um sicherzugehen. Wir sollten uns auch ansehen, wie viel Schaden sie angerichtet haben und die wilden Pokémon müssen auch beruhigt werden.“
Seine beiden Mitglieder – Clément und Louise, nun erinnerte er sich auch an ihre Namen – nickten motiviert. „Jawohl, Chef.“
Damit verteilten sie sich schon, um sich ein wenig umzusehen. Derweil wandte Platan sich an Chevrumm und Glurak, um sie zu loben. Ihre Leistungen bei dem Kampf eben war hervorragend. Chevrumm hatte sogar ohne viele Anweisungen gehandelt. Auf seine Pokémon konnte er sich wirklich immer verlassen.
Neugierig lugte Dedennes Kopf aus der Manteltasche hervor und sie sah sich ein wenig um, bevor sie Platan fragend ansah, der darauf schmunzelnd sagte: „Oh, du hast nicht viel verpasst. Nur ein paar Menschen, die vom Weg abgekommen sind.“
Nach diesen Worten entglitt ihm ein schwerer Seufzer.
Vom Weg abgekommen. Wie so viele andere.
War es wirklich so naiv, daran zu glauben, man könnte ihnen doch noch helfen? Ja, sicher war es das. Schließlich hatte er schon oft genug erlebt, dass sich manche Menschen nicht änderten. Ein Teil von Platan wollte dennoch hoffen, während der andere große Zweifel hatte. Zweifel, die nicht mehr im Keim erstickt werden konnten und deswegen ...
Wenigstens konnte heute wieder ein weiteres Chaos verhindert werden und die wilden Pokémon kehrten sicher bald in ihr Zuhause zurück, sobald sie bemerkten, dass ihnen hier keine Gefahr mehr drohte.
Nur darauf kam es an, zumindest in diesem Moment. Und so lichtete sich der Nebel im Laufe des Morgens allmählich.
Notes:
Ein weiteres Kapitel, das ich zusätzlich zum RPG-Inhalt geschrieben habe, um Ereignisse ausführlich zu zeigen, die sonst nur nebensächlich angemerkt worden wären. Und für mehr Kubus Garde! ... Auch wenn Clément und Louise am Ende nicht viel Screentime hatten. :'D
Nur dank einer Anmerkung von meiner Verlobten (Dantalona) haben sie überhaupt Namen bekommen. ^^;
Chapter 6: Kapitel 5: Ist das nicht schicksalhaft?
Chapter Text
Gegenwärtig hätte Flordelis gerne die ganze Welt verflucht – dabei galt sein Zorn gar nicht dem Rest der Menschheit, sondern nur dieser einen Firma. Sie allein machte ihm sein Leben momentan schwer genug und war obendrein auch noch kurz davor, ihm das Wochenende zu ruinieren, vor allem seinen Sonntag, den er eigentlich wieder in Ruhe mit Platan verbringen wollte.
Tatsächlich hatte Flordelis kurz überlegt, ihm für diese Woche abzusagen. Genauer gesagt letzte Nacht, als er nach viel zu vielen Sondermeetings und einer spontanen Pressekonferenz nur noch erschöpft und müde ins Bett gefallen war. Gerade nach all diesem Stress, dieser Enthüllung in Bezug auf die Firma, hatte er allerdings den Eindruck, einen Tag mit Platan besonders zu brauchen. Mehr als sonst.
Deswegen sagte Flordelis nicht ab, saß jedoch am Sonntag mit seinem Laptop auf dem Sofa im Wohnzimmer und wartete auf Platans Ankunft, während er einige der heutigen Berichte über den Zwischenfall überflog, vertröstende Mails rausschickte und auch solche, in denen er versicherte, dass es zu einer vollumfänglichen Untersuchung und Konsequenzen käme. Nebenbei überprüfte er die eigenen Umsätze, um festzustellen, ob es angebracht wäre, diesen schmutzigen Gewinn zu spenden, weswegen er auch schon eine Anfrage an die entsprechende Stelle geschickt hatte, die nach einem geeigneten guten Zweck recherchieren sollte.
Und das alles nur aufgrund der Gier und Verschlagenheit dieser einen Zulieferfirma und seiner eigenen Unachtsamkeit, weil er es jemand anderem überlassen hatte. Noch einmal würde ihm das garantiert nicht passieren.
Derart aufgewühlt und in Arbeit vertieft, vergaß Flordelis an diesem Morgen deswegen sogar einmal das Frühstücken und hungerte nun vielmehr nach dem erlösenden Türklingeln, sehnte sich nach Platan. Nur er könnte Flordelis nun helfen, diese Sorgen für eine Weile zu vergessen.
Als das Klingeln irgendwann endlich ertönte – und Kramshef darauf wie gewohnt auffordernd auf seiner Stange krächzte –, unterbrach er sofort die aktuelle Mail und klappte den Laptop zu. Anschließend stellte er diesen auf dem Wohnzimmertisch ab, wo auch bereits mehrere Zeitungen und Zeitschriften, in denen ausführlich über den Vertrauensverlust berichtet wurde, lagen, und stand auf. Mit festen Schritten eilte er zur Tür, diesmal ohne Pyroleo, der sein Bett vorzog, wann immer Flordelis derart aufgewühlt war. Auch Wie-Shu blieb sehr zurückhaltend.
Bevor er öffnete, kam Flordelis in den Sinn, dass es auch einfach ein weiterer übereifriger Reporter sein könnte. Trotz des beklemmenden Gefühls wagte er es nachzusehen, bei wem es sich um diesen Besucher handelte, und die Anspannung schwand sofort, als er Platan vor sich stehen sah. Zusammen mit Dedenne, die heute auf seiner Schulter saß und leise vor sich hin quietschte.
Bei dem Anblick seines Freundes atmete Flordelis ein wenig auf und rang sich sogar zu einem Lächeln durch. „Platan, Dedenne. Kommt herein.“
Erst war Platan sichtlich besorgt gewesen, erwiderte das Lächeln aber schnell beruhigend. „Bonjour, mein Lieber.“
Unsicher neigte Dedenne den Kopf und machte sich ein wenig kleiner. Sicher konnte sie spüren, wie gestresst Flordelis sein musste und wusste nicht so recht wie sie damit umgehen sollte. Schließlich lebte sie noch nicht so lange unter Menschen – und Platan plante vermutlich immer noch, sie eines Tages zurück in die Wildnis zu bringen, demnach war dieses Misstrauen gesünder für sie. Dennoch tat es Flordelis leid.
Platan zog den Mantel aus – Dedenne bewegte sich dafür passend mit –, kaum dass er das Haus betreten hatte, und hing ihn an die Garderobe, bevor er sich wieder Flordelis zuwandte. „Ich muss wohl nicht fragen, wie es dir geht.“
Derweil hatte Flordelis die Tür geschlossen und seufzte nun leise, wobei er Platan ansah. „Ich dachte mir, dass du es schon gehört hast. Es geht seit ein paar Tagen ja durch die gesamte Presse.“
Deswegen hätte Flordelis eigentlich gern schon früher ein Statement dazu abgegeben, aber natürlich hatten sie alles erst gestern besprechen müssen, damit jede Aussage auch absolut sicher war und nicht auf sie zurückfallen konnte.
„Ich fasse es immer noch nicht, dass dieser Zulieferer uns angelogen hat“, brummte er unzufrieden. „Er sagte, er arbeite mit alternativen Rohstoffen – und hat im Endeffekt doch nur Raubbau betrieben und das unter unmenschlichen Umständen für die Arbeiter, ob Menschen oder Pokémon.“
Und das im großen Stil. Letztendlich waren diese Tatsachen nur ans Licht gekommen, weil ein Investigativ-Journalist sich unter die Arbeiter gemischt hatte. Immerhin war es herausgekommen, so dass Flordelis einen Schlussstrich darunter ziehen konnte.
„Unverzeihlich“, fügte er verstimmt hinzu.
Mitfühlend nickte Platan ihm zu. Bildete Flordelis sich das ein oder spannte sich sogar sein Körper ein wenig an? War er auch wütend? Plötzlich griff Platan nach seinen Händen und drückte sie sanft, womit er Flordelis von dieser Frage ablenkte. Alleine diese Berührung half ihm schon dabei, sich ein wenig zu beruhigen. Zu wissen, sich zumindest den Großteil des Tages nicht mehr um dieses Problem kümmern zu müssen, dank Platans Anwesenheit, entspannte ihn wirklich sehr.
Fragend sah Platan ihn an. „Kann ich irgendetwas tun, um dich zu unterstützen?“
„Du hilfst mir schon damit, dass du jetzt hier bist“, sagte Flordelis aufrichtig. „Ich brauche dringend ein wenig Ablenkung von alldem.“
Dafür war niemand besser geeignet als Platan. Ihm gelang das mit Sicherheit am besten.
„Ablenkung, hm?“ Charmant lächelnd lehnte er sich nach vorne, näher zu Flordelis. „An welche Art von Ablenkung hast du denn so gedacht, mein Lieber?“
Dedenne kletterte auf seine andere Schulter und sah den Befragten ebenfalls gespannt an.
Einerseits verspürte Flordelis den Impuls, sich zurückzulehnen, um Platan ein wenig auszuweichen, und andererseits wollte er ihm noch ein Stück entgegen kommen, ihm näher sein. Im Endeffekt blieb er aber einfach nur stehen, auf der Suche nach Worten. Woran er gedacht hatte? Eigentlich an gar nichts, denn Platans Anwesenheit genügte ihm wirklich schon vollkommen.
Gleichzeitig war da aber auch diese leise Stimme, die ihn ein weiteres Mal dazu antreiben wollte, seinen Freund zu küssen – das wäre bestimmt jede Menge Ablenkung, auch wenn Platan ihn abweisen würde.
Darum tat er das auch nicht.
„Ich hatte gehofft, du würdest dir die Zeit nehmen, mir Geschichten zu erzählen“, bat Flordelis ihn schließlich. „Das wäre eine großartige Ablenkung.“
Von dieser Bitte war Dedenne schon mal begeistert, denn sie klatschte in ihre Pfoten und nickte zustimmend. Kurzzeitig glaubte Flordelis, Enttäuschung in Platans Augen flackern zu sehen. Eine weitere Einbildung? Oder war das gar nur eine Spiegelung seiner eigenen Enttäuschung über seinen fehlenden Mut?
Leider konnte er das nicht genauer ergründen, denn Platan schloss die Augen und lehnte sich wieder zurück. „Geschichten also. Da sprichst du genau mit der richtigen Person. Dein Wunsch sei mir Befehl~.“
Mit diesen Worten ließ er eine Hand von Flordelis los und zog ihn an der anderen langsam Richtung Wohnzimmer, den Blick nun nach vorne gerichtet. „Hast du einen speziellen Wunsch oder soll ich dich überraschen?“
„Überrasch mich, bitte“, antwortete Flordelis und folgte ihm.
Im Wohnzimmer angekommen entschuldigte er sich für das Chaos, das auf dem Tisch herrschte, und löste sich von Platan, um die Zeitungen und den Laptop erst einmal auf den Sessel zu verbannen. Wenigstens hatte er im Vorfeld daran gedacht, Kaffee zu kochen und auch diesmal Illumina-Galetten für Dedenne bereit zu stellen.
Einen Moment beobachtete Platan ihn schweigend, wie Flordelis bemerkte, bis sein Gast Pyroleo und Kramshef grüßte, indem er lächelnd die Hand hob. Danach nahm Platan auf dem Sofa Platz, wie schon beim letzten Mal. Sofort reichte er Dedenne eine Illumina-Galette, die sie mit einem dankbaren Quietschen annahm. Genüsslich fing sie an daran zu knabbern. Wenigstens für sie war somit die Welt vollkommen in Ordnung.
„Ah, ich könnte dir als Einstieg vom Herrscher des Nebels erzählen“, schlug Platan dann vor. „Diese Sage ist mir diese Woche Mittwoch wieder in den Sinn gekommen, als es am Morgen so nebelig war.“
Während Flordelis Platan zuhörte, setzte er sich neben ihn und schenkte ihm Kaffee ein.
„Eine ältere Dame hat sie mal an mich weitergegeben, in einem Café in Fractalia City“, sprach Platan weiter. „Es tat ihr so leid, dass ich kaum einen anständigen Satz bilden konnte, weil die Kälte mein Sprachzentrum ruiniert hat. Also hat sie mir zur Ablenkung diese Geschichte erzählt. Das war ziemlich nett von ihr. Nun kann ich dich damit ablenken.“
Ein Ausdruck der Faszination begann in Platans Augen zu schimmern. „Ist das nicht schicksalhaft?“
Darauf reagierte Flordelis mit einem leichten Lächeln. „Klingt wirklich schicksalhaft. Erzähl mir bitte davon.“
Herrscher des Nebels sagte ihm auf Anhieb überhaupt nichts, deswegen war er allein vom Titel her schon neugierig. Und dass Platan sie erzählen würde, wäre das Tüpfelchen auf dem i.
Erst einmal schenkte Flordelis sich aber auch selbst noch einmal neuen Kaffee ein, da seine Tasse tatsächlich wieder leer gewesen war. Beim Schreiben der Mails war eine beruhigende Note nötig gewesen, daher war die Kanne schon zum Teil geleert.
„Fein, fein~.“ Zufrieden nahm Platan seine Tasse an sich, bedankte sich bei Flordelis und nahm einen Schluck. „Hervorragend. Ein perfekter Start für eine Geschichte.“
Damit fing Platan ohne Umschweife an zu erzählen: „Bei dem Herrscher des Nebels soll es sich um ein Mysteriöses Pokémon handeln, das einst im Südosten von Kalos lebte, tief versteckt in den Bergen. Nahe des Irrwaldes.“
Erneut schloss Platan die Augen und diesmal wirkte es so, als könnte er das besagte Pokémon bildlich vor sich sehen. „Ein großes Pokémon, welches sich auf vier Beinen fortbewegt. Bei jedem seiner schweren Schritte soll der Boden aus Ehrfurcht gezittert haben. Es hatte einen massiven Körper und einen reptilienartigen Kopf mit einem breiten, kräftigen Kiefer, mit dem es alles und jeden zerbeißen konnte. Das auffälligste Merkmal waren zwei dicke Arme, die wie Schläuche aus seinem Rücken herausragten und die es meistens zu einem Ring formte.“
Als er die Augen wieder öffnete, konzentrierte er sich auf Flordelis und erzählte lebhaft weiter: „Wusstest du, dass es im Irrwald ein Pokémon-Dorf gibt? Es ist sehr schwer zu finden, weil der Weg dorthin streckenweise verworren wie ein Labyrinth ist. Ich habe mich selbst schon mal hoffnungslos dort verlaufen.“
Bei der Erinnerung schüttelte er schmunzelnd den Kopf. „Als wolle die Natur dort seine Bewohner bewusst vor Eindringlingen schützen. Vor vielen, vielen Jahren soll es einigen Menschen dennoch gelungen sein, bis zum Dorf vorzudringen, mit der Hilfe einer jungen Frau, die als einzige den Weg durch den Irrwald kannte. Sie bemerkte nicht, dass sie verfolgt wurde, als sie wie üblich nach den Pokémon sehen und ihnen einige Gaben bringen wollte.“
Nach diesen Worten hielt Platan inne und runzelte ernst die Stirn. „Die Menschen, die ihr gefolgt waren, glaubten, dort wertvolle Schätze oder zumindest Materialien finden zu können. Warum sonst sollte das Dorf so schwer zu finden sein, so dachten sie. Also beanspruchten sie dieses Gebiet für sich, nachdem es ihnen gelungen war, die Frau spielend leicht in einem Kampf zu besiegen. Diese Leute hatten nämlich drei legendäre Vogel-Pokémon in ihrer Gewalt und gegen so viel Macht konnte ihr eigenes Pokémon-Team nichts ausrichten.“
Weiter erzählte Platan, wie die Frau gefangengenommen wurde, als Führerin durch den Irrwald, und dass sie gezwungen wurde zu tun, was die Verfolger wollten, indem sie damit drohten, sonst den Pokémon im Dorf etwas anzutun. Nach und nach schafften die gierigen Menschen schwere Maschinen sowie andere Hilfsmittel in den Wald, mit denen sie nach den heiß begehrten Schätzen und Materialien suchen wollten. Allerdings verursachten sie damit eine Menge Lärm, der seinen Weg bis in die Berge fand. Genau wie die Hilfeschreie der Pokémon. Dadurch wurde der Herrscher des Nebels aus seinem Schlaf geweckt.
„Er stieg zu ihnen hinab und stellte sich den Eindringlingen, doch die zeigten sich furchtlos, da sie die Macht der drei Legendären Vögel auf ihrer Seite wussten.“ Schwungvoll streckte Platan einen Arm aus, seine Augen spiegelten regelrecht wider, wie sehr er in die Geschichte vertieft war. „Allerdings hatten sie nicht damit gerechnet, dass dieses Mysteriöse Pokémon sowohl das Feuer als auch das Wasser beherrschte! Ja, das stimmt wirklich. Zwei gegensätzliche Typen, in Harmonie vereint in einem Pokémon, das noch dazu über unglaublich viel Stärke verfügte. Sie soll sogar ausreichen, um Berge zu versetzen. Tatsächlich heißt es, dass es die Berge neben dem Irrwald selbst dorthin verschoben habe, weil es in der Nähe der Pokémon sein wollte, die im Dorf lebten. Jene Berge, die damals als Nebelgebirge bekannt waren.“
Der Herrscher war, so fuhr Platan fort, dank seiner Typenkombination dazu in der Lage Wasserdampf zu erzeugen, der sich wie Nebel in einem Gebiet ausbreiten konnte. Normalerweise nutzte er diese Fähigkeit nur, weil er sich verstecken wollte. Hin und wieder nutzte er sie aber auch, wenn Menschen oder Pokémon anderen Schaden zuzufügen drohten. Und da das gesamte Dorf unter den Eindringlingen litt, machte das Mysteriöse Pokémon kurzen Prozess mit seinen Feinden, besiegte die Legendären Vögel und verjagte die Feinde erfolgreich.
„Da die junge Frau sich so tapfer für das Pokémon-Dorf eingesetzt hatte, ernannte der Herrscher sie zur Wächterin und vertraute ihr somit die Aufgabe an, weiterhin auf alle aufzupassen, denn er selbst konnte nicht bleiben.“ Nachdenklich legte Platan eine Hand an sein Kinn. „Niemand weiß den genauen Grund dafür. Obwohl der Herrscher in der Nähe der Pokémon aus dem Dorf sein wollte, zog er sich doch in die Berge zurück, wo er sich alleine im Nebel versteckte, bei dem es sich in Wahrheit um seinen Wasserdampf handelte.“
Soweit Flordelis wusste, lag heutzutage kein Nebel mehr über diesen Bergen, also hatte es den Herrscher entweder niemals gegeben oder er war inzwischen fort.
„Jedenfalls wurde das Pokémon-Dorf seitdem nie wieder von Eindringlingen belästigt“, verkündete Platan erfreut. „Denn die auserwählte Wächterin nahm ihre Rolle sehr ernst und trainierte äußerst hart, weil sie zukünftig jeden Feind selbst in die Flucht schlagen wollte, bevor er überhaupt Schaden anrichten könnte. Leider sah sie den Herrscher des Nebels aber niemals wieder, weshalb sie selbst einen Nachfolger für sich bestimmen musste. Inzwischen soll es schon sehr viele auserwählte Menschen gegeben haben, die über das Pokémon-Dorf wachen.“
Der Geschichte wohnte einiges an Tragik inne und beinhaltete bedauerlicherweise auch abermals Menschen, die Ressourcen ausbeuteten, wie Flordelis feststellen musste. Zum Glück hatten sie am Ende aber ihre Strafe erhalten und konnten vertrieben werden. Das stimmte ihn zufrieden, was auch an dem sanften Lächeln auf seinem Gesicht deutlich wurde.
Am Ende lehnte Platan sich näher zu Flordelis und flüsterte ihm geheimnisvoll zu: „Aktuell ist übrigens der Arenaleiter von Fractalia City der Wächter, habe ich gehört~.“
Überrascht weiteten sich Flordelis' Augen. „Oh, wirklich?“
Nun, wer wusste schon, ob es überhaupt der Wahrheit entsprach? Selbst Platan sagte, er hätte dieses Pokémon-Dorf nie gefunden.
Daher ging Flordelis lieber dazu über, ein reelleres Thema anzusprechen: „Danke für diese Geschichte, Platan. Ich fühle mich schon viel besser.“
Ihm zuhören zu dürfen und zu erleben, wie Platan beim Erzählen aufblühte, war schon sehr entspannend gewesen.
„Schon?“, merkte der Erzähler verwundert an.
Behutsam tippte er Flordelis gegen die Brust. „Das war doch erst zum Aufwärmen. Ich bin noch lange nicht fertig, mein Lieber. Ehrlich gesagt war mir nur danach, vom Herrscher des Nebels zu erzählen, nachdem ich mich an ihn erinnert habe. Du benötigst aber noch viel mehr Ablenkung. Deshalb bekommst du jetzt direkt die nächste Geschichte. Diesmal etwas Schönes, ohne dunkle Schatten. Eine Romanze wäre doch ganz nett, oder?“
In Flordelis' Augen glühte ein zaghafter Funke der Aufregung auf, obwohl er sich nicht zu viel darin hineinsteigern sollte. Romanzen waren einfach Geschichten, die zu Platans Vorlieben gehörten. Das war kein Signal, egal wie sehr er sich eines wünschte. ... Moment, wünschte?
Nein, das musste er sofort im Keim ersticken. Sie hatten beide ohnehin keine Zeit für so etwas, also …
„Eine Romanze hört sich gut an“, bestätigte Flordelis, ruhig und gefasst.
„Fein, fein~. Dann sollst du eine bekommen.“
Ganz natürlich lehnte Platan sich bei ihm an – Flordelis widerstand der Versuchung, einen Arm um ihn zu legen – und begann direkt erneut zu erzählen, um ihn von den Problemen abzulenken, die er aktuell zu bewältigen hatte. Probleme, die in weite Ferne rückten. Er genoss einfach die Wärme, die ihm neue Stärke zu verleihen schien. Genau wie die melodische, klare Stimme, mit der Platan ihm eine weitere Geschichte erzählte. Noch leidenschaftlicher als zuvor, wodurch er die Gefühle lebendig werden ließ und auf Flordelis übertrug.
Es blieb nicht nur bei einer Geschichte, sondern es folgten noch einige mehr. Kleinere. Größere. Oft über Liebe, aber auch über Freundschaft oder einfach nur von traumhaften Bildern, gemalt mit Worten. Irgendwann schloss Flordelis die Augen, um sich noch intensiver auf Platans Nähe, seinen Duft und seine Stimme konzentrieren zu können.
Diese Kombination ... ließ ihn fast wahnsinnig werden. Die Flammen in seinem Inneren wüteten so sehr, dass es selbst für ihn schwer war, sie noch einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
„Und so endet auch diese Geschichte mit einem Happy End“, beendete Platan ein weiteres Mal eine Erzählung.
Lautlos seufzend öffnete Flordelis seine Augen wieder. „Die Happy Ends gefallen mir wirklich am besten. Obwohl es auch immer bedeutet, dass du nicht weitererzählst.“
Da er so vertieft darin gewesen war zuzuhören, konnte er nicht einschätzen wie viel Zeit vergangen war und hatte sogar vergessen den Kaffee zu trinken. Inzwischen stand seine Tasse neben der von Platan auf dem Tisch, beide Getränke mussten längst kalt geworden sein. Dedenne war schon eine Weile mit dem Essen fertig und hatte sich auf der Lehne des Sofas zusammengerollt, für ein Mittagsschläfchen.
Vorsichtig hob Platan den Kopf ein wenig und lächelte sanft. „Soll ich einfach noch eine Geschichte erzählen?“
Als Platan ihm in die Augen sah, bemerkte Flordelis, wie sich etwas an seinem Blick spürbar veränderte. Für diesen Moment fühlte er sich seinem Freund so unsagbar nah, dass es ihm diesmal wie die richtige Konsequenz schien, ihn wirklich einfach zu küssen. Etwas in Flordelis war sogar davon überzeugt, sich nicht vor einer Abweisung fürchten zu müssen. Nicht solange Platan ihn so ansah, mit diesen grauen Augen, die gerade wunderschön hell und einladend wirkten.
Aber er tat es nicht.
Zum wiederholten Mal rief Flordelis sich selbst zur Ordnung, auch wenn es gerade heute besonders schwer für ihn war. Bestimmt lag das an seiner aufgestauten Frustration und der Verwirrung, die er mit Platan immer wieder durchleben musste.
Plötzlich gab Kramshef einen fordernden Laut von sich, der Flordelis völlig aus der Atmosphäre riss. Er räusperte sich rasch und warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich habe vollkommen die Zeit vergessen. Aber ich muss mich um die Pokémon und das Mittagessen kümmern.“
Und dieser Situation entfliehen, bevor er einen folgenschweren Fehler beging.
Seine Worte führten dazu, dass Platan sich von ihm löste, um sich anständig hinzusetzen, begleitet von einem verstehenden Nicken.
„Natürlich, dafür wird es höchste Zeit.“ Platan sah ihn fragend an. „Kann ich dir helfen? Zusammen geht es sicher schneller.“
Ohne seine Wärme fröstelte Flordelis tatsächlich kurz, aber er schüttelte dieses Gefühl sofort ab und stand auf. Dann sah er Platan an und reichte ihm eine Hand, um ihm auch aufzuhelfen. „Das wäre wirklich reizend von dir. Könntest du die Pokémon füttern? ... Nach deinem Geständnis letzte Woche glaube ich nicht, dass ich dir das Kochen anvertrauen sollte.“
Auch wenn es hauptsächlich darum ging, etwas aufzuwärmen, was seine Haushälterin, Madame Perrine, ihm für das Wochenende vorbereitete.
Ohne zu zögern nahm Platan Flordelis' Hand und ließ sich von ihm aufhelfen, während er motiviert zustimmte. „Ich kümmere mich sehr gerne um die Pokémon. Darin bin ich gut~.“
***
Mit Platans Hilfe gelang es ihm, zeitnah die Pokémon zu versorgen und die Speisen ausreichend aufzuwärmen, damit sie beide etwas zu sich nehmen könnten. Erst während des Essens bemerkte Flordelis dann, wie sehr sein Körper mittlerweile darüber geklagt hatte, dass auf das Frühstück verzichtet worden war. Dabei war er sonst stets derjenige, der Platan normalerweise darauf hinwies, wie wichtig es war, regelmäßig zu essen und keine Mahlzeiten auszulassen. Wie beschämend.
„Gerade nach heute ist es für mich verwunderlich, dass du so viele Mahlzeiten vergessen kannst“, merkte Flordelis an, während sie noch gemeinsam am Esstisch in der Küche saßen und aßen. „Ich bereue schon, das Frühstück einfach vergessen zu haben.“
Seine Bemerkung sorgte dafür, dass Platan beim Essen innehielt und nachdenklich den Kopf neigte. „Nun, solange ich guten Kaffee habe, genügt mir das einfach in der Regel schon. Vielleicht lenke ich mich aber auch selbst zu sehr ab, wenn ich eigentlich essen sollte. In den Cafés neige ich ja jedes Mal dazu mich mit jemandem zu unterhalten oder etwas zu erzählen. Meistens bleibt dann keine Zeit mehr noch zu essen.“
Besorgt musterte er Flordelis. „Ich bin das gewohnt, aber du nicht. Du darfst das Frühstück morgen auf keinen Fall vergessen, ja? Ich werde dich anrufen und fragen, ob du gegessen hast.“
Wenn Platan sich auch nur mal solche Sorgen um seine eigenen Essgewohnheiten machen würde.
Dennoch lächelte Flordelis ihm dankbar zu. „Das wäre wirklich nett von dir. Aber bereite dich darauf vor, dass ich diese Frage zurückgeben werde.“
Immerhin müsste Platan auch essen, selbst wenn er der Meinung war, dass er das schon gewohnt war und es aus diesem Grund offenbar nicht allzu eng sah, nichts zu essen.
„Oh.“ Platan lachte leise. „Damit hätte ich rechnen sollen. In Ordnung, ich bemühe mich morgen früh auch darum, etwas zu essen.“
Plötzlich musste ihm etwas eingefallen sein, denn Platan ließ das Besteck sinken und lehnte sich aufgeregt ein wenig vor. „Wo wir gerade von Essen sprechen: Es gibt in Illumina City eine Eisdiele, in die ich dich gerne als nächstes entführen möchte. Dort gibt es etwas, das ich mit dir zusammen austesten will~. Würdest du mich begleiten?“
Eine Eisdiele? Hoffentlich nicht nur für den Kaffee dort, etwas Eis könnte Platans Körper nämlich auch gut vertragen.
„Sicher“, stimmte Flordelis deswegen zu, ohne darüber nachzudenken. „Sag mir einfach nur wann und wo. Ich nehme mir dann die Zeit dafür.“
Für Platan, besonders wenn es um Kalorien für diesen ging, würde er das auch schaffen. Also kam es eher darauf an, dass der Professor und Anführer der Kubus Garde zwischen all der Arbeit auch Zeit fand.
Platans Augen glitzerten erfreut. „Wundervoll! Wir können uns das vielleicht mal unter der Woche vornehmen, in der Pause. Als kleinen Lichtblick zwischendurch.“
Als er sich wieder zurücklehnte, griff er nach seiner Kaffeetasse und nahm einen Schluck, ehe er zufrieden seufzte. „Das wird sicher eine wertvolle neue Erfahrung, die ich niemals vergesse.“
„Platan.“ Nun war eine gute Gelegenheit, etwas zu fragen, was Flordelis schon eine Weile interessierte. „Gehst du mit deinen anderen Freunden nie in Cafés oder Eisdielen?“
Oder ging es ihm bei seiner Aussage darum, dass es eine neue Erfahrung mit Flordelis wäre? Egal, es interessierte ihn nun einmal wirklich schon länger, ob und wie viele andere Freunde er hatte. Entsprechend aufmerksam sah er Platan an.
Dieser senkte den Blick und starrte in seinen Kaffee. Für einen flüchtigen Augenblick wirkte er beinahe seltsam verloren.
„Nein, tue ich nicht“, antwortete Platan – und er klang dabei sehr ehrlich. „Es gibt ein paar Bekannte, die ich regelmäßig in meinem Stamm-Café treffe, weil sie zufällig zu denselben Zeiten dort sind wie ich, aber das zählt wohl nicht. Seit der Gründung der Kubus Garde habe ich ohnehin kaum noch Zeit. Und die wenige Zeit, die ich habe, will ich nur mit dir verbringen.“
Also hatte er keine anderen Freunde. Platan war ein schlechter Lügner, demnach musste es die Wahrheit sein.
Die Antwort nahm Flordelis auf jeden Fall einen Teil der Sorgen, die er sich bislang immer gemacht hatte. Dabei müsste er sich doch gerade an dieser Stelle erst recht Sorgen machen, oder? Jemand wie Platan, ein so offenherziger und kommunikativer Mann, bräuchte doch noch andere Freunde, oder?
Dennoch konnte Flordelis nicht anders, als ein wenig zu lächeln. „Ich verstehe. Tut mir leid, dass ich dir so seltsame Fragen stelle, ich war nur sehr ... neugierig.“
Als Platan den Blick wieder hob, sah er ihn sehnsüchtig an. Dieser Ausdruck verunsicherte Flordelis ein wenig.
Nun wusste er zwar, dass Platan keine anderen Freunde hatte, aber vielleicht waren all die Signale, die er aussandte, auch nur ein Ausdruck seiner Einsamkeit. Möglicherweise wollte Platan ihm keine versteckte Liebeserklärung geben, sondern nur zeigen, wie verzweifelt er war.
Gerade in dieser Situation sollte er sich zügeln, um Platan nicht auch noch seinen einzigen Freund zu nehmen, nur weil der zu sehr von sich überzeugt war.
Etwas in Platans Augen flackerte kurz, dann brach es aus ihm heraus: „Flordelis, du darfst immer neugierig sein und mich alles fragen, was du willst. Ich ...“
Diese Aktion ließ Flordelis' Herz schneller schlagen, obwohl er sich weiter zu beruhigen versuchte, dass er sich nicht zu viel dabei denken durfte.
„Ich muss kurz ins Bad“, murmelte Platan seinen Satz zu Ende – und stellte seine Tasse ab, um direkt aufzustehen.
Platan lenkte ab. Es war deutlich, dass er ablenkte, aber Flordelis widersprach ihm nicht. Was immer er sagen wollte, es schien ihm schwerzufallen und Flordelis wollte ihn sicher nicht bedrängen.
Dedenne, die ihren eigenen kleinen Teller auf dem Tisch stehen hatte und die ganze Zeit daneben gesessen hatte, sah Platan verwundert an.
„Lauf nicht weg. Ich bin gleich wieder da“, versicherte er ihr.
„Mach dir keine Sorgen“, beruhigte auch Flordelis Dedenne, nachdem er Platan kurz zugenickt hatte. „Ich bin ja noch da.“
„Und ich bin nicht lange weg“, versprach Platan ihr zusätzlich. „Sei schön artig.“
Quietschend neigte sie den Kopf, während er schnellen Schrittes Richtung Bad verschwand, begleitet von dem leisen Klimpern durch die Schlüssel von Clavion, der immerzu an Platans Gürtel hing. Mit seinem Blick folgte Flordelis ihm, bis er nicht mehr zu sehen war, und lenkte sich selbst ab, indem er anschließend einen Schluck Kaffee trank.
Trotz einiger deutlicher Signale an diesem Tag, blieb er lieber weiter vorsichtig.
Allmählich musste Flordelis sich aber ernsthaft fragen, wie lange er noch die Contenance wahren könnte, die er sich sein Leben lang antrainiert hatte. Schon von klein auf. Je mehr Zeit er mit Platan verbrachte, desto reizvoller erschien es ihm allerdings, dieser Verwirrung nachzugeben und es zu wagen, einen Fehler zu begehen.
Wann auch immer seine Contenance brechen mochte, die gewünschte Ablenkung hatte er heute auf jeden Fall bekommen. Genau wie eine Antwort auf die Frage, was Platans Freundeskreis anging.
***
Auf dem Weg ins Bad presste Platan eine Hand auf seine Brust, in der sein Herz sich vor Sehnsucht immer noch viel zu kräftig überschlug. Konnte er dieses Gefühl einfach zulassen? Oder sollte er weiter so tun, als wüsste er nicht, was es bedeutete? Oder als hätte er es vergessen? War das überhaupt möglich?
Aber selbst wenn er es zuließe …
Im Bad schloss er hastig die Tür hinter sich, wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht und nahm sich einen Moment Zeit, sich zu sammeln. Dieser Tag war … er selbst war viel zu vereinnahmt von seinen Gefühlen. Wie sollte er sich auch zurückhalten, wenn Flordelis so … so …
Warum war er wohl so neugierig gewesen und hatte nach irgendwelchen Freunden gefragt?
Menschen kann man nicht trauen.
Flordelis schon. Flordelis konnte er vertrauen, denn er war ein guter Mensch. Er wollte die Welt verbessern. Ordnung schaffen. Sein Herz war aufrichtig und wunderschön. Darum war dieses Chaos in seinem Wohnzimmer nur entstanden, weil andere Menschen ihn angelogen und ausgenutzt hatten. Daher störte Platan sich nicht daran, da er wusste, wie viel Ordnung normalerweise hier herrschte. Sein Bild von Flordelis könnte nicht so leicht getrübt werden. Niemals.
Alles an ihm war … wundervoll. Zum Beispiel seine Augen.
Dieses Hellblau. Es war so schön. Trotz der kühlen Farbe wirkte es sanft und warm. Viel zu rein, um von dieser Welt sein zu können. Statt Flordelis Geschichten vorzutragen, hätte er ihm lieber davon erzählt, was für eine anziehende Wirkung seine Augen auf ihn besaßen.
Nur bei Flordelis fühlte er sich wirklich frei und wohl – so sehr, Platan hätte eben in der Küche beinahe tatsächlich zu viel gesagt.
Flordelis …
Leise seufzte er in das Handtuch hinein.
„... Ich liebe dich, Flordelis“, nuschelte er unverständlich.
Als er das Handtuch sinken ließ, betrachtete er sein ernstes Gesicht im Badezimmerspiegel. Er musste sich noch viel mehr bemühen. Für Flordelis – und die Pokémon. Für sie alle musste er härter arbeiten, um die Welt in Ordnung zu bringen.
Zusammen mit der Kubus Garde.
Entschlossen nickte Platan sich selbst zu.
Eine Weile später verließ er das Bad wieder und kehrte zu Flordelis zurück. Der Sonntag war noch lange nicht vorbei, also wollte er die Zeit mit ihm ausgiebig genießen und sich weiterhin bemühen ihn von seinen Sorgen abzulenken.
Mit geschäftlichen Angelegenheiten könnte Platan ihm zu seinem Bedauern leider nicht helfen, so etwas überließ er selbst überwiegend seinen Assistenten, weil er sich damit nicht gut genug auskannte. Und auch nicht wollte. Ihm gelang es einfach nicht sich lange genug darauf zu konzentrieren.
Auf Flordelis dagegen … könnte er sich immer konzentrieren.
Chapter 7: Kapitel 6: Ich habe dich
Notes:
Genießt die Romantik hier nochmal richtig, bevor es ab dem nächsten Kapitel ziemlich ernst wird. ;<
(See the end of the chapter for more notes.)
Chapter Text
Flordelis hatte die letzten Tage damit verbracht, das PR-Desaster für sein Labor abzuwenden, sämtliche Bande zu diesem schurkischen Betrieb zu kappen, möglichst werbewirksam an eine wohltätige Organisation zu spenden, und dann noch eine neue Zulieferfirma zu suchen. Bislang ohne den gewünschten Erfolg, wovon er sich gewiss nicht entmutigen ließ. Niemals könnte er es mit seinem Gewissen vereinbaren, bei diesem anderen Lieferanten zu bleiben, also nahm er lieber den Stillstand bei einigen Projekten in Kauf, während die Suche lief.
Am Donnerstag, als er dringend wieder eine Ablenkung von dem ganzen Stress gebrauchen könnte, bekam er zur Mittagszeit überaus passend einen Anruf von Platan, der Zeit gefunden hatte, mit ihm in die erwähnte Eisdiele zu gehen. Daher fand sich Flordelis schon kurz darauf vor eben dieser ein, erneut mit der Frage beschäftigt, was genau Platan hier unbedingt mit ihm probieren wollte.
Nachdem Flordelis aus seinem Wagen gestiegen war – seinem Fahrer hatte er großzügig Trinkgeld gegeben, damit dieser sich in der nächsten Stunde auch irgendwo eine Kleinigkeit gönnen könnte –, entdeckte er sofort Platan, der bereits vor dem Gebäude auf ihn wartete. Gerade unterhielt er sich via Holo-Log aber noch mit jemanden. Mit einem Mitglied der Kubus Garde, falls Flordelis das richtig erkannte.
Kaum bemerkte Platan, dass seine Verabredung angekommen war, verabschiedete er sich direkt knapp und beendete das Gespräch, um seine ungeteilte Aufmerksamkeit nun Flordelis zukommen zu lassen, wie es aussah.
„Da bist du ja~“, begrüßte Platan ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Wie schön, dass es geklappt hat. Du siehst wie immer umwerfend aus, aber etwas gestresst.“
Dabei ließ der Anblick dieses Lächelns Flordelis zumindest für den Moment sämtlichen Stress vergessen, denn sein Herz bemühte sich sogleich darum, schnell genug zu schlagen und alles andere auf diese Weise einfach zu verdrängen. An diesem sonnigen Tag schien sein Freund sogar noch heller zu strahlen als sonst.
Nickend legte Platan die Hände aneinander. „Umso besser, dass wir uns heute hier treffen. Lass uns gleich reingehen~.“
„In Ordnung“, stimmte Flordelis zu, nachdem er die Begrüßung in Kurzform erwidert hatte. „Aber ich hoffe, du willst ein bisschen mehr als hier nur Kaffee trinken.“
Immerhin musste er sich weiterhin Gedanken um Platans Kalorienzufuhr machen. ... Musste er eigentlich nicht, aber er machte sich eben Sorgen.
Schmunzelnd zwinkerte Platan ihm zu. „Oh, keine Sorge. Das will ich tatsächlich. Zusammen mit dir.“
Erst wirkte es so, als wolle er Flordelis' Hand nehmen, doch er winkte ihn nur mit sich. Dem kam Flordelis auch nach, er folgte Platan, und dieser blieb dicht bei ihm, als sie gemeinsam die Eisdiele betraten.
Es handelte sich nicht um ein exklusives Lokal, was Flordelis auf den ersten Blick beurteilen konnte, dennoch besaß es offensichtlich einen gewissen Standard, da es gut besucht war. Letzteres behagte ihm momentan zwar nicht, für diese Verabredung hatte er es aber in Kauf genommen. Wahrscheinlich bemerkte Platan es nicht mal wirklich, Flordelis dagegen fielen die neugierigen Blicke einiger anderer Gäste durchaus auf.
Für die Öffentlichkeit war es nichts Neues, ihn zusammen mit dem Professor zu sehen, schließlich war ihre Freundschaft kein Geheimnis. Demnach galten die Blicke überwiegend nur Flordelis, weil er aktuell verstärkt in der Presse zu sehen war. Kein Wunder, dass Platan sie da nicht bemerkte. Oder er ließ sich nur nichts anmerken, genau wie Flordelis.
Trotz der Aufmerksamkeit und dem leisen Getuschel, folgte er Platan gefasst bis zu einem von ihm ausgewählten Tisch in einer ruhigeren Ecke der Räumlichkeit, wo man die restlichen, wenigen Gäste in Sichtweite ziemlich gut ausblenden könnte. Dort vollführte Platan eine elegante Handbewegung, verbunden mit der Bitte an Flordelis, sich zu setzen. Und so nahmen sie beide Platz.
„Ich lade dich heute ein“, verkündete Platan feierlich, „und bestelle auch für uns beide, also lass dich einfach überraschen.“
„Nun, du wirkst sehr entschlossen“, stellte Flordelis fest. „Da lasse ich mich gern überraschen.“
„Das höre ich gerne~.“ Entspannt stützte Platan beide Ellbogen auf dem Tisch ab und faltete die Hände ineinander. „Ich wollte dieses eine, spezielle Angebot schon lange mal probieren, aber alleine ist das einfach unmöglich. Hiermit hast du also etwas gut bei mir.“
Da bereits eine Bedienung, eine junge Frau, zu ihnen kam und freundlich fragte, was sie ihnen bringen sollte, übernahm Platan, wie angekündigt, beschwingt die Bestellung. Dafür musste er nicht mal einen Blick in die Karte werfen, sondern kannte die Nummer von dem, was er probieren wollte, auswendig.
„Einmal das Spezialangebot, die 12.10, bitte~.“
Sichtlich überrascht, zur Verwunderung von Flordelis, wanderte der Blick der Bedienung einige Male zwischen Platan und ihm hin und her. Was hatte diese Reaktion zu bedeuten? Was genau wollte Platan hier nur probieren? Inzwischen war Flordelis sehr gespannt.
Schließlich notierte die Bedienung sich die Nummer auf ihrem Zettel, ohne Fragen zu stellen. Außerdem bestellte Platan auch noch eine Kleinigkeit für Dedenne, von der bisher noch nichts zu sehen gewesen war. Vermutlich schlief sie auch heute in einer Kitteltasche, wollte jedoch sicher auch etwas essen, sobald sie aufwachte und munter wurde.
Höflich bat die Bedienung um etwas Geduld und zog sich vorerst zurück, worauf Platan sich wieder an Flordelis wandte. „Das wäre erledigt. Nun gibt es kein Zurück mehr.“
War ihm bewusst, wie das klang?
Allerdings glaubte Flordelis nicht, dass Platan ihm im Vorfeld verraten würde, worum es sich bei der Bestellung handelte, selbst wenn er ihn fragen würde. Weil es eine Überraschung werden sollte. Deswegen hakte Flordelis nicht nach und vertraute darauf, nichts Schlimmes erwarten zu müssen. Jemand wie Platan könnte ihm bestimmt niemals irgendetwas antun, er war einer der wenigen guten Menschen auf dieser Welt. Vielleicht sogar der beste.
Bis die Überraschung zu ihrem Tisch gebracht wurde, blieb ihnen nun sicher ein wenig Zeit. Aufmerksam musterte er Platan genauer, nur um sicherzustellen, dass es ihm gut ging.
Aber um ganz sicher zu gehen, fragte er dann doch lieber nach: „Wie geht es dir heute?“
„Genau jetzt geht es mir blendend“, antwortete Platan, nach wie vor, entspannt und betrachtete nun auch ihn prüfend. „Das sollte ich aber eigentlich eher dich fragen. Du hattest in den letzten Tagen wesentlich mehr Stress als ich. Ich bin froh, dass du dir dennoch ein wenig Zeit für eine Pause nehmen kannst.“
Also ging es Platan gut, das erleichterte ihn und nahm ihm viel von seiner Anspannung.
„Es ist wirklich alles sehr stressig“, bestätigte Flordelis. „Dieser ganze Skandal schlägt viel zu große Wellen. Aber ich regele das schon.“
Irgendwie.
Mild lächelnd sprach er weiter: „Deine Einladung kam heute für mich wie gerufen. Ich habe wirklich eine Pause gebraucht, wenn es auch nur eine kleine ist.“
In Platans Gegenwart konnte er sich einfach am besten entspannen, daran hatte sich nichts geändert.
Mit einem seltsam verspielten Lächeln tippte Platan sich gegen die Schläfe. „Das muss Eingebung gewesen sein. Vielleicht verfüge ich über Psycho-Kräfte. Du solltest mich mal eingehend untersuchen.“
... Was?
Sollte das zweideutig gemeint sein oder interpretierte Flordelis nur wieder irgendetwas in diese Worte hinein? Seit Sonntag und der Offenbarung, dass Platan außer ihm keine Freunde hatte, war er sich da nicht so sicher.
Glücklicherweise wechselte Platan dann schon das Thema, wobei er sich zufrieden zurücklehnte.
„Eis soll jedenfalls so ziemlich in allen Lebenslagen helfen, habe ich gehört. Also verleiht dir das sicher neue Energie.“
Eis also. Nun hatte er es doch verraten. Was genau Flordelis gleich erwartete, blieb trotzdem eine Überraschung.
Für einen kurzen Moment schwieg Platan und runzelte ein wenig die Stirn, während er auf den noch leeren Tisch starrte. „Ohne Kaffee fehlt allerdings etwas.“
„Warum hast du dir dann keinen dazu bestellt?“
Unsicher legte Platan eine Hand an sein Kinn. „Gute Frage. Ich dachte, heiß und kalt zu mischen wäre möglicherweise keine gute Idee. Obwohl es durchaus seinen Reiz hat. Der Herrscher des Nebels hatte damit jedenfalls keine Probleme, sondern setzt dadurch gewaltige Kräfte frei. Feuer und Wasser. Das sollte eigentlich für Chaos sorgen, aber es fasziniert mich.“
Nach dieser Feststellung fuhr Platan gut gelaunt fort: „Es könnte aber auch sein, dass ich mich voll und ganz auf diese eine Bestellung konzentrieren möchte, statt mich von Kaffee ablenken zu lassen. Und Kaffee lenkt mich immer ab, wie du weißt.“
„Stimmt“, sagte Flordelis, ehe er nachdenklich schmunzelte. „Dann sollte ich dir vielleicht beim Essen keinen Kaffee mehr vorsetzen, dann könntest du dich mehr auf die Mahlzeit konzentrieren.“
Nach diesen Worten fiel ihm auch wieder etwas sehr Wichtiges ein: „Isst du auch regelmäßig? Zumindest eine Kleinigkeit?“
Kalos konnte es sich nicht leisten, den Pokémon-Professor zu verlieren. Die Welt konnte es sich nicht leisten, Platan zu verlieren. Flordelis konnte es sich nicht leisten, seinen Freund zu verlieren.
Zunächst antwortete Platan darauf nicht, sondern lächelte nur, scheinbar gerührt.
„Manchmal vergesse ich es immer noch, wenn besonders viel zu tun ist“, gestand er dann entschuldigend. „Aber es ist viel besser geworden. Wenn ich an dich denke, erinnere ich mich oft auch daran, dass ich etwas essen sollte.“
„Ich bin schon erleichtert, dass du dir Mühe gibst, wenn auch vielleicht nur für mich.“
Eigentlich freute Flordelis das ungemein, denn es sagte ihm, wirklich wichtig für Platan zu sein. Dass er sich nicht nur um diese Freundschaft bemühte, weil er irgendetwas von Kalos' Wohltäter haben wollte, wie sein Geld, seinen Einfluss oder seine Kontakte. Solches Verhalten war Flordelis schon so sehr gewohnt, von Menschen, mit denen er im Laufe seines Lebens zu tun hatte, dass er anfangs auch gegenüber Platan und von dessen Charme abgeneigt gewesen war. Schon allein, weil er sich viel zu begeistert von Flordelis' heute bedeutungsloser Abstammung gezeigt hatte.
Aber Platan war mehr als das. Platan mochte ihn um seiner selbst willen.
... Flordelis hoffte, er würde nie das Gegenteil erfahren müssen.
„Ich kann dir auch immer eine Nachricht schicken, wenn ich zu essen anfange, um dich zu erinnern, dass du etwas essen solltest, falls dir das hilft“, bot Flordelis ihm an.
„Also würden wir immer zur selben Zeit essen, obwohl wir gerade voneinander getrennt sind“, hielt Platan fest, gefolgt von einem leisen Seufzen. „Wie romantisch~.“
Romantisch? So hatte Flordelis das noch gar nicht betrachtet, doch es war typisch für Platan, dass er dieses Potential sofort erkannte.
Platan räusperte sich ein wenig. „Ja, machen wir das. So musst du dir weniger Sorgen um mich machen und ich habe mehr Energie für die Arbeit, wenn ich noch regelmäßiger esse. Das würde mir wirklich sehr helfen.“
„Gut.“ Diese Zustimmung erfüllte Flordelis mit Zufriedenheit. „Dann mache ich das so lange, bis ich es irgendwann in die Hände deiner zukünftigen Partnerin legen kann.“
... Schon der Gedanke machte ihn wieder krank.
Die Vorstellung, dass es irgendwann eine Person gäbe, egal ob Frau oder Mann, mit der Platan mehr Zeit verbringen wollte, die er wirklich aufrichtig liebte und die er vielleicht sogar zu heiraten bereit wäre, um eine Familie mit ihr zu gründen, ließ Eifersucht wie einen Waldbrand in Flordelis toben.
... Vielleicht war er doch ein schlechter Freund, denn eigentlich sollte ihn diese Vorstellung für Platan eher freuen.
„Ich will keine Partnerin“, betonte Platan bestimmt und verzog das Gesicht. „Für so etwas ...“
... hatte er keine Zeit? War es das, was er sagen wollte? Warum sprach er es nicht einfach aus? Oder war der Grund doch ein anderer?
Plötzlich sah Platan ihn eindringlich an. „Ich habe dich. Mehr brauche ich nicht.“
Schlagartig erlosch das unangenehme Feuer in Flordelis, dafür fühlte er eine so angenehme Wärme, die seine ganze Brust einnahm, sein Herz schneller schlagen ließ und ihm auch ins Gesicht stieg.
Ich habe dich. Mehr brauche ich nicht.
Diese Worte in Verbindung mit Platans Blick ... meinte er es wirklich so, wie Flordelis es verstehen wollte?
„Platan ...“
Überfordert wollte er nach der Hand des anderen greifen, aber auf der Hälfte des Weges verließ ihn der Mut, weswegen seine eigene auf dem Tisch zu liegen kam.
Ich habe dich.
Immerhin gelang es ihm aber weiterhin, den Blick zu erwidern, möglicherweise genügte das als Antwort. Besonders in der Öffentlichkeit.
„... Flordelis“, hauchte Platan zurück.
Die Art und Weise, wie er seinen Namen sagte, traf Flordelis direkt in sein Herz und gerade, als sein Herz abermals schneller schlug ... kehrte plötzlich die Bedienung an ihren Tisch zurück, zusammen mit der Bestellung. Was für ein ungünstiger Zeitpunkt.
„So, hier hätten wir einmal wie gewünscht die 12.10“, kündigte sie an. „Der Liebiskus-Becher für Zwei.“
Flordelis war sich nicht sicher, ob er sich ärgern sollte, dass sie unterbrochen worden waren – oder ob er erleichtert sein sollte, besonders wenn er bedachte, sich in der Öffentlichkeit zurückhalten zu müssen. Er wandte seine flatternde Aufmerksamkeit auf die Bedienung und die Bestellung, die er blinzelnd betrachtete.
Liebiskus-Becher für Zwei?
Vorsichtshalber hakte die junge Frau noch mal nach: „Richtig?“
„J-ja“, erwiderte Platan, merklich verlegen. „Richtig.“
Nickend servierte die Bedienung ihnen anschließend einen wahrhaftig riesigen Eisbecher, der die Form eines Liebiskus besaß, das mit dem Mund nach unten zeigte. Die einzelnen Kugeln darin erinnerten farblich an das Meer, auf dem zahlreiche farbenfrohe Blumen zu treiben schienen. Sie bestanden aus verschiedenen Früchten, die passend zurechtgeschnitten worden waren. Ein wenig Sahne bildete den Meeresschaum und zwei herzförmige Schokoladenwaffeln steckten in dem Eis.
Nun verstand Flordelis, warum Platan diesen Eisbecher nicht allein essen konnte, denn er war einfach viel zu groß. Wahrscheinlich könnte sie das nicht mal zu zweit schaffen.
Zusätzlich zum Eis stellte die Bedienung auch noch etwas Gebäck auf dem Tisch ab, für Dedenne, bevor sie Platan und Flordelis freundlich viel Freude mit dem Eisbecher wünschte. Danach huschte sie aufgeregt davon.
Kaum waren sie wieder unter sich, brach – trotz all der Verlegenheit – die Faszination hörbar aus Platan heraus und ließ seine Augen leuchten. „Wunderschön! Hast du so etwas schon mal gesehen? Wie das Eis glitzert. Und die zauberhaften Blumen-Früchte. Das ist noch beeindruckender als auf dem Bild in der Karte.“
Entzückt machte Platan ihn auch auf die zwei kleinen Marzipan-Liebiskus zwischen den Blumen aufmerksam, die sich liebevoll küssten. Aufgeregt lehnte Platan sich nach vorne und betrachtete den Eisbecher, als hätte er ein atemberaubendes Kunstwerk vor sich, was Flordelis durchaus nachvollziehen konnte. Das Leuchten dieser grauen Augen zog ihn aber weitaus mehr in den Bann.
„Das ist ... wirklich beeindruckend“, urteilte Flordelis schließlich, selbst noch etwas verlegen. „Es wundert mich nicht, dass du das einmal bestellen wolltest.“
Ehrfürchtig nickte Platan, den Blick nach wie vor auf den Eisbecher fixiert. „Ich weiß nicht, ob ich es über's Herz bringen kann, etwas davon zu essen. Es sieht viel zu gut aus, um einfach gegessen zu werden.“
Behutsam drehte Platan den Eisbecher ein wenig, um sich auch die anderen Seiten genauer anschauen zu können. Das Gesamtbild war beeindruckend, wie Flordelis nur nochmal betonen konnte. In Platans Augen erzählte der Eisbecher sicher eine eigene, kleine Geschichte.
Nach einer Weile nahm Platan einen von den zwei Löffeln und reichte ihn erwartungsvoll Flordelis. „Bitte, fang du an.“
Möglichst vorsichtig nahm er ihm den Löffel ab. Dabei achtete Flordelis darauf, Platans Hand nicht zu berühren, obwohl er es wirklich gern getan hätte, aber er vertraute sich gerade selbst nicht mehr, nicht einmal hier. Sein Herz schlug auch jetzt noch viel zu schnell.
„Danke, Platan.“
Er hatte den Eindruck, dass seine Stimme ein wenig zu sanft wurde, als er seinen Namen sagte, aber was sollte er tun?
Lieber konzentrierte er sich wieder auf das Eis, dieses Kunstwerk, das er nun zerstören würde. Allerdings war es dafür da, um gegessen zu werden. Es wäre eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen, wenn sie es nicht aßen. Somit überwand er sich, suchte sich eine möglichst harmlose Stelle, entfernte etwas Eis von dort und probierte es.
Genussvoll ließ er es auf seiner Zunge zergehen und nickte dann langsam. „Es schmeckt wirklich gut.“
„Wie schön~. Das habe ich mir erhofft.“
Nun war Platan an der Reihe, der ohne jegliche Aufforderung den zweiten Löffel an sich nahm, und versuchte ebenfalls das Gesamtbild nicht zu sehr zu zerstören, als er etwas von dem Eis probierte.
„Es ist ausgezeichnet~“, schloss Platan sich seinem Urteil an.
Auf einmal kniff er nach diesen Worten aber die Augen zusammen und hielt sich mit der anderen Hand den Kopf. „Ah, vielleicht etwas zu ausgezeichnet ...“
Besorgt sah Flordelis ihn an, benötigte aber nur einen kurzen Moment, bis ihm bewusst wurde, was das Problem war: „Dann erstreckt sich deine Kälte-Empfindlichkeit also auch auf Speiseeis?“
„Sieht so aus.“ Seufzend blinzelte Platan ein paar Mal. „Das habe ich nicht erwartet. Wie schade.“
Sicher war es nicht ungewöhnlich, aber in der Tat betrüblich. Bei solch einer empfindlichen Reaktion hätte Platan wohl nicht sonderlich viel von diesem Eis, von dem Flordelis direkt noch einen Bissen nahm – immerhin war ihm bewusst, dass es nicht ewig hielt. Außerdem half ihm das auch ein wenig, um sein Herz ein bisschen zu beruhigen. Eventuell ... sollten sie am Sonntag ausführlich über all das sprechen.
Es sah so aus, als wollte Platan den Eisbecher auch genießen, obwohl die Kälte ihm Kopfschmerzen bereitete. Vorerst bediente er sich einfach an den Früchten, die ebenfalls besonders gut schmecken mussten, so erfreut wie Platan beim Essen wirkte. Nach einigen Bissen griff er auch nach einer von den herzförmigen Waffeln. Auch die schien ein Genuss zu sein, ausgehend von Platans Mimik.
Sobald das Eis etwas angetaut war, könnte er sicher auch das besser vertragen. Bis dahin tat er wirklich gut daran, sich an den anderen Zutaten zu bedienen.
Irgendwann warf Platan einen verträumten Blick zu Flordelis, während er noch kaute. Und als er den Mund wieder frei hatte, murmelte er etwas nervös, bei dem Flordelis sich Mühe geben musste, es auch richtig zu verstehen: „Ich ... möchte dir nächsten Sonntag etwas sagen.“
„Sicher“, entgegnete Flordelis, gefasster, als er es in Wahrheit war. „Ich werde dir auf jeden Fall zuhören.“
Ein weiteres Mal innerhalb kurzer Zeit schlug sein Herz sofort schneller. Viel zu schnell.
Was könnte Platan ihm sagen wollen?
Eigentlich hatte er so vieles inzwischen ausgeschlossen und war, besonders nach diesem intensiven Moment gerade eben, bei einer einzigen letzten Sache angekommen, die Flordelis mit einem ungeahnten Glück erfüllte. Nächsten Sonntag wollte er wirklich endlich offen mit Platan über diese Gefühle sprechen.
Notes:
Mit der Nummer 12.10 vom Eisbecher spiele ich auf das Erscheinungsdatum von Pokémon X und Y an (12. Oktober 2013). ♥
Chapter 8: Kapitel 7: Wärst du bereit, etwas Verrücktes mit mir zu tun?
Chapter Text
Platan sollte zutiefst frustriert sein, doch im Moment fühlte er sich einfach nur seltsam leer. Losgelöst von dieser Welt und jeglicher Realität.
Diesen Freitag hatte er plötzlich nachts einen Anruf erhalten, von dem er unsanft aus dem Schlaf gerissen worden war. Gefolgt von der erschütternden Nachricht, sein Labor stünde angeblich in Flammen, was ihn sofort schlagartig hellwach werden ließ. Natürlich hatte er sich im Anschluss direkt auf den Weg gemacht, mit einem Taxi, ohne sich vorher richtig zurechtzumachen, denn dafür war keine Zeit gewesen. Im Grunde hatte er sich nur hastig umgezogen und sich den grauen Mantel übergeworfen – und die Pokémon eingesammelt.
Die Feuerwehr war bei seinem Eintreffen bereits vor Ort, darum bemüht, den Brand so schnell wie möglich zu löschen, was ihnen glücklicherweise auch gelang. Ein Passant hatte sie wohl gerade noch rechtzeitig gerufen, wie Platan erfuhr, dadurch waren die oberen Stockwerke verschont geblieben. Nur das Erdgeschoss war von dem Brand betroffen.
Da von Augenzeugen einige verdächtige Gestalten in der Gegend gesehen worden waren und die Feuerwehr zudem bestätigen konnte, dass jemand das Feuer mit Hilfe eines Pokémon gelegt haben musste, kam schließlich auch noch die Polizei vorbei. In dieser Nacht musste Platan ziemlich viele Gespräche führen und auch noch neugierige Reporter abwimmeln, die von dem ganzen Trubel ebenfalls angelockt worden waren. Sie wollten von ihm hören, was er zu dem Vorfall zu sagen hatte, worauf er betonte, aktuell bedauerlicherweise noch keine Aussagen machen zu können.
Viel zu lange hatte die Aufregung vor dem Labor angehalten, bis endlich wieder halbwegs Ruhe eingekehrt war.
Nun war er allein. Abgesehen von einigen hartnäckigen Reportern, welche sich draußen auf die Lauer legten, weil Platan sich ins Gebäude zurückgezogen hatte.
Mehr als eine Stunde war vergangen, seit das Feuer erfolgreich gelöscht werden konnte. Somit waren die Brandstellen erkaltet, das Gebäude ordentlich durchgelüftet und ihm zugesichert worden, er könne unbesorgt hinein gehen, um sich ein erstes Bild von den Schäden zu machen. Genau das tat er gerade und seufzte dabei schwer. Von der Rezeption waren nur noch klägliche, verkohlte Reste übrig.
Dafür war niemand verletzt worden, denn zum Zeitpunkt des Brandes hatte sich keiner mehr im Labor aufgehalten. Das war eigentlich das Wichtigste.
Und doch ... war Platan von diesem Vorfall wie gelähmt, weil er nicht wusste, was er empfinden sollte. Je länger er sich an diesem Tatort aufhielt, desto mehr füllten düstere Gedanken die Leere in ihm.
Irgendjemand hatte sein Labor zerstören wollen und in ihm glühte unangenehm zumindest ein kleiner Verdacht, wer es gewesen sein könnte. Diese leise Ahnung war fast schlimmer, als vollkommen ahnungslos – oder einfach nur leer – zu sein.
Derart vertieft in seine Gedanken hätte er beinahe das Klingeln seines Holo-Logs überhört.
Wer rief ihn als nächstes zu solcher einer späten Uhrzeit an? Musste die Polizei noch irgendetwas wissen? Die Feuerwehr? Oder benötigte gar die Kubus Garde seine Führung? Auf letzteres könnte er sich nun beim besten Willen nicht konzentrieren, auch wenn irgendeine Ablenkung vermutlich gut für ihn wäre.
Erschöpft nahm Platan den Anruf nur widerwillig an. „Ja?“
Das blaue Licht hatte sich noch nicht vollständig zu einem Hologramm des Anrufers zusammengesetzt, da war schon ein erleichtertes Aufatmen zu vernehmen.
„Platan, na endlich“, erklang die besorgte Stimme von Flordelis, dessen glühendes Abbild sich kurz darauf vollständig zusammensetzte. „Ist alles in Ordnung?“
Tatsächlich brachte Platan ein schwaches Lächeln zustande, als er Flordelis betrachtete, der in dem Licht aus seiner Armbanduhr zu sehen war. Wie tröstend dieses Blau gerade auf ihn wirkte ...
„Ja, keine Sorge“, antwortete Platan sofort beruhigend.
Erneut atmete Flordelis auf und schloss dabei für ein paar Sekunden die Augen.
„Du hast also schon von dem Feuer gehört?“, sprach Platan weiter. „Ich war nicht hier, als es passiert ist, sondern zu Hause. Es wurde niemand verletzt.“
Er ließ kurz nochmal den Blick schweifen. „Nur das Erdgeschoss ist etwas in Mitleidenschaft gezogen worden.“
„Weißt du schon, weswegen es gebrannt hat?“, fragte Flordelis direkt.
Wahrscheinlich könnte man sämtliche Details bezüglich dieses Brandes morgen in den Nachrichten oder in den Polizeiberichten lesen, aber es war verständlich, dass Flordelis lieber alles von ihm hören wollte.
Diesmal war Platan es, der für einen Atemzug die Augen schloss. Dann nickte er kaum merklich und erzählte Flordelis von den aktuellen Ergebnissen der Untersuchungen.
Danach entglitt ihm abermals ein schwerer Seufzer. „Ich habe eine Vermutung, wer es gewesen sein könnte.“
„Wer?“, hakte Flordelis nach, wobei sich seine Mine verhärtete. „Wer würde so etwas tun?“
Fragte er sich womöglich auch gerade, warum Menschen so waren? So zerstörerisch und gierig. Was das betraf dachten sie ähnlich. Auch Flordelis ärgerte sich über Menschen, die nur nahmen, statt auch etwas zurückzugeben.
Genau wie die verdächtigen Gestalten nahe der Spiegelhöhle vor einiger Zeit, von denen Platan ihm knapp berichtete.
„Einer von ihnen meinte, ich würde es noch bereuen, mich so aufgespielt zu haben.“ Platan griff sich an die Stirn. „Ich komme mir furchtbar dumm vor ...“
„Gib dir nicht die Schuld“, wies Flordelis ihn an – sicher sollte es eher wie eine Bitte klingen. „Du kannst nichts dafür, dass sie die Chance, die du ihnen gegeben hast, nicht nutzen wollten.“
Ja, Flordelis hatte recht. Es ärgerte ihn trotzdem. Er hatte daran geglaubt, sie könnten sich fangen, obwohl er es besser wissen sollte. Menschen ...
Menschen bringen nur Chaos.
Warum konnte er trotzdem nicht anders, als immerzu so ... verdammt nett zu sein?
Nach diesem Gedanken stieß er ein frustriertes Stöhnen aus. „Erwischen werden wir sie nun bestimmt sowieso nicht mehr. Ich kann froh sein, dass der Schaden sich noch in Grenzen hält. Zum Glück hat jemand den Brand so schnell gemeldet, sonst hätten auch noch die oberen Stockwerke dran glauben müssen."
Ärgerlich, dass diese Leute mit dieser schändlichen Tat ungeschoren davon kämen. Sollte Platan sie doch eines Tages irgendwie erwischen ...
... könnte er Mitglieder seiner Kubus Garde die Sache richtig regeln lassen. Oder-
„Brauchst du Gesellschaft beim Begutachten der Schäden?“, unterbrach Flordelis seine Gedankengänge. „Oder einen Ort, wo du in Ruhe noch einmal Kaffee trinken kannst, um dich zu beruhigen?“
Etwas an Flordelis' Stimme klang bedauernd, leicht gepresst. Wahrscheinlich hätte er Platan gerne mehr Hilfe angeboten, als nur Kaffee und Gesellschaft. Dabei liebte er beides. Besonders die Gesellschaft von Flordelis war ihm immer willkommen.
Nachdenklich sah Platan sich ein weiteres Mal um. Im Moment gab es hier ohnehin nichts mehr zu tun. Allerdings war er auch ziemlich müde und wollte sich einfach nur hinlegen. Also wäre ein Kaffee dennoch durchaus eine gute Idee – mit Koffein konnte er tatsächlich besser einschlafen, auch wenn es ungewöhnlich klang.
Außerdem wollte er Flordelis sehen, richtig. Nicht nur als Hologramm.
„Ich würde gerne einen Kaffee mit dir trinken“, erwiderte Platan deshalb wahrheitsgemäß. „Darf ich zu dir kommen und bei dir schlafen?“
Auf diese Weise könnte er Flordelis zumindest eine Weile sehen, bevor er sich wirklich schlafen legte. Seine Nähe dürfte Platan dabei helfen, sich zu beruhigen, statt sich zu sehr in diesen Vorfall hineinzusteigern.
Das Hologramm von Flordelis lächelte. „Sicher. Ich koche schon mal den Kaffee, während du dich auf den Weg machst.“
„Danke, du bist meine Rettung.“ Platan schritt bereits Richtung Tür, um das Labor zu verlassen, hielt aber nochmal kurz inne. „Warum bist du eigentlich noch wach?“
Hatte Flordelis etwa so lange gearbeitet? Hoffentlich nicht. Musste er wegen diesem Vorfall mit dem Zulieferer nach wie vor vieles regeln? Auch Flordelis bräuchte seinen Schlaf – und nun würde Platan ihn noch eine Weile länger wachhalten. Aber er wollte sich auch nicht wieder umentscheiden, sondern Flordelis unbedingt sehen.
„Ich bin wieder wach“, korrigierte dieser. „Pachira hat mich angerufen, um mir von dem Feuer zu berichten, und ich habe mir Sorgen gemacht. Schon allein, weil ich weiß, wie sehr du dazu neigst, lange zu arbeiten. Oder in deinem Büro einzuschlafen.“
Richtig, auch Platan neigte dazu, viel zu lange zu arbeiten, denn wie sollte er sonst alles schaffen?
„Verstehe.“ Entschuldigend lächelte Platan ihm zu. „Der Schreckt tut mir leid. Glücklicherweise war ich heute recht pünktlich zu Hause.“
Ob diese Leute wohl darauf gehofft hatten, dass er noch im Labor wäre? Diese Vorstellung ... machte das Ganze noch viel schlimmer. Deshalb schüttelte er den Gedanken lieber rasch ab.
„Du kannst dich in ein paar Minuten persönlich davon überzeugen, dass es mir gut geht.“ Mit diesen Worten winkte er Flordelis' Hologramm zwinkernd zu. „Bis gleich, mein Lieber.“
„Bis gleich, Platan. Sei vorsichtig.“
Und damit beendeten Flordelis den Anruf.
Als das blaue Licht erlosch, begann jäh eine Form von Trauer in Platan zu wuchern. Eigentlich gab es keinen Grund betrübt zu sein, immerhin könnte er Flordelis gleich schon wiedersehen. Und doch fühlte er diese schmerzhafte Sehnsucht.
Clavion klimperte an seinem Gürtel tröstend, während Dedenne in der Manteltasche tief und fest schlief – für sie war es einfach viel zu spät und sie hatte sich von dem ganzen Trubel auch die ganze Zeit über nicht stören lassen.
Für einen Moment dachte Platan darüber nach jemanden von der Kubus Garde zu kontaktieren und eine Neuerung bekanntzugeben, bezüglich zukünftiger Begegnungen mit solchen Menschen wie jenen bei der Spiegelhöhle, doch er entschied sich dafür, das erst am Montag zu tun. Jetzt wollte er nur noch zu Flordelis.
Darum verließ er zügig das Labor, schloss hinter sich ab, ignorierte die letzten übermäßig engagierten Reporter und besorgte sich ein Taxi, mit dem er geradewegs zu Flordelis eilen wollte. Erst im Wagen fiel ihm dann auf, wie sehr er, trotz des Mantels, fröstelte. Hoffentlich blieb er von einer Erkältung verschont.
Umso mehr freute er sich nun auf eine heiße Tasse Kaffee.
***
Während der gesamten Fahrt war Platan ziemlich angespannt gewesen, auch weil ihm kalt war. Nicht mal das zauberhafte Funkeln der Lichter von Illumina City konnte ihn heute Nacht ablenken, weshalb er froh war, als er endlich am Ziel ankam. Schweigend bezahlte er den Fahrer, stieg aus und lief zur Haustür, wo er sofort klingelte.
Unzufrieden fuhr Platan sich dann ein wenig mit der Hand durch die Haare. Sie saßen alles andere als perfekt, daran könnte er jedoch nichts ändern. Normalerweise würde er sich so, wie er jetzt aussah, nicht nach draußen wagen.
Sicher würde Flordelis sich daran aber nicht stören.
Überraschend schnell öffnete dieser die Tür, als hätte er davor gewartet. Trotz der späten Stunde und obwohl Flordelis auch ganz schön müde sein musste, lächelte er ihm zuversichtlich zu, was dafür sorgte, dass auch Platans Mundwinkel sich hoben – kein anderer hätte ihn nach diesem Chaos dazu bringen können.
„Platan, komm herein“, sagte Flordelis einladend.
Darum ließ er sich nicht zweimal bitten und betrat dankend das Haus, wo ihn sogleich eine wohlige Wärme umhüllte. „Wer hätte gedacht, dass wir uns mal unter solchen Umständen zu sehen bekommen, hm?“
Platan rieb sich über die Augen. „Ich überlege schon, ob es nicht besser wäre, morgen freizunehmen. Ohne ausreichend Schlaf sollte man wohl eher nicht arbeiten.“
Nachdem Flordelis die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wandte er sich ihm mit einem prüfenden Blick zu. „Nun, unter diesen Umständen würde bestimmt jeder verstehen, wenn du dir frei nähmst. Und ich denke auch, dass es besser wäre.“
Netterweise half Flordelis ihm, wie ein wahrer Gentleman, dabei, den Mantel auszuziehen. Natürlich dachten sie daran, vorher Dedenne aus der Tasche zu holen, die ganz schläfrig war und sich gähnend in Platans Hände kuschelte. Anschließend bedeutete Flordelis ihm mit der Hand, dass sie ins Wohnzimmer gehen könnten. Mit Sicherheit hatte er dort auch schon den Kaffee aufgetischt.
Zusammen gingen sie ins Wohnzimmer, wo Platan leise die Pokémon grüßte. Kramshef saß, wie üblich, auf seiner Stange und behielt alles genau im Auge. Die Nacht war sein Tag, daher wunderte Platan sich nicht darüber, dass er noch wach war. Auch nicht bei Pyroleo, der Flordelis' Sorge gespürt haben musste, sich aber nach einem kurzen Brummen, als Erwiderung auf den Gruß, in sein Pokémon-Bett zurückzog. Vermutlich um sie beide nicht zu stören, da Platan nun da war. Von Wie-Shu war nichts zu sehen, womöglich schlief er in einem anderen Raum.
Vorsichtig legte Platan Dedenne auf einem der Sessel ab, bevor er sich selbst auf das Sofa sinken ließ. Wie erwartet stand schon der Kaffee dampfend bereit. Erleichtert nahm er Flordelis die Tasse ab, die dieser ihm reichte.
„Genau das brauche ich jetzt.“ Sofort fing Platan an zu trinken, gefolgt von einem zufriedenen Laut. „Perfekt, wie immer. Vielen Dank, Flordelis.“
Der setzte sich neben ihn und nahm seine eigene Tasse. „Nichts zu danken, mein Freund. Ich dachte mir, dass du einen guten Kaffee gebrauchen könntest.“
Kaffee machte im Allgemeinen alles ein wenig besser. Und für Platan erst recht – nicht umsonst vergaß er deswegen manchmal zu essen.
„Du kennst mich eben“, meinte Platan gerührt. „Was würde ich nur ohne dich tun?“
Darum schenkte er Flordelis ein charmantes Lächeln, ehe er weiter genussvoll seinen Kaffee trank.
Leider trübte etwas die geborgene Atmosphäre.
Obwohl Platan nun neben seinem Freund saß, war er immer noch angespannt. Nach den letzten Stunden war das wohl nur natürlich. Schließlich hatte man sein Labor in Brand gesteckt. Wie sollte er sich also jetzt schon wieder entspannen können? Aber da war noch so viel mehr ...
All die Menschen, die nicht aufhörten Schaden anzurichten und wegen denen die Kubus Garde überhaupt erst gegründet werden musste. Der Zulieferer, der Flordelis Ärger gemacht hatte. Obendrein nun auch noch dieses Feuer. Wie sollte man so viel Chaos auf normalem Wege in den Griff bekommen? Das war einfach unmöglich.
Zwar war ihm das schon bewusst gewesen, doch nachdem die Flammen in seinem Labor gelöscht worden waren, schien mit ihnen auch der letzte naive, gutgläubige Funken erstickt worden zu sein. Ernst starrte Platan in seinen Kaffee.
„... Platan“, sprach Flordelis ihn vorsichtig an, „ich weiß, dass das leicht gesagt ist, aber mach dir nicht zu viele Gedanken darum. Du hättest nichts tun können, um das zu verhindern – und immerhin wurde niemand verletzt.“
Langsam hob Platan den Blick und sah seinen Freund nachdenklich an. Der einzige Mensch auf dieser Welt, dem er vertrauen konnte. Der wirklich gut war. Der sich um ihn sorgte und vielleicht sogar auch mehr als einen Freund in ihm sah.
„Flordelis“, begann er zaghaft. „Darf ich dich etwas fragen?“
Noch war Platan ein wenig gehemmt. Was, wenn Flordelis nicht so reagierte, wie er es sich erhoffte? In dem Fall könnten sie sich voneinander entfernen und das würde er nicht ertragen. Nun hatte er aber schon angefangen, also sollte es vielleicht einfach so sein. Die Zeit war gekommen.
Wenn jemand Platan verstehen könnte, war es dieser wundervolle Mann. Ganz bestimmt, oder? Nur Flordelis könnte nachvollziehen, dass die Welt in Ordnung gebracht werden musste. Nur Flordelis.
„Sag ...“ Innerlich angespannt atmete Platan tief durch. „Bist du es nicht auch manchmal leid, immerzu nett zu sein?“
***
Flordelis war etwas erschrocken davon gewesen, was für ein finsteres Gesicht Platan machte, während er auf einmal ernst in seinen Kaffee gestarrt hatte. So sah er ihn zum ersten Mal. Dieses Ereignis musste ihm wirklich zugesetzt haben. Verständlich, es war auch ziemlich frustrierend und es kam nur so weit, weil Platan die Natur schützen wollte.
Platan, der einfach viel zu gut für diese Welt war.
Sollte ihm jemals etwas zustoßen, könnte Flordelis nie wieder glücklich sein. Genau das wäre ihm auch beinahe vorhin herausgerutscht, bei ihrem Gespräch über dem Holo-Log. Weil er Angst um Platan gehabt hatte. Aber alles war in Ordnung, Platan war nichts geschehen. Jedenfalls nicht äußerlich. Innerlich sah es offensichtlich anders aus.
„Bist du es nicht auch manchmal leid, immerzu nett zu sein?“
Das ... war eine seltsame Frage, rührte jedoch sicher auch noch von diesem Ereignis. Was sollte Flordelis darauf sagen? Natürlich war er es manchmal leid, nett zu sein, besonders wenn es darin endete, dass er oder seine Firma ausgenutzt wurde, aber was sollte er tun? Die Welt wäre ein schlechterer Ort, wenn er auch außerhalb seiner Verhandlungen plötzlich nicht mehr nett wäre, wenn er sich nicht mehr für das Gute einsetzte und dieses auch mit seinem Wesen zu verbreiten versuchte.
Und er konnte sich nicht vorstellen, dass Platan aufhörte, nett zu sein. War das nicht seine Grundeinstellung?
Deshalb stellte Flordelis zunächst vorsichtig eine Gegenfrage: „Worauf willst du hinaus?“
Bedächtig stellte Platan die Tasse wieder auf dem Tisch ab.
„Ich meine damit ...“ Erwartungsvoll sah er Flordelis tief in die Augen. „Wärst du bereit, etwas Verrücktes mit mir zu tun?“
Ein wenig irritiert erwiderte Flordelis diesen Blick, wobei sein Herz schneller schlug. Während er kurz über diese Worte nachdachte, stellte auch er seine Tasse ab. Was meinte Platan mit etwas Verrücktes? Meinte er dasselbe wie das, was Flordelis darunter verstand? Ein Kuss? Vielleicht mehr? Oder sprach er von ganz anderen Dingen? Vielleicht wollte er gemeinsam mit Flordelis davonlaufen, einer romantischen Vorstellung eines einfachen Lebens, ohne all die Verantwortung und die Vorbildfunktion, entgegen? Nein, das wäre zu verrückt, er sollte sich gedanklich eher auf unmittelbare Dinge konzentrieren, die realistischer waren.
Flordelis' inneres Feuer fühlte sich unter diesen Umständen auf jeden Fall zu allem bereit, was Platan heute von ihm wollen könnte, selbst wenn er ihn nur zur Ablenkung benutzen wollte. Dann müsste er doch nicht erst das Gästezimmer herrichten.
Sollte Flordelis es einfach wagen, zuzustimmen?
Nein, das ging nicht, so sehr er es auch wollte. Erst musste er mehr herausfinden, das verlangte sein Sinn als Geschäftsmann.
Souverän vollführte er eine einladende Handbewegung: „Was ... schwebt dir vor?“
Statt sofort zu antworten, veränderte Platan seine Position etwas. Er kniete sich auf das Sofa, legte beide Hände auf Flordelis' Schultern und lehnte sich mit seinem Gesicht näher zu ihm. Das Feuer in Flordelis schien ihn regelrecht zu verglühen, als Platan plötzlich derart in die Offensive ging. Alles in seinem Inneren brannte derart heftig, dass er Platan fast schon vor der Antwort einfach auf das Sofa gedrückt hätte, um ihn in einen heftigen Kuss zu verwickeln. Das musste es doch sein, was er von ihm wollte, oder?
Flordelis fiel es unbeschreiblich schwer, sich zurückzuhalten, als Platan begann ihm die Antwort auf seine Frage beschwörend ins Ohr zu flüstern: „Lass uns gemeinsam Kalos von der Menschheit befreien. Verbannen wir sie aus dieser Welt und stellen die Ordnung wieder her.“
Schlagartig erlosch das leidenschaftliche Feuer und ließ eine eigentümliche Kälte zurück.
Das hatte Flordelis nicht wirklich gehört, oder? Es war unmöglich. So ein Vorschlag konnte nicht ausgerechnet von Platan kommen.
Mit mechanischen Bewegungen griff er nach Platans Schultern und schob ihn ein Stück von sich weg, um ihn ernst ansehen zu können. „Was hast du gesagt?“
„Befreien wir Kalos von der Menschheit“, wiederholte Platan nachdrücklich. „Du siehst doch, wie sie alles mehr und mehr ins Chaos stürzen. Es bringt nichts, ihnen weiterhin mit Freundlichkeit zu begegnen. Sie machen sich doch nur über uns lustig.“
In den Augen seine Freundes flackerte eine Art von Sehnsucht auf. „Stell dir eine Welt vor, in der es nur die Pokémon und uns beide gibt. In der alles in Ordnung ist. Findest du das nicht erstrebenswert?“
Fassungslos sah Flordelis ihn an, die Kälte in seinem Inneren wurde regelrecht schmerzhaft. Sicher, sie hatten beide Probleme damit, dass es böse Menschen gab – und es gab viele von ihnen –, aber das bedeutete doch nicht, dass sie diese Menschen einfach loswerden könnten. Auch wenn es schwer war, mussten sie das akzeptieren, denn neben dem Schlechten gab es auch das Gute, das sich – wenn auch langsam – ganz sicher ausbreitete, besonders wenn sie sich Mühe gaben. Nur ein wenig mehr, nur ein weiterer Tag ...
Gleichzeitig verlor er sich für einen Moment wirklich in der Vorstellung, wie schön es wäre, wenn es nur noch Platan, ihn und die Pokémon gäbe. Das war größer als der Vorschlag, einfach wegzulaufen, gewichtiger, perfekter.
Aber das war absolut unmöglich. Das war kein Leben. Und deswegen blieb für ihn im Moment nur eine Antwort.
„Platan, ich glaube, du solltest schlafen. Du bist durcheinander.“ Jedenfalls hoffte Flordelis, dass es nur daran lag. „Morgen bereust du diese Worte bestimmt auch.“
Diese merkwürdige Form von Sehnsucht in Platans Augen wandelte sich, aus ihr wuchs eindeutig Enttäuschung. Oder Erschöpfung. Im Moment wollte Flordelis daran glauben, dass es nur die Erschöpfung war.
Wenigstens nickte Platan dann schwerfällig. „Schlafen klingt nach einer guten Idee ...“
Mit dieser Zustimmung schwand die Kälte ein wenig.
Langsam ließ Flordelis ihn wieder los und stand auf. „Ich zeige dir das Gästezimmer, damit du dich hinlegen kannst.“
Platan erhob sich ebenfalls. „Danke, das weiß ich sehr zu schätzen.“
Wachsam beobachtete Flordelis ihn dabei, wie er zum Sessel ging und Dedenne hochhob, um sie mitzunehmen. Dabei war er so behutsam wie immer.
Bestimmt würde morgen alles besser aussehen, Platan würde sich verlegen lächelnd für diesen Vorschlag entschuldigen und ihm erklären, dass er von diesen Ereignissen einfach überfordert gewesen war. Und Flordelis würde ihm versichern, ihn zu verstehen, ihm auf die Schulter klopfen und diese Sache vergessen. Nichts an seiner Meinung über Platan würde sich ändern. Absolut nichts.
Chapter 9: Kapitel 8: Au revoir, Flordelis
Chapter Text
Platan hatte es getan.
Er hatte vergangene Nacht Flordelis dazu eingeladen, mit ihm zusammen die Ordnung wiederherzustellen, worauf leider nicht die gewünschte Reaktion erfolgt war. Anfangs wollte er deswegen erst nicht zu enttäuscht sein, immerhin war es verständlich, dass solch ein Angebot zunächst für Irritation sorgte. Zumal dieser Vorschlag für Flordelis aus dem Nichts gekommen sein musste.
Du bist durcheinander. Morgen bereust du diese Worte bestimmt auch.
Zusammen mit dieser Vermutung seitens Flordelis war sie letztendlich doch schlagartig gewachsen, die Enttäuschung. Sie traf Platan heftiger, als er es sich je hätte vorstellen können. Offensichtlich teilte Flordelis seine Vision nicht. Ausgerechnet er, der doch erkennen müsste, wie schön die Welt ohne Menschen wäre. Wenigstens ein bisschen.
Ob Flordelis nur selbst zu müde gewesen war? Musste er sich das erst durch den Kopf gehen lassen, nachdem er etwas Schlaf nachgeholte hatte? Vielleicht war es tatsächlich einfach nur zu spät gewesen. Ja, vielleicht lag es daran. Sicher hatte Platan ihn nur zu sehr überrumpelt.
Dennoch blieb diese schmerzvolle Enttäuschung in seinem Herzen, begleitete ihn in einen unruhigen Schlaf. Hoffentlich erkannte Flordelis bald, dass Platan recht hatte. Wenn nicht ... würde er sich selbstverständlich weiter alleine um die Ordnung kümmern. Schlimmstenfalls müsste Platan sich allerdings irgendwie aus dem nächtlichen Gespräch herausreden, um Flordelis zu beruhigen. Auf jeden Fall würde er seinen Plan durchführen, mit oder ohne zusätzliche Unterstützung – doch er wünschte sich, Flordelis dabei an seiner Seite zu haben.
Obwohl Platan kaum geschlafen hatte, war er am nächsten Morgen überraschend früh aufgewacht und seitdem zu unruhig, er konnte unmöglich nochmal eine Weile die Augen schließen. Also war er bereits aufgestanden und hatte sich im Bad zurechtgemacht, bevor er sich erlaubte in der Küche Kaffee zu kochen. Anschließend nahm er zusammen mit Dedenne auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz.
Um sich von jeglicher Vorstellung abzulenken, wie Flordelis heute auf ihn reagieren würde, erledigte Platan einige Telefonate. Dedenne lief derweil hinter ihm munter auf der Lehne des Sofas herum, als wäre das ein besonders lustiges Spiel für sie. Normalerweise war sie um diese Uhrzeit noch nicht so aktiv, sondern neigte dazu lange zu schlafen. War das ein gutes oder eher schlechtes Zeichen?
Zumindest die Pokémon von Flordelis verhielten sich nicht ungewöhnlich. Jedenfalls erschien es ihm nachvollziehbar, dass Pyroleo und Kramshef ihn als Gast ein wenig im Auge behielten. Wahrscheinlich spürten sie seine innere Unruhe und reagierten darauf.
Irgendwann hörte Platan schließlich, wie jemand die Treppen vom ersten Stock nach unten stieg. Dabei konnte es sich nur um Flordelis handeln, der nun auch aufgestanden war und sicher dem Kaffeeduft geradewegs Richtung Wohnzimmer folgen würde. Sofort beendete Platan das aktuelle Telefonat mit einem Mitglied der Kubus Garde und schaltete den Holo-Log aus. In einem Versuch, die Anspannung zu lösen, atmete er dann tief ein und aus.
Am besten bemühte er sich, so ruhig und gelassen wie möglich zu wirken, was nicht leicht werden dürfte. Denn gleich entschied sich, in welche Richtung sein voreiliger Schritt diese Nacht ihre kostbare Freundschaft beeinflussen würde.
***
Als Flordelis am nächsten Morgen aufwachte, hoffte er inständig, dass die letzte Nacht nur ein düsterer Traum gewesen war. Platan konnte ihn unmöglich gefragt haben, ob er gemeinsam mit ihm Kalos von den Menschen befreien wollte. Es war absolut unsinnig und entsprach so gar nicht dem Bild, welches er von Platan hatte, obwohl sie sich schon so lange kannten. Dieses Bild konnte nicht falsch sein, oder?
... Oder?
Mit mangelndem Enthusiasmus brachte Flordelis seine morgendliche Routine im Bad hinter sich, erst danach verließ er sein Schlafzimmer. Nun galt es herauszufinden, ob sich Platan wirklich momentan bei ihm aufhielt. Falls dem so sein sollte, waren die Ereignisse letzte Nacht tatsächlich geschehen – und er müsste seinen Freund darauf ansprechen, auch wenn die Nervosität sich wie ein harter, kalter Klumpen in seinem Inneren anfühlte.
Seine Beine fühlten sich viel zu schwer an, jeder einzelne Schritt war mit einer Form von Anstrengung verbunden, deren Existenz er zum ersten Mal wahrnahm. Je näher er dem Wohnzimmer kam, desto langsamer schien er zu werden, doch er konnte das Unvermeidliche nicht ewig hinauszögern.
Schließlich erreichte er sein Ziel.
Und dort saß er.
Platan.
Platan war hier.
Etwas, worüber Flordelis sich an anderen Tagen durchaus gefreut hätte, aber heute brachte es die kalte Schneelandschaft in seinem Inneren zurück, mit einer Wucht, die ihn fast von den Füßen gerissen hätte. Zwar wirkte dieses Bild, wie Platan auf dem Sofa saß, vertraut und doch ... befremdlich.
„Guten Morgen, mein Lieber“, begrüßte Platan ihn herzlich. „Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich mir schon mal einen Kaffee gemacht habe. Hast du gut geschlafen?“
„Platan ...“, stellte Flordelis tonlos fest.
Bei ihm war Dedenne, die gerade innehielt und Flordelis quietschend zuwinkte, worauf er nur kurz eine Hand hob. Sämtliche Worte von Platan ignorierte er vollkommen. Wie sollte er nun auch so tun, als sei nichts gewesen? Das war nicht möglich. Er brauchte Antworten.
Also ging er direkt auf Platan zu und blieb vor ihm wieder stehen, beide Hände fest zu Fäusten geballt. „Was du letzte Nacht gesagt hast, denkst du das heute immer noch?“
Erst musste er das einfach wissen, bevor er entscheiden könnte, wie er mit Platan umgehen sollte. Platan, dessen ganze Ausstrahlung plötzlich anders zu sein schien. War es das, was so befremdlich wirkte? Oder bildete er sich das nur ein? Eventuell spielte seine Wahrnehmung ihm einen Streich, weil dieser ungeheuerliche Plan noch zu lebhaft in seinem Kopf herumgeisterte.
Der Gesichtsausdruck, mit dem Platan seinen Blick erwiderte, war ungewohnt leblos, aber Flordelis glaubte, dass seine Augenbrauen für eine Sekunde dichter zusammen zuckten. Ein unangenehmes Schweigen entstand im Raum. So etwas war zwischen ihnen noch nie vorgekommen und jetzt ... zog es sich obendrein auf unerträgliche Weise in die Länge.
Gerade, als Flordelis ihn darum bitten wollte, endlich etwas auf seine Frage zu sagen, seufzte er lautlos. „Du wirst auf eine Antwort beharren, nicht wahr? Ich würde viel lieber in Ruhe mit dir Kaffee trinken, aber du bist offensichtlich nicht in der richtigen Stimmung dafür. Um es ausnahmsweise kurz zu machen: Ja, ich denke das immer noch.“
Nein ...
Mit einem Atemzug war Flordelis' Brust eiskalt geworden, sein Herz fühlte sich an, als zersplittere es in Abertausende von Teilen. Also war es wahr, Platan wollte die Menschen verbannen, was auch immer das bedeuten sollte oder wie er das anstellen wollte. Nie hätte Flordelis gedacht, dass der gutherzige, immerzu optimistische Platan einen solchen Plan auch nur im Ansatz hegen oder gar verfolgen könnte.
Hatte er Platan, den Mann, den er seinen Freund genannt hatte, überhaupt je wirklich gekannt? War er im Endeffekt genau wie alle anderen Menschen, die sich ihm nur genähert hatten, weil sie ihn für irgendetwas benutzen wollten?
Nach Platans Antwort wurde Flordelis' Miene ausdruckslos, seine Augen ein wenig dunkler. Um seine Distanz zu demonstrieren, setzte er sich auf einen der Sessel, schlug die Beine übereinander, legte die Hände auf seinem Schoß ab und sah Platan kühl an. „Wärst du bereit, mir mehr über dieses Vorhaben zu erzählen?“
„Kommt darauf an“, erwiderte Platan ernst – und ahmte die Pose von Flordelis ein wenig nach, nur dass er sich mit verschränkten Armen zurücklehnte. „Was versprichst du dir davon, wenn ich dir mehr erzähle? Offensichtlich bist du nicht sehr angetan von meinem Vorhaben.“
Inzwischen hatte Dedenne sich nervös unter eines der Kissen zurückgezogen, vermutlich weil ihr die Stimmung zwischen den beiden nicht gefiel. Darauf konnte Flordelis nun aber keine Rücksicht nehmen. Seine eigenen Pokémon hielten sich ebenfalls zurück und blieben stille Beobachter.
„Ich möchte nur einschätzen können, ob du aus Verzweiflung sprichst oder aus ernsthaften Absichten, denen konkrete Pläne vorliegen.“
Sollte es ein reiner Verzweiflungsakt sein, könnte Flordelis das auch mit sich vereinbaren. Er könnte Platan davon abbringen, ihm neue Hoffnung geben und ihre Freundschaft fortführen, denn dann war er immer noch sein Platan.
Aber handelte er aus Überzeugung, war er nicht der Mann, in den Flordelis sich verliebt hatte. Dann wäre dieser Mann vielleicht niemals existent gewesen und Flordelis schlicht auf ein Trugbild hereingefallen, ein unumstößliches Zeichen dafür, dass er sich von sozialen Gegebenheiten zurückziehen sollte.
Stirnrunzelnd lenkte Platan kurz den Blick zur Seite, fast als müsste er zuerst abwägen, was bei ihm zutraf. Oder wie viel von beidem der Antrieb für seine Beweggründe war.
„Als ich die Kubus Garde gegründet habe, war ich fest davon überzeugt, wir könnten die Natur und die Pokémon wirklich schützen und die Menschen, die Fehler begehen, irgendwie erreichen“, erklärte Platan, worauf er die Augen schloss und den Kopf schüttelte. „Aber ich habe mich geirrt. Egal, wie viel Mühe wir uns geben, es scheinen nur mehr und mehr Menschen aufzutauchen, denen es vollkommen egal ist, wenn sie der Natur schaden oder gar Pokémon verletzen. Früher ist mir das nicht so sehr aufgefallen, weil ich nur mit der Forschung beschäftigt war und mich nicht gezielt um solche Probleme gekümmert habe.“
Sichtlich frustriert sah er Flordelis wieder an. „Es gibt einfach zu wenig Menschen wie dich, Flordelis. Der Großteil der Menschen sorgt nur für Chaos. Ich bin es leid, ohne ersichtliche Erfolge dagegen anzukämpfen. Je länger ich es versuche, desto mehr leiden die Natur und die Pokémon darunter. Wenn die Menschheit verschwindet, würde endlich sofort Ordnung herrschen und somit Frieden in der Welt einkehren. Selbst wenn es moralisch verwerflich sein mag, musst du doch auch zugeben, dass ich recht habe.“
Natürlich lag eine gewisse Logik in Platans Lösung. Aber Flordelis erkannte auch den Fehler darin: „Es ist die einfache und schnelle Lösung. Deswegen würde auch nur ein Narr sie verfolgen.“
Flordelis ballte erneut die Hände zu Fäusten. „Ich verstehe deine Frustration, ich spüre sie auch oft genug, nicht zuletzt letzte Woche. Aber es kann nicht die Lösung sein, die Menschheit – vor allem die gesamte Menschheit – zu verbannen. Und dann auch noch so hochmütig sein, sich selbst davon auszunehmen ...“
Nun war Flordelis derjenige, der mit dem Kopf schüttelte. „Das ist einfach nicht der Weg, den ich gehen will. Und falls du ihn betrittst, werde ich dir darauf nicht folgen können. Deswegen würde ich mir wünschen, dass du auch wieder davon abkommst.“
Er schickte ein kurzes Stoßgebet an Arceus, dass Platan seine Worte reflektieren und die Wahrheit darin erkennen möge. Sonst wäre diese Freundschaft möglicherweise an ihrem Ende angekommen – falls es je eine wirkliche Freundschaft gewesen war.
Plötzlich entzündete sich eine Art Zorn in Platans Augen, die dem einst schönen Grau einen beinahe bedrohlichen Schimmer verlieh: „Ein Narr?!“
Nach diesem Ausbruch lehnte Platan sich etwas nach vorne und legte dabei eine Hand auf seine Brust. „Natürlich schließe ich mich aus der Verbannung aus! Ich habe jedes Recht dazu!“
Was für ein finsteres Gesicht Flordelis gerade sehen musste. Dieser Anblick verstärkte die Schneelandschaft in seinem Inneren. Das war keine Seite von Platan, die er kannte, dieser ungezügelte, brennende Zorn war ihm vollkommen neu – und er fühlte sich nicht gut an.
Ungehalten atmete Platan kurz durch. „Meine einzige Dummheit war, dir davon zu erzählen. Ich wollte mit dir zusammen diese Welt der Ordnung erleben ... Du bist der einzige, den ich dabei haben will. Du warst immer der einzige, den ich bei mir haben wollte.“
Auf einmal schwanden die dunklen Schatten aus Platans Gesicht und seine Stimme klang fast zerbrechlich. „Wenn du nicht dabei bist, was soll ich dann alleine in dieser Welt?“
Durch diese Verletzlichkeit, die am Ende bei Platan durchbrach, wurde Flordelis' Miene wieder etwas weicher, aber nur, damit er ihn betrübt ansehen konnte. „Es tut mir leid, Platan.“
Flordelis senkte den Blick ein wenig. „Ich wollte auch immer bei dir sein. Aber nicht unter diesen Umständen. Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“
Die Splitter seines Herzens schienen sich schmerzhaft in sein Fleisch zu bohren, so dass seine Brust wirklich schmerzte.
„Heißt das“, begann Platan zögerlich – derart emotional, Flordelis sah das schwache Lächeln bildlich vor sich –, „wir sehen uns morgen also nicht?“
Morgen.
Morgen war Sonntag.
Der Gedanke, Platan nicht mehr jeden Sonntag sehen zu können – oder überhaupt nicht mehr – raubte Flordelis fast die Luft zum Atmen. Platan war der einzige gewesen, der ihm Kraft und Zuversicht gegeben hatte, immer weiterzumachen, egal wie schwer es war. Nicht nur die letzten Treffen, auch ihre Telefonate hatten ihn immer mit neuer Energie erfüllt, für ihn und Menschen wie ihn hatte er alles getan, was in seiner Macht stand, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ohne Platan würde ein großer Teil seiner Motivation und seiner Energie fehlen. Darauf verzichten zu müssen war schmerzhaft.
„Das heißt es wohl“, bestätigte er ihm mit hohler Stimme, wobei er schwerfällig den Blick wieder hob.
So konnte er sehen, wie Platan kurz die Augen schloss. „Ich verstehe ...“
Nach dieser Erkenntnis herrschte abermals Stille, beide schwiegen, vermutlich jeder für sich mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, die es zu bändigen galt. Nach einer Weile hob Platan dann langsam das Kissen an, unter dem Dedenne sich versteckt hatte, und lächelte ihr beruhigend zu. „Entschuldige. Wir wollten dir keine Angst machen, aber wir sollten nun gehen.“
Dedenne quietschte erst unsicher, kletterte aber trotzdem seinen Arm hinauf, bis sie wieder auf seiner Schulter saß, wo sie sich versuchte unter seinen Haaren zu verstecken. Ordentlich legte Platan das Kissen wieder ab und stand auf.
„Nochmal vielen Dank, dass ich bei dir schlafen durfte“, sagte Platan zu Flordelis. Kurz darauf erlosch sein Lächeln und er sah ihn ernst an. „Pass gut auf dich auf.“
Auch Flordelis erhob sich, um nicht kleiner zu sein als Platan. Es war vielmehr ein reiner Reflex, etwas, das er bei seiner Arbeit gelernt hatte. Etwas, das er niemals gegenüber Platan hatte einsetzen wollen.
„Platan ...“
Für einen Moment wollte Flordelis ihn packen, ihn darum bitten, es sein zu lassen, gleichzeitig wollte er ihn küssen und ihm sagen, dass er ihn liebte, aber auch, dass er nicht mehr wusste, wer Platan eigentlich war und ob er ihn so noch lieben könnte.
Aber er tat nichts davon.
Stattdessen nickte Flordelis ihm zu. „Sei vorsichtig. Und denk daran, regelmäßig zu essen.“
Zukünftig würde er ihm das nicht mehr schreiben können, doch er wollte es ihm dennoch mit auf den Weg geben.
„Ich gebe mir Mühe“, versprach Platan gedämpft. „Au revoir, Flordelis.“
Nach dieser Verabschiedung wandte er sich ab, um wirklich zu gehen. Flordelis betrachtete Platans Rücken, der viel zu dünn war, besonders für diese Aufgabe, die er sich vorgenommen hatte; sein schwarzes Haar, in das er zu gern einmal vor Leidenschaft seine Hand vergraben hätte.
Fast hätte Flordelis ihn doch noch aufgehalten, um ihm zu versichern, dass er ihm helfen würde, bei allem, was er plante, nur um bei ihm sein zu können. Aber sein Gewissen verbot ihm dies.
„Adieu, Platan.“
Chapter 10: Kapitel 9: Kann ich dich noch etwas fragen?
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Der gestrige Sonntag war unbeschreiblich deprimierend.
Viel zu oft hätte Platan beinahe seiner – störenden – Sehnsucht nachgegeben und wäre einfach zu Flordelis gefahren, in der Hoffnung, sein alter Freund ließe ihn hinein, trotz dem, was vorgefallen war. Aber er tat es nicht. Eine weitere Abweisung hätte ihn nur schwer getroffen und die aktuelle Lage noch schlimmer, unerträglich, gemacht. Nicht mal mehr mit Flordelis über den Holo-Log kommunizieren zu können war bereits ... Folter genug.
Also hatte Platan sich mit Arbeit abgelenkt und auf den freien Tag gänzlich verzichtet, womit er am Montag frühestmöglich fortfuhr. Seine düstere Grundstimmung hatte Dedenne direkt in seine Kitteltasche getrieben und seitdem kam sie nicht mehr heraus, was er ihr nicht übel nahm. Auch Clavion verhielt sich ruhig. Auf seine Pokémon könnte er sich momentan ohnehin nicht wirklich konzentrieren. Lieber stürzte er sich noch mehr in die Arbeit.
Es gab noch einiges zu klären, was den Brand im Labor betraf, und er hielt mit den Mitgliedern der Kubus Garde eine Versammlung ab, in der er neue, strengere Verhaltensregeln aufstellte. Zukünftig würden sämtliche Chaosstifter entweder ohne jegliche Diskussionen an die Polizei übergeben werden, sofern sie für etwas belangt werden könnten, oder anderweitig zur Rechenschaft gezogen werden. Noch einmal würde Platan keinen dieser Menschen davonkommen lassen. Nicht ohne ihre gerechte Strafe.
Glücklicherweise waren seine Untertanten wahrlich treue Seelen und hinterfragten diese neue Richtung nicht. Etwas anderes hatte Platan aber auch nicht erwartet. Dafür musste er aber den gesamten Tag über vor einigen unangenehmen Gerüchten davonlaufen.
Mehrere Klatschmagazine berichteten nämlich davon, dass der Pokémon-Professor und Monsieur Flordelis zusammen einen Liebeseisbecher gegessen hatten. Diese Fotos zu sehen, nachdem sie sich am Samstag voneinander gelöst hatten, machte Platan wahnsinnig. Sie erinnerten ihn nur an diese schmerzvolle Sehnsucht nach einer Liebe, die endgültig verloren war, bevor sie überhaupt richtig erblühen konnte, und an diese Enttäuschung, sich in Flordelis geirrt zu haben.
Deshalb würde Platan sämtliche Bilder zu gerne einfach irgendwie restlos auslöschen, aus den Zeitschriften und dem Gedächtnis der Leute, als hätte diese Verabredung niemals stattgefunden. Leider konnte er nur weiterhin versuchen, diesen Tratschereien aus dem Weg zu gehen und nicht daran zu denken.
Entsprechend schlecht gelaunt machte Platan sich später am Nachmittag auf dem Weg zum Verwaltungsgebäude der Pokémon-Liga, das sich in Illumina City befand, in einem der Hochhäuser im äußersten Ring. Am Ziel angekommen marschierte er zügig zum Büro des Liga-Präsidenten, ohne irgendwen zu grüßen – und es missfiel Platan, wie gut er den Weg kannte. Selbst blind könnte er das Büro finden.
Immerhin war die Pokémon-Liga sein Arbeitgeber. Die höhere Instanz, mit der er hin und wieder einiges besprechen musste. Unter anderem erwarteten sie von Zeit zu Zeit neue Forschungsergebnisse von ihm.
Auf das folgende Gespräch freute Platan sich überhaupt nicht, aber es musste sein. Nicht wegen des Brandes im Labor, für das die Pokémon-Liga ohnehin alle Kosten übernehmen würde, die dadurch entstanden waren. Jedenfalls für den Teil, den die Versicherung nicht leisten könnte.
Nein, es ging eher darum, dass ihm eine Kleinigkeit fehlte, die er benötigte, um seinen Plan schneller weiter voranzutreiben. Zumindest solange er noch die Unterstützung von Menschen benötigte. Besonders den Liga-Präsidenten bat er ungern um etwas, weil er dabei nicht darum herum kam, mit ihm zu sprechen.
Und genau das missfiel Platan.
Aber für den Plan, für die Ordnung, würde er das einfach hinter sich bringen. Schlimmer konnte es jetzt kaum noch werden.
An der Bürotür angekommen, blieb er schließlich stehen und atmete tief durch. In einer knappen E-Mail hatte Platan dem Liga-Präsidenten am Morgen mitgeteilt, irgendwann im Laufe des Tages vorbeizukommen. Erfahrungsgemäß genügte das, um sicher sein zu können, die wichtigste Persönlichkeit des Hauses auch ohne Termin stören zu können. Zumal er die Zeiten, wann der Liga-Präsident sehr wahrscheinlich im Büro war, genauso gut kannte wie den Weg hierher.
Streng ermahnte er Clavion, dass er nicht versuchen müsste die Tür aufzuschließen und klopfte vernehmlich mit finsterer Miene, bevor er eintrat, ohne eine Bestätigung abzuwarten. Das geräumige Büro, in das Platan schritt, mochte nicht derart pompös sein, wie man es erwartete, besaß aber eine edel angehauchte Atmosphäre, geschickt verbunden mit einer Schlichtheit, in der eine persönliche Note nicht viel Platz fand.
Am anderen Ende des Raumes, gegenüber der Tür, stand ein ausladender, dunkler Holzschreibtisch, dessen Oberseite mit grünem Stoff ausgekleidet war. Chaos suchte man auf diesem soliden Möbelstück vergeblich, alles war mit Bedacht arrangiert. Selbst die wenigen Dokumente waren ordentlich angeordnet und wurden soeben bearbeitet. Natürlich vom Liga-Präsidenten höchstpersönlich, der hinter dem Schreibtisch saß und sich durch Platan nicht aus seiner Konzentration reißen ließ, sein Blick blieb gesenkt.
Zumindest so lange, bis er am Ende eines Dokuments kurz etwas mit einem Füller schrieb, den er anschließend zur Seite legte, gefolgt von dem Schriftstück, welches er fein säuberlich einem Stapel hinzufügte. Erst danach blickte er auf.
Ein grünes Augenpaar musterte Platan prüfend durch die schmalen, eckigen Gläser einer Brille hindurch. Das schwarze, kurze Haar war ähnlich frisiert wie sein eigenes und auch der blasse Teint glich dem seinen. Allgemein teilten sie viel zu viele Details, was ihr Aussehen betraf, für Platans Geschmack. Nur bevorzugte der Liga-Präsident es sich glattzurasieren und trug, im Gegensatz zu ihm, über einem weißen Hemd eine grüne Anzugweste. Zudem war er etwas älter.
Nach einigen Sekunden – für Platan hatte sich dieser Moment wesentlich länger angefühlt – lächelte der andere seinem Besucher dann entgegen.
„Bonjour, Augustine~“, grüßte der Liga-Präsident ihn, mit verdächtig sanfter Stimme. „Wie schön, dass du vorbeikommst.“
„Platan“, betonte er sofort genervt – und das schon nach dem ersten Wortwechsel. „Ich heiße Platan. Du weißt genau, dass ich nicht mit meinem anderen Namen angesprochen werden will.“
Während Platan sich dem Schreibtisch näherte, rang er sich dabei noch anstandshalber ebenfalls zu einer knappen Begrüßung durch und nahm auf einem der Stühle Platz. Unzufrieden musterte er Julius, den Liga-Präsidenten von Kalos.
„Warum siehst du jedes Mal so aus, als wäre dein Leben vollkommen in Ordnung?“
Das war nicht fair. Alleine der Gedanke missfiel ihm. Erst recht nachdem er sich von Flordelis trennen musste.
„In meinem Leben ist auch alles in Ordnung“, antwortete Julius ruhig, wobei er die Hände faltete und sie vor sich auf dem Schreibtisch ablegte. „In deinem etwa nicht? Gibt es denn Probleme, mit Flordelis? Ich habe die Bilder von eurem Besuch in der Eisdiele gesehen, da wirktest du sehr zufrieden.“
Aufrichtig neugierig blickte er ihn an. So aufrichtig wie Julius eben sein konnte. Natürlich hatte er die Fotos gesehen. Ausgerechnet er.
„Das geht dich nichts an“, wehrte Platan ab, und verschränkte die Arme. „Was bei mir privat los ist, hat dich nicht zu interessieren.“
Julius könnte ihm ohnehin nicht helfen. Nicht mit Flordelis. Das ließ sich nicht mehr retten. Nicht solange er an seinem Plan festhielt, was er tat. Es war das einzige, woran er sich noch klammern konnte.
„Ich bin aus einem anderen Grund hier“, betonte Platan kühl. „Du kannst dir sicher denken, worum es geht.“
„Ja“, entgegnete Julius bedächtig. „Du brauchst wieder Geld, nicht wahr?“
Nach dieser Feststellung lehnte sein Gegenüber sich zurück und schloss kurz die Augen. Sicher dachte er darüber nach, ob er Platan überhaupt noch mehr geben könnte, denn es wäre nicht das erste Mal. Diese Art Gespräch hatten sie schon öfter geführt. Zusätzlich zu den anstehenden Kosten aufgrund des Brandes dürfte es für Julius vermutlich schwierig werden, noch mehr Geld abzuzweigen.
Egal, irgendwie sollte er es schon hinbekommen. Darauf baute Platan.
Nach einer Weile öffnete Julius die Augen wieder. „Platan, woran genau forschst du denn, dass du so viel Geld benötigst?“
Wenigstens nutzte Julius nun den Namen, den Platan hören wollte. Allerdings gefiel es ihm nicht, dass er diesmal nachhakte, wofür genau er das Geld benötigte. Auch wenn er durchaus verstehen konnte, warum Julius sich danach erkundigte. Schließlich musste er seine Entscheidungen auch begründen können.
„An etwas, das sehr wertvoll für Kalos sein wird“, erwiderte Platan selbstsicher. „Es wird unsere Region in sämtlichen Bereichen verbessern. Ich weiß, es klingt viel zu märchenhaft, aber ich kann dir nur versichern, dass ich das Geld nicht verschwende.“
Nachdenklich nahm Julius den Füller wieder an sich und drehte ihn langsam in seiner Hand. „Ich nehme an, du wirst mir keine weiteren Details mitteilen? Auch nicht, wenn ich dich darum bitte?“
Wenn Julius ihn darum bat ganz bestimmt nicht. Alles in Platan sperrte sich direkt dagegen, ihm auch nur ein einziges, winziges Detail zu verraten. Ausgerechnet Julius. Nein, niemals. Mit wissenschaftlichen Themen kannte er sich ohnehin nicht aus, er war schon immer eher ein Kaufmann gewesen – und irgendwie war er so zur Führung der Liga gekommen.
„Was könntest du in deiner Funktion als Pokémon-Professor erforschen, das eine solche Reaktion erzeugen soll?“, hakte Julius weiter nach.
„Du würdest es nicht verstehen“, meinte Platan verbittert und ließ den Kopf sinken, um seinem Blick auszuweichen.
So wie Flordelis. Flordelis hatte ihn auch nicht verstanden.
Darum musste er das nun alleine erledigen. Sobald Flordelis erst mal sah, wie schön eine Welt ohne Menschen war ... ohne Chaos ... dann würde er Platan sicher doch noch verstehen. Zumindest war das seine letzte Hoffnung.
Als er hörte, wie eine der Schubladen am Schreibtisch geöffnet wurde, hob er den Kopf wieder. Wortlos zog Julius ein Formular hervor und begann bereits damit, es auszufüllen. „Wie viel brauchst du?“
Fast hätte Platan erleichtert aufgeatmet, weil Julius so schnell nachgab, denn besonders heute war ihm nicht danach, lange mit ihm diskutieren zu müssen oder um einiges hartnäckiger um Geld zu betteln. Oder einen Weg finden zu müssen, ihn zu zwingen, der Forderung nachzugeben. Zwar konnte er Julius nicht leiden, wollte letzteres jedoch vermeiden, solange es möglich war. Zusätzlicher Ärger bremste ihn sonst nur aus.
Platan nannte die Summe, die ihm vorschwebte.
„Ist das möglich?“
Es war nicht gerade wenig Geld und Julius hielt wohl deswegen auch kurz beim Schreiben inne. Mit gutem Gewissen könnte er solch eine hohe Summe vermutlich nicht bewilligen, jedenfalls nicht ohne doch noch ihre Beziehung zueinander für die Finanzabteilung zu enthüllen, wie Platan vermutete. Darauf wollte er eigentlich lieber verzichten, aber notfalls …
„Es ist tatsächlich viel Geld“, merkte Julius dann an. „Brauchst du wirklich die ganze Summe?“
Statt das Ganze einfach doch zu vergessen, bot er Platan einen Kompromiss an. Warum nicht? Besser als hinterher mit leeren Händen rauszugehen.
„Die Hälfte würde mir auch schon helfen“, antwortete Platan darauf stirnrunzelnd.
Damit käme er ebenfalls ein gutes Stück vorwärts und könnte noch mehr Mitglieder für die Kubus Garde anwerben. Falls es gut lief, benötigte er danach vielleicht keine weitere finanzielle Hilfe. Sie könnten ihre Suche ausweiten und entsprechende Mittel besorgen. Nun wollte Platan seinen Plan einfach nur noch schnell vorantreiben.
Vielleicht bildete Platan es sich nur ein, aber Julius schien aufzuatmen und trug eine Summe in das Formular ein. Schlussendlich setzte er dann noch weiter unten seine Unterschrift, ehe er es Platan hinschob. „Du musst noch unterschreiben. Aber das kennst du ja schon.“
Das ließ Platan sich nicht zweimal sagen. Ohne zu zögern nahm er einen Kugelschreiber, der für Besucher bereit lag, und unterschrieb sofort, wobei ihm auffiel, dass Julius sogar doch etwas mehr als die Hälfte der zuerst genannten Summe eingetragen hatte. Zufrieden ließ Platan den Kugelschreiber wieder sinken.
Diesen Schritt hätte er somit geschafft. Nun stand ihm nichts mehr im Weg, er müsste nur noch etwas Geduld haben.
„Danke“, sagte Platan knapp.
Normalerweise wäre es ihm schwerer gefallen, dieses Wort auszusprechen, aber er war zu erleichtert darüber, ohne finanzielle Einschränkungen weitermachen zu können.
Erst wirkte Julius erstaunt, doch dann lächelte er erfreut. „Was tut man nicht alles für seinen Bruder?“
Schlagartig verkrampfte sich Platans Magen und er warf ihm einen finsteren Blick zu. Seinem Bruder. Eigentlich hatte er ihm bereits oft genug gesagt, dass keiner von ihnen es jemals wieder laut aussprechen sollte. Wenn es nach ihm ginge, wären sie keine Brüder. Praktischerweise half diese Verbindung Platan aber, denn mit Sicherheit hatte Julius ihm nur deswegen einen Bonus bei der Finanzierung gegeben.
Statt sich aufzuregen, wie Platan es sonst getan hätte, rieb er sich erschöpft die Stirn. „Wenn du meinst ...“
Für einen Streit war er momentan zu müde, also konnte Julius sich ausnahmsweise glücklich schätzen. Er schob ihm das Formular wieder zu, um ihm zu verdeutlichen, dass er sich lieber darum kümmern sollte.
Nickend nahm Julius es an sich und legte es gesondert neben den Stapeln aus Dokumenten ab. „Ich gebe es an die Finanzabteilung weiter. Die Bewilligung erfolgt in den nächsten Tagen.“
„Gut. Das wäre dann alles.“
Platan wollte aufstehen, sich verabschieden und gehen, um nicht länger als nötig Zeit mit Julius verbringen zu müssen. Mit ihm zu reden. Es gab immerhin nichts, worüber Platan mit ihm sprechen wollte. Dennoch blieb er wie angewurzelt auf dem Stuhl sitzen, was ihn ärgerte.
Ihm war durchaus bewusst, warum er zögerte.
Ging er nun, wäre er wieder alleine. Ohne die Gespräche mit Flordelis, sei es über den Holo-Log oder persönlich. Und auch wenn er es hasste, es zuzugeben, war Julius im Moment die letzte Bezugsperson, die er noch hatte. Schließlich waren Menschen allesamt …
Schlecht.
„Kann ich dich noch etwas fragen?“, murrte Platan.
Überrascht hob Julius eine Augenbraue und vollführte eine einladende Geste mit dem Füller, den er noch festhielt. „Sicher, frag ruhig.“
... Begann Platan etwa in diesem Moment tatsächlich von sich aus ein Gespräch mit Julius? Er musste ziemlich verzweifelt sein. Nun hatte er schon angefangen, also brachte er es einfach hinter sich.
„Ordnung.“ Ernst sah er Julius an. „Ordnung ist sehr wichtig. Deshalb ist es doch richtig, sie zu bewahren, nicht wahr?“
Ob er wirklich einfach nur noch nicht zurück in die Welt außerhalb dieses Büros wollte oder tatsächlich eine verständnisvolle Antwort darauf erwartete, da war Platan sich selbst nicht so sicher. Zunächst wartete er einfach ab, was Julius darauf sagen würde.
„Natürlich ist Ordnung wichtig“, bestätigte Julius ihm. „Woran sollen wir uns denn halten, wenn nicht an die Ordnung? Und wegen genau so etwas haben wir doch auch Ordnungshüter, nicht? Chaos und Unruhestifter helfen niemandem.“
Dass ihn eine Antwort von Julius derart zufriedenstellen konnte war wirklich unglaublich.
„Richtig.“ Platan nickte bestimmt. „Für die Ordnung muss jegliches Chaos verschwinden. Einen anderen Weg gibt es nicht.“
Sonst bliebe nur, das Chaos in der Ordnung zu akzeptieren, was nicht in Frage käme. Immerzu wären es die Unschuldigen, die darunter leiden müssten, und die Welt an sich. Also war es keine Option, darauf zu vertrauen, die Ordnung könnte zusammen mit dem Chaos existieren.
„Das stimmt. Nur wenn das Chaos fort ist, kann Ordnung herrschen.“ Julius musterte ihn darauf etwas zu genau. „Warum fragst du eigentlich?“
Ja, warum? Sicherlich benötigte Platan nicht die Zustimmung von Julius, dass er das Richtige tat – die hätte er lieber von Flordelis bekommen.
Seufzend zuckte Platan mit den Schultern. „Nur so. Ich bin ein wenig überarbeitet. Vermutlich könnte das der Grund für meine seltsame Frage sein.“
Mit diesen Worten stand er nun endlich auf. „Jedenfalls habe ich noch etwas zu tun.“
Möglicherweise sahen sie sich nach diesem Gespräch nicht noch einmal wieder. Sobald sein Plan in die Tat umgesetzt wurde, verschwand auch Julius, zusammen mit allen anderen Menschen. Also war es wohl angebracht, sich diesmal anständig zu verabschieden.
„Au revoir, Julius.“
Ein wenig ratlos sah dieser ihn an. Was mochte ihm wohl in dieser Sekunde durch den Kopf gehen? Im Grunde war es Platan gleichgültig.
„Au revoir, Platan“, sagte auch Julius zum Abschied. „Pass auf dich auf.“
Egal, wie abweisend Platan immer zu Julius war, er schien sich trotzdem Sorgen zu machen. Warum? Er konnte das nicht verstehen, aber das müsste er auch nicht mehr.
Platan hob nur kurz die Hand, um auf die Art halbherzig zu versichern, dass er sich Mühe geben würde. Danach wandte er sich ab, ging Richtung Tür und verließ das Büro. Draußen atmete er ein wenig auf und schob die Hände in die Kitteltaschen. In einer davon befand sich immer noch Dedenne, der er vorsichtig über das Fell fuhr. Als Antwort darauf folgte ein leises, entspanntes Quietschen – und das war in diesem Augenblick ungemein tröstend.
Schließlich ging er weiter und verließ kurz darauf auch das Verwaltungsgebäude. Nun müsste er nur noch auf das Geld warten. Bis dahin würde er sich mit den Mitgliedern auf die Suche nach den letzten notwendigen Bestandteilen begeben, die er unbedingt für seinen Plan benötigte.
Für Plan Z.
Notes:
Hier hatte Julius Sycamore, der Bruder von Platan (natürlich nur ein OC), in einer Geschichte nun seinen ersten öffentlichen Auftritt ...
Warum Sycamore? Das hier ist ja schließlich eine deutsche Fanfiktion.
Normalerweise mag ich es selbst überhaupt nicht, wenn man in Geschichten anderssprachige Namen von Pokémon-Charakteren unter die deutschen mischt. Da bin ich sehr ... ordnungsliebend (wie Platan in dieser FF). Dennoch habe ich hier für Platan auch den Vornamen Augustine benutzt, den er nur im englischen hat. In allen anderen Sprachen hat er keinen eigenen Vornamen.
Warum heißt Platan hier also nun Augustine Sycamore?
Kurz gesagt ... es ist einem alten Gag zu verschulden, dass Platans richtiger Name in Ordnung und Chaos ausnahmsweise Augustine Sycamore ist. Dieser Gag hat sich inzwischen verselbstständigt und nun mögen wir diesen Headcanon irgendwie einfach. Abgesehen von diesem Kapitel wird später aber nur noch ein Mal darüber gesprochen und ansonsten hat es überhaupt keine Relevanz für den Plot.
Es ist wirklich die einzige Ausnahme. Ansonsten bleibe ich immer bei allen deutschen Namen und Bezeichnungen, keine Sorge. ♥
(Und Ja, ich weiß, dass Sycamore einfach nur englisch für Platane ist ... :'D)
Chapter 11: Kapitel 10: Ich dulde keine Enttäuschungen mehr!
Notes:
Ein weiteres Kapitelchen, das ich zusätzlich zu den RPG-Postings für diese Geschichte geschrieben habe, um hier ein paar von Platans Gefühlen unterzubringen - die bei der Sicht von Flordelis in vorherigen Kapiteln leider komplett verloren gegangen waren.
Chapter Text
Panisch zappelte das Evoli am Boden herum, versuchte sich mit den Vorderpfoten über den erdigen Boden zu ziehen. Es schnappte sogar nach dem hohen, saftig grünen Gras, in einem verzweifelten Versuch irgendetwas zu nutzen, sich zu befreien. Seine Hinterbeine waren nämlich von einer grünen Ranke gefesselt und zusammengezogen worden, weshalb es nicht mehr entkommen konnte.
„Shhh, es ist alles gut“, sprach Platan beruhigend auf Evoli ein, während er sich ihm näherte. „Du musst keine Angst haben. Ich will nur kurz etwas überprüfen.“
Dedenne saß auf seiner Schulter und beobachtete das alles unsicher. Sie hatte schon eine ganze Weile keinen Laut mehr von sich gegeben. Verständlich, denn natürlich tat Evoli ihr leid, weil es nicht verstand, dass es sich vor Platan nicht fürchten müsste. Nicht mal, wenn es genau das haben sollte, wonach er in dieser Gegend mit der Kubus Garde suchte.
Bisaflor stand einige Meter entfernt und hielt das Kleine weiter mühelos mit seiner Ranke fest, auch als Platan es schließlich am Nacken griff, um es hochzuheben. Mit einem ängstlichen Gesicht und zwei großen Augen erwiderte es seinen prüfenden, eindringlichen Blick. Beide Ohren hingen nach unten und der buschige Schweif zitterte unruhig. Nach wenigen Sekunden lächelte er beruhigend.
„Siehst du? Das war es schon. War gar nicht so schlimm, nicht wahr?“
Vorsichtig setzte Platan es wieder ab und nickte Bisaflor zu, der das kleine Pokémon daraufhin aus seinem Rankengriff entließ. Sofort rappelte Evoli sich auf und huschte fluchtartig davon, verschwand in eines der nahen Gebüsche. Eine Weile war noch Geraschel zu hören, dann kehrte Stille ein.
Frustriert seufzend kehrte Platan zu Bisaflor zurück. „Wieder nichts.“
Wo war dieses eine Evoli nur, das von einem seiner Mitglieder in dieser Gegend gesichtet worden sein sollte? Hier, in der Wildnis um den Menhir-Weg, nicht weit weg von Cromlexia.
Zwischen dem Dunkelgrün der Natur ragten in der Ferne die massiven Steinsäulen empor, wie uralte Beobachter, die sich über seinen Misserfolg amüsierten. Auch die Abendsonne schien ihn zu verspotten, indem sie diese Gebilde der Vergangenheit mit ihrem Schein in goldene Gewänder hüllte, nur damit er sich noch erbärmlicher fühlen möge. Zu anderen Zeiten hatte Platan ihre geheimnisvolle Ausstrahlung faszinierend gefunden, doch jetzt ... störte er sich daran.
Diese Steinsäulen waren nicht natürlich.
Geschichtsträchtig, aber nicht natürlich.
Ihre Anwesenheit brachte Chaos in dieses Gesamtbild.
Plötzlich stupste Bisaflor ihn sanft brummend an und riss Platan dadurch aus seinen Gedanken. Sein schläfriger Blick wirkte besorgt. Den Pokémon entging eben nichts, sie waren sehr feinfühlig.
„Schon gut, wir suchen einfach weiter.“ Platan tätschelte Bisaflors Stirn. „Ich gebe nicht so leicht auf.“
Irgendwo hier musste ein Evoli sein, das ihm dabei helfen würde, Plan-Z näherzukommen. Genau wie Iscalar. Sollte dieses Mitglied sich mit seiner Sichtung geirrt haben ...
Nervös quietschend sprang Dedenne von seiner Schulter aus auf Bisaflors Kopf, gleichzeitig liefen zwei weibliche Mitglieder hastig in ihre Richtung. Wie waren ihre Namen noch gleich? Hatte er sie nicht vor einer Weile noch gesprochen? Egal, ihn interessierte etwas anderes viel mehr.
„Habt ihr es gefunden?“, fragte Platan hoffnungsvoll. „Oder warum habt ihr es so eilig?“
Keuchend schüttelten beide bedauernd den Kopf, bevor eine von ihnen zu einer Erklärung ansetze: „Tut uns leid, Chef, wir haben es auch noch nicht entdeckt. Wir wollten Ihnen nur einen Zwischenbericht geben. Mittlerweile haben wir einen Großteil vollständig abgesucht. Die anderen hatten zwar auch noch keinen Erfolg, aber wir können das Gebiet allmählich mehr eingrenzen. Nordwestlich ist bisher nur Georges unterwegs, er hat bestimmt noch nicht alles abgesucht. Wir zwei müssen nun aber-“
„Dann bewegen wir uns dorthin, um ihn zu unterstützen“, unterbrach er sie, bevor sie zum Ende kam. „Nordwesten, ja?“
Entschlossen fuhr er herum, offenbar etwas zu schnell für seinen Körper. Auf einmal wurde ihm schwindelig und er schwankte zur Seite. Geistesgegenwärtig stampfte Bisaflor mit einem Schritt dicht genug zu ihm, dass Platan sich an ihm festhalten konnte. Die beiden Frauen atmeten erschrocken ein.
„Chef?!“ Eine von ihnen streckte die Hand nach ihm aus, berührte ihn aber nicht. „Alles in Ordnung?“
Rasch hob Platan beruhigend eine Hand. „Ja, mir geht es gut. Mir ... geht es gut.“
Den letzten Satz sagte er mit Nachdruck, mehr zu sich selbst. Blinzelnd schüttelte er den Kopf und rieb sich über die Augen, während er sich mit einer Hand noch an Bisaflor festhielt. Nun war keine Zeit für Schwächeanfälle. Er hatte sich geschworen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Weil er am Ende nur sich selbst trauen konnte. Darum konnte er die Suche nach Evoli nicht alleine seiner Kubus Garde überlassen.
Wer weiß, ob sie gründlich genug suchten?
Sollte er im Nordwesten auch nichts finden, sah er sich besser auch in den anderen Gebieten noch um. Falls jemand etwas übersehen hatte. Eine Kontrolle, ob jemand vielleicht doch schon ein Evoli gefangen hatte und es nur behalten wollte, wäre sicher auch sinnvoll. Immerhin waren das alles Menschen.
Menschen kann man nicht trauen!
„Wann ... haben Sie sich zuletzt mal eine Pause gegönnt?“, hakte die andere Frau langsam nach. „Wir haben gehört, Sie sollen seit Dienstag andauernd irgendwo im Einsatz sein. Manchmal auch nachts. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie noch-“
„Ich sagte, es geht mir gut!“, zischte Platan dazwischen. „Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?!“
Ein leises Rascheln verriet ihm, dass Dedenne sich unter den Blättern von Bisaflors Blume auf dem Rücken verkroch. Selbst sie ertrug es nicht, wie diese zwei Menschen versuchten, ihn zu bevormunden. Wie sie versuchten, ihn von seinem großen Plan abzuhalten.
Momentan gab es Wichtigeres zu tun, als sich auszuruhen!
Pausen benötigte er nicht!
Die beiden Mitglieder tauschten einen überforderten Blick miteinander, bis eine von ihnen – er konnte sie einfach nicht auseinander halten – erneut versuchte auf ihn einzusprechen: „Aber ... Monsieur Flordelis wäre sicher untröstlich, falls Ihnen etwas passiert. Ich meine, Sie beide sind doch ...“
Platans Augen weiteten sich.
Was waren sie?
Gar nichts!
Wollte sie auf die Verabredung in der Eisdiele anspielen, von der inzwischen gefühlt die ganze Welt wusste? Warum verfolgte ihn diese Erinnerung auf solch penetrante Weise? Er wollte nicht mehr daran denken.
„Isst du auch regelmäßig? Zumindest eine Kleinigkeit?“
Daran, wie gerührt Platan von diesen Worten gewesen war. Es war immer ein schönes Gefühl gewesen, wenn Flordelis zeigte, wie viele Gedanken er sich um seine Gesundheit machte. Diese Fürsorglichkeit hatte sich wie eine warme Decke über seine Seele gelegt. Deswegen hatte er sich auch nie getraut nachzuhaken, warum genau Flordelis sich so um ihn sorgte.
Weil sie Freunde waren? Weil Platan der Pokémon-Professor war? Rein aus Höflichkeit?
Jede dieser Antworten hätte ihm einen Stich ins Herz versetzt.
„Bis ich es irgendwann in die Hände deiner zukünftigen Partnerin legen kann.“
Diese Worten hatten Platan überrollt wie eine Lawine, sich in seine Brust gebohrt wie Eissplitter. Zu diesem Zeitpunkt war kurz vorher die Stimmung zwischen ihnen gut gewesen, also warum musste er so etwas sagen? Aber was hatte Platan anderes erwartet? Natürlich waren sie nur Freunde. Alles, was Flordelis tat, geschah einzig aus diesem Grund. Insgeheim hatte Platan dennoch hoffen wollen, auf eine klitzekleine Chance ...
Aber ihm war nichts besseres eingefallen, als zu behaupten, für eine Beziehung habe er keine Zeit. Eine dieser vielen Ausreden, nur um nicht zu zeigen, was er fühlte, und sich davor zu schützen abgewiesen zu werden. Deswegen ...
Deswegen hatte Platan bereits befürchtet, Flordelis würde ihn darauf hinweisen, dass er sich nicht zu sehr an ihn klammern sollte. Oder dass er ihn sanft mit Worten zurückweisen würde, doch so etwas war nicht geschehen. Stattdessen schien Flordelis ihm stumm, nur mit seinem Blick, mitgeteilt zu haben, es sei in Ordnung. Er würde genauso fühlen. Auch wenn Platan unsicher war, ob er das nur glauben wollte, weil er wieder in diesen hellblauen Augen versunken war.
„Danke, Platan.“
Wie Flordelis seinen Namen betont hatte, raubte ihm am jenen Tag den Verstand. Er war er darum bemüht gewesen, unauffällig durchzuatmen und musste sich davon abhalten, nichts Unüberlegtes zu tun. Zu gerne hätte er ihm in diesem Augenblick einfach gesagt, wie sehr er ihn liebte. Zu gerne hätte er Flordelis zärtlich berührt. Zum ersten Mal hatte er darauf hoffen können, dass seine Gefühle erwidert werden würden.
Am Sonntag.
Letzten Sonntag hatte Platan den Mut aufbringen wollen, offen zu Flordelis zu sein. Ihm von seinem Herzklopfen zu erzählen, das er bei ihm auslöste. Und er glaubte, verstanden zu haben, worin die Magie des Eisbechers lag, den sie zusammen gegessen hatten. Warum er so köstlich gewesen war.
„Adieu, Platan.“
Zu gerne hätte Platan ihn bei ihrer allerletzten Verabschiedung wirklich einfach geküsst. Danach wären sie ohnehin getrennte Wege gegangen, daher hätte es nichts mehr schlimmer machen können. Einen weiteren Fehler hätte er sich also durchaus erlauben können. Warum hatte er es nicht getan?
„Deswegen würde auch nur ein Narr sie verfolgen.“
Schlagartig entzündete sich das Inferno wieder in seinem Inneren. Jenes Inferno, das während ihres Gespräches am Samstag alles in ihm niedergebrannt und nur Leere zurückgelassen hatte. Leere, die nun dabei war sich mit Erinnerungen zu füllen. Erinnerungen, die er vergessen wollte.
Hätte Platan nur nichts gesagt.
Hätte er Flordelis einfach niemals etwas von seinem Plan verraten, wäre es ihm möglich gewesen ihn weiterhin zu sehen. Eventuell hätte es Flordelis eines Tages aber nur noch mehr verletzt, wenn Platan die Menschheit verbannte, ohne ihm vorher jemals etwas davon gesagt zu haben. Demnach war es vermutlich sogar gut, dass alles so gekommen war.
Ja, es war gut, sich von Flordelis getrennt zu haben.
Flordelis.
„... Chef?“, ertönte eine Frauenstimme, wie aus weiter Ferne.
Nur langsam kehrte Platan mit seinen Gedanken in die Realität zurück.
In den ersten Sekunden fühlte er sich orientierungslos, als er in die besorgen Gesichter der beiden Mitglieder blickte. „... Was ist?“
„Sie sehen blass aus. Sie sollten-“ Statt zu Ende zu reden, stockte sie und hob ein wenig die Hände. „Nein, ich will ihnen nicht vorschreiben, was Sie zu tun haben. Sie wissen sicher, was Sie sich zumuten können. Aber wir ... wir müssen für heute gehen.“
Missbilligend zog Platan die Augenbrauen zusammen.
Diese Reaktion sorgte für eine Erklärung von den Frauen: „Inzwischen ist es spät geworden und unsere Familien warten auf uns, sie haben eben schon angerufen. Und ... wir brauchen eine Pause.“
„Verstehe“, murmelte er gedämpft.
Obwohl sie alle stets vorgaben, Plan Z und die Ordnung würde ihnen auch am Herzen liegen, war es ihnen in Wahrheit doch nicht wichtig. Menschen dachten letztendlich alle nur an sich selbst. Dabei hatte er ihnen die Augen geöffnet, sie empfänglich für die wahren Probleme in der Welt gemacht. Nichts und niemand sollte ihnen wichtiger sein als die Kubus Garde. Ihre Familie. Diese Familie konnten sie also ohne schlechtes Gewissen im Stich lassen?
Platan stieß sich von Bisaflor ab, ignorierte den Schwindel und ließ seine rechte Hand in die Hosentasche gleiten.
„Nein, ich korrigiere mich“, sagte er streng. „Ich verstehe es nicht. Ihr bleibt hier und helft weiter beim Suchen. Das ist ein Befehl.“
Tatsächlich machten sie auf diese Worte reumütige Gesichter. „Chef, bitte, wir-“
„Es reicht!“, fuhr Platan sie an. „Ich dulde keine Enttäuschungen mehr!“
Seine Hand verkrampfte sich um das letzte Stückchen Hoffnung, das er noch hatte.
Bevor einer von ihnen reagieren konnte, eilte auf einmal aus der nordwestlichen Richtung ein junger Mann herbei, der triumphierend einen Pokéball in die Luft hielt. „Ich hab's! Ich hab das Evoli!“
Wie ein Wink des Schicksals.
Genau zum richtigen Zeitpunkt.
Erleichtert atmete Platan auf und öffnete die Faust in seiner Hosentasche wieder, bevor er sie nach draußen zog. Schwungvoll breitete er die Arme aus und empfing das treue Mitglied, das ihn nicht enttäuscht hatte, mit einem herzlichen Lächeln.
„Fein, fein~! Hervorragende Arbeit!“, lobte Platan den Mann überschwänglich, der kurz darauf bei ihnen ankam. „Ich bin sehr stolz auf dich.“
Zufrieden nahm er den Pokéball an sich und warf anschließend einen Seitenblick zu den beiden Frauen, die sich sichtlich unwohl fühlten. Freuten sie sich etwa nicht über diesen Erfolg? Das ließe sich leicht ändern. Platan wusste genau, was seine Kubus Garde ganz besonders liebte.
„Meine Lieben“, verkündete er bedeutungsvoll. „Lasst uns sofort eine spontane Versammlung ins Leben rufen!“
Seine folgenden Worte richtete er an die Frauen: „Ihr seid doch auch dabei, oder? Nachdem ihr euch so viel Mühe gegeben habt, wäre es schade, auf euch zu verzichten. Alle treuen Mitglieder sollten sich diesen Erfolg nicht entgehen lassen.“
Zu seiner Freude nickten sie mehrmals, wenn auch etwas verhalten.
Erneut lächelte Platan herzlich. „Wundervoll~.“
Summend trat wieder näher an sein Pflanzen-Pokémon heran, das heute auch gute Arbeit geleistet hatte, um Dedenne aus ihrem Versteck zu holen, ehe er Bisaflor zurück in seinen Ball schicken würde. Er wollte nicht unnötig Zeit verlieren. Trotz des leichten Schwindels, der ihn noch plagte, würde er diesen Abend noch sinnvoll nutzen.
Bei dieser Versammlung könnte er einen weiteren Schritt Richtung Ziel feiern und nebenbei mit seiner Kubus Garde über wichtige Grundsätze reden, die offensichtlich hin und wieder verinnerlicht werden sollten. Für eine bessere Zukunft, eine schönere Welt, benötigte man Disziplin. Denn, wie er gesagt hatte, er würde keine Enttäuschungen mehr dulden.
Chapter 12: Kapitel 11: Ich habe dich vermisst
Chapter Text
Die Zeit ohne jeglichen Kontakt zu Platan war kaum zu ertragen. Es war die Hölle.
Irgendwie war Flordelis es gelungen den letzten Sonntag zu überstehen – dank all dem Wein, mit dem er sich betrunken hatte – und anschließend auch den Großteil dieser Woche, wenngleich sie von ihm bewusst mit mehr Arbeit vollgestopft worden war, als gut für ihn sein mochte.
Wann immer es in seinem Büro nichts zu tun gegeben hatte, war Flordelis mit Pyroleo unruhig durch das Gebäude gestreift, um zu kontrollieren, ob alles funktionierte wie es sollte. Auch das konnte aber meistens nicht genug Zeit verschlingen, also war er hin und wieder selbst in einen Kittel geschlüpft und hatte sich persönlich ins Labor gestellt, wo er – ganz wie in den alten Zeiten – selbst an neuen Entwicklungen zu forschen begann oder einige Dinge austestete. Sehr zum Verdruss seiner Angestellten, die sich wohl zu beobachtet von ihm fühlten.
Allerdings brauchte er das, denn nur auf diese Weise entkam er eine Weile seinen Gedanken an Platan, der Erinnerung an den gefühlten Verrat, versuchte davon wegzukommen und nicht der Versuchung nachzugeben, ihn einfach anzurufen oder ihm zumindest eine Nachricht zu schicken. Immerzu war Flordelis hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, Platan zu sehen, mit ihm zu reden, selbst wenn es nur wieder um seine besorgniserregenden Pläne gehen sollte, und dem Gefühl der Enttäuschung, dass sein alter Freund offenbar nicht die Person war, die er in ihm gesehen hatte.
Wenigstens gelang es Flordelis innerhalb dieser quälenden Woche, einen neuen Zulieferer aufzutun, dessen Wirken er auch direkt selbst recherchierte und hinterfragte, ehe er sich sicher war, eine Zusammenarbeit bedenkenlos wagen zu können. So viel Zeit hatte er gehabt.
Nun saß er auch an diesem Freitag Nachmittag noch in seinem Büro, sechs Tage ohne Kontakt zu Platan, vertieft in irgendwelche Dokumente, deren Sinn sich ihm aktuell nicht so recht erschlossen, weil sein Blick zwischendurch wieder und wieder auf seinen leblosen Holo-Log wanderte. Nach den letzten Tagen sollte er wohl nicht mehr darauf hoffen, Platan könnte sich von seiner Seite aus bei ihm melden. Das war ... deprimierend.
Plötzlich ertönte ein Signalton von seinem Bürotelefon. Er drückte die Sprechtaste, um seine Sekretärin zu fragen, was los sei, worauf sie ihm erklärte, die jungen Assistenten von Professor Platan seien hier und wollten mit ihm sprechen. Ein kaltes Feuer erwachte in seiner Brust.
Natürlich kannte er die beiden.
Es war das erste Mal, dass sie zu ihm kamen. Bisher hatte Flordelis sie nur einige Male kurz in Platans Büro gesehen und knapp begrüßt, doch auch das war schon etwas länger her. Aus welchem Grund wollten sie ihn nun auf einmal sprechen? Waren sie von Platan geschickt worden? Sollten sie ihm etwas ausrichten? Ahnten sie, was ihr Professor plante? Oder wussten sie genauso wenig wie er bis vor kurzem?
Statt nachzuhaken, wies er seine Sekretärin an, sie einfach hereinzuschicken. Diese Assistenten wären momentan seine einzige Verbindung zu Platan, deswegen wollte er sich anhören, was sie ihm zu sagen hatten. Hierbei entschied also sein Herz, denn sein Verstand wäre sonst sicher dagegen. Und als Geschäftsmann war sein Verstand oft stärker als sein Herz, das am Samstag bereit gewesen wäre sich Platan vollständig zu öffnen ...
Mit einem Kopfschütteln verbannte er diesen Gedanken vorerst und gewann seine Fassung zurück, mit der er sich auf die Tür konzentrierte. Diese öffnete sich kurz darauf und tatsächlich betraten die zwei Assistenten von Platan sein Büro.
Sina und Dexio.
Platan hatte ihnen schlichte, jedoch elegante, weiße Uniformen anfertigen lassen und nach ihrem Vorbild später auch die Kleidung für die Mitglieder seiner Kubus Garde angepasst. Ihm fiel sofort auf, wie nervös sie vermutlich sein mussten, da die blonden, kurzen Haare von Dexio und das dunkelviolette, schulterlange von Sina so perfekt saßen wie noch nie. Genau wie die Schleifen, rot und blau, ihrer Uniformen.
Pyroleo, der, wie üblich, entspannt in seinem Pokémon-Bett an einer Wandseite lag, hob den Oberkörper ein wenig an und begutachtete die Besucher nun wachsam. Den Blick erwiderte Dexio kurz mit seinen blassblauen Augen, nun merklich angespannt. Bei solch einem eindrucksvollen Pokémon wie Pyroleo war das nachvollziehbar. Erst recht wenn man ohnehin schon nervös zu sein schien.
Schnell huschte Dexios Blick dann zu Flordelis, dem er respektvoll zunickte. „Guten Tag, Monsieur Flordelis. Entschuldigen Sie die Störung.“
Auch von Sina folgte eine höfliche Begrüßung. Ähnlich wie Pyroleo musterte Flordelis die beiden daraufhin, blieb dabei jedoch sitzen. Noch konnte er nicht einschätzen, was sie von ihm wollen könnten. Nachdem er die Assistenten ebenfalls begrüßt hatte, bat er sie auf den Stühlen gegenüber seines Schreibtischs Platz zu nehmen. Dem kamen sie direkt nach – und auch Pyroleo senkte den Oberkörper wieder, behielt jedoch alles im Blick.
Kaum saßen beide, eröffnete Dexio ihm, schneller als erwartet, weswegen sie bei ihm waren: „Wir wollen Sie fragen, ob Sie vielleicht wissen wo der Professor gerade ist.“
Der Junge runzelte die Stirn. „Er hat sich diese Woche kein einziges Mal im Labor blicken lassen und uns gebeten ihn einfach telefonisch über die Arbeit auf dem Laufenden zu halten. Aber heute konnten wir ihn plötzlich nicht mehr erreichen. Es sieht ihm nicht ähnlich Anrufe zu ignorieren.“
Bei den folgenden Worten zögerte Dexio erst etwas. „Außerdem war er die ganze Woche über auch schon so ... komisch.“
Sina nickte betrübt. „Wir erkennen ihn gar nicht wieder.“
Sofort übernahm die Sorge die Oberhand bei Flordelis.
Für Platan war es sehr ungewöhnlich, nicht einmal ins Labor zu kommen. Bedeutete das, sein Plan war derart weit fortgeschritten sein, dass er das nicht mehr nötig hatte? Aber selbst wenn, würde er dann nicht zumindest seinen treuen Assistenten etwas sagen? Oder sonst irgendjemandem, der im Labor arbeitete?
„Es tut mir leid“, entgegnete Flordelis tonlos. „Ich habe auch nichts von dem Professor gehört.“
Seit Samstag nicht. Seit sie auseinandergegangen waren.
Davon war Dexio sichtlich überrascht. „Sie auch nicht?“
Vermutlich hatten sie geglaubt Flordelis wüsste auf jeden Fall etwas. Irgendetwas, selbst wenn es nur eine Kleinigkeit wäre. Nach den Zeitungsartikeln in letzter Zeit musste es für Außenstehende verständlicherweise so wirken, als hätten Platan und Flordelis mittlerweile eine enge Beziehung, in der jeder von ihnen stets wüsste, was der jeweils andere gerade tat. Leider ... war dem nicht so.
„Das ist schlecht.“ Unentschlossen sah Dexio seine Kollegin an und fing an an seiner blauen Schleife am Hals zu zupfen. „Was machen wir jetzt? Suchen wir ihn oder gehen wir direkt zur Polizei?“
„Wo sollen wir ihn denn suchen?“, fragte Sina zurück. „Er war nicht in seiner Wohnung und auch in den Cafés hat man ihn nicht gesehen ...“
Das klang wirklich ernst.
Die Sorge brannte wie ein eisiges Feuer in Flordelis' Inneren. Egal, wie sehr er versuchte, sich zu sagen, dass Platan ja nicht die Person war, die er zu sein vorgab, und er ihm deswegen egal sein sollte, gelang es ihm einfach nicht, diese Furcht abzuschütteln. Wenn ihm irgendetwas geschah ...
„Ich weiß zwar nicht, wo er ist, aber ich kann versuchen, es herauszufinden“, sagte Flordelis deswegen. „Hatte er seinen Holo-Log bei sich, während er nicht im Labor war?“
Dexio nickte sofort. „Ohne den geht er nirgendwo hin. Aber er nimmt heute auch solche Anrufe nicht an.“
„Solange er ihn einfach nur dabei hat, kann ich es herausfinden.“ Flordelis war von Entschlossenheit erfüllt. „Ich kümmere mich um alles weitere. Danke, dass ihr mir Bescheid gesagt habt.“
Sina tauschte wieder einen kurzen Blick mit Dexio, ehe sie bei Flordelis vorsichtig nachhakte: „Aber ... wie wollen Sie das machen?“
Den leicht misstrauischen Unterton in ihrer Stimme konnte er ihr nicht verübeln. Schließlich mussten sie auch davon ausgehen, er könnte vielleicht sogar etwas mit Platans Verschwinden zu tun haben.
„Das ist eine streng geheime Angelegenheit“, wehrte er ab. „Wollt ihr nun Hilfe bei der Suche nach dem Professor oder nicht?“
Auch Dexio war sicher misstrauisch, hob jedoch rasch die Hände. „Ja, wollen wir. Wir wären wirklich dankbar für Ihre Hilfe. Bitte informieren Sie uns sofort, sobald Sie ihn gefunden haben, und sagen Sie ihm auch, dass er sich kurz bei uns melden soll.“
„Das mache ich“, versprach Flordelis.
Jedenfalls hoffte er, es käme dazu. Immerhin wusste er nicht, in welchem Zustand sich Platan befände oder ob sich seine Pläne vielleicht verändert und deswegen dazu geführt hatten, dass ihm dabei etwas zugestoßen war.
Arceus, lass ihm nichts zugestoßen sein.
In dem Fall mochte es für die Menschheit besser sein und doch wollte Flordelis sich das nicht einmal ausmalen.
Nach diesem kurzen Gespräch erhoben sich die Assistenten bereits wieder und bedankten sich bei ihm, unsicher, doch auch froh darüber, Hilfe zu erhalten. Verständlicherweise würden sie aber garantiert weiterhin besorgt und misstrauisch bleiben, bis Platan wieder auftauchte. Er müsste sie einfach überzeugen, indem seine Methode – hoffentlich – funktionierte.
***
Es war schön warm und etwas roch angenehm vertraut. Der Geruch war so beruhigend, dass Platan am liebsten gänzlich in diesem Dämmerzustand versunken wäre. Für immer.
Dennoch öffnete er irgendwann langsam seine Augen und blinzelte erschöpft. Wie furchtbar schwer sich seine Lider anfühlten. Seine Sicht war auch verschwommen, er konnte anfangs nichts erkennen. Erst nach und nach glaubte er einige Details auszumachen, doch er musste sich bei dem, was er sah, irren.
Dieser Glastisch.
Die roten Sessel auf der anderen Seite.
Diese elegante, luxuriöse Umgebung.
„... Was?“, murmelte er verwirrt – und müde.
Das konnte nicht wirklich das Wohnzimmer im Anwesen von Flordelis sein, oder? Träumte er?
Mühevoll richtete er sich langsam auf, wofür er kaum die Kraft fand. Ihm war furchtbar schwindelig.
Schnell gewann dann die schwarze Jacke mit dem weißen Fellkragen seine Aufmerksamkeit, die jemand als Decke über ihn gelegt hatte. Abermals wollte Platan erst nicht seinen Augen trauen. Diese Jacke gehörte eindeutig Flordelis.
Zaghaft griff er nach ihr und vergrub instinktiv ein wenig das Gesicht darin.
Daher kam also der vertraute Geruch ...
Viel zu vertieft in diesen wunderbaren Duft, nahm er nur schwach ein leises Brummen wahr. Nicht weit entfernt.
Und dann ertönte eine vertraute Stimme: „Gut, du bist wieder wach.“
Flordelis.
Sogleich wurde die Sehnsucht in ihm derart übermächtig, jeder Gedanke an Ordnung verschwand vorerst auf der Stelle aus seinem Kopf, auch wenn ein Teil in ihm das nicht gutheißen wollte. Widerwillig ließ Platan die Jacke sinken und hob den Blick.
Es war tatsächlich Flordelis, der soeben mit einem voll beladenen Tablett das Wohnzimmer betrat. Auf seiner Schulter saß die kleine Dedenne und knabberte glücklich an einer Illumina-Galette, während Clavion an Flordelis' Gürtel ging und zufrieden klimperte. Hinter Flordelis lief auch Pyroleo in den Raum und legte sich in sein Pokémon-Bett, um von dort alles aufmerksam zu beobachten, genau wie Kramshef, der auf seinem üblichen Platz auf der Stange saß.
Der Ausdruck in Flordelis' Augen war unerwartet sanft, als er auf ihn zukam und vorsichtig das Tablett auf dem Glastisch abstellte. Danach setzte er sich sogar neben Platan auf das Sofa. Fast hätte er einfach die Arme um Flordelis geschlungen, aber er hielt sich zurück. Falls das nämlich nur ein schöner Traum war, könnte sich diese Illusion sonst einfach in Luft auflösen.
Prüfend musterte Flordelis ihn. „Wie fühlst du dich?“
Eine Weile sah Platan ihn nur schweigend an und genoss die Nähe zu ihm, bis ihm auffiel, dass er antworten sollte.
„Ziemlich schwach.“ Platan rieb sich ein wenig über die Augen. „Und mir ist etwas schwindelig.“
Flordelis nickte verstehend, ehe er kritisch anmerkte: „Bestimmt hast du nichts gegessen, bevor du in die Wildnis gegangen bist.“
„In die Wildnis?“, wiederholte Platan verwirrt.
Er musste kurz nachdenken, bevor ihm wieder einfiel, was er zuletzt eigentlich gemacht hatte. Richtig, er war schon wieder in der Wildnis unterwegs gewesen, um etwas zu suchen. Hatte er dort etwa das Bewusstsein verloren? Zumindest konnte Platan sich vage erinnern, wie ihm plötzlich schwarz vor Augen geworden war.
Also hatte Flordelis ihn bewusstlos in der Wildnis gefunden?
Leise seufzend nickte Platan schwer. „Stimmt, ich habe nichts gegessen ... tut mir leid.“
Dafür ging es aber Dedenne und Clavion gut, wie man sehen konnte, und das beruhigte ihn.
„Zum Glück hattest du deinen Holo-Log dabei“, sagte Flordelis ruhig, statt ihn noch einmal zu tadeln. „Sonst hätte ich dich wahrscheinlich nicht gefunden.“
Automatisch warf Platan einen Blick auf seine Armbanduhr – ein Unikat, speziell angefertigt für ihn –, die er immer bei sich trug, und in der sein Holo-Log integriert war. Inzwischen war es spät am Abend, wie ihm nebenbei auffiel.
„Natürlich habe ich ihn bei mir.“ Der Ausdruck in seinen Augen wurde wärmer. „Schließlich war das ein Geschenk von dir ...“
Darum ging Platan niemals ohne seine Armbanduhr irgendwo hin. Sie musste stets bei ihm sein.
Etwas verwirrt blieb er dennoch, als er Flordelis wieder ansah. „Du hast mich gefunden, weil ich meinen Holo-Log dabei hatte? Aber wie?“
Einen Moment wirkte Flordelis so, als würde er gerade eine Feststellung machen, die dafür sorgte, dass er er sich entspannt. Man konnte es leicht übersehen, doch Platan bemerkte diese feine Nuance, die sich an seiner würdevollen Körperhaltung änderte.
Flordelis schmunzelte ein wenig. „Die allgemeine Bevölkerung weiß davon nichts, aber unter den notwendigen Behörden ist es bekannt, es ist also nicht per se illegal, so viel vorweg.“
Dann griff er nach Platans Handgelenk, um die Armbanduhr auch noch einmal zu betrachten. „Meine Zentrale kann jeden Holo-Log aufspüren, sofern ich die Seriennummer kenne und die Anweisung dafür gebe. Eigentlich war es dafür gedacht, Banditen aufzuspüren, aber heute habe ich damit deinen Aufenthaltsort ausfindig gemacht.“
Platan musste sich bemühen Flordelis aufmerksam zuzuhören und sich nicht von seiner Berührung ablenken zu lassen, die einen wohligen Schauer auslöste.
Nach der Erklärung betrachtete er die Armbanduhr erstaunt. „Das ... damit hätte ich niemals gerechnet.“
Natürlich kannte Flordelis die Nummer seines Holo-Logs und könnte ihn deswegen also jederzeit finden, wenn er es wollte. Irgendwie beruhigte Platan das auf eine wundersame Weise sehr.
„Da habe ich heute wohl wirklich Glück gehabt“, bemerkte er und lächelte Flordelis zu. „Danke, dass du mir geholfen hast.“
Statt ihn loszulassen, hielt Flordelis Platans Handgelenk weiter fest, sehr zu seiner Freude. Ob er diese Berührung auch so lange wie möglich genießen wollte?
„Das war nur natürlich“, betonte Flordelis, ehe er ein wenig ernster wurde. „Melde dich aber bei Gelegenheit auch noch bei deinen Assistenten, sie machen sich Sorgen wegen dir. Ich habe ihnen zwar schon Bescheid gesagt, dass ich dich gefunden habe, aber sie wollen sicher gerne selbst mit dir sprechen.“
Seine Assistenten, Sina und Dexio.
Hatten sie etwa mit Flordelis gesprochen? Sonst hätte er sich bestimmt nicht sofort heute auf die Suche nach ihm gemacht. Dafür musste Platan sich auf jeden Fall bei den beiden bedanken. Wer weiß, was ihm in der Wildnis hätte passieren können, wäre er nicht von Flordelis in Sicherheit gebracht worden?
Bevor er darauf etwas sagen konnte, fuhr Flordelis fort: „Und ich mache mir auch Sorgen. Du solltest also einen Kaffee trinken und etwas essen.“
Mit diesen Worten nickte er in Richtung des Tabletts und Platan lenkte kurz den Blick dorthin. Eine Tasse stand für ihn bereit, dazu eine Kanne mit frisch gekochtem Kaffee und ein Teller mit Illumina-Galetten. Dedenne war immer noch dabei genüsslich die zu essen, die Flordelis ihr schon gegeben haben musste.
Er ... ist so fürsorglich.
Obwohl Flordelis seinen Plan nicht unterstützen wollte, machte er sich weiterhin Sorgen und kümmerte sich so gut um ihn. In seinem Inneren wuchsen einige kleine Knospen in dem verbrannten Wald, den das Inferno der Wut am Samstag in seinem Inneren zurückgelassen hatte. Er war davon ausgegangen, sie beide würden nie wieder solche vertrauten Momente teilen.
„Ich habe dich vermisst“, hauchte Platan aufrichtig.
„Das kann ich nur zurückgeben“, gab Flordelis zurück. „Es war sehr ungewohnt, nicht regelmäßig mit dir zu sprechen.“
Darauf konnte Platan nur betrübt nicken. „Ich wollte dich so oft einfach anrufen, um deine Stimme zu hören. Oder einfach bei dir vorbeikommen, um dich zu sehen.“
Er sah Flordelis an, mit all der Sehnsucht, die er in den letzten Tagen immer wieder verspürt hatte. Es wäre schön, wenn sie einfach weitermachen könnten, als wäre nichts passiert. Das war aber nicht möglich. Schließlich beschritten sie nicht denselben Weg.
„Tut mir leid“, entschuldigte Platan sich. „Es ist meine Schuld, dass es so weit gekommen ist.“
Womöglich hätte er das nicht sagen sollen, weil Flordelis nun behutsam seine Hand ablegte und sie losließ.
„Können wir ... nicht darüber reden?“, bat Flordelis, ungewohnt leise. „Ich weiß, es ist bestimmt wichtig für dich, aber ...“
Es war ein Thema, das sie auseinander brachte.
Natürlich konnten sie nicht darüber sprechen, sofern sie diesen Abend miteinander verbringen wollten. Und anscheinend bevorzugte es auch Flordelis im Moment, so zu tun, als ob zwischen ihnen alles in Ordnung wäre. Also war es doch möglich? Wenn auch nur für einen kurzen Abend?
Platan handelte, bevor er darüber nachdenken konnte.
Im nächsten Augenblick hatte er bereits die Arme um Flordelis geschlungen und schmiegte sich an ihn. Die schnelle Bewegung hatte wieder Schwindel ausgelöst, doch er schloss einfach die Augen und ignorierte diesen somit.
„Ich sage nichts mehr“, schwor Platan aufgewühlt. „Ich freue mich zu sehr darüber, dass du gerade da bist.“
Er schmiegte sich noch mehr an Flordelis.
Dieser blieb zunächst untätig. Hatte Platan ihn nur überrumpelt oder gar eine Grenze überschritten? Zu seiner Erleichterung legte Flordelis wenig später seine Arme um ihn, fuhr Platan vorsichtig mit einer Hand beruhigend durch das Haar.
„Danke, Platan. Ich ... freue mich auch, dass da bist.“
Platan hörte nur, wie Dedenne erleichtert quietschte. Sie musste sich bereits Sorgen gemacht haben, die Stimmung zwischen ihnen könnte wieder kippen, aber sie schienen beide gerade wirklich aus ganzem Herzen nur die Nähe des jeweils anderen genießen zu wollen. Das war Platan nur recht, also verdrängte er seinen Plan und die damit verbundene Arbeit erst mal weiterhin.
„Das ist schön.“ Er seufzte befreit. „Ich esse auch gleich, damit du dir keine Sorgen mehr machen musst. Lass mich nur bitte eine Weile so bleiben.“
„Lass dir ruhig Zeit“, sagte Flordelis eindringlich. „Wir können so lange in dieser Postion verweilen, wie du willst.“
Nach dieser anstrengenden Woche war es genau das, was Platan gebraucht hatte. Diese Stimmung war nach der Sehnsucht, die ihn geplagt hatte, unbeschreiblich wohltuend. Beinahe heilsam wusch sie sanft den Stress davon und ließ sämtliche Sorgen in den Hintergrund rücken. Am liebsten wäre er für immer so nahe bei Flordelis geblieben.
An seiner Liebe für ihn hatte sich nichts verändert.
Chapter 13: Kapitel 12: Ich sorge für Ordnung
Chapter Text
Am Freitag war Platan noch lange bei Flordelis geblieben, was genau die Erholung war, die er dringend benötigt hatte. Erst nach Einbruch der Nacht war er wieder gegangen.
Bis zum Schluss hatte Flordelis nicht nachgehakt, weswegen Platan überhaupt in der Wildnis unterwegs gewesen war. Sicher vermutete er ohnehin folgerichtig, es könnte nur etwas mit dem Plan zu tun haben, der vorsah die Menschheit zu verbannen. Über dieses Thema hatten sie an diesem Tag tatsächlich kein einziges Wort mehr verloren, was gut so war. Sonst hätten sie die gemeinsame Zeit nicht genießen können.
Auf diese Weise hatten sie sich schließlich auch friedlich voneinander verabschiedet und das war für Platans Seele überaus heilsam. Denn somit bestand vielleicht die Aussicht auf ein Wiedersehen, was den Trennungsschmerz etwas erträglicher machte. Ein Funken Hoffnung blieb am Leben, es lag diesmal kein endgültiger Abschied hinter ihnen.
Deswegen plagte Platan nun die Unsicherheit, ob er Flordelis wieder zwischendurch anrufen und wenigstens seine Stimme hören könnte. Oder ob er es gar wagen sollte ihn am Sonntag einfach zu besuchen, weil er Sehnsucht nach ihm hatte. Allerdings wurde ihm diese Entscheidung dadurch abgenommen, dass einige Mitglieder der Kubus Garde am Wochenende seine Unterstützung benötigten, weshalb er es letztendlich bevorzugte ihnen zu helfen, statt sich den Kopf zu zerbrechen.
Mit Sina und Dexio hatte Platan inzwischen ebenfalls telefoniert und ihnen persönlich nochmal versichert, es sei alles in Ordnung. Außerdem sprach er ihnen seinen aufrichtigen Dank aus und bat sie darum weiterhin im Labor die Stellung zu halten, solange er beschäftigt war.
Am Montag erhielt er schließlich gegen Mittag eine besonders erfreuliche Nachricht, die ihn in die kahle, trockene Illumina-Steppe führte. Dort wurde etwas gesichtet, bei dem seine Anwesenheit zwingend erforderlich war. Seine treuen Leute hatten ein Georok entdeckt. Nicht irgendein Georok, dieses Exemplar trug etwas bei sich, das Platan für seinen Plan benötigte. Wie schon bei Iscalar, Evoli und einigen anderen Pokémon.
Bedauerlicherweise weigerte das Georok sich nur vehement, dieses Etwas freiwillig an ihn abzutreten. Ebenso wie die Pokémon zuvor. Dadurch verlor Platan nicht nur unnötig wertvolle Zeit, sondern auch Nerven, die sich während der gemeinsamen Zeit mit Flordelis erst vor Kurzem wieder regenerieren konnten. Zudem war dieses Verhalten an Dreistigkeit nicht zu überbieten.
Dabei konnte Platan Georok durchaus verstehen.
Immerhin verlieh das, was es an sich gerissen hatte, dem wilden Pokémon mehr Stärke. Natürlich wollte es solch eine Energiequelle nicht ohne Gegenwehr wieder abtreten, wodurch es zu einem recht heftigen Kampf in der Illumina-Steppe gekommen war. Einige Zeit später stellte ihr Zielobjekt fest, nicht gewinnen zu können, und beschloss zu fliehen. Zusammen mit vier Mitgliedern der Kubus Garde jagten sie das Georok anschließend quer durch das weitläufige Gebiet, bis es irgendwann auf einmal tobsüchtig Richtung Stadt rollte. Eine drohende Katastrophe, wegen der die Erde spürbar erzitterte.
Digdas sowie Digdris zogen erschrocken die Köpfe ein und verschwanden tief in der Erde, allgemein ergriffen die Pokémon in der Steppe, die sich durch diese heftige Auseinandersetzung zu einer Einöde der Unruhe gewandelt hatte, die Flucht, um nicht in diese Jagd verwickelt zu werden. Entschlossen und furchtlos verfolgten Platan und seine Leute das Georok stur weiter, ohne sich ablenken zu lassen.
Knapp vor dem Tor nach Illumina City konnten sie es dann endlich mit überzeugenden Argumenten – bestehend aus Pflanzen-Attacken – abfangen, gerade noch rechtzeitig, bevor es wirklich in einer Katastrophe endete, von der morgen sämtliche Medien berichtet hätten. Dazu käme es vermutlich dennoch, nur mit einem anderen Inhalt. Einige Reisende in der Nähe waren nämlich auf das Ganze aufmerksam geworden und würden sicherlich einige Aufnahmen machen, woran Platan sich jedoch nicht stören ließ. Er hatte momentan nur eines fest in Blick.
„Jetzt ist Schluss“, betonte er schroff, während er von Chevrumm abstieg – dank ihr hatte er Georok problemlos verfolgen und stoppen können. „Wer nicht hören will, muss fühlen.“
Auch die Mitglieder der Kubus Garde stiegen nach und nach von ihren eigenen Reit-Pokémon ab, aber Platans Blick konzentrierte sich einzig auf das Georok, welches wütend anfing ihn anzubrüllen. Dadurch glühte der grüne Schimmer in seinen Augen noch stärker, ein Zeichen dafür, wie stark es bereits mit diesem wertvollen Gut verschmelzen konnte. Jenem Bestandteil, der abhanden gekommen war. Der nicht zu einem Georok gehörte. Auch nicht zu anderen, niederen Pokémon.
Von dem Brüllen zeigte Platan sich gänzlich unbeeindruckt und warf ausdruckslos einen seiner Pokébälle nach vorne, aus dem sein Turtok erschien. Kampfbereit schnaubte er schwer und ging sofort in Kampfposition. Derweil sorgten die vier Teammitglieder im Hintergrund dafür, neugierige Leute aus der Stadt auf Distanz zu halten, damit sich niemand einmischte, wie er nur halbwegs mitbekam. Sogar Chevrumm verließ seine Seite und verschwand Richtung Tor, was er nicht weiter beachtete.
Für Platan war nur wichtig, sich ungestört um Georok kümmern zu können. Passenderweise brannte die Mittagssonne gerade unbarmherzig auf sie nieder und erschuf somit das eindrucksvollste Scheinwerferlicht für diesen bedeutsamen Moment, das er sich hätte wünschen können.
Nur eine klare Anweisung an Turtok und es feuerte erneut eine sehr effektive Hydropumpe auf Georok ab. Als das Sonnenlicht auf den stark gebündelten Wasserstrahl traf, entstanden dabei Regenbögen, wie eine heilige Aura, die umso mehr veranschaulichte welche Größe seine Mission besaß. Wie selbstlos seine Bemühungen waren und wie strahlend die Zukunft aussah, in die Platan die Welt führen wollte. Ja, er tat das Richtige.
Georok war zu erschöpft, um auszuweichen, wurde frontal getroffen und von den Füßen gerissen. Es stürzte nach hinten und landete mit einem Knall auf den staubigen Boden, schien aber direkt angestrengt wieder aufstehen zu wollen.
„Wenn du schlau bist“, ermahnte Platan ihn ernst, „bleibst du diesmal liegen!“
Mit diesen Worten griff er in seine Hosentasche und zog einen schwarz-grünen Würfel hervor, der etwas kleiner als ein gewöhnlicher Golfball war, in der Form eines Hexagons. Gewöhnlich war dieser Gegenstand allerdings nicht. Ganz und gar nicht. Genau wie die Augen von Georok schimmerte er bereits grünlich und Platan spürte deutlich, wie der Würfel in seiner Hand pulsierte.
Tatsächlich gelang es Georok aufzustehen, doch es rang sichtlich um sein Gleichgewicht. Das Pokémon war am Ende. Also könnte es sich nicht mehr dagegen wehren, wenn Platan ihm das abnahm, was ihm zustand.
Ohne zu zögern streckte er die Hand mit dem Würfel aus.
„Zurück zu mir“, befahl Platan monoton.
Seine Stimme war noch nicht verstummt, da wurde der Würfel von dem grünen Schimmern komplett verschluckt, so schien es, und begann langsam aus eigener Kraft zu schweben, rotierte nun knapp über Platans Handfläche. Gleichzeitig verkrampfte sich das Georok stöhnend und wurde ebenfalls von einem grünen Licht ummantelt.
Nur Sekunden später entstand vor dem Würfel eine Öffnung. Ein gleißend weißer Schlitz in der Luft, der sich wie ein Auge öffnete und das Licht von Georok gierig in sich aufsog, ohne dass sich das Pokémon dagegen wehren konnte. Schlagartig löste es sich nach wenigen Atemzügen restlos von ihm und sauste geradewegs als glühender Klumpen in die Öffnung hinein, die sich auf der Stelle wieder schloss und verschwand.
Ein zufriedenes Grinsen huschte über Platans Lippen und er umschloss den noch schwebenden Würfel mit der Hand. „Wundervoll.“
***
Da sich der Pokémon-Professor höchstselbst einem wilden Pokémon in einem Kampf entgegen zu stellen gedachte, noch dazu vor einem der Stadttore von Illumina City, verbreitete sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Medien. Auch Flordelis bekam schnell Wind davon, hauptsächlich durch Pachira, die ihn dafür sogar extra anrief.
Zu hören, dass Platan sich so publikumswirksam einen Kampf lieferte, war wirklich ungewöhnlich für ihn. Aus diesem Grund brach Flordelis direkt wieder in Sorge aus. Nur weil sie am Freitag nicht über den Plan gesprochen hatten, hieß das ja nicht, Platan würde ihn nicht mehr weiter verfolgen. Demnach hatte es sicher etwas damit zu tun.
Nach Pachiras Anruf ließ Flordelis sich zum nördlichen Stadttor fahren, wo sich tatsächlich eine Menschenmenge auf der anderen Seite versammelt hatte. Glücklicherweise genügte sein bloßes Auftreten, um Respekt zu erzeugen, so dass die Menschen für ihn zur Seite gingen, bis er so weit kam, dass er einen Blick auf Platan erhaschen konnte.
Tatsächlich, er stand einem Georok gegenüber und entließ soeben sein Turtok aus dem Pokéball, während Mitglieder seiner Kubus Garde eindringlich die Leute darum baten Abstand zu halten. Auch Flordelis wollten sie erst nicht durchlassen und legten ihm nahe, zu seiner eigenen Sicherheit hinten zu bleiben. Er musste sie aber nicht davon überzeugen, ihn doch näher heranzulassen, denn Chevruum eilte bereits herbei und scheuchte sie für ihn mit kräftigen Lauten sowie ihrem Geweih weg, weshalb sie sich wieder auf die anderen Menschen konzentrierten.
Flordelis schaffte es, kurz zu lächeln, als er Chevrumm begrüßte und ihr sanft über den Kopf strich, verbunden mit seinem Dank. Derweil wurde Georok von einer Hydropumpe getroffen, deshalb konzentrierten er sich lieber wieder auf Platan, dem er sich mit Chevrumm noch mehr nähern konnte. So war es ihm auch möglich den Würfel zu erahnen, der schließlich hervorgeholt wurde.
Was genau tat Platan da eigentlich?
Es sah nicht so aus, als gehörte das zu seinen eigentlichen Aufgaben als Pokémon-Professor.
Und dann … entfaltete sich dieses spektakuläre Lichtspiel vor ihnen, das mit diesem seltsam zufriedenen Grinsen auf Platans Gesicht endete, obwohl Georok offensichtlich bei dem, was er getan hatte, leiden musste. Allmählich wurde Flordelis etwas bewusst.
„Wundervoll“, sagte Platan, mit einer überheblichen Note, deren Klang sein gesamtes Wesen verzerrte.
Dieser Mann …
Das ist nicht Platan.
Niemals konnte das Platan sein.
Er sah aus wie er, aber alles an ihm war falsch. Seine Ausstrahlung, seine Stimme, sein Tonfall, sein Verhalten ... komplett falsch!
Mit großen Schritten verringerte er die Distanz zwischen ihnen weit genug, um ihn in Ruhe ansprechen zu können.
„Platan?“, fragte Flordelis finster, darauf erpicht, das Gesicht dieses falschen Mannes zu sehen, ihn zur Rede zu stellen und herauszufinden, was das sollte.
Erheitert warf Platan einen Blick – auch der war mehr als falsch – über die Schulter. „Ach, sieh an. Du auch hier, mein Lieber? Mit einem kleinen Publikum, wie ich sehe. Allerliebst~.“
Darauf hielt er die Faust, mit dem Würfel darin, an sein Kinn und schloss lächelnd die Augen. „Das trifft sich gut. So können wir gleich mal demonstrieren, worauf Kalos sich in Zukunft einzustellen hat.“
Dieser Mann war nicht der Platan, der noch am Freitag bei ihm gewesen war. Aber es konnte nicht daher rühren, dass er sich all die Zeit verstellt hatte. Warum erkannte Flordelis das erst jetzt? So anders wie dieser Mann vor ihm war, musste da mehr dahinterstecken. Etwas, das Flordelis ergründen musste.
„Was hast du vor?“, fragte Flordelis lauernd.
Platan wandte sich der schaulustigen Menge zu, statt die Antwort nur an ihn zu richten, und breitete schwungvoll einen Arm aus. „Die Kubus Garde wird zukünftig keine Gnade mehr mit Störenfrieden zeigen, die Chaos stiften! Egal ob mit Menschen oder Pokémon! Dieses Georok stürmte auf eure Stadt zu und hätte sicherlich eine Menge Schaden verursacht, wenn wir es nicht rechtzeitig aufgehalten hätten. Ihr solltet uns dankbar sein!“
Ein überraschtes und angespanntes Raunen ging durch die Ansammlung von Menschen. Nebenbei versuchte das besiegte Georok ein weiteres Mal aufzustehen, zweifelsohne um sich zurückzuziehen. Allerdings wirkte es schwer verletzt, weit käme es so sicher nicht. Besser wäre es, man würde es einfangen und zu einem Pokémon-Center bringen.
Darum wollte Flordelis bereits einen leeren Pokéball hervor ziehen und das selbst übernehmen, aber Platan erhob abermals das Wort, womit er ihn ablenkte: „Wir sind diejenigen, die für Ordnung sorgen! Also stellen wir sicher, dass es nicht noch einmal auf dumme Ideen kommen wird!“
Sein Blick wanderte zu Turtok, auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln – es versuchte den spöttischen Unterton zu verschleiern, doch Flordelis entging das nicht. „Setz noch einmal Hydropumpe ein. So lange, bis es nicht mehr aufstehen kann.“
Zuerst zögerte Turtok eine Sekunde, spürbar von Unsicherheit erfüllt, setzte jedoch gehorsam dazu an, ein weiteres Mal seine Kanonen zu benutzen. Unruhig wich Chevruum ein wenig zurück.
Flordelis reagierte schneller, als er die Worte überhaupt verarbeiten, geschweige denn mit Platan in Einklang bringen konnte. Ein entschiedenes „Nein!“ donnerte durch die Steppe. Im nächsten Moment materialisierte sich bereits sein Garados zwischen das gefallene Georok und Turtok, letzterer wurde warnend angebrüllt. Turtok hielt sofort inne und brummte nervös, wirkte fast erleichtert, von Garados unterbrochen worden zu sein.
„Platan, verdammt!“, fuhr Flordelis ihn an. „Was denkst du dir dabei?!“
Und was hatte es mit diesem Würfel auf sich, der unter Schmerzen irgendetwas aus Georok gezogen hatte?
Ein nervöses Quietschen drang leise aus der Kitteltasche von Platan. Das musste Dedenne sein. Verständlich, dass sie sich lieber versteckte, statt sich dieses Elend mit anzusehen. Dieser Platan musste für sie sehr beängstigend sein.
Aufgrund von Flordelis' Einmischung machte Platan ein finsteres Gesicht. „Ich stelle nur die Ordnung wieder her! Wir haben gelernt, dass Nettigkeit und Nachsicht nichts bewirkt. Also sei einsichtig und halte dich sowie dein Garados zurück!“
„Ganz sicher nicht!“, erwiderte Flordelis ihm. „Dieses wilde Pokémon wird nichts lernen, indem du es derart quälst! Und ich werde nicht zulassen, dass du hier deine verquere Form der Überlegenheit zu demonstrieren versuchst!“
Der wahre Platan würde auch nicht wollen, dass er damit in Verbindung gebracht werden würde, sobald diese falsche Version von ihm wieder fort war. Schon allein deswegen musste Flordelis sich ihm entgegenstellen, um seinen Ruf zu retten.
„So?“ Platan durchbohrte Flordelis mit seinem Blick. „Fein, fein, mein Freund. Warum demonstriere ich meine verquere Form der Überlegenheit dann nicht an dir? Wir werden uns offensichtlich sowieso niemals einig, also warum noch länger aneinander klammern?“
Warum noch länger aneinander klammern?
Nein, das durfte Flordelis nicht an sich heran lassen.
Dieser Mann war nicht Platan, er musste sich das einfach immer wieder sagen. Egal, wie sehr diese Person wie der Professor aussah, dass er seine Pokémon hatte und ihn kannte, er war nicht Platan. Er war eine grausame Parodie des richtigen, des gutmütigen Platan, in den Flordelis sich verliebt hatte. Vor ihm stand nun eine Fälschung und die konnte ihn nicht verletzen.
Platans Griff um den Würfel verstärkte sich sichtlich. „Turtok! Greif Garados mit Steinhagel an!“
Den Befehl führte Turtok sogleich aus und schleuderte Garados mehrere Steine entgegen. Davon ließ sich Flordelis nicht schrecken. Er wies Garados an, die Steine mit Drachenpuls zu zerstören. Geschickt lenkte sein Pokémon den glühenden, magentafarbenen Strahl so, dass die gegnerischen Projektile allesamt von der Drachenenergie in viele kleine Teile zersplittert wurden, von denen sie keinen Schaden mehr zu befürchten hatten.
Anschließend leitete Flordelis schon den Gegenangriff ein: „Donnerblitz!“
Elektrizität zuckte um sein Pokémon, dann schoss er diese Turtok entgegen, der zu langsam war, um diesem Angriff auszuweichen. Unzufrieden knirschte Platan darauf mit den Zähnen, obwohl Turtok einen Donnerblitz doch recht gut wegstecken konnte.
In der Zwischenzeit bemühte Georok sich weiterhin darum zu fliehen. Mittlerweile stand es schon wieder auf den Beinen und versuchte langsam davon zu torkeln. Die Schaulustigen dagegen hatten angefangen aufgeregt miteinander zu diskutieren und verfolgten den Kampf gespannt.
Da Platan gesehen hatte, wie Garados Gesteins-Attacken leicht abwehren konnte, griff er als nächstes zu einer anderen Attacke: „Turbodreher!“
Geschwind zog Turtok sich in seinen Panzer zurück, dieser fing daraufhin an sich um sich selbst zu drehen, ehe er blitzschnell auf Garados zuschoss. Diesmal könnte sie das nicht einfach mit einem Donnerblitz abwehren. Nun benötigte es noch mehr Kraft.
Fordernd streckte Flordelis den Arm aus. „Hyperstrahl!“
Noch ein Stück weiter öffnete Garados sein Maul, in dem sich ein helles Licht bildete. Konzentriert nahm er Turtok direkt ins Visier – und dann schoss er ihm den Strahl entgegen. Auf diese Nähe konnte er ihn unmöglich verfehlen. Als der Hyperstrahl Turtok traf, bremste es den Turbodreher somit nicht nur sehr erfolgreich ab, sondern fügte dem Ziel auch noch jede Menge Schaden zu.
Der Panzer fiel schwer zu Boden und Turtok kam wieder hervor, ziemlich angeschlagen. Offensichtlich war er nicht allzu gut trainiert worden, aber der richtige Platan hatte auch stets betont, wie wenig ihm das Kämpfen lag. Auch seiner Fälschung ging es anscheinend ähnlich.
„Verdammte Pokémon-Kämpfe“, zischte Platan ungehalten, und rief Turtok zurück in den Ball.
Bläuliches Licht tanzte für ein paar Sekunden durch die Luft, dann war der Gegner verschwunden. Ein erfolgreicher Sieg.
Nachdenklich starrte Platan Garados an. Überlegte er, ob er noch einen Versuch mit einem anderen Pokémon wagen sollte? Sicher würden Flordelis und Garados nicht zurückweichen, egal, gegen wen sie als nächstes kämpfen müssten. Eigentlich wäre es aber besser, sie könnten es an dieser Stelle beenden.
So kam es dann zum Glück auch.
„Schön, du hast gewonnen“, gab Platan nach. Darauf warf er einen abwertenden Blick zu Georok, der noch nicht weit gekommen war, sich jedoch immer noch erschöpft entfernte. „Keine Lektion heute. Beschwert euch aber nicht, wenn das Pokémon eines Tages für Chaos sorgt.“
Gut, er ließ Georok gehen. Genau das hatte Flordelis beabsichtigt. Selbst wenn er es nicht in ein Pokémon-Center bringen könnte, auch weil Platan ihn als gefährlich gebrandmarkt hatte, wäre es in der Wildnis sicher. In der Steppe gab es keine natürlichen Feinde für Georok, er müsste sich nur über eine längere Zeit erholen.
„Ich werde dann die Verantwortung übernehmen“, versicherte Flordelis gefasst, schon allein, weil er bezweifelte, dass dieses Georok je Chaos verursachen würde.
Sicher war Platan dafür verantwortlich, dass es überhaupt erst auf die Stadt zugestürmt war. Und es hing bestimmt mit diesem Würfel sowie dem grünen Licht im Zusammenhang.
„Was hast du ihm angetan?“, hakte Flordelis nach. „Was hast du ihm genommen?“
Empörung sprudelte aus Platan heraus. „Ich soll ihm etwas genommen haben?!“
Mit der Faust, in der er nach wie vor den Würfel festhielt, klopfte er sich gegen die Brust. „Dieses Georok hat sich unerlaubt etwas angeeignet, das ihm nicht gehört. Es befindet sich nun wieder bei dem rechtmäßigen Besitzer, nämlich bei mir.“
Georok hatte etwas von ihm genommen?
Ein halbherziges Lächeln folgte. „Ich habe die Dinge in Ordnung gebracht und somit nur meine Pflicht erfüllt. Wie kommt es eigentlich, dass du auf einmal so neugierig bist, mein Lieber?“
Zu gern hätte Flordelis noch mehr erfahren, aber dass der andere plötzlich das Thema wechselte, beunruhigte ihn. Auch wenn er sich das weiterhin nicht anmerken ließ. Vor diesem Platan durfte er keine Schwäche zeigen.
Deswegen sah er ihn nur kühl an. „Wenn ich denke, dass du Pokémon quälst – ein unverzeihliches Verbrechen –, kann ich meine Neugier nicht zügeln.“
„Ich quäle niemanden“, korrigierte Platan ihn und sah ihn eindringlich an. „Wie oft muss ich das noch sagen? Ich sorge für Ordnung. Und wenn ich dafür alle Mittel ergreifen muss.“
Seine Art für Ordnung zu sorgen, quälte andere, aber das schien er wiederum nicht zu verstehen. Mit geballten Fäusten starrte Flordelis diese billige Fälschung von Platan weiterhin an. Wie könnte irgendjemand auf ihn hereinfallen? Wie hatte er selbst auf ihn hereinfallen können?
Seufzend winkte Platan ab und steckte den Würfel zurück in seine Hosentasche. „Aber ich weiß schon, das verstehst du nicht. Immer noch sehr bedauerlich.“
Mit einer kurzen Handbewegung gab Platan seiner Kubus Garde zu verstehen, dass sie aufhören konnten die Menschen zurückzuhalten. Danach winkte er Chevruum zu sich, die sich ihm nur zögerlich näherte. Um sie zu beruhigen, tätschelte er ihren Kopf, kaum dass sie bei ihm angekommen war. Ihr konnte er aber sicher auch nicht wirklich etwas vormachen.
Pokémon waren äußerst feinfühlig.
„Wir sind hier fertig“, verkündete Platan, an seine vier Mitglieder gewandt, die direkt zu ihm geeilt waren. „Lasst uns gehen.“
Garados musterte alle misstrauisch, inklusive Platan – und Flordelis verstand, was seinem Pokémon gerade durch den Kopf ging, denn er dachte ebenso.
„Wenn du so etwas noch einmal tust“, warnte Flordelis, „werde ich dich wieder aufhalten.“
Niemals würde er diese Fälschung einfach gewähren lassen.
Auf diese Warnung reagierte Platan mit einem amüsierten Grinsen. „Oh, viel Erfolg dabei. Du wirst mich wohl auf Schritt und Tritt verfolgen müssen, um sicherzustellen, dass ich so etwas nicht noch einmal tue.“
„Lassen Sie sich nicht provozieren, Professor!“, warf ein weibliches Mitglied ein. „Wir werden Sie alle unterstützen!“
Ein anderes Mitglied hob die Faust in die Luft. „Kubus Garde!“
„Ordnung!“, rief das dritte Mitglied.
Lächelnd schüttelte Platan den Kopf. „Wie es aussieht, sind wir alle sehr engagiert. Nun denn, Flordelis, au revoir.“
Damit wandte er sich von Flordelis ab, rief Chevruum zurück in den Pokéball und schritt mit seinen Mitgliedern der Menschenmasse entgegen, um in die Stadt zurückzukehren. Finster blickte Flordelis ihm hinterher und legte eine Hand auf Garados, als dieser neben ihn flog, mit einem ähnlich düsteren Ausdruck.
„Ich weiß nicht, was hier vor sich geht“, sagte Flordelis leise zu seinem Pokémon, „aber ich werde es herausfinden und es beenden. Ich werde Platan retten.“
Garados gab ein zustimmendes Schnauben von sich, das er bestimmt mit all seinen anderen Pokémon teilte. Zusammen könnten sie mit Sicherheit herausfinden, was vor sich ging – und vielleicht müsste er auch Pachira dafür einspannen, immerhin erfuhr sie alles oft als erstes.
Vorerst müsste er aber auch in sein Büro zurückkehren ... und dann überlegen, wie er am besten herausfinden könnte, was mit Platan los war.
Chapter 14: Kapitel 13: Ich wollte mit euch über den Professor sprechen
Chapter Text
Im Erdgeschoss des Labors fanden noch Brandschadensanierungen statt, weswegen es den Großteil des Tages über recht laut war. Erst am Nachmittag machten die Leute schließlich nach und nach Feierabend, wodurch endlich wieder etwas Ruhe einkehrte, was wirklich angenehm war. Jedenfalls am Anfang. Nach einer Weile nahm diese Stille eher einen erdrückenden Effekt an. Deshalb stieß Dexio irgendwann, ganz bewusst, einen langen und schweren Seufzer aus.
Noch im selben Atemzug würde normalerweise in solchen Momenten nun der Professor sofort von seinem Bürostuhl hochfahren und direkt besorgt zu ihm eilen, um nachzuhaken was los sei. Diesmal geschah das aber nicht, denn der Schreibtisch von Platan war immer noch verwaist. Seit fast zwei Wochen hatte er sich nicht mehr im Büro blicken lassen und kümmerte sich auch an diesem Donnerstag stattdessen lieber nur um die Kubus Garde.
Kubus Garde.
Genau deswegen hatte Dexio seufzen müssen.
Natürlich waren ihm die Berichte über den Kampf gegen das Georok vor einem der Stadttore nicht entgangen. Man hätte schon selbst unter einem solchen Gesteins-Pokémon leben müssen, um nichts davon mitzubekommen. Die Medien war voll davon. Auch der anschließende Kampf gegen Flordelis war aktuell das brandaktuelle Thema Nummer 1 in Illumina City. Jeder fragte sich, was genau da los gewesen war. Sicher, Platan hatte angekündigt, seine Organisation würde zukünftig härter durchgreifen, sobald jemand Chaos stiftete, doch was zum Gypheldis sollte das genau bedeuten?
Nahm die Kubus Garde sich da nicht etwas viel heraus?
Vor allem ...
„Was ist nur mit dem Professor los?“, fragte er Sina ratlos. Beide saßen nebeneinander an ihrem gemeinsamen Schreibtisch, gegenüber des Aufzuges. „Er verhält sich wirklich seltsam. Ob die Sache mit dem Feuer ihn so sehr mitgenommen hat?“
Meistens wies Sina ihn darauf hin, sie müsse sich auf die Arbeit konzentrieren, momentan stand jedoch nicht mal ihr der Sinn danach. Darum antwortete sie Dexio sofort etwas zerknirscht: „Ich weiß es nicht. Kann ein einzelnes Feuer ihn wirklich so sehr zerrüttet haben? Früher war er doch nicht so.“
Dexio faltete die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich gemütlich in seinem Stuhl zurück. „Na ja, vorstellen kann ich mir das auch nicht. Aber sonst ...“
Er ließ kurz den Blick durch das Büro schweifen. Eigentlich könnten sie einfach schon nach Hause gehen. Es war ziemlich sinnlos geworden hier herumzuhängen.
Vorbildlich kümmerte Sina sich darum, dass im Büro weiter alles glatt lief, indem sie Datenpflege und Kommunikation mit den ausgewählten Kindern betrieb – während Dexios Aufgaben im Büro sich auf die des Papierträgers beschränkten, weil er mehr in der Feldforschung glänzte. Momentan gab es für ihn aber nicht mal etwas herumzutragen oder etwas anderes zu tun.
Denn auch Sina wusste, egal, ob sie viel oder wenig sie Arbeit erledigten, Platan würde sich das alles sowieso nicht ansehen. Der Professor reagierte nicht mal wirklich auf ihre Anrufe. Dabei hatten sie beide gehofft, Platan wäre nach dem letzten Freitag und Flordelis' Hilfe ein wenig besser gelaunt. Eben wieder mehr er selbst.
„Sonst kann es nur noch etwas mit der Kubus Garde zu tun haben“, fuhr Dexio grübelnd fort. „Wenn der Professor sie nicht gegründet hätte, würde ich glatt annehmen, er ist da in irgendeine Sekte hineingeraten.“
Sina wog ebenso nachdenklich den Kopf hin und her. „Vielleicht hat der Professor ja eine Sekte gründen wollen.“
Dieser Gedankengang passte gar nicht zu dem Bild, das sie sich von Platan bisher gemacht hatten. Könnte sich jemand für derart lange Zeit wirklich so gut verstellen?
„Ich meine ... warum hat er sie denn überhaupt gegründet?“, fügte Sina hinzu.
Und sie beide nicht mal dazu eingeladen, obwohl sie immerhin schon die passenden Uniformen besaßen. Ob Sina sich darüber genauso empörte wie er?
Auf ihre Worte konnte Dexio nur mit den Schultern zucken. „Sie reden immer von Ordnung, aber bei einigen Telefonaten hat er mal von irgendeinem Plan Z gesprochen.“
Wofür dieses Z wohl stand? Wohl kaum für nichts. Dieser Buchstabe könnte alle möglichen Bedeutungen haben und darum machte er sich gar nicht erst die Mühe das genauer zu ergründen.
„... Haben wir uns so sehr in dem Professor getäuscht?“, murmelte Dexio, womit er seine Befürchtung laut aussprach. „Es sind ja meistens die, von denen man es nicht erwartet, die dann irgendwie in Wahrheit verrückt sind.“
„Ich will mir das gar nicht vorstellen. Er war immer so nett ...“
Richtig. So nett, dass der Professor sich sogar über jedes einzelne Seufzen von ihnen Sorgen gemacht hatte, was wirklich außergewöhnlich für einen Chef war.
Plötzlich erklang das leise Geräusch des Aufzugs, der soeben auf ihrem Stockwerk hielt. Im Augenwinkel nahm Dexio wahr, wie Sina sich neben ihm versteifte, was er gut verstehen konnte. Niemand dürfte einen Grund haben ins Büro zu kommen, wenn der Professor nicht anwesend war, also musste es sich um genau diesen handeln. Wäre er so drauf wie immer oder ganz anders? Aktuell war das schwer einzuschätzen.
Kaum öffneten sich die Türen, sog Sina überrascht die Luft ein. „Monsieur Flordelis?“
Tatsächlich betrat der in ganz Kalos bekannte Geschäftsmann und Wissenschaftler das Büro, wie gewohnt in edler Montur. Irgendwie wusste Dexio nicht so recht ob er erleichtert oder enttäuscht darüber sein sollte, dass nicht der Professor derjenige war, der aus dem Aufzug kam. Auf jeden Fall war er ziemlich überrascht Flordelis zu sehen. Mit ihm hatte er absolut nicht gerechnet.
Der Blick von Flordelis wanderte kurz zur Trennwand hinüber. „Ich denke, ich muss nicht fragen, ob der Professor hier ist, oder?“
Auf diese Frage nickte Dexio sofort bestätigend. „Der Professor war auch diese Woche kein einziges Mal hier. Wir wissen also nicht, wo er gerade ist.“
Mal wieder. Ihnen blieb nur zu hoffen, dass es ihm zumindest gut ging und nicht wieder etwas passiert war.
„Wollten Sie zu ihm oder zu uns?“, hakte Dexio noch nach.
Warum auch immer der reichste Mann von Kalos, bekannter Geschäftsmann und Wissenschaftler, ausgerechnet etwas von zwei Assistenten eines Professors, der seit einiger Zeit seltsam drauf war, wollen sollte. Aber da Flordelis sich schon denken konnte, den Professor nicht hier anzutreffen, war Dexio gespannt, weswegen er dann hierher gekommen war.
Mit einem festen Blick sah Flordelis sie beide an. „Tatsächlich wollte ich zu euch.“
Tatsächlich?
„Was können wir für Sie tun?“, erkundigte Sina sich etwas nervös.
„Ich wollte mit euch über den Professor sprechen“, erwiderte Flordelis gefasst.
Ab dem Punkt wusste Dexio, dieser unerwartete Besuch würde interessant werden. Auch wenn Sina und er leider nicht allzu viel sagen könnten, da sie selbst ziemlich ratlos waren. Aber Flordelis hatte es letzte Woche schon geschafft den Professor irgendwie zu finden. Warum sollte ihnen zusammen dann nicht vielleicht etwas einfallen, um mehr Licht in diese ganze Sache zu bringen?
***
Flordelis überstand die Enttäuschung, die sich in ihm ausbreitete, kaum dass er festgestellt hatte, dass Platan nicht da war. Im Grunde kam ihm das aber gelegen, denn sein Ziel war es nun einmal, in Ruhe mit Sina und Dexio zu sprechen. Nicht mit Platan. Ausnahmsweise.
Bedauerlicherweise waren seine bisherigen Versuche, alleine etwas herauszufinden, nicht ergiebig gewesen. Also baute er darauf, etwas von den beiden zu erfahren, das ihm weiterhelfen könnte.
Nur wenige Schritte waren für ihn nötig und er stand bei den Assistenten am Schreibtisch, ehe er weitersprach: „Ihr habt ja bestimmt gehört, was am Montag geschehen ist. Wisst ihr mehr über Platans Pläne?“
Immerhin trugen sie beide im Prinzip die gleichen Uniformen wie die Kubus Garde. Also war der Gedanke nicht allzu abwegig.
„Nicht wirklich“, entgegnete Dexio bedauernd, demnach entsprach es wohl der Wahrheit. „Wir sind keine Mitglieder der Kubus Garde, sondern nur für das Labor tätig. Der Professor hat auch nie mit uns über seine Pläne gesprochen. Wir haben von einigen Telefonaten, die er im Büro geführt hat, nur mal mitbekommen, dass es einen Plan Z gibt, den die Kubus Garde verfolgt.“
Zur Bestätigung nickte Sina darauf.
Das überraschte Flordelis ein wenig. Selbstverständlich hatte er erwartet, dass die beiden Assistenten, für die Platan stets nur lobende Worte gefunden hatte, auch ein Teil seines Plans wären. Andererseits ... hatte er ohnehin vor, alle Menschen zu verbannen, also was sollten ihn die beiden kümmern? Zumindest dem falschen Platan bedeuteten sie sicher nichts.
„Plan Z?“, wiederholte Flordelis interessiert. „Was bedeutet das?“
Kopfschüttelnd hob Dexio die Schultern. „Keine Ahnung.“
Nach dieser knappen Antwort dachte er scheinbar kurz über seine folgenden Worte nach: „Neben dem Schutz der Natur und der Pokémon scheint die Kubus Garde aber auch noch eifrig etwas zu suchen. Sicher für diesen Plan Z. Der Professor bekam manchmal Anrufe von Mitgliedern, die ihm mitteilten, etwas gefunden zu haben. Danach hat er das Büro immer sofort verlassen.“
Im Anschluss schnaubte er. „Das ist alles echt mysteriös.“
Tiefe Falten bildeten sich auf Flordelis' Stirn. Hatte das etwas mit diesem Würfel und dem grünen Licht zu tun? Am besten stellte vorerst einfach noch mehr Fragen.
„Habt ihr gehört, was Platan mit dem Georok getan hat?“
Sina war diejenige, die darauf antwortete und gleichzeitig eine unsichere Frage stellte: „Er ... hat es davon abgehalten, die Stadt anzugreifen, oder?“
Da die Kubus Garde andere Schaulustige ferngehalten hatte, war es vermutlich wirklich sonst niemandem aufgefallen, außer Flordelis, der wesentlich näher am Geschehen dran gewesen war. Deswegen fasste er für die beiden kurz zusammen, was er beobachtet hatte. Beschrieb dieses grüne Licht, das von dem Würfel aufgesogen wurde.
„Er sagte, es gehöre ihm und das Georok hätte es sich unrechtmäßig angeeignet.“
Nun runzelten auch Sina und Dexio die Stirn.
„Das klingt ... nicht gut“, merkte Sina an.
Das sah auch Dexio so, der ein wenig die Hände hob. „Was zum Grypheldis treibt der Professor denn mit der Kubus Garde?!“
Nach diesem Ausbruch kam ihm aber wohl eine Idee.
„Ich hätte einen Vorschlag, der uns vielleicht dabei hilft mehr herauszufinden“, begann Dexio, wobei er bedeutungsvoll zu Sina schielte. „Wir müssten aber eine kleine Grenze überschreiten.“
Seine Kollegin erwiderte den Blick eher unzufrieden. „Also ... ich weiß wirklich nicht, ob wir das tun sollten.“
Wie gelang es einigen Menschen nur, sich allein durch Blicke etwas mitzuteilen? In diesem Moment bemerkte Flordelis wieder einmal, wie unerfahren er mit zwischenmenschlichen Beziehungen war. Er konnte jedenfalls nicht aus Dexios Blick herauslesen, was er meinte, weshalb er nachhaken musste: „Worum geht es denn?“
Eventuell könnte er es den beiden einfach abnehmen, wenn es ihnen zu unangenehm war. Flordelis war fest entschlossen, mehr herauszufinden, auch wenn er dafür eine Grenze überschreiten müsste. Platan würde ihm das bestimmt verzeihen, sobald er das Problem gelöst hatte.
Dexio lenkte den Blick wieder zu Flordelis und lehnte sich dabei etwas vor. „Wir könnten möglicherweise etwas herausfinden, wenn wir den Schreibtisch des Professors durchsuchen. Oder auch seine Schränke. Er ist ja nicht da, also wird er es sowieso nicht mitbekommen. Aber damit würden wir halt eine Grenze überschreiten.“
Sicher mochten sie damit Platans Vertrauen missbrauchen, weswegen Sina wahrscheinlich nicht begeistert davon war, doch an sich klang es nach einer sehr guten Idee. Mit etwas Glück hatte Platan irgendwelche Notizen oder Hinweise hinterlassen, die ihnen helfen könnten. Selbst wenn es nur eine Kleinigkeit war ...
„Ich bin dafür“, verkündete Flordelis, ohne jeglichen Zweifel. „Wir sollten es versuchen.“
Seine Zustimmung half dabei, dass auch Sina nachgab. „Okay, dann machen wir das. Hoffentlich kommt der Professor aber nicht doch plötzlich vorbei.“
„Falls das passiert, stellen wir ihn einfach direkt zur Rede“, beschloss Dexio und stand schwungvoll auf. „Also lasst es uns tun!“
Ein wenig ... wirkte der Junge dabei etwas zu begeistert.
„Nicht, dass ich das schon immer gern mal tun wollte oder so“, nuschelte Dexio und räusperte sich.
Danach machte er sich bereits als erster auf dem Weg zum Schreibtisch von Platan, Flordelis und Sina folgten ihm. Der Arbeitsplatz des Professors war so ordentlich, man könnte glauben, er wurde überhaupt nicht benutzt – und das war momentan wirklich der Fall, wie Flordelis mitbekommen hatte.
Für ihn war es seltsam, im Büro zu stehen, ohne dass Platan auch hier war. Einen kurzen Moment glaubte er, seinen Freund doch auf dem Stuhl sitzen zu sehen, wie er ihm herzlich zulächelte, als er kurz von seinen Unterlagen aufsah. Dieses Bild weckte das Gefühl der Sehnsucht in ihm. Wann würde Flordelis ihn wieder so lächeln sehen?
„Womit fangen wir an?“, fragte Sina, nun offenbar auch neugierig und erpicht genug.
„Mit den Schubladen natürlich!“ Motiviert ging Dexio um den Schreibtisch herum. „Dorthin lässt man schon mal am ehesten wichtige oder geheime Notizen verschwinden, wenn man nur schnell aufräumen will. Nicht, dass ich das so machen würde.“
Vorsichtig zog Dexio die erste Schublade heraus ... und war sichtlich erstaunt darüber, was für eine Ordnung dort drin herrschte. Jeder noch so kleine Gegenstand schien seinen festen Platz haben. Im Gegensatz zu Dexio war dieser Anblick für Flordelis nicht verwunderlich. Schon immer hatte Platan einen gewissen Sinn für Ordnung – inzwischen war er davon nur etwas zu besessen und trieb es zu sehr auf die Spitze.
Während Dexio langsam einige Hefte anhob und sich ein Bild von dem Inhalt der Schublade machte, beobachtete Flordelis, wie Sina eine andere öffnete, um darin nach irgendetwas zu suchen. Dabei murmelte sie leise „Wow, ich wünschte, unsere Schubladen wären so ordentlich“.
Selbst die in Flordelis' Büro wiesen nicht eine derartige Ordnung auf.
„Ich finde, unsere Schubladen sind sehr sympathisch“, tröstete Dexio sie. „Die erzählen Geschichten, nur ohne Worte.“
Dexio klang ziemlich poetisch, bestimmt hatte er das von Platan.
... Hoffentlich würde Platan irgendwann auch wieder so sein. Flordelis vermisste seine ausufernden Geschichten, seine lebhaften Gestiken und vor allem das tiefe, aber ergriffene Seufzen, wenn die Geschichte gut ausgegangen war. Er würde ihm wieder ewig zuhören, sobald das hier vorbei war.
Nun sollte Flordelis aber auch damit anfangen, sich an der Suche zu beteiligen. Also tat er das.
So nahm er nur im Augenwinkel wahr, wie Dexio einige Papiere aus der Schublade heraus holte und sie erwartungsvoll zu lesen begann. Schon nach kurzer Zeit gab er schließlich ein zögerliches „... Oh.“ von sich, worauf er sich wieder räusperte. Diesmal merklich verlegen.
Und dann reichte Dexio ihm die Papiere, ohne ihn anzusehen. „Die sind für Sie.“
Diese Reaktion auf das, was er aus der Schublade gezogen hatte, ließ Flordelis verwundert die Augenbrauen heben. „Für mich?“
Neugierig nahm er die Papiere entgegen und warf einen Blick darauf. Schnell erkannte er, dass es sich dabei um handgeschrieben Briefe handelte. Verfasst in der schönsten Schreibschrift, die Flordelis jemals gesehen hatte. Warum sollte Platan Texte an ihn verfassen und sie hier im Büro verstecken, statt sie ihm zu geben? Hatte er einen solchen Fall vielleicht schon vorhergesehen?
Als Dexio sich näher zu Sina lehnte und ihr etwas zuflüsterte, fing Flordelis an zu lesen.
Bereits nach wenigen Sätzen stellte sich heraus, dass diese Briefe keine Informationen zur gegenwärtigen Situation enthielten – aber die Dinge, die hier niedergeschrieben worden waren, fühlten sich fast noch besser an und ließen Flordelis erst einmal die Umstände verdrängen.
Bei dem, was er gerade in den Händen hielt, handelte es sich um Liebesbriefe. Jeder einzelne war eindeutig an Flordelis gerichtet. Sein Name fiel mehrmals in diesen romantischen Zeilen, die Platan für ihn festgehalten hatte. Dafür nutzte er eine überaus eloquente Wortwahl und zeichnete mit jedem einzelnen Satz farbenprächtige Gemälde, welche seine reinen Gefühle sowie seine Sehnsucht nach Flordelis widerspiegelten. Diese Briefe waren voller Poesie.
Im Grunde hatte er es schon ahnen können, rein von Platans Worten und Taten der letzten Zeit, auch wenn sie nicht immer eindeutig für ihn gewesen waren – das mit dem Eisbecher etwa war ihm erst durch Pachira und die entsprechenden Artikel bewusst geworden –, aber seine Furcht, Platan nur misszuverstehen, hatte ihn davon abgehalten, den richtigen Schluss zu ziehen und danach zu handeln. Bedauerlicherweise. Mit diesem Wissen hätte Platan seine Frage, ob er mit ihm die Menschheit verbannen wollte, nie gestellt, denn Flordelis hätte ihn wirklich einfach geküsst und ihm seine Vorstellung von etwas Verrücktem gezeigt.
Aber das war nun ein müßiger Gedanke, der ihn nur von dem warmen Feuer in seinem Inneren ablenkte.
Platan liebte ihn.
Und er drückte dies so elegant und gleichzeitig leidenschaftlich aus, dass Flordelis' Herz endlich auftaute – es entfachte eine neue Flamme der Entschlossenheit in ihm.
Egal, was mit Platan geschehen war, Flordelis würde ihn auf jeden Fall retten. Danach würde er diese Gefühle erwidern, ihm zeigen, wie sehr er ihn auch liebte. Zusammen würden sie Ordnung und Schönheit schaffen. Auf ihre Weise.
Trotz all dieser Gefühle blieb Flordelis' Gesicht vollkommen ausdruckslos, als er die Briefe sinken ließ, aber den leichten Rotschimmer darauf konnte er wohl kaum verbergen. Umso unangenehmer war es, wie gespannt vor allem Dexio ihn schon die ganze Zeit anstarrte.
„Ich schätze, wir sollten die Briefe wieder zurücklegen“, sagte Flordelis mit dunkler Stimme und reichte sie Dexio zurück.
Irritiert sah dieser Sina an und sie erwiderte den Blick mit der gleichen Emotion, sagte aber nichts. Zu gut konnte Flordelis sich denken, dass sie ob seiner fehlenden Reaktion enttäuscht waren. Allerdings war im Moment nicht die richtige Zeit dafür, darauf zu reagieren. Nicht vor ihnen. Glücklicherweise war er dank seiner Ausbildung und seiner täglichen Arbeit gut darin, sich nichts anmerken zu lassen.
Als Dexio ihm die Briefe wieder abnahm und dorthin zurücklegte, wo er sie gefunden hatte, wurde Flordelis' Herz ein wenig schwer. Zu gern hätte er sie behalten, um sie noch viel öfter zu lesen, besonders wenn er allein war. In aller Ruhe. Einige Teile hatte er nämlich nur überfliegen können. Aber das wäre unfair gegenüber Platan, deswegen verzichtete er darauf. Außerdem würde er sonst auf jeden Fall merken, dass sie den Schreibtisch durchsucht hatten, falls er mal wieder im Büro erschiene.
„Okay, dann suchen wir mal weiter“, meinte Dexio rasch.
„Ja“, stimmte Flordelis zu, „lasst uns weitersuchen.“
***
Also taten sie das, so vorsichtig wie möglich, um keine Unordnung anzurichten.
Vieles hatte tatsächlich mit der Arbeit im Labor zu tun, manchmal fiel ihnen aber auch etwas anderes in die Hände. Wie einige Flyer für verschiedene Cafés, Restaurants oder andere Etablissements, die Platan irgendwann vermutlich nach und nach unterwegs in die Hand gedrückt worden waren, aber die er nicht einfach wegschmeißen wollte. Auf einigen davon hatte er sich sogar Notizen darüber gemacht, wie der Kaffee dort schmeckte – das sah ihm ähnlich.
Nachdem bereits etwas Zeit vergangen war und ihre Suche keine Erfolge erzielt hatte, musste Flordelis sich bemühen, seine Enttäuschung im Zaum zu halten. Sicher, diese Durchsuchung an sich war nur ein Versuch gewesen, ein winziger Hoffnungsschimmer. Eigentlich hatten sie damit rechnen müssen, nichts zu finden.
Und dann, als es tatsächlich hoffnungslos schien, sog Dexio auf einmal tief die Luft ein und nur Sekunden später hallte seine aufgeregte Stimme auf einmal durch das Büro: „Ich glaube, ich habe hier etwas gefunden!“
Ein kleines, grünes, unscheinbares Notizbuch, das Dexio in den Händen hielt, zog direkt sämtliche Blicke auf sich.
„ Zygarde, das Ordnungs-Pokémon “, las er laut daraus vor.
Sofort entwickelte sich aus dem Hoffnungsschimmer ein loderndes Feuer.
Ordnung. Genau wie Platan es gesagt hatte.
Endlich, eine Spur.
„Zygarde?“, wiederholte Flordelis. „Davon habe ich noch nie gehört.“
Sowohl Sina als auch Flordelis traten näher an Dexio heran, weil sie auch einen Blick in dieses Buch werfen wollten. Ja, eindeutig Platans Handschrift. Genau wie in den Briefen. So wie es aussah, war gerade eine der letzten Seiten aufgeschlagen.
„Ich auch nicht“, schloss Dexio sich ihm an, bevor er vorlas, was Platan sich notiert hatte. „Zygarde, dem Ordnungs-Pokémon, wurde die Aufgabe zugeteilt die Natur und das natürliche Gleichgewicht zu beschützen, zusammen mit Xerneas und Yveltal. Sobald das Gleichgewicht gestört wird oder es eine Gefahr registriert, entfesselt es seine Kräfte, um seine Rolle als Wächter zu erfüllen. Es ist der Anführer dieses Trios.“
Mehr hatte Platan über die Geschichte dieses Pokémon nicht geschrieben, sondern nur noch einige Stichpunkte festgehalten. Auch die las Dexio vor. „Nirgendwo verzeichnet? Form verloren. Zellen und Kerne benötigt. Nur in Kalos oder noch mehr in Sinnoh?“
Danach reichte er das Notizbuch Flordelis, der es sofort an sich nahm und sich die Seiten noch einmal genauer ansah. Neben den Notizen gab es auch einige kleinere Zeichnungen von Platan. Eine davon sah aus wie ein grüner Blob mit Augen. Eine andere zeigte tatsächlich einen Würfel, an dem ein Fragezeichen vermerkt war.
Dieser Würfel!
Flordelis erkannte ihn sofort.
Es war jener, den Platan in der Hand gehalten hatte, mit dem er das grüne Licht aus Georok herausgezogen hatte. Grün, genau wie dieser Blob.
„Das ist es!“, rief Flordelis aus. „Platan versucht, Zygarde wieder zusammenzusetzen.“
Es befindet sich nun wieder bei dem rechtmäßigen Besitzer, nämlich bei mir.
Genau das hatte Platan gesagt. Bedeutete das etwa ...? Aber wie war das geschehen?
„Deswegen Plan Z“, erkannte Dexio und verschränkte die Arme. „Aber gibt es dieses Zygarde echt?“
Die Geschichten von Xerneas und Yveltal dürften die beiden kennen, aber von diesem dritten Ordnungs-Pokémon hörten sie sicher alle zum ersten Mal. Woher kam diese Geschichte?
Unruhig teilte Dexio noch mehr seiner Gedanken mit: „Moment, Moment. Diese gesamte Kubus Garde hat also eigentlich nur dieses Ziel? Will der Professor dieses Pokémon so dringend sehen oder glaubt er, es könnte mit einem Schlag einfach für Ordnung sorgen?“
„Nein“, widersprach Flordelis finster. „Er ist von diesem Pokémon besessen.“
Sina sah ihn fragend an. „Wie meinen Sie das?“
„Ich weiß nicht, wie es möglich sein kann oder wann es passiert ist, aber Zygarde kontrolliert ihn. Das muss die Antwort sein.“
Deswegen sein geradezu obsessives Verhalten bezüglich Ordnung. Deswegen die Aussage, dass Georok ihm etwas gestohlen hätte. Und deswegen sein komplett anderes Verhalten am Montag. Oder bei ihrem Gespräch am Samstag vor einer Woche.
Dexio konnte nicht verbergen, wie schockiert er über diese Enthüllung war. „Das ist verrückt. Wenn das wahr ist ... was machen wir dann jetzt? Sollen wir einfach mit Zygarde sprechen? Ist ja nicht so, dass ich etwas gegen Ordnung hätte und der Professor sicher auch nicht. Der hilft dem Pokémon sicher auch ohne jegliche Beeinflussung.“
Bestimmt schüttelte Flordelis den Kopf. „Ich glaube nicht, dass wir mit Zygarde sprechen können. Zygardes Ordnungssinn ist an einem Punkt angekommen, an dem man ihm nicht mehr mit Worten beikommt.“
„Woher wissen Sie das so genau?“, hakte Sina nach.
Ernst zog Flordelis die Augenbrauen zusammen. „Ich habe am Montag mit ihm gesprochen. Er ist ganz und gar davon besessen, seine eigenwillige Form der Ordnung wiederherzustellen. Egal, was er dafür Pokémon oder Menschen antun muss.“
Menschen, die er ohnehin loswerden wollte. Aber das würde er den beiden nicht erzählen, sie mussten es nicht wissen. Bestimmt konnten sie auch so erahnen, dass es für niemanden gesund sein dürfte.
Weiterhin blieb Dexio schockiert und starrte Flordelis mit großen Augen an. „Okay ... das ist schlecht.“
Nachdem er sich etwas gefangen hatte, sprach er weiter: „Es gab doch aber bestimmt schon genug Fälle von Menschen, die kurze Zeit von Pokémon besessen waren, oder? Ich hab mich damit bisher nie beschäftigt, aber irgendwie muss man Zygarde ja wieder von dem Professor lösen können.“
Irgendwie musste es möglich sein, ja. Nur war Flordelis sich auch nicht sicher, wie das funktionieren sollte. In solchen Momenten hätte er normalerweise Platan danach gefragt, doch das fiel im Moment vollkommen raus. Selbst wenn sein Platan ihm antworten wollen würde, verhinderte Zygarde das bestimmt.
„Ich hab mich auch noch nie damit beschäftigt“, bekundete Sina. „Vielleicht sollten wir das nachholen.“
Flordelis bereute bereits, keine Kontakte zu anderen Pokémon-Professoren zu haben. Irgendeiner von ihnen hätte ihm bestimmt auch etwas sagen können.
Genau das sprach Dexio dann auf einmal von sich aus an: „Wir können vielleicht auch bei ein paar Professoren nachhaken, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Oder es gibt sogar schon eine Abhandlung darüber von irgendwem. Hoffen wir mal, dass bis dahin wegen Zygarde nichts Schlimmes passiert.“
Somit hätten sie nun einiges zu tun und müssten die eigentliche Arbeit ein wenig nach hinten verschieben. Nun war es zu ihrem Vorteil, dass Platan sich gerade ohnehin nicht mehr für das Labor interessierte. So könnten sie ohne Probleme eigene Nachforschungen anstellen. Und es sah so aus, als würden sie das für Platan gerne tun.
Verständlich, ihren Professor mochten sie sicher sehr. Sonst wären sie letzte Woche auch nicht zu ihm gekommen, weil sie sich Sorgen um ihn gemacht hatten.
„Ich werde versuchen, Schlimmeres zu verhindern“, versprach Flordelis ihnen. „Bitte konzentriert euch deswegen auf diese Aufgabe. Ich verlasse mich auf euch.“
Sina wirkte seltsam stolz, als er das sagte, und versicherte ihm, dass sie sich sofort melden würden. Nur um dann noch erstaunt nachzuhaken: „Aber wie wollen Sie Schlimmeres verhindern? Die Kubus Garde ist nicht immer derart öffentlich unterwegs.“
Darauf schmunzelte Flordelis ein wenig. „Keine Sorge, ich habe meine Mittel und Wege.“
Du wirst mich wohl auf Schritt und Tritt verfolgen müssen.
Das hatte Platan zwar zu ihm gesagt, aber dabei offensichtlich nicht mehr bedacht, dass all seine Kommunikation mit der Kubus Garde – oder zwischen den Gardemitgliedern – aufgrund der leichteren Handhabung über den Holo-Log verlief. Als Entwickler dieser Technik hatte Flordelis Mittel und Wege, entsprechende Gespräche oder Nachrichten zu jeder Zeit abzufangen und auszuwerten. Damit wüsste er immer ganz genau, wo weitere Zellen oder was auch immer es war, gesichtet worden waren, und könnte Platan dort treffen.
Leider könnte er das Buch nicht mitnehmen, weil sie nichts in seinem Arbeitsbereich verändern durften, doch nun hatte Flordelis eine Spur. Ein klares Ziel, das er verfolgen konnte.
Und er würde es nicht aus den Augen verlieren, bis er es erreicht hatte.
Chapter 15: Kapitel 14: Deine Augen sehen dunkler aus als sonst
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Platan fühlte sich gänzlich ausgebrannt.
Im Moment war einfach alles zu viel für ihn.
Mit der Kubus Garde weiterhin effektiv Unruhestiftern Einhalt zu gebieten und gleichzeitig intensiv nach den letzten ... Was suchte er noch gleich? Jedenfalls war es furchtbar anstrengend und in jeder Hinsicht kräftezehrend. Vielleicht weil er nicht mehr der junge Mann war wie zu den vergangenen Zeiten, in denen er noch regelmäßig auf Reisen gewesen war, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln.
Inzwischen fühlte Platan sich nach mehreren Tagen körperlicher und psychischer Belastung beinahe unfähig an diesem Sonntag überhaupt aufzustehen. Am liebsten wäre er einfach liegengeblieben, denn neben der Erschöpfung plagte ihn ein Gefühl der Leere, die sogar noch wesentlich belastender für ihn war. Eine Art schwarzes Loch, das jegliche Motivation für irgendetwas gnadenlos in sich aufsog.
Einzig die Gedanken an Flordelis blieben davon verschont.
Einige Tage hatten sie sich erneut weder gesehen noch gesprochen, seit ihrer zufälligen Begegnung am Montag. Sollte er sich richtig erinnern, war ihre letzte Unterhaltung recht ... unglücklich verlaufen. Sicher wollte Flordelis ihn nun wirklich nicht mehr treffen, zumindest nicht in nächster Zeit.
Darum wusste Platan selbst nicht, was er sich davon versprach, als er sich dennoch nachmittags auf den Weg zu Flordelis' Anwesen machte. Sein Körper und sein Geist schrien nach wie vor nach Ruhe, deshalb wäre es wahrscheinlich besser gewesen noch etwas Schlaf nachzuholen. Allerdings schien er dadurch auch keine spürbare Erholung zu finden.
Also war er letztendlich einfach losgezogen, nur um am Ende nervös und unsicher vor dem Haus auf dem Gehweg herumzustehen. Tatenlos die Tür anzustarren. Verloren. Hilfesuchend. Aber es hatte keinen Sinn. Selbst wenn er sich überwinden und klingeln könnte, bliebe die Tür für ihn mit Sicherheit verschlossen. Er verschwendete hier seine Zeit.
Außerdem erdrückte ihn die perfekte Ordnung des wohlhabenden Wohnviertels heute eher und wirkte kalt auf ihn. Deswegen fröstelte er in seinem grauen Mantel wohl auch ein wenig.
Müde rieb Platan sich mit dem Handrücken über die Augen. „Flordelis wird mir die Tür nicht öffnen. Sicher nicht. Was habe ich mir nur dabei gedacht?“
Dedenne widersprach quietschend auf seiner Schulter und auch Clavion fing plötzlich an optimistisch mit seinen Schlüsseln zu klimpern, ehe er sich von Platans Gürtel löste. Geschickt schwebte er unter dem Mantel hervor und steuerte mit stolzer Haltung zur Haustür hinüber, was Platan mit einem milden Lächeln beobachtete.
„Clavion“, sprach er ihn nachsichtig an. „Ich habe es dir doch schon mal gesagt, wir haben keinen-“
Bevor Platan den Satz beenden konnte, schob Clavion gezielt einen seiner Schlüssel ins Schloss und drehte ihn geschmeidig. Die Tür wurde aufgeschlossen und öffnete sich. Problemlos, einfach so. Clavion wandte sich ihm gut gelaunt zu.
Ungläubig starrte Platan erst ins Haus hinein, hielt einige Sekunden den Atem an, bevor er sein Pokémon wieder ansah. „Clavion, woher hast du den Schlüssel für diese Tür? Du hast ihn nicht einfach unerlaubt an dich genommen, oder?“
Voller Empörung schüttelte Clavion sich heftig, fuhr herum und flog wie selbstverständlich ins Haus hinein. Auch Dedenne sprang von seiner Schulter und lief quietschend ins Innere, was so schnell geschah, dass Platan es nicht rechtzeitig verhindern konnte.
Etwas unbeholfen streckte er die Hand aus. „Clavion?! Dedenne?!“
Sie ignorierten seine Rufe und kamen nicht zurück.
Unsicher trat Platan etwas näher an die geöffnete Tür. Sollte er auch reingehen? War das ein Zeichen des Schicksals, dass er es ruhig tun sollte, obwohl es ihm nicht richtig vorkam? Selbst wenn Flordelis ihn sofort bitten würde wieder zu gehen, könnte er zuvor wenigstens kurz sein Gesicht sehen und seine Stimme hören. Dieser Gedanke spendete ihm genug Trost, um den Mut zu sammeln, es einfach zu wagen.
Ein wenig angespannt atmete Platan tief durch und folgte seinen beiden Pokémon – die er auf jeden Fall zurückholen musste, somit war das zusätzlich eine gute und nachvollziehbare Ausrede dafür, seiner Sehnsucht nachzugeben.
Leise schloss er die Tür hinter sich und stellte verwundert fest, dass Klaviermusik zu hören war. Sie klang viel zu schön und lebendig, es konnte sich nicht um eine Aufnahme handeln, die Flordelis laufen ließ. Wie in Trance folgte er dem Klang, möglichst leise, bis zu einem Zimmer, das ziemlich weit vom Eingangsbereich entfernt lag. Dort, an einer weiteren, geöffneten Tür, entdeckte Platan Clavion und Dedenne. Seine beiden Pokémon starrten ehrfürchtig und zugleich verzaubert in den Raum hinein. Als Platan sich zu ihnen stellte, verstand er sofort, warum.
Flordelis.
Flordelis saß an einem großen, edlen Flügel, der mitten in einem lichtdurchfluteten Raum stand, und ließ diese Melodie erklingen, die das gesamte Haus erfüllen musste. Sein alter Freund spielte Klavier, voll und ganz darin vertieft, mit einer unbeschreiblichen Anmut und Leichtigkeit. Ein Anblick, der Platan den Atem raubte.
Eleganz war stets eine spürbare Nuance in der Ausstrahlung von Flordelis, nun kam auch eine Reinheit hinzu, die sein Herz berührte und schneller schlagen ließ. Deshalb legte er unbewusst eine Hand auf die Brust, während er Flordelis zuhörte.
Diese Musik ... war angenehm heilsam.
Nach einer Weile wagte er sich den Raum zu betreten und einige Schritte auf Flordelis zuzugehen, blieb jedoch ein paar Meter entfernt stehen, um ihn weiter fasziniert zu beobachten.
Erst eine Bewegung im Augenwinkel machte ihn darauf aufmerksam, dass sich auch Pyroleo im Raum befand. Dieser lag in der Nähe des Flügels und hatte den Kopf gehoben, um sich sofort auf Platan zu fixieren. Abrupt hielt Flordelis inne – bedauerlicherweise – und warf einen Blick über die Schulter. Nervosität erwachte in Platan. Sicher würde Flordelis nun ungehalten werden und ihn auf der Stelle auffordern das Haus zu verlassen, womit Platan fest rechnete. Schließlich dürfte er eigentlich nicht hier sein.
Deswegen blinzelte Flordelis vermutlich auch erst ein wenig, weil er nicht glauben konnte, wen er gerade in seinen eigenen vier Wänden stehen sah. „Platan?“
Danach wanderte sein Blick zur Tür, wo sich Dedenne und Clavion befanden. Letzterer trug wohl nach wie vor einen gewissen Stolz in sich, was Platan alleine daran hörte, wie die Schlüssel klimperten.
Auf einmal wurde Flordelis' Miene direkt etwas sanfter. „Ah, hast du deinen neuen Schlüssel benutzt?“
Keine ungehaltene Rede? Kein sofortiger Rauswurf? Fast hätte Platan erleichtert aufgeatmet.
Dafür sah er aber irritiert selbst nochmal zu Clavion. „Heißt das, er hat den Schlüssel von dir?“
Klimpernd drehte Clavion sich munter im Kreis, was Dedenne nachahmte.
Zu seiner Überraschung nickte der Befragte als Antwort. Wann hatte Flordelis die Zeit gehabt Clavion unbemerkt einen Schlüssel zu geben? Etwa letzten Freitag?
„Warum?“, fragte Platan ratlos, während er Flordelis sehnsüchtig ansah.
Sein Freund stand auf und wandte sich ihm richtig zu, weiterhin mit einem sanften Ausdruck. Eben hatte Platan geglaubt, dieser galt nur seinen Pokémon, doch Flordelis behielt ihn bei, auch als er nun ihn ansah.
„Ich wollte, dass du einen Ort hast, an den du gehen kannst, wenn dir alles zu viel wird“, antwortete Flordelis ihm auf die zweite Frage. „Und das jederzeit. Einen sicheren Hafen, wenn du so willst.“
Nach dieser Erklärung schmunzelte er etwas. „Mir erschien es passender, Clavion diesen Schlüssel anzuvertrauen. Schon allein, weil das weniger ... denkwürdige Konnotationen mit sich führt. Und weil er sich so sehr über Schlüssel freut.“
Platans Lächeln kehrte zurück, als er noch einen Blick zu dem glücklichen Clavion warf. „Das war wirklich eine liebevolle Geste von dir. Damit hast du ihm eine große Freude gemacht.“
Nun könnte er also jederzeit einfach hierher kommen, wenn ihm danach wäre. Niemals hätte er gedacht, jemals einen Schlüssel für dieses Anwesen zu bekommen. Besonders nicht unter den aktuellen Umständen. Sein Herz schlug immer noch viel zu schnell und der Rhythmus gewann stetig an Tempo.
„Und mir auch“, fügte Platan noch leise hinzu, womit er offen aussprach, was in dieser Sekunde in seinem Herzen vorging. Erschöpft senkte er den Kopf. „Ich habe tatsächlich das Gefühl, im Moment ist alles etwas zu viel für mich.“
Er ließ Flordelis keine Zeit, darauf etwas zu sagen, denn er sah ihn danach schon bewundernd an. „Ich wusste nicht, dass du Klavier spielen kannst. Es klang wundervoll~.“
„Platan“, begann Flordelis, mit einem weiteren Schmunzeln, „du betonst doch so gern meine königliche Abstammung. Natürlich gehört zu einer solchen Ausbildung auch eine musikalische Erziehung. Und ein Flügel ist ein sehr königliches Instrument, nicht wahr?“
In der Tat, wenn Flordelis Schlittschuh laufen konnte, was Platan auch noch unbedingt sehen wollte, war es tatsächlich nur logisch, dass er ebenso gelehrt bekommen hatte Klavier zu spielen. Dennoch konnte Platan nur bewundern, wie viel Talent in Flordelis steckte.
Der nickte zum Klavierhocker. „Willst du dich zu mir setzen? Ich spiele dir gern noch etwas vor. Vielleicht hilft dir das, zu entspannen.“
Darauf konnte es von Platan nur eine einzige Antwort geben: „Ich würde mich sehr darüber freuen~.“
Also nahm er sogleich auf dem Klavierhocker Platz, was für Clavion und Dedenne eine Einladung zu sein schien, denn die beiden betraten den Raum anschließend ebenfalls. Clavion hängte sich diesmal spontan an den Gürtel von Flordelis, während Dedenne auf Pyroleos Rücken sprang, um sich in sein Fell zu kuscheln – wann hatte sie die Furcht vor ihm verloren?
Glücklicherweise reagierte der Partner von Flordelis sehr friedlich. Pyroleo brummte nur leise, ansonsten schien ihm Dedennes Furchtlosigkeit sehr zu gefallen. Entspannt ließ er auch den Kopf wieder sinken, statt die Situation weiter zu beobachten.
Auch Flordelis setzte sich erneut, diesmal neben Platan. Ohne jegliches Zögern oder irgendeinen Zweifel. Möglicherweise wollte Platan es nur glauben, doch Flordelis wirkte über seine Anwesenheit unerwartet zufrieden.
Sonst würden seine Finger sicher nicht ein weiteres Mal mit Gefühl und Leichtigkeit über die Tasten fliegen und ein neues Lied anstimmen. Platan wollte die Augen schließen, um die Musik angemessen zu würdigen und in sich aufnehmen zu können, doch er wollte auch nicht darauf verzichten Flordelis beim Spielen zu beobachten. Beides zusammen machte diesen Moment erst recht magisch und vollkommen.
Kein falscher Ton störte die Melodie, die Flordelis nun für ihn spielte. Ein langsames, verträumtes Stück. Nahezu romantisch. Wünschte Platan es sich nur oder wollte Flordelis ihn auf diese Weise behutsam umhüllen, ihm Liebe schenken? Es könnte tatsächlich an seiner Erschöpfung liegen, aber irgendwie fühlte er sich Flordelis auf einmal wieder näher. Endlich ...
Also ließ Platan sich auf diesen Moment ein und lehnte sich leicht mit dem Kopf bei Flordelis an, auch wenn er diesen damit kurz aus dem Konzept brachte, doch es gelang ihm schnell, sich zu fangen und unbeirrt weiterzuspielen. Während Platan ihm die ganze Zeit aufmerksam zuhörte, lächelte er ununterbrochen entspannt.
Irgendwann ließ Flordelis dann die letzten Töne verklingen, ehe er schmunzelnd auf Platan hinabsah. „Ich muss wohl nicht fragen, ob es dir gefallen hat, hm?“
„Es war traumhaft“, betonte Platan gelöst. „Ich habe mich gleich noch mehr in dich-“
Er hielt gerade noch rechtzeitig inne und versuchte auszuweichen: „Hineinversetzen können. Wie du spielst, meine ich. Ich kann mir gut vorstellen, wie erfüllend es sein muss.“
Hoffentlich war ihm die Verlegenheit nicht zu sehr anzusehen, aber gegen seine geröteten Wangen könnte er nichts unternehmen. Ausgerechnet in diesem Moment betrachtete Flordelis ihn aber kurz genauer, Platan konnte regelrecht seinen Blick auf sich spüren.
„Es ist sehr erfüllend“, bestätigte Flordelis dann. „Aber gleichzeitig habe ich lange nicht mehr gespielt, weil es nicht so wirkte, als könne ich damit die Welt retten. Ich habe hilfreichere Dinge zu tun.“
Wie schade, dass Flordelis das Klavierspiel eine Weile aufgegeben hatte, auch wenn Platan den Grund dafür durchaus nachvollziehen konnte.
Für einen kurzen Moment schwieg Flordelis, ehe er noch etwas hinzufügte: „Für dich spiele ich aber gern jederzeit.“
„Das ist gut, denn zumindest meine Welt machst du damit besser“, versicherte Platan ihm aufrichtig und löste sich von Flordelis, um ihm dankbar zuzunicken. „Ich komme also auf jeden Fall auf das Angebot zurück. Nun kann ich dich ja jederzeit belästigen, wenn ich will~.“
Seine letzten Worte ließen ihn leise lachen.
„Nun, wenn ich die Welt von nur einer Person verbessern kann, dann bin ich froh, dass es deine ist“, entgegnete Flordelis auf Platans Worte. „Wollen wir dann ins Wohnzimmer gehen? Dort ist es vielleicht ein wenig gemütlicher, so kannst du dich auch besser erholen.“
Flordelis war so ... unglaublich. Bisher verhielt er sich vollkommen normal, nein, sogar mehr als das. Er nahm Platan jegliche Nervosität und all seine Sorgen, obwohl im Moment alles eigentlich schrecklich kompliziert war. Vor allem zwischen ihnen.
Nickend stand Platan auf. „Gute Idee. Auch wenn mir dieses Zimmer gefällt.“
Aufgrund der Erschöpfung breitete er etwas weniger schwungvoll als gewöhnlich die Arme aus und ließ lächelnd den Blick schweifen. „Der Klang hier ist einmalig.“
Mit einem leichten Lächeln erhob sich Flordelis ebenfalls. „Es ist schön, dass dir dieser Raum gefällt. Wir können ihn zukünftig ja öfter aufsuchen.“
Nach diesen Worten legte er einen Arm um Platans Schultern und führte ihn vorsichtig aus dem Raum. Diesmal suchte Flordelis von sich aus diese Nähe zu ihm. Zudem zeigte er sich überaus fürsorglich, indem er ihm im Wohnzimmer vorsichtig den Mantel auszog, diesen zur Seite legte und Platan im Anschluss dazu brachte, sich auf das Sofa zu setzen. Das erfüllte Platan mit einem Gefühl, als würde er auf Wolken schweben.
Pyroleo war ihnen gefolgt, mit der schlafenden Dedenne auf seinem Rücken, und legte sich dort in sein Pokémon-Bett. Erst da fiel Platan etwas auf. Wo mochte Kramshef gerade sein? Sonst saß er im Wohnzimmer stets auf seiner Stange. Vielleicht waren Kramshef und Wie-Shu momentan bei Garados im Garten. Sie benötigten schließlich zwischendurch etwas Bewegung und frische Luft. Kein Wunder, dass Platan sich unbemerkt durch das Haus bewegen konnte.
Kaum setzte Flordelis sich dicht neben ihn auf das Sofa, konzentrierte Platan sich wieder voll und ganz auf ihn. Ließ sich von diesem wundervollen Mann in den Bann ziehen.
„Schon besser, oder?“, hakte Flordelis nach.
Einen Augenblick konnte Platan ihn nur zufrieden ansehen, bevor er auf die Frage reagierte. „Ja, das ist besser.“
Etwas verlegen wandte er den Blick ab. Vor einigen Minuten war er nicht einmal sicher gewesen, ob er überhaupt klingeln sollte, und nun saß er hier. Bei Flordelis, der ihn, trotz der Geschehnisse am Montag, so gut behandelte. Liebevoll gar.
„Das Schicksal führt uns immer wieder zueinander, wie es scheint“, murmelte Platan leise.
„Ja“, schloss Flordelis sich ihm an. „Oder vielleicht auch einfach nur Sehnsucht.“
Plötzlich griff er vorsichtig nach Platans Kinn und sorgte mit zärtlicher Führung dafür, dass er Flordelis wieder ansah. „Der Stress bekommt dir nicht. Deine Augen sehen dunkler aus als sonst.“
Auf der Stelle überschlug Platans Herz einige Takte – es hatte sich immer noch nicht beruhigt und geriet nun regelrecht außer Kontrolle. Von einer Sekunde zur nächsten entstand ein wärmender Blütenwirbel in seiner Brust.
Diese Position ...
Dieser Moment war so ...
Nein, Flordelis machte sich schlicht Sorgen. Platan musste sich fangen. Allerdings war er zu überrumpelt von seinen Gefühlen und dieser erwartungsvollen Hitze, die in sein Gesicht stieg. Sein gesamter Wortschatz schien sich soeben verabschiedet zu haben, weshalb Platan kaum noch einen anständigen Satz bilden konnte, als er versuchte, irgendwie zu reagieren.
„Das ... ja? Ich habe ... darauf achte ich ... nicht ... sehr ...“
Sein Herz trommelte derart laut gegen seine Brust, dass er sich unmöglich konzentrieren konnte.
„Platan.“
Der beinahe schnurrende Unterton in Flordelis' Stimme, mit dem er nun einfühlsam sprach, machte es nicht besser. Sein Verstand setzte aus. Auf solch eine verführerische Weise hatte er zuvor Platans Namen gesagt. Ein wohliger Schauer erfasste ihn.
„Lass mich dir einen Grund geben, zukünftig darauf zu achten“, fuhr Flordelis fort.
Damit schloss er die Distanz zwischen ihnen und legte seine Lippen auf die von Platan. Schlagartig wandelte sich der farbenprächtige Blütenwirbel in seinem Inneren zu einem leidenschaftlichen Orkan und überwältigte ihn so sehr, dass er leise keuchte, bevor er den Kuss sehnsüchtig erwiderte.
Er musste sich gar nicht fragen, ob das gerade wirklich passierte. Das Gefühl in seiner Brust war derart intensiv, zu greifbar, es könnte niemals nur ein Traum sein. Sämtlicher Stress verschwand augenblicklich. Es gab nur noch Flordelis und ihn, er fühlte sich so frei und klar wie schon lange nicht mehr.
***
Schicksal. Jenes Wort, das Platan so sehr mochte.
Ja, es musste wahrlich Schicksal sein, das ihn an diesem Tag zu Flordelis führte.
Nach langer Zeit hatte es Flordelis wieder an den Flügel gezogen und dank der tiefen Klänge, die durch seinen Körper vibrierten, schienen ihm seine Sorgen genommen zu werden, als sie sich um ihn herum entfalteten. Für diesen winzigen Moment war alles in Ordnung für ihn gewesen. Zumindest fast.
Gerade, als er gedacht hatte, nur Platans Anwesenheit an seiner Seite könnte es vollkommen machen, tauchte er plötzlich wie eine Erscheinung bei ihm auf. Frei von jeder Beeinflussung durch Zygarde, wie Flordelis schnell erkennen konnte. Sein Platan war zu ihm gekommen.
Alleine dessen Blick traf direkt in seine Brust, dort, wo auch dieses angenehme Feuer ruhte, seit er die Liebesbriefe gelesen hatte. Wieder und wieder tauchten Teile dieser Zeilen vor Flordelis' innerem Auge auf.
Platan liebte ihn. Jedes Mal fachte dieser Gedanke das Feuer in seinem Herzen weiter an und vertrieb die Kälte, die zurückkehren wollte, wann immer er auch an Zygarde denken musste. Nach Platans Erscheinen rückten diese Sorgen vorerst ein Stück in den Hintergrund.
Angetrieben von dem Glücksgefühl, seinen Platan bei sich zu haben, hatte er ihm eine jener Melodien vorgespielt, die er damals während seiner Ausbildung lernte, ein langsames, romantisches Stück. Angeblich eine Komposition für die Frau, in die jener Komponist verliebt gewesen war. Kein Wunder, dass es sich einfach anfühlte, als wäre es voller Liebe.
Im Wohnzimmer hatte Flordelis sich schließlich kaum noch zurückhalten können. In seiner Brust brannte die Sehnsucht – und ausgehend von den Liebesbriefen war er davon überzeugt, dass es Platan ähnlich gehen dürfte.
Spätestens bei Platans fehlender Eloquenz, was überaus bezaubernd war, wurde das Gefühl geradezu übermächtig für Flordelis. So sehr, dass er sogar kurzerhand einen Teil seiner Vorsätze über Bord warf, um einen neuen zu fassen, weil das Feuer in ihm einfach zu stark wurde.
Sehnsucht und Schicksal waren es, die sie heute zusammengeführt hatten.
Und Flordelis beschloss, es dankend anzunehmen.
Mitgerissen von der Stimmung, hatte er seine Lippen auf die von Platan gelegt. Etwas, das er schon viel zu lang hatte tun wollen – und das von dem Gefühl in seiner Brust direkt belohnt wurde, indem es sich vollständig in ihm entfaltete und ihn für diesen Moment endgültig jedes Problem vergessen ließ.
Er war hier mit Platan, der ihn liebte, und möglicherweise half es diesem ja auch, wenn er wusste, dass seine Sehnsucht erwidert wurde. Alles andere wurde dadurch unwichtig.
Für seinen Vorstoß wurde Flordelis dann tatsächlich noch mehr belohnt, mit einem leisen Keuchen seitens Platan, bevor dieser den Kuss tatsächlich erwiderte.
Dieses Keuchen ...!
Einen solchen Ton hatte er noch nie von Platan gehört, deswegen sprach es etwas in seinem Inneren an, das wesentlich mehr Nähe von ihm wollte.
Schützend legte er die Arme um Platan und zog ihn näher zu sich, bis er seine Wärme spüren konnte und von seinem Geruch eingehüllt wurde. Dabei unterbrach er den Kuss nicht, sondern ließ ihn noch ein wenig intensiver werden. Platan sollte all seine Gefühle dadurch vermittelt bekommen, all seine Sehnsucht, seine Sorgen und auch seine Verwirrung.
Platan sollte spüren, was für einen großen Teil er in Flordelis' Leben einnahm.
Als Reaktion darauf vergrub Platan die Hände in seinem Oberteil und seufzte atemlos in den Kuss hinein. Aufgrund dieser Nähe konnte Flordelis auch spüren, wie Platans Körper leicht zu zittern anfing, während dieser sich auf die Leidenschaft einließ und sie erwiderte.
Wie viele Sekunden mochten inzwischen vergangen sein? Noch wollte Flordelis seine Lippen nicht von Platan lösen. Stattdessen vergrub er auch noch eine Hand in den schwarzen Haaren, genau wie er es sich gewünscht hatte, als Platan an diesem unleidlichen Samstag gegangen war. Etwas, was gerade wie aus einem anderen Leben erschien.
Schließlich ließ er aber schwer atmend von Platan ab, um diesen anzusehen, mit leicht geröteten Wangen, die ihn gerade nicht einmal störten. Immerhin war Platan derjenige, der ihn so sah, er allein, und das erfüllte ihn vielmehr mit Freude.
„Also“, sagte Flordelis, noch nach Atem ringend, „deine Augen sehen jetzt schon wieder viel besser aus.“
Wie er musste auch Platan zunächst Luft holen und atmete dabei noch schwerer als er. Auch sein Gesicht zeigte um einiges deutlicher, wie viel Hitze sich durch den Kuss in ihm gesammelt hatte. Wahrscheinlich ging Platan das gleiche wie Flordelis durch den Kopf, während sie einander verzaubert ansahen. Niemals hätte Flordelis gedacht, seinen Freund jemals so zu sehen, überwältigt von Gefühlen und Leidenschaft ... einfach viel zu anziehend und schön.
„Flordelis ...“, entglitt es Platan verträumt, wobei seine Stimme noch lieblicher klang als sonst. Er legte eine Hand auf seine Wange. „Ich ...“
Erfüllt seufzend lehnte er den Kopf gegen Flordelis' Brust. „Ich fühle mich jetzt auch viel besser. Das war ... unbeschreiblich.“
Bestimmt konnte er nun hören, wie schnell und aufgeregt das Herz von Flordelis schlug. Aber auch das störte ihn nicht, denn bei Platan – diesem Platan – war es vollkommen in Ordnung, wenn er Schwäche zeigte.
Behutsam strich er mit seiner Hand durch Platans Haar, um es auch wieder ein wenig zu ordnen, nachdem er es durcheinander gebracht hatte.
„Gut.“ Er atmete tief durch, um Platans Duft in sich aufzunehmen. „Wahrscheinlich ist es jetzt ein wenig überflüssig, dir das zu sagen, aber ... ich liebe dich, Platan.“
Es einmal auszusprechen konnte garantiert nicht schaden, obwohl dieser Kuss für sich gesprochen haben dürfte. Aber er wollte Platan Sicherheit geben, sonst dachte er hinterher womöglich noch, dass es vielleicht nur die Leidenschaft oder der Moment gewesen war, die Flordelis dazu verleitet hatten.
Die Liebesbekundung sorgte für einen lebendigen Glanz in Platans Augen. Ohne jede Erwiderung zeigte er Flordelis somit schon alleine mit einem Blick, wie viel ihm das bedeutete.
„Ich liebe dich auch“, erwiderte Platan, mit dem schönsten Lächeln, das Flordelis bisher jemals von ihm gesehen hatte. „Schon sehr lange.“
Natürlich hatte Flordelis es bereits gewusst, nicht zuletzt wegen der Briefe, aber es von Platan selbst zu hören, war wie Balsam, der sich auf seine Seele legte, um die Sorgen und Gedanken der letzten Woche zu heilen.
„Ich ahnte so etwas“, meinte Flordelis, ebenfalls lächelnd, und ließ seine Hand aus Platans Haaren auf seine Wangen sinken. „Dein Gesicht ist wie ein offenes Buch für mich.“
Nur sein eigener Zweifel hatte ihn immerzu davon abgehalten, dem früher nachzugehen, doch nun gab es keinen Grund mehr dafür.
„Wirklich?“ Platan lachte ein wenig verlegen. „Ich hoffe, ich bin wenigstens ein interessantes Buch.“
„Für mich bist du das interessanteste Buch der Welt“, bekundete Flordelis.
Um das zu unterstreichen, musterte er ihn auch in diesem Moment mit besonders viel Aufrichtigkeit, um jede Kleinigkeit seines Gesichts in sich aufzunehmen, genau wie das Strahlen seiner grauen Augen, die fast schon silbern wirkten. Alles daran war gerade so perfekt, dass Flordelis froh war, seinem Verlangen gefolgt zu sein, statt sich noch einmal zurückzuhalten.
Möglicherweise war dieser innige Blick etwas zu viel für Platan, denn er schluckte nach einer Weile schwer und wurde noch verlegener.
„Wenn das so ist“, flüsterte Platan zögerlich, „darf ich dann um noch einen Kuss bitten? Oder wäre das zu viel des Guten? Ich meine, wir haben einiges nachzuholen, oder?“
Entzückend, das war so ziemlich das einzige, was ihm bei Platans Frage durch den Kopf ging.
„Du hast recht“, stimmte Flordelis zu. „Wir haben sehr viel nachzuholen. Da sollten wir keine Zeit verlieren.“
Deswegen beugte er sich direkt wieder etwas vor, um Platan erneut zu küssen. Um noch einmal dieses Gefühl der Euphorie zu spüren, das die Flamme in seinem Inneren nährte. Und um alle Probleme noch etwas länger zu vergessen.
Innerlich war er vor allem froh darüber, Clavion diesen Schlüssel gegeben zu haben. Wer wusste schon, ob es sonst dieses gute Ende genommen hätte.
Notes:
Das wird für immer mein Lieblingskuss zwischen den beiden bleiben. ♥
Dieses Kapitel war vorerst das letzte, das ich auf Vorrat hatte. Ab jetzt wird es keine regelmäßigen Uploads mehr geben. Die Geschichte an sich ist ja aber schon fertig, also wird es auf jeden Fall weitergehen. Ich muss jetzt nur eine kurze Pause einlegen, weil ich momentan andere Geschichten für Aktionen schreibe. Sobald die fertig sind ... wird es hier wieder ernst. >_<
Danke an alle, die bis hierher mitgelesen haben! Bis zum nächsten Kapitel. :3
Chapter 16: Kapitel 15: Die Kubus Garde ... ist einfach viel zu wichtig
Chapter Text
Der Platz des Professors blieb weiterhin verwaist und seine Assistenten somit alleine im Labor. Auch am nächsten Donnerstag hielten sie bis zum Nachmittag im Büro die Stellung.
Es war eine Woche her, seit Flordelis überraschend zu ihnen gekommen war und sie gemeinsam den Schreibtisch ihres Vorgesetzten durchsucht hatten. Seitdem stellten Sina und Dexio Nachforschungen darüber an, wie man von Pokémon besessenen Menschen helfen könnte. Ihre letzten Tage bestanden daher zum Großteil aus Recherchearbeit, schriftlicher Kontaktaufnahme sowie einigen Telefonaten mit einigen anderen Professoren. Vor allem mussten sie viel zu viel lesen.
So. Viel. Lesen.
Für Dexio war das die Hölle.
Die Feldforschung blieb einfach sein persönliches Steckengallopa, er ging die Dinge lieber auf praktische Weise an. Bei diesem Thema war das aber leider nicht möglich, also musste er in den sauren Knapfel beißen und sich zusammenreißen. Immerhin taten sie das für den Professor und Flordelis verließ sich auf die beiden.
Der Flordelis, das Gesicht von Kalos! Neben Diantha.
Deshalb war er überaus froh und stolz, dass sie ersterem tatsächlich etwas Interessantes berichten könnten und Dexio wollte unbedingt derjenige sein, der den Anruf übernahm, um zu fragen, wo sie sich für ein Gespräch treffen sollten. Kaum hatte Dexio sein Handy in der Hand, öffneten sich jedoch auf einmal die Aufzugtüren und jemand betrat das Büro. Jemand, mit dem er absolut nicht gerechnet hätte – und Sina auch nicht, sofern er ihr ungläubiges Blinzeln richtig deutete.
Der Professor höchstselbst ließ sich mal wieder im Labor blicken!
Winkend kam er direkt zu ihrem Schreibtisch. „Schönen guten Tag, ihr beiden. Lange nicht mehr gesehen. Ich dachte mir, ich überrasche euch heute einfach mal.“
Den Erfolg konnte er eindeutig für sich verbuchen. Nach über zwei Wochen ohne seine Anwesenheit hatten Sina und Dexio bereits miteinander darüber gescherzt, er könnte den Weg hierher vergessen haben. Nun stand er tatsächlich wieder vor ihnen, obendrein mit einem gewohnt charmanten Lächeln auf den Lippen. Bedeutete das, es handelte sich gerade um ihren Professor oder wurde er von Zygarde gesteuert? Rein optisch war das schwer einzuschätzen. Wie konnte Flordelis sie voneinander unterscheiden? Zu dumm, dass sie ihn nicht genauer danach gefragt hatten.
Glücklicherweise war der Professor nicht zwischendurch während ihrer Recherche vorbeigekommen. Nur eine Minute später und er hätte etwas von dem Telefonat mit Flordelis mitbekommen können, was wirklich unglücklich gewesen wäre. Deshalb steckte Dexio vorerst sein Handy langsam wieder ein und lenkte den Blick unsicher zu Sina.
„Bonjour, Professor“, entgegnete diese an seiner Stelle, erstaunlich souverän. „Die Überraschung ist Ihnen wirklich gelungen. Wir haben schon fast vergessen, wie Sie aussehen~.“
Darauf lachte der Professor beschämt und vergrub die Hände in den Seitentaschen seines grauen Mantels – was dafür sorgte, dass Dedenne aus einer davon hervorkam und seinen Arm hinaufkletterte, um sich quietschend auf seine Schulter zu setzen.
„Es tut mir wirklich leid“, meinte der Professor aufrichtig. „Ich wollte euch nicht so lange mit allem hier alleine lassen. Bei der Kubus Garde gab es so viel zu tun, aber das ist natürlich keine Ausrede. Ich sollte als Pokémon-Professor meine Arbeit hier nicht vernachlässigen.“
Dedenne gähnte herzhaft und fing an sich zu putzen. Offenbar war sie dafür entspannt genug. Konnten sie also davon ausgehen, den richtigen Professor vor sich zu haben? Oder störte Dedenne sich nur nicht an Zygarde? Dexio blieb nervös.
„Ach, wir kamen ganz gut zurecht“, versicherte er seinem Chef. „Sie sehen überraschend gut aus, dafür, dass es viel zu tun gab.“
Tatsächlich machte er einen guten Eindruck auf Dexio. Etwas müde vielleicht, aber ansonsten wirkte er recht fit.
Der Professor schmunzelte ihn an. „War das kritisch gemeint, mein lieber Dexio?“
„Was?“ Hastig hob er abwehrend die Hände. „N-nein! Überhaupt nicht! Das war nur eine Feststellung.“
„Schon gut. Ihr habt jedes Recht dazu kritisch zu sein“, beruhigte der Professor ihn. „Ich war in letzter Zeit kein guter Vorgesetzter. Darum wollte ich euch zum Feierabend abholen und als Entschädigung zum Essen einladen~.“
Ausgerechnet heute?
An jedem anderen Tag wäre das eine großartige Sache gewesen, aber sie wollten eigentlich Flordelis von ihren Ergebnissen berichten. Hoffentlich war das nur ein großer Zufall und Zygarde ahnte nicht irgendetwas von ihren Plänen. Könnte einer der Professoren, mit denen sie in den letzten Tagen gesprochen hatten, etwas ausgeplaudert haben? Da sie Kollegen vom Professor waren, wäre es nicht verwunderlich, wenn sie diesen anriefen und ihm erzählten, was seine Assistenten taten. Möglicherweise war einer von ihnen über irgendetwas an ihrem Verhalten empört gewesen.
Diese Unsicherheit machte Dexio wahnsinnig.
Falls Sina sich ähnliche Gedanken machte, ließ sie sich davon nichts anmerken, als sie erfreut auf das Angebot reagierte: „Das wäre wirklich sehr nett. Ich hab echt Hunger.“
„Fein, fein~“, freute sich auch der Professor. „Zusammen zu essen macht mehr Freude als alleine. Ich habe euch so viel zu erzählen. Außerdem will ich euch auch etwas fragen.“
Aha!
Also steckte doch noch mehr hinter dieser Einladung?! Oder sah Dexio nur irgendwelche Geister-Pokémon, weil er so nervös war?
„Was wollen Sie uns denn fragen?“, hakte er vorsichtig nach.
„Nichts Schlimmes.“ Nach diesen Worten wirkte der Professor kurz selbst etwas unsicher. „Aber das würde ich wirklich lieber beim Essen mit euch besprechen.“
Auf einmal wirkte der Professor seltsam ... entschlossen?
„Ich habe nämlich schon seit vier Stunden nichts mehr gegessen, also wird es wieder mal höchste Zeit“, fügte er hinzu. „Nur wer gut isst kann auch ordentlich arbeiten und bereitet anderen keine Sorgen, nichts wahr?“
Seit wann war er so seltsam darauf bedacht, zu essen, um anderen keine Sorgen zu bereiten? Sehr ungewöhnlich für ihn. Hatte irgendetwas zu diesem neuen Entschluss geführt?
Vermutlich war diesbezüglich Sinas Neugier geweckt worden, denn sie erhob sich sogleich lebhaft. „Dann sollten wir Sie lieber nicht zu lange warten lassen.“
Womöglich hatte sie auch nur wirklich Hunger. Die letzte Mahlzeit war schon etwas länger her, also schadete es wohl nicht, etwas essen zu gehen. Eine Absage könnte außerdem erst recht Misstrauen auf der Gegenseite erwecken und das sollten sie vermeiden.
Darum nahm Dexio sich an ihr ein Beispiel und stand ebenfalls auf. Ihm blieb zwar mulmig zumute, aber notfalls würde er Sina zusammen mit Psiana verteidigen.
„Ich warne Sie aber vor. Wenn ich eingeladen werde, schlage ich ordentlich zu“, warf Dexio ein – zumal das eine nette Abwechslung zu den ganzen Fertiggerichten war, die er sich sonst zu Hause machte.
Erneut lachte der Professor kurz auf. „Das geht schon in Ordnung. Ihr könnt bestellen, was ihr wollt. Seht es auch als Dank dafür, dass ihr alleine hier die Stellung gehalten habt.“
Verdient haben sie sich das, in der Tat.
Enthusiastisch winkte der Professor sie mit sich und ging bereits zurück Richtung Aufzug. Fast hätte Dexio instinktiv Sinas Hand genommen, doch er konnte sich gerade so davon abhalten und folgte ihrem Chef. So, wie es aussah, müssten sie den Bericht an Flordelis erst einmal für eine Weile verschieben.
***
Einige Zeit später saßen sie schließlich alle drei – und natürlich Dedenne – gemütlich zusammen in einem Restaurant, welches zu den Favoriten des Professors zählte, wie Sina wusste. Sie war hauptsächlich froh, von ihm nicht in einen teuren Laden geführt worden zu sein, so dass sie sich keine Sorgen darüber machen musste, was sie bestellte. Stattdessen konnte sie sich ohne Zurückhaltung etwas aussuchen und auf diese Überraschung konnte sie wahrlich etwas Gutes zur Beruhigung vertragen.
Natürlich mussten sie aber erst auf ihre Bestellungen warten. Bis das Essen kam, verriet der Professor ihnen leider noch nicht, was er sie fragen wollte. Dafür berichtete Sina ihm solange einfach, wie es bislang im Labor gelaufen war – und da alles ziemlich ruhig geblieben war, gab es nicht allzu viel zu erzählen.
Erst als das Essen bald darauf endlich auf den Tisch kam, merkte Sina wieder, wie sehr ihr Magen sich nach Stärkung sehnte.
Daher entglitt ihr ein zufriedenes Seufzen. „Ah, ich werde es mir richtig schmecken lassen~.“
„Ich mir auch~“, schloss Dexio sich ihr an.
„Dann wären wir schon zu dritt~“, bemerkte der Professor beschwingt.
Dedenne, die auf dem Tisch vor einer eigenen, kleinen Portion saß, meldete sich direkt quietschend zu Wort, weshalb Platan sich korrigierte: „Zu viert.“
Danach vollführte er eine einladende Handbewegung. „Lasst uns anfangen.“
Sofort nahm Dexio sein Besteck zur Hand und fing an zu essen und Sina ließ sich auch nicht lange bitten, sondern begann ebenso mit dem Verzehr. Schon nach wenigen Bissen spürte sie, wie gut es tat, nach einem anstrengenden Tag ein köstliches Mahl zu sich zu nehmen. An Dexios glücklichem Gesicht erkannte man deutlich, dass es auch ihm mehr als schmeckte. Wobei es bei ihm sicher eher an dem himmelweiten Unterschied zu den Fertiggerichten lag, von denen er sich sonst ausschließlich ernährte.
Über diese Offenbarung war sie bis heute etwas schockiert.
Im Gegensatz zu Dexio kochte sie zu Hause selbst, aber es gelang ihr bedauerlicherweise nie so gut – und ließ zudem jede Menge Dreck zurück. Das war ihr dann doch zu anstrengend, besonders für sie allein. Wenn sie nun wenigstens auch für Dexio kochen könnte ...
Statt sich zu sehr in diesem Gedanken zu verlieren, aß sie erst einmal weiter vor sich hin und wagte dabei manchmal einen kurzen, prüfenden Blick zum Professor. Nach wie vor versuchte sie zu ergründen, ob er der herzensgute Mann war, für den sie arbeitete, oder Zygarde – eventuell auch eine Mischung aus beidem. Nebenbei überlegte sie, was er für eine Frage an sie richten wollte. Vielleicht bot er ihnen ja jetzt an der Kubus Garde beizutreten oder sie sollten etwas für ihn recherchieren. Darin hatten sie nun reichlich Übung.
Auf jeden Fall erstaunte sie es, dass der Professor sich tatsächlich in Ruhe die Zeit nahm zu essen, statt zu reden, wobei er sehr erfüllt und gelöst wirkte. Solch ein gesunder Appetit war ihr bei ihm fremd, nur deswegen blieb sie unsicher, wen sie gerade vor sich hatten. Normalerweise vertiefte sich der Professor nämlich stets so sehr in irgendwelche Erzählungen, er kam zu nichts anderem und sogar sein Kaffee wurde dabei oft kalt.
Anders als sie hatte Dexio wohl beschlossen zunächst nur das Essen zu genießen, genau wie Dedenne, die ganz besonders langsam aß und dabei versuchte sehr elegant zu wirken. Also ließ auch Sina sich vorerst von dieser friedlichen Atmosphäre treiben und verschob jede weitere Grübelei auf später.
Nach einer Weile brach der Professor dann auf einmal das Schweigen: „Nun, ihr seid sicher neugierig, was ich mit euch besprechen will. Ich möchte euch vorher versichern, dass es nur ein Angebot ist. Ihr müsst euch auch nicht sofort entscheiden.“
Sina gefror regelrecht. Bestimmt wollte er sie jetzt zur Kubus Garde einladen, genau wie sie es sich schon gedacht hatte. Aber sie wüsste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Deswegen hielt sie doch ein klein wenig an der Hoffnung fest, dass es um etwas ganz anderes ging. Es wäre auch möglich, dass er ihnen Bücher verkaufen wollte. Oder Kaffee. Oder es gäbe eine Beförderung.
Alles wäre besser als eine Einladung in die Kubus Garde.
„Worum ... geht es denn?“, fragte Sina vorsichtig.
Dexio kaute immer noch, sah den Professor aber gespannt an.
Lächelnd ließ dieser das Besteck sinken und sah sie beide aufmerksam an. „Ihr werdet euch sicherlich darüber wundern, warum ich euch erst jetzt frage, aber ich würde euch hiermit gerne dazu einladen, der Kubus Garde beizutreten.“
Also doch. Er lud sie zur Garde ein.
Vor einer Woche, vor dem Gespräch mit Flordelis, hätte sie ohne größeres Nachdenken wahrscheinlich zugestimmt, nur weil sie sich so sehr freute, endlich auch ein Teil dieser Organisation sein zu dürfen. Nun war sie aber hochgradig verunsichert. Sollte Platan wirklich von Zygarde kontrolliert werden und furchtbare Dinge planen ...
Andererseits war all das Furchtbare, was Zygarde angeblich getan hatte oder plante, auch nur eine Erzählung von Flordelis. Vielleicht irrte er sich oder er log sie an. Auch wenn sich ihr nicht erschloss, welchen Vorteil er daraus für sich ziehen könnte.
Im Moment wirkte der Professor so großartig wie eh und je. Auch Dedenne hatte keinerlei Problem mit ihm.
Wem sollte sie eher trauen?
Während sie sich all diese Gedanken machte, hatte Dexio sich vor Überraschung verschluckt und musste ein wenig husten. Besorgt klopfte der Professor ihm auf den Rücken und zum Glück fing sich Dexio schnell wieder.
„Wow ...“, kommentierte dieser dann knapp.
Offensichtlich wusste er nicht, was er sonst noch sagen sollte oder führte nun einen ähnlichen inneren Monolog wie sie selbst eben, darum übernahm Sina es nachzuhaken – auch um sich selbst etwas mehr Klarheit zu verschaffen: „Darf ich fragen, warum wir die Einladung erst jetzt bekommen?“
„Ich wollte euch einfach nicht mit noch mehr Arbeit belasten“, erklärte der Professor ruhig. „Deshalb habe ich euch bisher nie gefragt, ob ihr der Kubus Garde auch beitreten wollt. Ihr solltet euch nur auf die Arbeit im Labor konzentrieren und stets euren verdienten Feierabend genießen können, statt direkt zur nächsten Pflicht antreten zu müssen.“
Das klang ganz nach dem fürsorglichen Chef, den Sina und Dexio kannten.
„Aber jetzt ...“ Plötzlich wirkte der Professor seltsam betrübt. „Ich werde das Labor sehr wahrscheinlich bald aufgeben und mich nur noch um die Kubus Garde kümmern.“
Erschrocken starrte Sina ihn an. „Aber warum denn, Professor?“
Hieß das, sie würden aller Voraussicht nach bald ihren Job verlieren? Bis es einen neuen Pokémon-Professor gäbe – der sie dann bestimmt nicht brauchte, jedenfalls nicht sie beide –, hinge alles von der Liga ab.
Fragte er sie auch deswegen? Um sie vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren?
Falls dem so sein sollte, wäre das wirklich äußerst nett von ihm.
„Ja, warum?“, forderte auch Dexio überfordert eine Antwort. „Sie sind doch gerne Professor, oder nicht?“
Vom Professor folgte ein leises Seufzen. „Der Professoren-Posten und die Führung der Kubus Garde, beides auf einmal ist zu viel geworden. Ich werde auch in Zukunft fast nie im Labor sein können, um dort zu arbeiten. Die Kubus Garde ... ist einfach viel zu wichtig. Also muss ich diese Entscheidung treffen.“
Auf diese Erläuterung folgte wieder ein Lächeln. „Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir auch weiterhin zusammenarbeiten könnten, weil ich euch sehr schätze. Darum möchte ich euch dieses Angebot machen. Es ist aber etwas ganz anderes als die Arbeit im Labor, also kann ich verstehen, wenn ihr darüber erst mal nachdenken wollt.“
Von allem, was Sina bisher über die Kubus Garde gehört hatte, war sie sich ziemlich sicher, dass es genau in Dexios Fähigkeitenbereich fiel. Bestimmt könnte er dort richtig glänzen. Sie wiederum war besser bei diesen Bürotätigkeiten, die sie im Labor machte.
... Bedeutete das etwa, ihre Wege würden sich hier trennen müssen? Alleine der Gedanke betrübte Sina irgendwie. Dexio nicht mehr regelmäßig sehen zu können, wäre mit Sicherheit traurig.
„Also, ich müsste wirklich darüber nachdenken“, gestand sie, nach einem kurzen Seitenblick zu Dexio.
Vor allem würde sie vorher auch noch einmal mit Flordelis sprechen müssen, um herauszufinden, inwieweit seine Schilderungen der Wahrheit entsprachen. Aktuell wirkte der Professor so normal, dass es ihr schwerfiel zu glauben, er könnte von etwas besessen sein. Im Prinzip vertrauten sie nur blind dem, was Flordelis ihnen gesagt hatte ...
„Oh ja, ich auch“, betonte Dexio sofort. Nachdenklich tippe er sich mit dem Löffel, den er immer noch festhielt, gegen das Kinn. „Darüber müssen wir uns erst beraten.“
Sina lächelte vielleicht ein bisschen zu glücklich, als er meinte, sie müssten sich beraten. Offenbar war er auch nicht bereit, auf die gemeinsame Arbeit mit ihr zu verzichten. Das war wirklich schön.
„Kein Problem, ich verstehe das“, versicherte der Professor ihnen. „Tut mir nur den Gefallen und erzählt noch keinem davon, dass ich das Labor auf-“
Durch das Klingeln seines Holo-Logs wurde er unterbrochen und hielt inne. Stirnrunzelnd hob er die linke Hand mit seiner Armbanduhr und auch Sinas Blick fiel besorgt auf sie. In der Regel kommunizierte er auf diesem Wege mit der Kubus Garde, dabei könnte es auch nur Flordelis sein. Redeten er und der Professor überhaupt miteinander? Es könnte auch jemand ganz anderes sein, der ihm etwas mitteilen wollte.
Verständnisvoll nickte Sina ihm zu. „Sie sollten rangehen. Bestimmt ist es wichtig.“
Dieser Rat schien ihn aus einer Art Trance zu wecken. „Ja, wahrscheinlich.“
Danach nahm der Professor den Anruf gleich entgegen und kurz darauf baute sich aus dem blau flimmernden Licht ein Mitglied der Kubus Garde zusammen, wie man sofort an der Uniform erkennen konnte.
„Chef!“, platzte es aufgeregt aus dieser Person heraus, eine junge Frau.
„Was gibt es?“, erwiderte der Professor geduldig.
„Wir haben sie gefunden!“ Bedeutungsvoll breitete das Hologramm die Arme aus. „Die letzte Zelle!“
Beunruhigt ließ Dexio sein Besteck sinken und warf Sina einen Blick zu, den sie angespannt erwiderte. Zelle. Damit musste eine Zygarde-Zelle gemeint sein, oder? Noch dazu die letzte?
Inzwischen hatten sich die Augen des Professors geweitet. „Tatsächlich?“
Irgendetwas an seiner Ausstrahlung veränderte sich schlagartig. Ein begeisterte Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Etwas daran war unangenehm, es jagte einem Schauer über den Rücken und ließ Sina frösteln. So hatte sie den Professor noch nie zuvor gesehen, dieser Ausdruck passte überhaupt nicht zu ihm.
Plötzlich erschien es ihr doch gar nicht mehr so abwegig, dass Flordelis die Wahrheit sagte und hier irgendeine fragwürdige Sache vor sich ging – und sie unbedingt dabei helfen müssten, es aufzuhalten.
Aufgeregt sprach das Hologramm weiter: „Ja, wir-“
„Moment“, unterbrach der Professor die Frau und wandte sich an Sina und Dexio. „Ich muss los, das ist wichtig. Esst in Ruhe zu Ende. Ihr müsst auch nicht auf mich warten, sobald ihr fertig seid.“
Rasch nickte Sina auf seine Worte. „In Ordnung. Viel Erfolg bei allem, was Sie vorhaben, Professor.“
Es konnte nicht schaden, sich weiterhin gut mit ihm zu stellen.
Dexio ahmte ihr Nicken nach. „Ja, hauen Sie rein. Äh, Sie wissen schon.“
„Oh, keine Sorge, mein Guter, ich werde reinhauen“, entgegnete der Professor, so unheimlich entschlossen, dass Dexio sich etwas zurücklehnte. „Dedenne, komm!“
Scheu sah Dedenne ihn an, ließ aber dennoch ihr Essen fallen und sprang auf seine ausgestreckte Hand, verschwand jedoch geradewegs in eine der Seitentaschen des Mantels – der Professor hatte ihn nicht ausgezogen, seit sie im Restaurant saßen, weil ihm kalt war –, statt sich auf seine Schulter zu setzen. Danach legte der Professor ihnen noch schnell genug Geld auf den Tisch, bevor er aufstand und sich ohne ein Wort des Abschieds abwandte.
„In Ordnung, gib mir die Details“, bat Platan das Gardemitglied auf dem Weg nach draußen.
Mehr bekamen Sina und Dexio von dem Gespräch nicht mehr mit, weil er kurz darauf das Restaurant verließ. Sie hatte sich bemüht, ruhig zu bleiben, während er noch da gewesen war. So sehr, dass sie nach Dexios Arm griff, kaum dass der Professor fort war. Suchte bei ihm den Halt, den sie jetzt benötigte. Er entspannte sich gleichzeitig merklich und atmete schwer aus.
„Bin das nur ich oder war er jetzt zum Schluss irgendwie anders?“, flüsterte er Sina leise zu, als könnte derjenige, über den sie sprachen, sie sonst noch hören.
„Das war richtig unheimlich“, murmelte sie ebenso leise zurück. „Das ist bestimmt nicht normal.“
Wenigstens verstand sie jetzt, wie Flordelis den Unterschied zwischen Platan und Zygarde erkannte – und sie zweifelte nicht mehr wirklich an seinen Worten.
„Er ist bestimmt besessen“, fuhr sie flüsternd fort. „Anders kann es gar nicht sein. Sogar Dedenne hatte vor ihm Angst ...“
„Also stimmt es wohl, das mit Zygarde“, schloss er daraus. „Wir sollten Flordelis so bald wie möglich mitteilen, was wir herausgefunden haben. Sollten wir ihm vielleicht auch Bescheid sagen, dass der Professor gerade diesen Anruf bekommen hat?“
Sina dachte kurz darüber nach. „Monsieur Flordelis sagte, er hat seine Mittel und Wege, das selbst herauszufinden.“
Garantiert gelang es ihm irgendwie, die Holo-Log-Anrufe von Platan mitanzuhören, sobald dieser sie bekam. Als Erfinder dieser herausragenden Technik und Direktor des Labors, in dem sie entwickelt und hergestellt wurde, konnte Flordelis das bestimmt.
„Aber vielleicht sollten wir ihm trotzdem kurz Bescheid sagen.“
Nur für den Fall der Fälle, dass er es vielleicht doch irgendwie nicht mitbekommen hatte. Etwas könnte ihn ja gerade abgelenkt haben.
Zustimmend nickte Dexio ihr zu und holte sein Handy hervor, um Flordelis kurz eine Textnachricht mit der Information zukommen zu lassen, was sie eben erfahren hatten. Letzten Donnerstag hatten sie noch ihre Nummern ausgetauscht, damit sie sich gegenseitig jederzeit schnell erreichen könnten.
Als das erledigt war, steckte er das Handy wieder ein und lächelte ihr beruhigend zu. „Erledigt. Flordelis kümmert sich schon darum. Er wird dafür sorgen, dass nichts Schlimmes passiert.“
Tatsächlich atmete Sina ein wenig auf und ließ ihn auch wieder los. „Danke. Ich hoffe, er schafft das.“
Flordelis hatte aber auch das Problem am letzten Montag gelöst, sicher gelang ihm das erneut.
Zur Ablenkung wechselte Sina spontan das Thema: „Also ... wenn das am Ende nicht gewesen wäre, was hättest du darüber gedacht, der Kubus Garde beizutreten?“
Jedenfalls war sie persönlich nach dem, was sie zum Schluss erlebt hatten, wirklich überzeugt, dass es keine gute Idee wäre, sich ihr anzuschließen. Davor war sie doch unsicher gewesen.
„Ich hätte dich gefragt, was du davon hältst“, gab Dexio offen zu. „Du hast bei solchen Dingen eher den Durchblick als ich, also hätte ich deiner Einschätzung vertraut und würde dieselbe Entscheidung treffen wie du.“
Etwas verlegen starrte er auf sein restliches Essen. „Ich meine, ohne dich gehe ich nirgendwo hin. Wir sind doch ein Team. Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen, ohne dich zu arbeiten.“
Sina strahlte ihn regelrecht an, auch wenn er sie gerade nicht ansah. „Das freut mich~. Ich habe kurz wirklich befürchtet, dass sich unsere Wege hier trennen würden, weil du besser zur Kubus Garde passt als ich. In Außeneinsätzen bist du immerhin absolut toll.“
Da sie ja ohnehin nicht gehen würden – was auch immer sie dann zukünftig täten, falls der Professor das Labor wirklich aufgäbe –, konnte sie das auch zugeben, wenn sie sich schon gerade so ehrlich miteinander unterhielten.
Überrascht hob Dexio den Blick und wirkte kurz ein wenig ... überwältigt?
„Findest du?“ Stolz schwang in seiner Stimme mit. „Mir liegt die Praxis eben einfach mehr als Büroarbeit. Dabei blühe ich richtig auf, wie der Professor sagen würde.“
Zumindest der richtige Professor.
„Also ...“ Er zögerte kurz. „Falls es so kommen sollte, dass wir beide am Ende einen ganz neuen Job suchen müssen ... suchen wir uns dann zusammen etwas Neues? Damit wir weiter zusammenarbeiten können?“
„Auf jeden Fall“, sagte sie, ohne zu zögern. „Uns beide gibt es nur als Team.“
Und dass sie das erkannt hatten, verdankten sie eigentlich nur dem Professor, der sie damals beide zusammen eingestellt hatte. Vielleicht hatte er ja schon von Anfang an erkannt, dass es irgendwann so käme und sie auch einsähen, was für ein gutes Team sie bildeten.
„Aber ich hoffe, dass wir beide im Labor bleiben können und der Professor irgendwann wieder normal wird. Das gefällt mir bislang am besten.“
Auch wenn Dexio im Büro nicht viel tat, es war schön, dass er da war – und dafür übernahm er bei Exkursionen die meisten Aufgaben, so glich sich das wieder aus. Und darauf wollte sie wirklich nicht mehr verzichten.
Ihre Worte brachten nun auch Dexio zum Strahlen. Auch er war offensichtlich mehr als beruhigt, zu wissen, sich nicht von ihr trennen zu müssen. Was auch geschah, sie würden zusammenbleiben.
„Ja, ich mag den Job im Labor auch. Und mir fehlt der gute alte Professor. Es ist echt langweilig, wenn man nicht mehr darauf achten muss nicht zu seufzen.“ Stirnrunzelnd lenkte er den Blick Richtung Eingang, durch den der Professor eben das Restaurant verlassen hatte. „Aber wir kriegen das schon hin. Hoffen wir erst mal, dass Flordelis es schafft, den Professor rechtzeitig aufzuhalten.“
Dem konnte sich Sina nur anschließen. Sicher wollte keiner von ihnen wissen, was geschah, sollte es dem Professor gelingen, die letzte Zelle in die Finger zu bekommen ...
Chapter 17: Kapitel 16: Ich BIN Platan, Flordelis!
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Vor dem Restaurant, in dem er Sina und Dexio alleine ließ, hatte Platan rasch sein Glurak aus dem Pokéball herausgelassen und stieg direkt auf. Nebenbei lauschte er dem Mitglied seiner Organisation, bis er wusste, wohin er sich nun begeben musste. Schließlich beendete er das Telefonat über den Holo-Log und flog mit Glurak Richtung Osten, zu Route 21, dem Dernier-Weg. Dort hatten seine Leute in der Wildnis dieser Umgebung die letzte Zelle gefunden. Angeblich.
Zwar hoffte er darauf, dass ihnen jetzt kein dummer Fehler mehr passierte, nachdem sie bereits all die anderen Zellen sowie Kerne gefunden hatten, aber Menschen neigten dazu, für Enttäuschungen zu sorgen. Besonders in entscheidenden Momenten. Immer wieder. Trotz ihrer Erfahrungen. Ohne etwas daraus zu lernen.
Davon hatte er mehr als genug.
Darum würde er ihnen keine weiteren Chancen mehr geben – und sie alle verbannen.
Leider konnte Platan nicht mit der Geschwindigkeit fliegen, wie er es gerne gewollt hätte, weil er nicht die nötige Kraft und Körperbeherrschung besaß, um sich auf Glurak zu halten. Deswegen wurde er von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger. Immerhin war so kurz davor einen der wichtigsten Schritte für Plan Z zu erfüllen. Wie könnte er da nicht ungeduldig werden?
Zu allem Überfluss fror er während des Fluges fürchterlich, obwohl er seinen Mantel trug. Warum musste der menschliche Körper nur so lächerlich empfindlich sein? Jedenfalls dieser, den er sein Eigen nannte. Dedenne konnte sich glücklich schätzen, in der Manteltasche vor dem Wind geschützt zu sein. Dank ihres Fells war ihr sicher auch nicht kalt und Clavion dürfte an seinem Gürtel auch gut zurechtkommen. Die beiden waren eben Pokémon.
Irgendwann war Route 21 endlich in Sichtweite.
Ihm gefiel das kraftvolle Grün der Natur in dieser Gegend, ebenso wie der kristallklare Fluss, der sich dort unten entlang schlängelte. Tatsächlich glaubte Platan, er könne zwischen den kraftvollen Flügelschlägen von Glurak das sanfte Plätschern des Wassers hören. Auch die friedliche Stimmung war geradezu greifbar. Wären da nur nicht all die Menschen. Sogenannte Profi-Trainer, die sich kurz vor der Pokémon-Liga noch einmal den letzten Schliff gaben und mit ihren Pokémon-Kämpfen für Unruhe sorgten. Glücklicherweise musste er ohnehin tiefer in die Wildnis, wo es ruhiger sein dürfte als auf dem Weg.
Kurz darauf entdeckte er von oben eine kleine Lichtung in einem Wäldchen, wo sich drei Personen aufhielten, die mit ihren weißen Uniformen zwischen dem vielen Grün deutlich hervorstachen. Also wies er Glurak an, dort zu landen. Noch bevor sie den Boden erreicht hatten, riefen seine Leute ihm bereits aufgeregt zu. Einer von ihnen trug ein Pandir im Arm.
Kaum war Glurak gelandet, stieg Platan zügig ab und ging auf die Gardemitglieder zu. „Dieses Pokémon also, ja?“
„Ja!“, bestätigte die junge Frau – sie hatte ihn vorhin auch angerufen – stolz. „Nicht weit von hier leben einige Pandirs. Als wir sie entdeckt haben, fiel uns gleich auf, dass mit diesem einen hier etwas nicht stimmt. Es hat sich nämlich viel zu koordiniert bewegt. Da sind wir gleich misstrauisch geworden.“
Einer der Männer hielt das Pokémon gut fest, so dass es nicht weglaufen konnte. Prüfend warf Platan einen Blick darauf. Es war nur schwer zu erkennen, doch in den verwirrten Augen des Pandir lag ein grünlicher Schimmer.
Platan grinste zufrieden.
„Gute Arbeit~.“ Er legte eine Hand an sein Kinn und lehnte sich etwas nach vorne, um das Pandir eindringlich anzusehen. „Welch Ironie. Da landet die letzte Zelle ausgerechnet in einem der chaotischsten Pokémon, die es gibt. Wie bist du an sie herangekommen, hm?“
Pandir hickste nervös. Auf der Stirn hatte es einen rötlichen Fleck, der an ein Herz erinnerte, und zwei weitere jeweils auf einer Wange. Putzig.
„Sicher nur Zufall, oder? Wie auch immer, sie gehört dir nicht“, betonte Platan, dezent ungehalten. „Du wirst sie also schön artig zurückgeben – und danach deine Strafe akzeptieren, weil du zu neugierig warst.“
Plötzlich grollte ein lautes Brüllen über die Lichtung und ließ die drei Mitglieder der Kubus Garde erschrocken zusammenzucken.
„Es wird zu keiner Strafe kommen“, ertönte eine vertraute Stimme, erfüllt von Entschlossenheit. „Das werde ich zu verhindern wissen.“
***
Als Platan den Anruf erhielt, befand sich Flordelis zu diesem Zeitpunkt in seiner Firma, vertieft in ein Gespräch. Jegliche Aufmerksamkeit verlagerte sich allerdings abrupt, nur durch einen einzigen Ton seines Holo-Logs, dank dem er sofort Bescheid wusste. Auf der Stelle hatte Flordelis sich erhoben, die bei ihm im Büro sitzende Pachira auf ein andermal vertröstet und war mit Pyroleo nach draußen gestürmt, bevor er das Telefonat unbemerkt mit anhörte.
Bislang war seine Überwachung erfolgreich gewesen. Dafür hatte er einfach seinen Holo-Log passiv mit Platans Nummer verknüpft, wodurch er es jederzeit mitbekam, wenn sein Freund – aber vor allem Zygarde – damit telefonierte. In letzter Zeit war nichts Wichtiges für Platan geschehen, doch an diesem Tag war es endlich soweit – und es ging sogar bereits um die letzte Zelle.
Aufmerksam wartete Flordelis auf weitere Details und verließ dabei sein Firmengebäude. Im Hintergrund des Anrufs hatte er Dexio und Sina gehört, was ihn für einen Moment mit der Sorge erfüllte, er könnte die beiden – seine einzigen Verbündeten – letztendlich doch an Platan verloren haben. Allerdings musste er dem später auf den Grund gehen.
Bald erhielt er die nötige Information darüber, wohin Platan sich begeben würde, also war Flordelis kurz darauf auf Garados losgeflogen, daher musste Pyroleo zunächst in seinen Pokéball zurück. Diesmal war das Ziel in der Wildnis, dort konnte er nicht einfach mit seinem Wagen oder dem Zug hinfahren. Ein Glück, dass er Garados hatte und sich mit ihm problemlos sowie schnell durch ganz Kalos bewegen konnte. Auch noch derart spontan. Ohne ihn wäre das schwierig geworden.
Sein Pokémon musste spüren, wie ernst die Lage war, denn Garados brummte zwischendurch kampfbereit, womit er ihn wohl zu beruhigen versuchte. Ob Flordelis zu angespannt war? Äußerlich mochte er souverän wirken, innerlich war er jedoch ungewohnt unruhig, wie er selbst bemerkte. Wenn er es nicht schaffte, Zygarde davon abzuhalten, diese letzte Zelle zu bekommen, was würde dann geschehen?
Würde er Platan verlieren? Würde Zygarde sie alle direkt verbannen? Letzteres schreckte ihn weniger als ersteres. Ohne Platan gäbe es für ihn ohnehin kein Leben mehr.
Ohne Platan ...
Bemüht gefasst schüttelte Flordelis den Kopf, versuchte sich von diesen düsteren Gedanken zu befreien und sich weiter zu konzentrieren. Das war nun äußerst wichtig. Jetzt galt es, sein Bestes zu geben, gemeinsam mit seinen treuen Pokémon. Schon im Vorfeld aufzugeben wäre fatal. Gerade als Geschäftsmann wusste Flordelis zu gut, dass man mit Unsicherheit keinen Erfolg erzielen konnte, sondern gnadenlos verschlungen wurde.
Also vertrieb er jegliches Gefühl, das mit Schwäche verbunden war, um stattdessen seiner Entschlossenheit sämtlichen Raum zu geben.
Nach einiger Zeit erreichten sie die Koordinaten, die Platan mitgeteilt worden waren. Sie landeten ein wenig abseits, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dankend schickte Flordelis deshalb Garados auch direkt in seinen Pokéball, nachdem er abgestiegen war. Ohne jeglichen Schutz sollte Flordelis sich nun aber nicht bewegen, schon weil er sich hier auch in der Wildnis befand, weshalb er Pyroleo wieder nach draußen ließ, der wesentlich unauffälliger war.
Gemeinsam schritten sie näher auf die Lichtung zu, wo sich zumindest schon die Mitglieder der Kubus Garde aufhalten müssten, welche Platan zu diesem Ort gebeten hatten. Versteckt hinter den Bäumen konnte Flordelis tatsächlich den Blick auf drei Personen erhaschen, eine davon hielt ein Pandir fest. Außerdem war Platan bei ihnen. Natürlich, es war nicht wirklich verwunderlich. Dennoch hatte Flordelis gehofft, mit Garados vor ihm hier anzukommen.
Vorerst ignorierte er die Gardemitglieder und hielt den Blick vollkommen auf Platan gerichtet, als dieser auf die anderen zuging. Aufmerksam lauschte er dem folgenden Gespräch. Auch ohne Platans Worte wäre ihm sofort aufgefallen, dass seine gesamte Ausstrahlung momentan wieder anders war. Zygarde, eindeutig.
„Du wirst sie also schön artig zurückgeben – und danach deine Strafe akzeptieren, weil du zu neugierig warst.“
Nein, das durfte Flordelis nicht zulassen. Zeit, sich zu zeigen.
Dieser Meinung war auch Pyroleo, der, ohne jeglichen Befehl, mit einem mächtigen Brüllen sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zog und dafür sorgte, dass die drei Personen bei Platan erschrocken zusammenzuckten. Ihr Anführer selbst dagegen zeigte keinerlei Reaktion.
„Es wird zu keiner Strafe kommen“, sagte Flordelis entschlossen. „Das werde ich zu verhindern wissen.“
Erst nach diesen Worten ließ Platan von Pandir ab und lenkte stirnrunzelnd den Blick in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Mit großen, selbstsicheren Schritten trat nun auch Flordelis mit Pyroleo auf die Lichtung, weiterhin einzig auf Platan fixiert.
Natürlich musste jede Einmischung lästig für diesen sein, er verzog etwas das Gesicht und starrte unerschrocken zurück. Nur wenige Meter entfernt stand Glurak, mit dem Platan hierher geflogen sein musste, doch das Pokémon beobachtete vorerst alles nur wachsam, statt etwas zu tun. Die Mitglieder der Kubus Garde taten es Glurak gleich und nahmen nur hastig eine Formation ein, in der zwei sich schützend vor die Person stellten, die das Pandir weiterhin festhielt.
„Sieh an, du hast meinen Rat offensichtlich ernst genommen“, merkte Platan dann anerkennend an, bevor er schmunzelnd die Arme ausbreitete. „Mein Lieber, warum immer noch so feindselig? Nach Sonntag hatte ich angenommen, du wärst vernünftig geworden.“
„Glaub nicht, dass du mich täuschen kannst“, erwiderte Flordelis ihm. „Du bist nicht Platan, auch wenn du seinen Körper benutzt.“
Besonders nach Sonntag war es für ihn unbestreitbar. Umso mehr würde Flordelis sich gegen diesen Plan auflehnen, so konnte er dem richtigen Platan am besten helfen. Zur Unterstützung gab Pyroleo ein zustimmendes Knurren von sich.
Platan verschränkte die Arme vor der Brust und lachte amüsiert. „Ich bin nicht Platan? Dir ist hoffentlich bewusst, wie das klingt.“
Unsicher blickten die drei Gardemitglieder zwischen ihnen hin und her.
Selbstverständlich war Flordelis bewusst, wie das klang, vor allem, weil wahrscheinlich keiner der anderen den Unterschied sehen oder hören konnte. Ihm war das aber ziemlich egal, ob die Kubus Garde ihn für verrückt hielt, sein Ziel war immerhin Platan.
„Nun komm, Flordelis, sei lieb und lass mich machen. Wir können danach auch zusammen nach Hause fliegen. Das wäre doch sicher romantisch, denkst du nicht?“
„Ich werde dich bestimmt nicht machen lassen. Ich habe versprochen, dich aufzuhalten und das werde ich auch in die Tat umsetzen.“
Darauf knurrte auch Pyroleo ein weiteres Mal vernehmlich. Dafür warf Platen seinem Partner kurz einen undefinierbaren Blick zu, in dem eine Mischung aus Ablehnung und Empörung lag.
Statt auf Pyroleo einzugehen, redete Platan weiter mit Flordelis. „Ich verstehe dich einfach nicht. Jetzt bist du also wieder gegen uns? Du bist ganz schön launisch.“
Eigentlich war Flordelis niemals für die Kubus Garde gewesen. Oder hatte Zygarde ernsthaft angenommen, nach Sonntag hätte er seine Meinung geändert? Jedenfalls kam Flordelis nicht dazu, dieses Missverständnis aufzuklären.
„Fein, fein“, sprach Platan genervt weiter. „Wenn du diese Beziehung unbedingt ruinieren willst, dann nur zu. So kurz vor dem Ziel lasse ich mich bestimmt nicht aufhalten, selbst wenn Arceus persönlich vor mir erscheinen würde!“
Selbst wenn er die Beziehung damit ruinierte – und allein der Gedanke ließ Flordelis' Brust schmerzhaft eng werden –, wäre das besser als zuzulassen, dass Platan hier einen Fehler beging, den er nicht wiedergutmachen könnte. Der richtige Platan würde das garantiert auch verstehen, sobald Zygardes Einfluss verflogen war.
Fordernd nickte Platan Glurak zu, worauf letzterer sich sogleich schnaubend vor seinen Trainer stellte und nun selbst ein lautes Brüllen ausstieß, wobei er beide Flügel bedrohlich ausbreitete.
„Pyroleo, tritt zurück.“
Diese Worte waren kaum ausgesprochen, da folgte sein Pokémon diesem Befehl bereits und machte somit Platz für Garados, der von Flordelis in den Kampf geschickt wurde und Gluraks Brüllen kampflustig erwiderte.
Von Platan folgte ein schweres Seufzen. „Du verschaffst dir also mal eben so einen Typenvorteil. Du meinst es echt ernst, was? Wie du willst.“
Mit diesen Worten griff er in seine Hosentasche unter dem Mantel und zog jenen Würfel hervor, den Flordelis an diesem einen Tag vor den Toren von Illumina City zum ersten Mal gesehen hatte. Er pulsierte stark und war von einer grün schimmernden Aura umgeben. Nachdenklich betrachtete Flordelis den kleinen, unscheinbaren Gegenstand, dem gleichzeitig Unheil innewohnte. Zweifelsohne.
Am Sonntag war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass er hätte versuchen können, sich diesen Würfel anzueignen ... Hätte Platan ihn überhaupt bei sich gehabt? Vielleicht trug er ihn nicht immer mit sich herum. Egal, das war nun nicht weiter wichtig, er hatte diese Chance aus guten Gründen nicht genutzt, nun musste er mit der jetzigen Situation umgehen.
„Pokémon-Kämpfe liegen mir bedauerlicherweise nicht“, meinte Platan, gespielt betrübt. „Wenn wir noch einmal so kämpfen wie letztes Mal, habe ich keine Chance. Du hast also sicher nichts dagegen, wenn ich mir auch einen Vorteil verschaffe.“
„Tu dir keinen Zwang an.“
Darauf grinste Platan ein wenig. „Wundervoll~.“
Schwungvoll hob er seine linke Hand, wo an der Armbanduhr auch ein Schlüssel-Stein über dem Ziffernblatt befestigt war. „Zeit im Namen der Ordnung dein wahres Potenzial zu entfachen, Glurak!“
Als nächstes berührte Platan den Schlüssel-Stein mit dem Würfel, woraufhin die grüne Aura sofort zu explodieren schien und mehrere hauchdünne Lichtplatten in Form von Hexagonen durch die Luft tanzten. Dabei entstand eine Energiewelle, die durch den Ort fegte und den Gardemitgliedern überraschte Laute entlockten. Kurz darauf begannen die Hexagone sich gezielt zu bewegen. Ein Teil verschwand blitzschnell im Schlüssel-Stein und der andere drang in Glurak ein, der sich sofort verkrampfte.
Garados und Pyroleo beobachteten das Geschehen angespannt, etwas stimmte hier eindeutig nicht.
Zunächst verlief alles wie bei einer gewöhnlichen Mega-Entwicklung, nur dass der Schlüssel-Stein im grünen Licht erstrahlte und der Vorgang für Glurak recht schmerzhaft wirkte, obgleich dieser versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Er knurrte gereizt, als er von Energie umhüllt wurde, die aus dem Würfel strömte.
Vor Zorn und Wut verzog Flordelis sein Gesicht und verlor damit so ziemlich das erste Mal seinen neutralen Gesichtsausdruck in der Öffentlichkeit. Was auch immer dort genau geschah, es war absolut unverzeihlich, dass Platan Glurak einen derart schmerzhaften Prozess aufzwang – und nur ein weiteres Zeichen dafür, dass es sich hierbei nicht wirklich um Platan handelte.
Geistesabwesend griff Flordelis an seinen eigenen Schlüssel-Stein in dem silbernen Ring an seinem Finger, aber natürlich geschah nichts. Mega-Entwicklungen waren ihm nicht möglich, er trug den Stein nur noch, weil er ihn während seiner Forschung mit Platan von diesem bekommen hatte und er ihm deswegen wichtig war.
Damals hätte er nicht geahnt, dass sie sich eines Tages so gegenüberständen.
Als die Mega-Entwicklung abgeschlossen war und die Kugel aus Energie um Glurak herum zerplatzte, stieß dieser einen wilden Schrei gen Himmel aus. Seine Form hatte sich, wie zu erwarten war, verändert. Zu einem schwarz-blauen Drachen, dessen Flammen am Ende des Schweifs sowie um sein Maul herum grün waren und stärker sowie heller loderten als bei der normalen X-Entwicklung.
Glurak war derart von Energie erfüllt, sein Blick war aggressiv und er schnaubte immerzu schwer. Wütend peitschte er mit dem Schweif auf den Boden, vermutlich ein verzweifelter Versuch Druck abzubauen.
Einer der Gardemitglieder murmelte sichtlich verunsichert etwas, den Blick schockiert auf Glurak fixiert. Also war diese unmenschliche Art der Mega-Entwicklung auch neu für sie. Ungehalten hielt Platan den Würfel nun bedrohlich in die Richtung seiner eigenen Leute, was dafür sorgte, dass die drei sich sofort nervös auf ihn konzentrierten.
„Ihr werdet nichts von dem, was ich tue, in Frage stellen“, befahl Platan kühl.
Das grünliche Schimmern des Würfels spiegelte sich in den Augen der anderen wider, woraufhin sie alle ergeben nickten.
Danach wandte Platan sich wieder an Flordelis. „Und? Willst du dich auch immer noch gegen mich stellen? Ich gebe dir eine letzte Chance, zu Sinnen zu kommen und als Partner an meiner Seite eine Welt der Ordnung einzuläuten.“
All das ... war falsch.
Diese Mega-Entwicklung war anders. Durch sie wirkte Glurak wesentlich mächtiger, als er ohnehin in seiner gewöhnlichen X-Form gewesen wäre – und dennoch konnte Flordelis das nicht akzeptieren, nicht mit diesen Schmerzen, die das Pokémon dabei durchmachen musste.
Obendrein schien Platan die Gardemitglieder offensichtlich auch noch zu hypnotisieren ... Alles, was er tat, war unverzeihlich.
Entsprechend finster erwiderte Flordelis seinen Blick. „Ich werde immer gegen dich stehen. Ich lasse nicht zu, dass du deinen verqueren Ordnungssinn durchsetzt und dafür auch noch Platan missbrauchst.“
Garados wirkte etwas verunsichert, brummte aber im Verbund mit Pyroleo, um ihm zuzustimmen.
„Du redest wieder wirres Zeug.“ Schmunzelnd streckte Platan die freie Hand aus. „Ich BIN Platan, Flordelis! Gewöhne dich lieber an den Gedanken!“
In seinen grauen Augen blitzte ein triumphierendes Funkeln auf. „Glurak! Du hast freie Hand, also tob dich ruhig aus! Und wage es nicht, zu verlieren!“
Ich BIN Platan.
Nein.
Nein, das war absolut unmöglich. Flordelis würde das niemals glauben. Platan war nicht so. Platan würde nicht derart mit ihm reden, ihn nicht so ansehen, nicht seinem Pokémon eine solche Anweisung geben.
Dieser Mann war Zygarde.
Und er selbst sollte sich jetzt konzentrieren!
Zähneknirschend stürzte Glurak sich auf Garados und setzte sofort Flammenblitz ein, wodurch er selbst vollständig von einem grünen Feuer verschlungen wurde. Ein schlechtes Zeichen. Es wirkte so, als würde Glurak wirklich ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit gegen sie kämpfen.
„Garados, Hydropumpe!“
Sofort öffnete Garados sein Maul, sammelte blau leuchtendes Wasser darin und schoss es in einem stark gebündelten Strahl seinem Gegner dann direkt entgegen. Glurak stürzte sich mit seinem Flammenblitz frontal in die Hydropumpe hinein, statt auszuweichen. Dadurch wurde das Feuer gelöscht und er nahm einiges an Schaden, doch er schien das nicht einmal zu spüren. Oder es lag an all der Energie, dass er es einfach ignorieren konnte.
Da er sich durch das Wasser hindurch zu Garados vorkämpfte, versuchte er diesen mit Schlitzer und Knirscher zu erwischen.
„Faszinierend. Knirscher habe ich ihm noch nicht mal beigebracht. Er muss diese Attacke spontan erlernt haben“, kommentierte Platan, betont sanft, und neigte lächelnd den Kopf. „Da ist es fast schade, dass ich das Labor aufgebe.“
Auf das, was Platan sagte, konnte Flordelis sich im Moment nicht richtig konzentrieren, er musste dem Kampf folgen. Jede Ablenkung bekäme vor allem sein Pokémon zu spüren.
Dem Schlitzer und somit den scharfen Klauen konnte Garados noch ausweichen, aber dem Knirscher nicht. Kraftvoll biss Glurak sich in den Halsbereich fest, sein Kiefer knackte sogar dabei, ebenso wie die harten, blauen Schuppen. Anscheinend war die Wucht dieses Angriffs derart heftig, dass Garados ein schmerzvolles Geräusch von sich gab, welches Flordelis direkt ins Herz traf. Er hatte seine Pokémon niemals derart leiden sehen wollen, leider blieb ihm gerade keine andere Wahl.
„Wutanfall!“
Durch heftige Bewegungen gelang es Garados irgendwie, seinen Gegner abzuschütteln, ehe er den Befehl umsetzte. Ihm blieb nur die Hoffnung darauf, dass Glurak auch in dieser Form immer noch ein Drachen-Typ war – so wie es bei der eigentlichen X-Entwicklung der Fall war –, als Garados ihn mit einer lodernden Aura der Wut attackierte. Sie hatten Glück, tatsächlich wirkte bei Glurak diese Technik sehr effektiv und warf ihn sogar einige Schritte zurück, nachdem Garados sich gegen ihn geworfen hatte. Die brennende Energie von Wutanfall prasselte mit mehreren Treffern auf den schwarzen Drachen ein.
Leider hielt das Glurak aber nicht davon ab, sich schnell zu fangen und Garados weiter tobsüchtig physisch im Nahkampf anzugreifen. Da Garados mit Wutanfall vorerst beschäftigt genug war, den Kampf mit Glurak weiterzuverfolgen, gab das Flordelis die Gelegenheit einen prüfenden Blick zu Platan zu werfen, als Pyroleo neben ihm warnend brummte.
Offenbar wollte Platan die Ablenkung durch den Kampf dazu nutzen, um sein Ziel weiterzuverfolgen, denn er hatte sich abgewendet und flüsterte soeben dem verzweifelten Pandir etwas zu. Inzwischen hingen die Ohren des Pokémon nach unten, da es von der gesamten Situation verständlicherweise verängstigt war. Womöglich schüchterte Platan es auch noch zusätzlich mit Worten ein. Jedenfalls hob er die Hand mit dem Würfel und hielt diesem dem wehrlosen Pandir entgegen. Reglos standen die Frau und die beiden Männer wie Puppen daneben und beobachteten das Ganze.
Nicht gut.
Jede Sekunde passierte mit Pandir das Gleiche wie mit Georok, das von Platan und seinen Leuten gejagt worden war.
„Du hast recht“, pflichtete Flordelis seinem Partner bei. „Wir dürfen das auf keinen Fall zulassen.“
Deswegen griff er nach einem weiteren Pokéball und entließ Kramshef, der blitzschnell die Lage erfasste. Ohne jegliche Anweisung von Flordelis flog er fokussiert auf Platan zu, geschickt an den kämpfenden Pokémon vorbei. Selbst wenn Kramshef sich den Würfel nicht schnappen könnte, würde es schon helfen Platan abzulenken.
Dieser war aber aufmerksamer als erwartet, denn er reagierte umgehend auf diese Einmischung.
Der Würfel fing an hell zu leuchten, doch statt die Zelle aus Pandir herauszuziehen, erschuf Platan stattdessen ein Schutzschild aus grünen Hexagonen um sich und seine Leute, in einem Versuch Kramshef abzuwehren. Überraschenderweise zerbrach diese Barriere aber mit einem Schlag, als Kramshefs Krallen dagegen prallten. Möglicherweise bereits war zu viel Energie in die erzwungene Mega-Entwicklung von Glurak geflossen, was in diesem Fall ein Vorteil für sie war.
Dennoch bremste der Schutzschild Kramshef kurz ab, dadurch Platan erhielt genug Zeit den Würfel mit der Hand zu umschließen und zurückzuweichen. „Verdammt, das darf einfach nicht wahr sein!“
Murrend zog Platan ebenfalls einen weiteren Pokéball, aus dem sein Turtok hervorkam und mit seinem wuchtigen Körper eine neue Barriere bildete, an der Kramshef zuerst vorbeikommen musste.
„Halte mir dieses Kramshef vom Leib!“, forderte Platan nachdrücklich.
Dem kam Turtok nach, indem er sofort begann Wasser aus seinen Kanonen zu schießen und Kramshef vom Himmel zu holen – oder zumindest auf Distanz zu halten, so wie es von Platan verlangt wurde. Was nun?
Flordelis hatte kein effektives Pokémon gegen Turtok, weswegen er nichts mehr tun konnte, während Kramshef den Attacken von Turtok auswich und dabei gleichzeitig weiterhin versuchte, an den Würfel zu kommen – natürlich ohne großen Erfolg.
Garados unterlag unterdessen Glurak, als die Verwirrung ihn übermannte, worauf Flordelis ihn erst einmal zurückrief und als nächstes Pyroleo anwies, den Kampf gegen Glurak fortzuführen. Die Mähne seines Partners flammte hell auf und er stellte sich dem übermächtigen Gegner furchtlos entgegen.
Trotz der Anstrengungen und des starken Willens seiner Pokémon sah es momentan leider nicht allzu gut für sie aus. Wie-Shu könnte wahrscheinlich nicht viel mehr ausrichten, zumal Platan auch noch mindestens Bisaflor bei sich haben dürfte, soweit er wusste.
Für einen Moment erlaubte Flordelis es sich, kurz durchzuatmen und lenkte den Blick zu Platan. Gerade kam der nicht dazu, die Zelle gefahrlos aus Pandir herauszuziehen, solange Kramshef hartnäckig versuchte an ihn heranzukommen. Daher musste Platan hinter Turtok Schutz suchen, um nicht erwischt zu werden. Wenigstens stellten die Mitglieder der Kubus Garde keine Gefahr dar, sie blieben abwesend und handelten wohl auch nur noch auf Befehl. Wenn Flordelis nun etwas einfallen würde, mit dem er es ausnutzen könnte, dass Platan sowie Turtok aktuell mehr auf Kramshef achteten ...
Nachdenklich drehte er Garados' Pokéball in seiner Hand und sein Blick wanderte zu Pandir, auf den er in dieser Sekunde eine freie Sicht hatte – und dann kam ihm tatsächlich eine Idee. Selbst wenn sie vielleicht nur zum Zeit schinden taugte. Rasch steckte er Garados' Pokéball ein – dabei versprach er ihm innerlich, ihn bald ins Pokémon-Center zu bringen –, danach nahm er einen leeren Ball zur Hand – ein Glück, dass er mindestens einen davon immer mit sich trug –, und warf ihn mit Kraft gezielt in Pandirs Richtung. Kramshef hatte dafür gesorgt, dass Turtok sich weit genug gedreht hatte und der Weg frei war.
Es gab sicher nur diese eine Chance, also hoffte Flordelis auf das Beste.
Der Pokéball flog geschwind mehrere Meter – nun machte sich das regelmäßige Krafttraining bezahlt. Eigentlich rechnete Flordelis nicht wirklich damit, das Ziel zu treffen, aber dann ...
... Traf der Pokéball wirklich Pandir am Kopf!
Das Pokémon wandelte sich zu einem blau-weißen Licht, die Gardemitglieder keuchten nur ein wenig auf, was jedoch genügte, um Platans Aufmerksamkeit zu gewinnen. Er bekam nur noch mit, wie Pandir in den Pokéball von Flordelis gezogen wurde und zu Boden fiel.
„Könnt ihr nicht aufpassen?!“, fuhr Platan seine Leute wütend an. „Schnappt euch diesen Ball, sofort!“
Bevor sich einer von ihnen aber bewegen konnte, zuckten plötzlich Blitze aus Platans Manteltasche und sie wurden von einem Donnerschock getroffen, der sie für einen kurzen Augenblick lähmte.
Dedenne!
Erneut realisierte Kramshef selbstständig, was nun zu tun war, und ging sofort in den Sturzflug über. Nur knapp wich er einer weiteren Wassersalve von Turtok aus und schnappte sich den Pokéball. Im Anschluss kehrte er damit zu Flordelis zurück, nach wie vor geübt darin, den Angriffen auszuweichen. Kein Wunder, dass Kramshef sich zu Hause als Anführer von allen betrachtete – manchmal auch von Flordelis –, seine Auffassungsgabe war brillant.
Locker ließ Kramshef den Ball in Flordelis' ausgestreckte Hand fallen, ehe er sich zufrieden neben ihn setzte und stolz sein Gefieder aufplusterte.
„Danke sehr“, sagte Flordelis zu seinem Pokémon, ohne den Blick von Platan zu nehmen.
Derweil war Pyroleo immer noch in einen Kampf mit Glurak verwickelt, wobei er sich Garados' Vorarbeit ausgiebig zunutze machte. Sah so aus, als hätte sich das Blatt schlagartig gewendet, zu ihren Gunsten. Ohne Dedennes unerwarteten und mutigen Einsatz wäre das nicht möglich gewesen.
Wegen des Donnerschocks, so harmlos er auch für Menschen sein mochte, zuckte Platans Körper noch unkontrolliert, was ihn jedoch nicht davon abhielt den Würfel in die linke Hand zu wechseln. Danach griff er mit der anderen in seine Manteltasche und zog Dedenne hervor, die er am Nacken gepackt hatte. Sie klammerte sich an ihrem Schweif fest und sah ihn nervös an.
„Du weißt auch noch, dass du einen Fehler gemacht hast! Wie konntest du es wagen?!“, zischte Platan außer sich, wobei er sie mit seinem Blick durchbohrte. „Nach allem, was ich für dich getan habe?!“
Noch bevor etwas geschah, befürchtete Flordelis bereits, dass Platan Dedenne etwas antun würde. Er gab der Kleinen auch keine Gelegenheit, etwas zu tun oder zu sagen, sondern schleuderte sie im nächsten Atemzug schon rücksichtslos auf den Boden. Ihr panisches Quietschen hallte herzzerreißend durch die Lichtung.
„Dedenne!“, rief Flordelis besorgt.
Zorn loderte in seinem Inneren auf.
Das war absolut nicht Platan! Wenn er es bislang nicht gedacht hätte, wäre es spätestens nun eine sichere Gewissheit geworden. Wie konnte diese Kreatur es dennoch wagen, schamlos so zu tun als sei er Platan und behauptete es sogar inbrünstig ihm gegenüber?! Unverzeihlich!
Mit geballter Faust wollte er Kramshef befehlen, auch noch Dedenne zu holen, sonst tat Zygarde ihr am Ende noch mehr an. Plötzlich huschte aber schon ein anderer Schatten auf die Lichtung, schnappte sich Dedenne und eilte daraufhin geradewegs mit ihr auf Flordelis zu. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es sich um ein weibliches Pyroleo handelte, das Dedenne vorsichtig zwischen den Zähnen trug und voller Stolz vor ihm ablegte.
Automatisch steckte Flordelis Pandirs Pokéball ein und kniete sich hin, um Dedenne vorsichtig selbst hochzuheben.
Noch konnte er sich nicht so recht erklären, woher dieses andere Pyroleo auf einmal gekommen war, doch da hörte er bereits die vertraute Stimme ihrer Trainerin: „Interessant, was man alles abseits der Wege findet. Ich sollte die Stadt wohl öfter verlassen.“
Irritiert blickte er zur Seite. „Pachira?“
Tatsächlich kam die Person aus dem Wald hervor, die er zuvor im Büro sitzengelassen hatte. Vermutlich hätte er sich denken sollen, dass sie ihm aus Neugier folgen würde, doch seine Gedanken waren ganz bei Platan und der letzten Zelle gewesen.
Auf ihn achtete Pachira gerade kaum. Sie schob auf selbstbewusste Weise ihre getönte Sonnenbrille zurecht, aber es war dennoch zu sehen, wie ihr Blick mit gerunzelter Stirn auf Platan gerichtet war. Deswegen sah auch Flordelis wieder zu ihm hinüber, mit zorniger Besorgnis, die in seiner Brust brannte.
Es wirkte so, als hätte Platan die jüngsten Geschehnissen noch überhaupt nicht realisiert. Er war wie gelähmt. Lag das noch an Dedennes Elektro-Attacke? Nein, das konnte eigentlich nicht sein. Irgendetwas anderes war mit ihm.
Nach einigen Sekunden atmete Platan schwer durch ... und auf einmal liefen einige Tränen über seine Wangen. Auch das schien er nicht zu bemerken, bis die junge Frau bei ihm vorsichtig nachhakte, ob alles in Ordnung sei. Erst nach dieser Frage tastete Platan sich verwirrt über das Gesicht.
Platan weinte. Diese Tränen mussten von dem richtigen Platan kommen, der diese Behandlung von Dedenne nicht ertrug. An dem grünen Schimmer in den grauen Augen, der kurz kraftvoll aufglühte, war aber deutlich zu erkennen, dass nach wie vor Zygarde die Kontrolle haben musste. Darum holte er auch nur weiteres Mal tief Luft und versuchte anschließend die Tränen wegzuwischen, während er seinen Leuten einen Befehl gab: „Starrt mich nicht so nutzlos an! Holt dieses Pandir zurück!“
In der Zwischenzeit war Glurak spürbar an seine Grenzen gestoßen. Ihm war es zwar gelungen Garados zu bezwingen, doch nun schien er erschöpft zu sein. Ein Überschuss an Energie konnte eben eher belastend sein, statt fördernd.
Dafür taten die drei Mitglieder der Kubus Garde, worum Platan sie gebeten hatte, indem sie nun ihre eigenen Pokémon aus den Pokébällen heraus ließen: Ein Fletiamo, ein Galagladi und ein Sandamer. Hätte Platan von Anfang an mit ihnen zusammen gegen ihn gekämpft, wäre Flordelis nicht so weit gekommen.
Pachira seufzte neben ihm schwer. „Ich habe keine Ahnung, was hier los ist, aber anscheinend haben wir auch keine Zeit, das jetzt zu erörtern.“
Auf ihre Anweisung widmete sich ihr Pyroleo bereits dem Galagladi, dann entließ sie auch ihr Skelabra, um gegen Fletiamo anzutreten, Flordelis' Kramshef dagegen forderte direkt Sandamer heraus. Sein eigenes Pyroleo kämpfte weiter ausdauernd gegen den erschöpften Glurak.
Flordelis selbst sah immer noch Platan an.
Platan ... ich werde dich retten, ich schwöre es.
Und dafür musste er Pandir erst einmal behalten.
Die Pokémon stürzten sich aufeinander, nur Turtok blieb auf Befehl in Platans Nähe. Obwohl die Kubus Garde sich nicht schlecht schlug, wurde in kurzer Zeit deutlich, dass Pachira und Flordelis wesentlich mehr Erfahrung und Können besaßen. Nicht umsonst war Pachira ein Mitglied der Top Vier.
Sowohl sie als auch Flordelis benötigten nur wenige durchdachte Befehle, um die anderen Pokémon in Bedrängnis zu bringen, so dass bald eines nach dem anderen besiegt wurde. Irgendwann steckte Platan den Würfel wieder ein, was Flordelis mitbekam, weil er ihn, dank Pachiras Hilfe, im Blick behalten konnte.
Ab einem bestimmten Punkt wurden Platans Augen erneut glasig, besonders als Glurak nach einer heftigen Attacke von Pyroleo zu Boden ging und von der Mega-Entwicklung zurück in seine eigentliche Form wechselte. Glurak keuchte erschöpft und schnaubte leidend vor sich hin. Mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck rief Platan ihn zurück in den Pokéball, seine glasigen Augen sprachen aber gleichzeitig für Mitgefühl.
Als auch die Pokémon der Gardemitglieder wenig später besiegt waren und zurückgerufen werden mussten, stöhnte einer von ihnen überfordert. „Unglaublich, wie stark die sind. Können wir die überhaupt besiegen?“
„Wir sollten Verstärkung rufen!“, schlug die junge Frau vor.
Nun wirkten sie wieder lebhafter als zuvor. Womöglich war der Einfluss des Würfels noch teilweise instabil, weil nicht alle Zellen beisammen waren. Diesbezüglich konnte Flordelis aber nur Vermutungen aufstellen.
Feindselig starrte Platan ihn an. „Keine schlechte Idee. Wie werden sie sich wohl gegen eine ganze Armee behaupten? Euch hier und jetzt loszuwerden wäre überaus befriedigend.“
Nicht minder feindselig erwiderte Flordelis Platans Blick, sogar Pyroleo schnaubte wütend.
Abermals seufzte Pachira. „Das ist wirklich ein hervorragendes Angebot, aber dafür haben wir keine Zeit, Professor. Deswegen verabschieden wir uns jetzt.“
Da sie ihre Pokémon zurückrief, folgte Flordelis ihrem Beispiel, ohne darüber nachzudenken – und als sie Qurtel aus dem Ball entließ, konnte er sich bereits denken, was sie vorhatte. Tatsächlich stieß ihr Pokémon schwarzen Rauch aus seinem Panzer aus und nahm der Kubus Garde und Platan somit vollständig die Sicht auf sie sie. Anschließend rief sie Qurtel zurück, nur um Fiaro freizulassen. Flordelis folgte ihrem Nicken und setzte sich mit ihr auf Fiaro, die sich sofort in die Luft erhob und davonstob.
Durch den schwarzen Rauch hindurch erhaschte Flordelis noch einen Blick auf Platan. Wirklich endgültig fliehen könnten sie wohl nicht, immerhin wusste Platan, wo er lebte und Clavion hatte seinen Schlüssel. Aber wichtig war erst einmal, das Pandir und Dedenne in Sicherheit zu bringen. Ihm blieb nur zu hoffen, dass Platan bei ihrer nächsten Begegnung wieder normal war. Oder dass Sina und Dexio etwas erfahren hatten und nicht übergelaufen waren.
Und vielleicht wurde es Zeit, Pachira in die ganze Sache einzuweihen, während sie zur Stadt zurückflogen.
***
Als der schwarze Rauch sich endlich verzog, waren Flordelis und Pachira verschwunden. Zusammen mit seiner Zelle. Dem letzten fehlenden Stück zu seiner Vollkommenheit. Wie hatte Flordelis überhaupt wissen können, wo sie genau waren? Wenn er nur nicht aufgetaucht wäre ...
Das wirst du mir büßen.
Garantiert wurde Flordelis sich nicht vor ihm verstecken, das konnte Platan sich nicht vorstellen. Demnach müsste er nur Clavion nutzen, um in sein Haus zu gelangen ...
Aber was, wenn er den Pokéball mit Pandir nun irgendwo verstecken würde, wo er nicht zu finden wäre? Wie furchtbar frustrierend. Frustrierend und lästig.
Erst Dedennes Verrat. Die Tränen.
Das konnte ich wirklich nicht gebrauchen!
Zudem hatte Glurak sich als Enttäuschung herausgestellt, dabei hätte er mit all der Energie unschlagbar sein sollen! Hatte Platan nicht deutlich gesagt, dass er es nicht wagen sollte zu verlieren?
Wie konnte er es wagen, meinen Befehl zu missachten?!
Glurak ...
Keuchend schüttelte er den Kopf. Lästige Gefühle waren nun fehl am Platz. Erst recht jene, die ihn davon abhielten klar zu denken.
„Flordelis“, knurrte Platan hasserfüllt. „Ich hätte diese Bindung aufgeben sollen, als du noch keine Ahnung hattest ...“
„W-wir kriegen das hin, Chef“, versicherte die junge Frau ihm. „Wir holen uns zurück, was uns zusteht!“
„Natürlich werden wir das“, entgegnete Platan und wischte sich die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht, ehe er leise lachte. „Ich werde Ordnung ins Chaos bringen. Koste es, was es wolle.“
Für heute müsste er sich aber zurückziehen und überlegen, wie der nächste Schritt aussehen sollte. Vorher sollte er dringend wieder Energie aufladen, also konnte Kalos sich glücklich schätzen. Sie durften ihr Chaos noch eine Weile länger genießen – aber nicht mehr lange. Denn es gab noch den einen oder anderen Trumpf, der Platan dabei helfen würde, jeden Störenfried aus dem Weg zu räumen. Egal wen.
Notes:
Ich bin echt froh, dass ich dieses Kapitel noch vor dem Erscheinen von Z-A geschafft habe. >_<
Mega-Z-Entwicklung. We did it before! >:D
Chapter 18: Kapitel 17: Vielleicht war das eine Kriegserklärung
Chapter Text
Flordelis fasste das Wichtigste auf dem Flug zusammen, nachdem Pachira ihm erzählt hatte, dass sie sich aufgrund seines überstürzten Aufbruchs Sorgen gemacht habe und ihm aus diesem Grund – zweifelsohne auch aus Neugier – gefolgt war. Verständlich, wie er fand. Ebenso wie die Erklärung für ihr spätes Eingreifen, denn anfangs war sie sich noch nicht sicher gewesen, auf welche Seite sie sich stellen sollte. Das war genauso verständlich, immerhin war der Pokémon-Professor in Kalos eigentlich für seine guten Werte bekannt, auch für seinen herzliche Art anderen gegenüber.
Erst Platans Umgang mit Dedenne machte Pachira die Entscheidung schließlich leicht, da sie ab da sicher sein konnte, Flordelis würde die besseren Ziele verfolgen. Seine Zusammenfassung hatte sie nur darin bestärkt, worauf sie ihm versicherte, ihn ab sofort zu unterstützen. Diese Worte zu hören war erleichternd, besonders da er noch nicht wusste, ob er Sina und Dexio weiterhin auf seiner Seite wissen konnte. Dabei wäre er momentan für jede noch so kleine Unterstützung dankbar.
Als sie wieder in Illumina City ankamen, besuchten sie zunächst ein Pokémon-Center, um ihre Pokémon – und Dedenne – versorgen zu lassen, womit Flordelis sein Versprechen an Garados einhielt. Sie alle hatten tapfer gekämpft, ohne sie wäre die Auseinandersetzung mit Platan um einiges schlimmer ausgegangen. Daran wollte Flordelis aber lieber nicht denken.
Da sie im Pokémon-Center kurz warten mussten, hatte er Zeit, einen raschen Blick auf seine Nachrichten zu werfen. Tatsächlich gab es einige neue, darunter eine von Dexio, in der dieser Flordelis darauf hinwies, dass Platan einen Anruf von der Kubus Garde bekommen hatte. Also waren Sina und Dexio wirklich im Hintergrund zu hören gewesen, aber da sie ihm sehr zeitnah diese Information zukommen ließen, musste das bedeuten, sie gehörten auch noch zu seinen Verbündeten. In dem ganzen Stress war diese Textnachricht bis jetzt vollkommen untergegangen, doch nun war Flordelis beruhigt. Oder war es zu früh dafür? Was, wenn sie Flordelis im Namen von Platan aushorchen und überwachen sollten? Möglicherweise wurde er zu paranoid.
In einer knappen Antwort bedankte er sich für ihren Hinweis und erhielt darauf prompt eine Reaktion – vermutlich hatten sie nur darauf gewartet, von ihm zu hören –, in der Dexio ihm erklärte, dass sie ihn eigentlich hatten anrufen wollen, weil ihre Recherchen endlich hilfreiche Ergebnisse einbringen konnten. Nach rascher Rücksprache mit Pachira, bat Flordelis die beiden Assistenten, in einer Stunde zu einer bestimmten Adresse zu kommen, die er ihnen mitteilte.
Danach war der Krankenpfleger auch schon mit der Behandlung ihrer Pokémon fertig und gab sie ihnen zurück, mit der Versicherung, allen seien wieder topfit. In der Tat wirkte die kleine Dedenne wach und lebhaft, was ein schöner Anblick war. Ausgiebig lobte Flordelis sie für ihren Mut, bis sie verlegen geworden war. Vorerst machte der Elektro-Nager es sich anschließend in Flordelis' Fellkragen seiner Jacke gemütlich und er verließ zusammen mit Pachira das Pokémon-Center.
Ihr nächstes Ziel stand nach der Unterhaltung mit Dexio schon fest.
Es wäre zu gewagt, sich in Platans Labor, Flordelis' Büro oder gar in seinem Haus zu treffen, daher brachen sie zu Pachiras Wohnung auf. Diesen Ort kannte Platan nicht, also könnten sie dort auch nicht von Zygarde überfallen werden. Zumindest nicht an diesem Tag. Sobald Sina und Dexio zu der genannten Adresse kamen, könnte sich das schlagartig ändern.
Pachira entging nicht, wie sehr er ins Grübeln geriet, weshalb sie ihn fragte, was ihm durch den Kopf ging, kaum dass sie in ihrer Wohnung angekommen waren. Dort ließen sie sich beide im Wohnzimmer – das sehr modern eingerichtet war, mit einigen stilsicheren Farbakzenten – auf den Sesseln nieder und er erzählte ihr, was Sina und Dexio die letzte Woche recherchiert hatten, aber auch von seiner Befürchtung, sie könnten unter Platans Einfluss stehen. Darauf versicherte Pachira ihm, gemeinsam bekämen sie das sicher hin, egal, wie das Treffen gleich ausgehen mochte.
Deswegen war Flordelis etwas ruhiger, als es kurze Zeit später klingelte. Erstaunlich gelassen stand Pachira auf und verließ das Wohnzimmer, um den beiden Assistenten die Tür zu öffnen. Er selbst blieb sitzen und lauschte konzentriert.
Wenige Sekunde später war tatsächlich gedämpft die Stimme von Dexio zu hören, der sehr überfordert klang. „Äh, b-bonsoir. Also, wir wurden von Monsieur Flordelis hierher bestellt. Ist das ... richtig?“
Natürlich war Pachira als Nachrichtensprecherin des Holo-Logs in Kalos ein bekanntes Gesicht, genau wie Flordelis. Da letzterer mit Platan befreundet war, konnten Sina und Dexio sich an ihn schon etwas gewöhnen, aber plötzlich vor einer weiteren Berühmtheit wie Pachira zu stehen traf die Assistenten ziemlich unerwartet. Demnach war es nicht verwunderlich, dass sie im ersten Augenblick überfordert reagierten.
Wie gewohnt verhielt sich Pachira dagegen souverän, ein Hauch Amüsement lag in ihrer Stimme. „Das ist vollkommen korrekt. Kommt doch rein~.“
Jemand wie Pachira wusste, wie die Assistenten von Platan aussahen, weshalb sie den beiden einfach Einlass in ihre Wohnung gewähren konnte. Eine engagierte Nachrichtensprecherin wie sie wusste eben alles – womit sie manchmal Flordelis' Nerven zu strapazieren wusste, wenn auch auf eine verspielte Art. Nagte es wohl an ihrem Stolz, bisher nichts über die wahren Absichten der Kubus Garde mitbekommen zu haben? Er konnte es sich durchaus vorstellen.
„Wow“, ertönte Dexios Stimme erneut, gefolgt von einem Räuspern. „D-danke.“
Schritte ertönten, kurz darauf erschien Dexio, der verunsichert wirkte, als erstes im Wohnzimmer und hielt Sinas Hand, die ihm folgte.
„Ah, gut, Sie sind wirklich hier“, stellte Dexio erleichtert fest, als er Flordelis entdeckte.
Flordelis hatte sich direkt erhoben, nachdem die beiden eingetreten waren. „Danke, dass ihr gekommen seid.“
„D-danke, dass Sie uns Bescheid gesagt haben“, entgegnete Sina, die irgendwie nervös wirkte – bis ihr Dedenne auf seiner Schulter auffiel. „Ist das ...?“
Fröhlich quietschend winkte Dedenne den beiden zu. Auf der Stelle schien Sina sich zu entspannen. Wahrscheinlich misstraute sie ihm genauso wie er ihnen gerade, deswegen machte Flordelis ihr da keinen Vorwurf.
„Bleibt doch nicht alle stehen“, merkte Pachira an, die auch ins Wohnzimmer zurückkehrte. Fordernd wedelte sie mit den Händen. „Setzt euch. Wahrscheinlich wird das hier länger dauern.“
Dexio nickte Sina zu und steuerte mit ihr das Sofa an, das noch frei war. Kaum saßen die beiden, gab Dexio seiner Verwunderung Raum zur Entfaltung: „Was ist passiert? Wieso ist Dedenne bei Ihnen?“
Auch Pachira und Flordelis nahmen wieder auf den gegenüberliegenden Sesseln Platz. In einer Kurzfassung erzählte er von dem gefangenen Pandir, der ungewöhnlichen Mega-Entwicklung Gluraks und dem Kampf, der daraufhin entbrannt war. „Ich konnte Pandir einfangen und damit die Kubus Garde den Pokéball nicht an sich nehmen kann, hat Dedenne sie alle mit einem Donnerschock gelähmt. Darüber war Platan nicht sehr erbaut und hat sie auf den Boden geschleudert.“
Dem stimmte Dedenne mit einem traurigen Nicken zu, während sie ihren Schwanz in ihren Pfoten hielt.
Erschrocken atmete Sina ein. „Der Professor würde so etwas niemals tun ...“
„Das kann ich mir auch überhaupt nicht vorstellen“, schloss Dexio sich ihr stirnrunzelnd an. „Er würde doch eher sich selbst auf den Boden werfen, statt irgendein Pokémon zu verletzen ...“
Mit einem Frösteln fügte er dem murmelnd hinzu: „Diese Besessenheit ist echt gruselig.“
Auf diese Bemerkung nickte Flordelis grimmig. Dass dieser Platan immer noch vorgab, er zu sein, verstimmte ihn weiterhin.
„Glücklicherweise war ich auch vor Ort“, fuhr Pachira fort, wobei sie locker ihre Sonnenbrille zurechtschob. „So konnten wir Dedenne retten und dann verschwinden, bevor der Professor seine Armee ruft. So viel zu seiner friedvollen Organisation. Er wollte uns wirklich loswerden.“
Für Pachiras Handeln war Flordelis ihr wirklich dankbar, obwohl er unter anderen Umständen wütend gewesen wäre, weil sie ihm aus Neugier einfach gefolgt war. So etwas sah ihr ähnlich. Ohne sie wäre er nach Dedennes mutigen Einsatz aber nicht so leicht entkommen.
„Im Moment ist Pandir – und damit die letzte Zelle – sicher“, verkündete Flordelis. „Aber wir können diese Situation nicht derart belassen.“
„Okay, dann sollten wir erzählen, was wir herausgefunden haben“, beschloss Dexio, gefolgt von einem schweren Seufzen. „Es war aber wirklich nicht einfach. Wir haben uns durch unzählige Texte lesen müssen. Der Großteil handelte nur davon, wie man Geister-Pokémon austreibt und das meiste war auch bloß zur Unterhaltung erfunden oder passte nicht so recht auf unsere Situation. Erst als wir vorsichtig bei einigen Professoren nachfragten, kamen wir nach und nach an die besseren Sachen heran.“
An dieser Stelle sprach er ernst weiter. „Professor Magnolica aus Galar konnte uns ein paar gute Bücher empfehlen, die das Thema behandelten, für das wir uns interessierten. In einem davon wurde darauf aufmerksam gemacht, dass man zuerst herausfinden muss, auf welche Art und Weise das Pokémon den Menschen genau kontrolliert. Da gibt es überraschend viele verschiedene Möglichkeiten.“
Klang danach, als schienen sie wirklich fleißig gewesen zu sein. Kein Wunder, dass Platan so große Stücke auf die beiden hielt. Es schenkte ihm Hoffnung, dass es offenbar Mittel und Wege gab, solche Art Übernahmen zu beenden. Nur war es schlecht, zunächst mehr Details in Erfahrung bringen zu müssen. Wie viel Zeit mochte das kosten? Hatten sie überhaupt noch genug davon? Sicher würde Zygarde in der Zwischenzeit alles versuchen, sich die letzte Zelle zurückzuholen.
Bei all diesen Gedanken verfinsterte sich sein Gesicht direkt wieder, worauf er von Pachira angetippt wurde. „Schau nicht dauernd so grimmig, das gibt nur Falten.“
Sein finsterer Blick galt daraufhin Pachira, doch Dedenne tätschelte seine Wange, was ihn zumindest ein wenig beruhigte.
Nach diesem kurzen Einwurf, wurde aber auch Pachira ernst und wandte sich an ihre Besucher: „Aber wie soll man herausfinden, auf welche Weise er kontrolliert wird? Wahrscheinlich wird er ja kaum antworten, wenn man ihn fragt, oder?“
Da Dexio damit beschäftigt war, Pachira seltsam bewundernd anzustarren, weswegen auch immer, übernahm Sina nun das Wort: „Das kommt ganz darauf an, auf welche Weise Zygarde den Professor besetzt. Ich erspare es uns an der Stelle alle möglichen Optionen mit ihren Details aufzuzählen und komme direkt zu der Besessenheitsform, die sehr wahrscheinlich auf unseren Professor zutrifft.“
Flordelis war froh, dass Sina sofort zum interessanten Punkt kommen wollte, statt ihnen erst noch alle anderen Formen aufzuzählen – Platan hätte das mit Sicherheit getan, doch bei ihm wäre es etwas anderes gewesen.
Professionell begann Sina zu erklären: „Zygarde ist ja in seine Einzelteile zerlegt. Der Grund dafür ist für uns nicht wichtig. Er hat jedenfalls seine Form verloren, so stand es in dem Notizbuch. Neben Zellen gibt es auch Kerne. Also könnte eine Kern-Besessenheit in Frage kommen. Dabei verbindet sich ein wichtiger Bestandteil eines Pokémon, in dem zum Großteil alles gespeichert ist, was es ausmacht, mit einem Menschen und nutzt ihn als neuen Körper, weil der eigene gerade nicht verfügbar ist. Von außen bemerkt man oft keine Veränderung, doch je nachdem wie mächtig dieser Kern ist und wie viel von dem Wesen des Pokémon darin gespeichert ist, kann sich sein Wille mit dem des Menschen verbinden, ohne dass dieser es wirklich wahrnimmt. Wir gehen davon aus, dass der Professor irgendwie den Haupt-Kern von Zygarde in sich aufgenommen hat.“
Den Haupt-Kern von Zygarde.
Das würde wirklich zu dem passen, was Sina über diese Form der Besessenheit erzählte. Deswegen glaubte auch der richtige Platan, dass es sein Wunsch war, diese Welt der Ordnung einzuläuten, obwohl er unter normalen Umständen niemals solche Pläne verfolgen würde. Möglicherweise war Zygarde deshalb umgekehrt auch vollkommen davon überzeugt, Platan zu sein. Er tat also nicht nur so, er glaubte es wahrhaftig.
„Ich denke auch, dass wir davon ausgehen sollten“, urteilte Flordelis, worauf Sina richtig stolz zu sein schien. „Was können wir dagegen unternehmen?“
„Das Buch, in dem diese Form der Besessenheit beschrieben wurde, rät dazu, dem Pokémon seinen eigentlichen Körper anzubieten, weil es den Kern wohl von sich aus zurück an seinen ursprünglichen Platz ziehen würde.“ Besorgt schüttelte Sina den Kopf. „Das kommt bei uns aber eher nicht in Frage. Jedenfalls ist es sicher keine gute Idee, Zygarde zusammenzusetzen, wenn er so wahnsinnig ist. Deshalb kommt jetzt der besonders interessante Teil.“
Sie lehnte sich ein wenig nach vorne. „Die Kern-Besessenheit soll so selten vorkommen, dass sogar das Buch selbst betont hat, nicht sicher zu sein, ob sie überhaupt wirklich existiert. Schließlich verfügt kaum ein Pokémon über eine Art Kern, den es verlieren oder von seinem Körper lösen könnte. Es sind auf jeden Fall nur wenige. Darum wurde darauf verwiesen, dass dieser Beitrag von einem Doktor Myrr stammen würde und man es der Vollständigkeit wegen mit aufgelistet hätte. Also haben wir uns nach diesem Herr Myrr mal erkundigt und auch die anderen Professoren nach ihm befragt.“
Auf einmal mischte Dexio sich nun in die Erklärung ein und gestikulierte dabei aufgeregt mit den Händen. „Es gibt tatsächlich so einen uralten Schinken über Mysteriöse Pokémon, die einst eine große Rolle eingenommen haben, aber irgendwann einfach spurlos verschwunden sind – und darin gibt es noch einen Bericht von diesem Myrr! Leider kommt man da nicht mehr einfach so ran, aber Professor Esche aus Einall, die den Ursprung der Pokémon erforscht, besitzt dieses Buch und war so nett, uns den Teil, den Myrr geschrieben hat, abzutippen.“
Eines Tages müssten sie den anderen Professoren vermutlich erklären, wofür genau sie diese Informationen überhaupt benötigt hatten. Diese Offenheit und das Vertrauen für Sina und Dexio war mit Sicherheit überwiegend Platans Beliebtheit zu verdanken. Wer könnte sich nicht hilfsbereit zeigen, sobald es um ihn ging?
„Und Myrr erzählt in diesem Bericht von einem Mysteriösen Pokémon, das einst für Ordnung sorgte“, sprach Sina weiter, wesentlich gefasster und konzentrierter als Dexio. „Es soll aber eines Tages durchgedreht sein, weil die Ordnung in der Welt wieder und wieder gestört wurde. Darum schritt irgendein Wächter mit einem sogenannten Nebelherrscher ein und verbannte dieses Pokémon in einen Würfel.“
„... Dem Professor hätte die Geschichte sicher gefallen“, warf Dexio ein.
„Er könnte sie auch besser und ausführlicher erzählen“, meinte Sina, kurz bedrückt, nur um sich dann weiter auf das Thema zu fokussieren. „Jedenfalls soll man, laut diesem Myrr, das Ordnungs-Pokémon mit diesem Würfel kontrollieren können, solange man sich nicht von dessen Macht vereinnehmen lässt. Da der Professor mit dem Würfel auch die Zellen und Kerne zu sammeln scheint, ließe sich mit dem bestimmt auch der Kern aus ihm herausholen.“
Geduldig und zugleich unruhig hatte Flordelis den Erläuterungen der beiden aufmerksam gelauscht, mehr und mehr die Stirn dabei gerunzelt. Der Würfel war also das Gefäß, in das Zygarde verbannt worden war – und nun nutzte er es, um seine einzelnen Teile einzusammeln. Soweit klang das verständlich. Wenn Flordelis an diesen Würfel käme, könnte er dann Zygarde kontrollieren?
Allerdings war da noch etwas anderes, bei dem er besonders aufgehorcht hatte. Der Wächter und der Nebelherrscher. Er erinnerte sich an die Geschichte, die Platan ihm darüber erzählt hatte. Nun war der Würfel aber erst einmal wichtiger.
„Im Grunde müssten wir also diesen Würfel an uns bringen?“, fragte Flordelis.
Dadurch könnten sie verhindern, dass Zygarde zusammen gesetzt wurde. Der Nebelherrscher wurde vielleicht erst wichtig, wenn ihnen das misslang.
Sina deutete ein Nicken an. „Ich vermute, man muss dafür aber wirklich einen eisernen Willen besitzen, damit der Würfel einen am Ende nicht auch noch übernimmt. Sollte man der Kontrolle widerstehen, könnte man damit dann dem Haupt-Kern sicher befehlen in diesen zurückzukehren, statt weiter den Professor zu besetzen.“
Nach diesen Worten lehnte Dexio sich erschöpft zurück – dabei hatte Sina den Großteil des Berichtes über ihre Ergebnisse übernommen. Die ganzen Recherchen mussten ihn ziemlich ausgelaugt haben. Darum hatte er den Vortrag auch vermutlich eher Sina überlassen.
„Es ist nur ...“, begann Dexio zögerlich und warf einen kurzen Blick zu Sina. „Nirgendwo stand geschrieben, ob es für den Menschen ungefährlich ist, einen Kern wieder von ihm zu trennen.“
Sina nickte betrübt. „Deswegen wissen wir nicht, was passieren könnte, selbst wenn wir den Würfel hätten.“
Nachdenklich senkte Flordelis den Blick ein wenig. Es bestand also die Wahrscheinlichkeit, dass – egal welchen Weg sie einschlugen – Platan nicht unbeschadet oder gar lebend aus dieser Sache herauskäme.
Eine Erkenntnis, die seine Stimmung drückte. Bislang war er davon ausgegangen, es gäbe eine einfache Lösung, mit der sie am Ende alle glücklich wären. Aber – er lachte innerlich bitter – natürlich gab es keine einfachen Lösungen, der Gedanke war närrisch. Das hatte er auch schon Platan gesagt.
Auf keinen Fall durfte er sich wegen dieser Sache jetzt von Zweifeln gefangennehmen lassen. Das wäre nicht gut.
Gefasst sah Flordelis die anderen wieder an. „Uns bleibt dennoch nichts anderes übrig. Wenn wir dieses Risiko nicht eingehen, wird Zygarde uns alle verbannen – was wahrscheinlich gleichbedeutend mit dem Tod sein dürfte. Und damit ist auch niemandem geholfen.“
Ihnen blieb nur die Hoffnung, dass Platan nichts Schlimmeres geschehen würde. Auch wenn dieser Gedanke schmerzte.
„Also versuchen wir erst mal, an den Würfel ranzukommen ...“, hielt Dexio fest und verschränkte die Arme. „Das wird bestimmt nicht so leicht. Ich hab jedenfalls keine Idee, wie wir das anstellen sollen.“
Hätte Flordelis doch nur versucht den Würfel schon letzten Sonntag an sich zu nehmen ... Andererseits wäre er dann nicht darauf vorbereitet gewesen, dass vielleicht mehr dahinter stecken und er Gefahr laufen könnte auch übernommen zu werden. Vermutlich wäre das nicht gut ausgegangen.
Aber nun ...
„Überlasst das mir“, bat Flordelis – wofür er von allen Anwesenden, außer Dedenne, einen fragenden Blick zugeworfen bekam. „Ich denke, ich kann an den Würfel herankommen.“
Zwar gefiel es ihm nicht, seine Nähe zu Platan und dessen Vertrauen dafür ausnutzen zu müssen, aber es wäre der beste und sicherste Weg. Zudem war es zu Platans Besten, sicher würde er das auch verstehen ... oder diese Beziehung, so kurz sie auch gewesen war, wieder beenden, bevor sie in ihrer vollen Pracht erblühen konnte.
Solange nur den Hauch einer Chance für Platan bestand, das alles zu überleben, müsste Flordelis dieses Risiko eingehen. Nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Menschheit. Einen anderen Weg, eine einfache Lösung, gab es nicht und sie hatten keine Zeit, nach einer zu suchen.
Bitte, Platan darf nichts geschehen ...
Wenn es schon keine einfache Lösung gab, wollte Flordelis wenigstens dafür beten, dass Platan es überstehen würde. Irgendwie.
Eine ganze Weile hatte Pachira nur schweigend gelauscht, doch nun erfüllte ihre Stimme wieder den Raum und sie hielt sich nicht mit ihrer Skepsis zurück, was diesen Plan betraf. „Bist du sicher, dass du weißt, worauf du dich einlässt? Das klingt gefährlich. Und so wie der Professor heute drauf war-“
„Er ist nicht immer so“, unterbrach Flordelis sie. „Wenn ich ihn in einer Phase erwische, in der er normaler ist, kann ich den Würfel ganz leicht bekommen.“
Pachira sah ihn weiterhin skeptisch an. Ihre Augen funkelten geradezu wachsam, wie die eines Fiaro, durch ihre Sonnenbrille hindurch – die sie auch jetzt nicht abgenommen hatte. Sie trug sie nahezu immer, auch in Gebäuden. Daran hatte er sich inzwischen gewöhnt.
„Stimmt, der Professor scheint immer wieder gute Phasen zu haben, in denen er ganz der Alte ist“, bemerkte dann auch Dexio. „Das haben wir beide ja heute erst erlebt.“
Den letzten Satz sagte er wohl vielmehr zu Sina, während Flordelis dem Blick von Pachira entschlossen standhielt.
„Aber Sie sollten dabei besser nicht alleine sein“, riet Sina. „Irgendjemand sollte in der Nähe bleiben, um Ihnen jederzeit helfen zu können, falls etwas gewaltig schiefgehen sollte.“
Schmunzelnd brach Pachira den Blickkontakt ab und vollführte mit einer Hand eine schwungvolle Geste. „Das klingt nach einem Job für mich.“
Also war sie mit dem Plan nun einverstanden. Gut.
„Ich habe mich schon ein wenig überflüssig gefühlt“, klagte Pachira halbherzig. „Vielleicht könnten wir ja auch den Champ fragen, ob sie helfen will.“
Vielleicht wäre das tatsächlich ganz gut. So viel starke Unterstützung wie möglich zu haben konnte niemals schaden, vor allem nicht bei der Rettung der Menschheit.
... Eventuell wollte sie auch nur einen Grund haben, Diantha mal wieder anzurufen.
Derweil war Dexio hellhörig geworden. „Den Champ?! Habt ihr denn Kontakt zu ihr? Sie zu erreichen ist doch garantiert ganz schön schwer.“
Seine Reaktion ließ Pachira erheitert lachen. „Oh, nur keine Sorge, wenn ich sie anrufe, geht sie auf jeden Fall immer ran~. Und sie hilft bestimmt gern, wenn ich sie darum bitte.“
Auf einmal schienen Sinas Augen regelrecht zu glitzern, während Dexio beinahe etwas verlegen wirkte.
„Aktuell hat sie ohnehin eine Drehpause, weil die jungen Trainer unterwegs sind“, erläuterte Pachira noch. „Sie muss doch verfügbar sein, sobald einer von ihnen sie herausfordern will.“
Begeisterung verdrängte Dexios Verlegenheit. „Wenn der Champ und ein Mitglied der Top Vier als Unterstützung dabei sind, bin ich beruhigt. Sina und ich können ja solange weiter nachforschen. Vielleicht finden wir doch noch etwas anderes heraus, das uns helfen kann.“
„Das ist eine gute Idee, finde ich“, lobte Sina ihn. „So können wir uns auch weiter nützlich machen. In Kämpfen bin ich nicht so gut.“
Plötzlich fuhr sie dann mit einer anderen Information fort: „Der Professor war heute übrigens mit uns essen, weil er uns auch zur Kubus Garde einladen wollte.“
Sofort wurde sogar Pachira noch einmal ernst. “Ich hoffe, ihr habt das nicht vor, nicht mal als Ablenkungsmanöver. Der Professor scheint die Kubus Garde mit diesem Würfel auch irgendwie zu hypnotisieren. Ihr wärt dort nicht sicher.“
Dexios Augen weiteten sich erschrocken. „Er kann einen mit dem Würfel hypnotisieren?! Im Ernst?! Das erklärt, warum mir die Mitglieder manchmal so komisch vorgekommen sind, wenn ich mal mit einen von ihnen angesprochen habe. Ich dachte aber, das liegt einfach daran, weil sie viel zu tun haben und gestresst sind. Oh Mann ...“
Als Pachira diese Hypnose erwähnte, weckte das in Flordelis vor allem eine Frage: Warum hatte Zygarde das nicht bei Pachira oder ihm versucht? Befürchtete er, sie könnten zu stark sein, um sich beeinflussen zu lassen? In dem Fall standen die Chancen nicht schlecht, dass ihr Plan funktionieren könnte. Dafür müsste er nur der Kontrolle über sich behalten – als erfahrener Geschäftsmann sollte ihm das nicht schwerfallen.
Beunruhigt wandte Dexio sich an Flordelis. „Passen Sie gut auf sich auf, wenn Sie versuchen den Würfel zu holen. Der richtige Professor will bestimmt nicht, dass Ihnen etwas passiert.“
„Keine Sorge, ich habe nicht vor, mir etwas zustoßen zu lassen“, beruhigte Flordelis ihn.
Was natürlich leichter gesagt war als getan, aber Dexio hatte recht, Platan wollte sicher nicht, dass ihm etwas passierte. Selbst wenn er nun sein Vertrauen ausnutzen würde.
Gerade, als Dexio noch etwas sagen zu wollen schien, ließ ein lauter Knall nicht nur ihn erschrocken zusammenzucken, sondern auch Sina, die sich sofort schutzsuchend an ihn drückte.
Ohne jegliches Zögern legte Dexio die Arme um sie. „Was?! Was war das?!“
Panisch versteckte Dedenne sich in seinem Fellkragen, während Pachira und Flordelis angespannt Richtung Fenster sahen. Es klang ein wenig wie ein Feuerwerk, das draußen explodiert war, nur um einiges lauter. Inzwischen war es dunkel geworden und ein grünes Licht erleuchtete scheinbar gerade den Nachthimmel in Kalos. Durch das Fenster drang es bis zu ihnen und verlieh dem Raum eine unheilvolle Atmosphäre.
Ratlos schüttelte Pachira den Kopf. „Das ist seltsam. Normalerweise sollte es heute keine Feuerwerke oder so etwas geben. Davon wüsste ich.“
Beinahe gleichzeitig standen Flordelis und Pachira auf, letztere trat an das Fenster und öffnete es. Kühle Nachtluft wehte herein. Interessiert lehnte Pachira sich ein wenig nach draußen, um einen besseren Blick auf das Phänomen zu bekommen, welches sich draußen abspielte. Auch Sina und Dexio kamen zu ihnen, hielten jedoch etwas Abstand.
Auf den ersten Blick sah es tatsächlich so aus, als wäre am Himmel ein riesiges Feuerwerk explodiert. Grüne Funken schwebten am Himmel und verströmten eine Menge Licht. Sah man aber genauer hin, konnte man erkennen, dass es zahlreiche dünne Platten aus Hexagonen waren, die dort oben glühten.
Plötzlich ordneten sie sich auf magische Weise zu einem Z an, das kräftig zu leuchten anfing. Kurz darauf fegte eine Energiewelle wie ein heftiger Sturm durch Illumina City, gleich einem Orkan, der wie aus dem Nichts durch die Stadt wütete. Einige Menschen draußen, die nicht mit so einem seltsamen Phänomen und schon gar nicht einer Art Sturm gerechnet hatten, schrien verängstigt auf. Mehrmals waren aus verschiedenen Richtung laute Geräusche zu vernehmen, ein Krachen folgte dem nächsten, vermutlich weil einige Dinge durch die Gegend geschleudert wurden.
Dieser unwirkliche Moment aus purem Chaos hielt nur kurz an und fühlte sich doch viel zu lang an, bis dieser Sturm sich innerhalb von Sekunden wieder gänzlich legte und das Licht verblasste. Blitzschnell verzogen die Hexagone sich allesamt und verließen den Himmel, bis von ihnen nichts mehr zu sehen war. Zurück blieb nur ein pechschwarzes Firmament und Hektik unter den Menschen – zwischen ihre Stimmen mischten sich auch einige nervöse Rufe von Pokémon.
„... Scheiße“, rutschte es Dexio hinter ihnen heraus. „Was war denn das?“
Schweigend warf Flordelis einen flüchtigen Blick über die Schulter. Dexio hielt Sina nach wie vor ihm Arm, beide waren mehrere Meter zurückgewichen.
„Auf jeden Fall irgendetwas, das mit Zygarde im Zusammenhang steht“, erwiderte Pachira düster. „Das gefällt mir absolut nicht.“
Sicher überraschte es niemandem im Raum, dass ihr Telefon gleich darauf mehrmals in ihrer Tasche vibrierte. Wahrscheinlich Nachrichten der anderen Mitglieder der Top Vier oder ihrer Mitarbeiter, die sie fragen wollten, ob sie das auch mitbekommen hatte.
Statt darauf zu reagieren, fixierte sich Flordelis' Blick noch einmal auf den Nachthimmel, sein finsterer Gesichtsausdruck dürfte diesem gerade mehr als nur Konkurrenz machen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass Zygarde schon solche Sachen anstellen kann, obwohl er noch nicht wieder vollständig ist“, sagte Dexio leise, fast als befürchtete er, sonst könnte das Ordnungs-Pokémon sie auf einmal entdecken. „Ob er uns demonstrieren wollte, dass er schon stärker ist, als wir glauben? Vielleicht war das eine Kriegserklärung. Oder eine Warnung.“
„Möglich wäre das“, meinte Flordelis – seine Stimme klang selbst für ihn in dieser Sekunde viel zu tief und unabsichtlich bedrohlich. „Wenn Pandir wirklich die letzte Zelle in sich trägt, wundert es mich auch nicht, dass er bereits so viel Kraft hat.“
Allein Glurak in seiner ungewöhnlichen Mega-Entwicklung war beeindruckend gewesen. Der Vorgang war für das Pokémon aber mit starken Schmerzen einher gegangen ...
Gedankenverloren griff Flordelis sich an sein Kinn. „Ich hoffe nur, dass es dann überhaupt noch eine Phase gibt, in der Platan wieder er selbst ist. Sonst könnte der Plan direkt zum Scheitern verurteilt sein.“
„Ich denke schon, dass er früher oder später auch wieder normal wird“, wandte Dexio überzeugt ein. „Der Professor war erst heute Nachmittag in einer guten Phase, als er uns zum Essen eingeladen hat, bevor er so unheimlich wurde.“
Flordelis löste den Blick vom Nachthimmel und wandte sich den anderen zu. „Dann hoffe ich, dass es eher früher wird.“
„Ich auch“, pflichtete Pachira ihm bei, die bereits einige Nachrichten auf ihrem Handy durchging. „Scheinbar sind alle in heller Aufregung über das Geschehen. Ich muss sogar eine Sonder-Übertragung machen.“
An dieser Stelle war die Unterredung also beendet. Im Grunde wurde alles, was wichtig war, auch vorgebracht, demnach war dieses abrupte Ende zu verschmerzen.
Allmählich schien Sina sich zu fangen, doch ihre Stimme klang noch etwas zittrig. „Also ... machen wir das jetzt wirklich so? Dexio und ich forschen weiter, und Sie kümmern sich um den Würfel?“
Von Flordelis folgte zur Bestätigung ein Nicken. „Außer ihr wollt doch eine andere Aufgabe.“
„Ach, wissen Sie, mit solchen Sachen lege ich mich ungern an“, gestand Dexio ihm. „Das wäre vielleicht etwas für maskierte Helden, aber nicht für uns. Wir stellen gerne weiter Nachforschungen an.“
Er strich Sina beruhigend über den Kopf. „Soll ich heute vielleicht lieber mit zu dir kommen?“
„Ich glaube, das wäre wirklich gut“, antwortete sie ihm dankbar.
Es war sicher eine gute Idee, wenn die beiden vorerst zusammen blieben, statt sich zu trennen. Ihm war nur nicht so recht klar, was für eine erheiternde Note Pachira in der gegenwärtigen Situation fand, denn sie schmunzelte etwas, während sie Sina und Dexio betrachtete. Nun, Flordelis hatte sich schon immer schwer damit getan, sie richtig zu verstehen.
Dexio lächelte Sina zu, ehe er sich noch einmal an Pachira und Flordelis wandte. „Okay, dann wünsche ich uns allen mal viel Erfolg. Wir melden uns, wenn wir noch etwas herausfinden sollten. Sagen Sie uns auch Bescheid, falls es etwas Neues gibt.“
„Natürlich“, versicherte Flordelis. „Seid vorsichtig auf dem Heimweg.“
Sogar Dedenne wagte sich nun wieder ein wenig aus seinem Fellkragen hervor, um ihnen quietschend zuzuwinken. Solange sie noch derart fröhlich auf die beiden reagierte, war alles gut.
Ihr Anblick half Sina erneut auf magische Weise, sich zu entspannen, so dass sie zum Abschied zurück winkte. „Danke. Und denken Sie daran, auf sich aufzupassen.“
Nachdem Flordelis das ein weiteres Mal versprochen hatte, löste sie sich etwas von Dexio, nahm seine Hand zog ihn und mit sich in Richtung der Tür, wohin Pachira sie beide auch begleitete.
Unterdessen sah Flordelis wieder aus dem Fenster hinaus. Eine Kriegserklärung. Platan würde das auf jeden Fall nicht gefallen, aber umso mehr musste Flordelis sich bemühen, ihn zu retten. Irgendwie. Egal, was es ihn kosten würde. Solange Platan in Sicherheit war, wäre alles gut. Diese Welt brauchte Platan – und Flordelis würde dafür sorgen, dass sie alle noch lange etwas von ihm hätten.
Someone_Named_Jessica on Chapter 6 Mon 11 Aug 2025 12:31PM UTC
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R4chel_G4rden on Chapter 6 Mon 11 Aug 2025 08:39PM UTC
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Someone_Named_Jessica on Chapter 6 Mon 11 Aug 2025 11:19PM UTC
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Someone_Named_Jessica on Chapter 15 Fri 29 Aug 2025 03:09PM UTC
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R4chel_G4rden on Chapter 15 Sat 30 Aug 2025 04:21PM UTC
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Someone_Named_Jessica on Chapter 18 Tue 14 Oct 2025 02:29AM UTC
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R4chel_G4rden on Chapter 18 Tue 14 Oct 2025 11:17AM UTC
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