Chapter Text
Porzellanpuppen
8. (Die Abrissbirne im) Porzellanladen
(Alternativtitel: Harry Potter im Bermuda-Dreieck der Liebe)
Donnerstag, 04.05.2000
Beschwingt von dem zufriedenen Gefühl, eine gute Kaufentscheidung getroffen zu haben, verließ Harry die sanft-indirekt beleuchteten Geschäftsräume von Qualität für Quidditch und trat hinaus ins gleißende Licht des neuen Tages. Er blinzelte heftig und hielt die freie Hand schützend vors Gesicht, während er sich an den Helligkeitsunterschied gewöhnte. Seitdem die Tochter des ehemaligen Ladenbesitzers die Geschäfte übernommen hatte, waren die Räumlichkeiten einer todschicken Modernisierung unterzogen worden. Die großen Fenster, an denen sich die Hogwartsschüler früher die Nasen plattgedrückt hatten, waren nun samtverhangen, sodass keine ungünstig stehende Sonne das ausgeklügelte Beleuchtungskonzept der kunstvoll in Szene gesetzten neuesten Besenmodelle störte. Die goldenen Lettern auf den blitzblank polierten Besenstielen schimmerten den Kaufinteressenten aus jedem Betrachtungswinkel entgegen; kein einziges Staubkorn störte die perfekte Inszenierung – und auch Harry war ins Schwärmen gekommen, hätte sich beinahe dazu hinreißen lassen, dem nagelneuen Feuerblitz 2.0 ein neues Zuhause zu geben. Doch er konnte gerade so an sich halten.
Den transportsicher verpackten Stargazer No. 1unter den Arm geklemmt, das passende Pflegeset im Rucksack, schlug er den Weg zum Postamt ein, um eine Eule mit seiner Ausbeute zum Grimmauldplatz vorzuschicken, ehe er vor der eigenen Heimkehr einen Abstecher zu Weasleys Zauberhafte Zauberscherze unternahm. Er konnte dort unmöglich mit einem besenförmigen Paket aufkreuzen, ohne Rons Neugier zu wecken und so einen weiteren Konflikt heraufzubeschwören, zu welchem er selbst Ron auch noch das beste Argument auf dem Silbertablett präsentierte. Saphira hatte ihn nie darum gebeten, ihr irgendetwas zu kaufen, geschweige denn einen brandneuen, sicherheitsgeprüften Anfängerbesen. Immerhin war es mehr Harrys entfachter Enthusiasmus, ihr das Fliegen nahezubringen, denn ihr eigenes Interesse daran, das ihn zu diesem Kauf animiert hatte. Aber er machte sich nichts vor; er wusste, wie das nach außen hin aussehen musste. (Womöglich würde er an Rons Stelle ähnliche Bedenken hegen, wenn dieser plötzlich ausgerechnet Malfoys Exfreundin hinterherschmachtete und ihr teure Geschenke machte …) Und vielleicht behielten seine Freunde schlussendlich Recht, vielleicht machte er sich lächerlich. Doch zum König der Idioten wollte er sich lieber erst selbst krönen, sobald er Saphira und ihr verwirrendes Verhältnis besser einzuschätzen vermochte.
Für den Moment war er mit seinen Entscheidungen im Reinen.
Ein herzhaftes Gähnen stahl sich über seine Lippen, als er verrichteter Dinge das Postamt verließ und in Richtung Freds und Georges Laden weiterzog. (Jenem Laden, der heute nur noch George gehörte, doch George ohne Fred zu denken tat mehr weh, als die gedankliche Verbindung intakt zu lassen.)
Er rieb sich die brennenden Augen und legte nach einem Blick auf die Uhr trotz nagender Erschöpfung einen Schritt zu. Allmählich spürte er die schlaflose Nacht in den Knochen. Nach dem Besuch bei Ron und George musste er sich wirklich hinlegen, auch wenn das bedeutete, dass er erneut den Tag zur Nacht machte und damit Gefahr lief, im ohnehin schon schier aussichtslosen Wettkampf gegen seinen verkorksten Schlafrhythmus endgültig zu verlieren. Was konnte er eigentlich noch?
Als Retter der Magierwelt, der sich fast zwei Jahre lang durch die Wildnis gekämpft, siegreich mit den gefährlichsten schwarzen Magiern duelliert hat und auf einem Drachen reitend mordlustigen Kobolden entwischt ist, ohne dabei seinen Verstand an besitzergreifende Horkruxe zu verlieren – gibt es da überhaupt noch etwas, wovor Sie sich fürchten?
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Ich habe Angst vor dem Monster unter meinem Bett.
Harry schnaubte ob der imaginären Interviewszene, die sich vor seinem geistigen Auge manifestierte, und beschloss, weiterhin daran festzuhalten, nicht persönlich mit der Presse zu reden. Das konnte ja nur schief gehen.
Erneut verbarg er ein Gähnen halbherzig hinter seinem Handgelenk und dachte mit einem milden Lächeln an den Ursprung seiner nun völlig aus dem Takt geratenen inneren Uhr. Irgendwie war es das diesmal wert gewesen.
Entgegen seines ursprünglichen Plans war er Dienstagabend nicht mehr von Hogsmeade aus nach Hause appariert, auch wenn er sich bis heute nicht erklären konnte, wie es dazu gekommen war. Er erinnerte sich noch an die sachte Berührung ihrer Schultern, Saphiras Hand in seiner, die wohlige Wärme, die ihn durchströmte, und das leise Knistern des Feuers, dem sie in schweigsamer Eintracht beim Erlöschen zugesehen hatten, bis ihm die Lider schwer wurden.
Und dann – als wäre es nur einen Atemzug später gewesen – war er vom leisen Klicken des Türschlosses hochgeschreckt. Kerzengerade und mit wild pochendem Herzen stand er urplötzlich vor dem Sofa und tastete nach seinem Zauberstab. Er starrte auf die verschwommenen Umrisse der dunkelhaarigen Frau im Türrahmen, die Bellatrix Lestrange so schrecklich ähnlich sah, wenn er keine Brille trug.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken“, hatte Andromeda geflüstert und ihm im Vorbeigehen die Schulter getätschelt. „Leg dich wieder hin.“
„Jah.“ Seine Stimme klang rau und abgehackt und er räusperte sich verlegen, stumm hoffend, sie hätte den Schreckmoment ob der Ähnlichkeit zu ihrer verstorbenen Todesser Schwester nicht bemerkt.
„Gute Nacht“, sagte Andromeda leise und verschloss die Schlafzimmertüre hinter sich.
Tief durchatmend sank er zurück in das weiche Polster und ertastete seine Brille auf dem Beistelltisch, verblüfft feststellend, dass zu seinen Füßen eine Wolldecke lag, unter welcher er wohl gedöst hatte. Jemand – Saphira – musste sie ihm übergeworfen und ihm die Brille ausgezogen haben.
In dieser Nacht hatte er kaum mehr in den Schlaf gefunden. (Was der Grund war, weshalb er nach seiner Heimkehr am Mittwoch ohne über Los zu ziehen und 200 Pfund einzunehmen weitere Umwege ins Bett gegangen und um kurz nach 22 Uhr wieder hellwach gewesen war, sodass er die Nacht zu heute durchgemacht hatte. Der Beginn eines Teufelskreises.)
Wieder und wieder war er von Erschöpfung und Müdigkeit übermannt worden, doch mehr als ein seichtes Dösen, aus dem er bei jedem kleinsten Knarzen der Fußdielen aufgeschreckt war, sollte ihm nicht vergönnt sein. Die Überdosis an Aufputsch- und Stimmungstränken zollte ihren Tribut, löste unerträgliche innere Unruhe aus und ließ seine Finger kaltschweißig erzittern.
Doch die nackte Angst – die panische Fluchtreflexe in ihm auslöste, wann immer er am Grimmauldplatz an die wasserschädenbefleckte Decke starrte, den Geräuschen des ächzenden, atmenden, uralten Hauses schutzlos ausgeliefert in der Finsternis seiner einsamen Nächte – blieb auf dem viel zu weichen Sofa in Hogsmeade aus. Die fremde Umgebung wirkte auf sein Hirn wie ein Urlaub von seinen Erinnerungen (und auf seinen Rücken, als wäre er in einer einzigen Nacht um zwanzig Jahre gealtert). Und auch das Bewusstsein, nicht allein zu sein, nur eine Tür weiter vertraute Personen zu wissen, war irgendwie beruhigend gewesen. Vielleicht war das ein Zeichen, dass er Mollys Angebot, in Percys altes Zimmer zu ziehen, doch annehmen sollte … für eine Weile. Doch stand dieses Angebot nach seiner Trennung von Ginny überhaupt noch? Molly war so schrecklich enttäuscht und gleichsam noch immer voller Hoffnung, Harry und ihre einzige Tochter fänden wieder zueinander … wollte glauben, dass es nur eine Phase war und sich alles wieder richten ließe … Es fühlte sich an, als würde er mit ihren Gefühlen spielen, wenn er sie nun um diesen Gefallen bat.
Harry seufzte schwer, bog um die letzte Kurve, die ihn von seinem Ziel trennte, und sah bereits das in neonfarben aufleuchtende Emblem von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze über dem blitzend, blinkend, quietschbunten Schaufenster, als ihm der Duft frischer Croissants in die Nase stieg und er beschloss, den beiden ein spontanes Frühstück mitzubringen.
Er betrat die kleine Bäckerei und reihte sich in die Schlange der Wartenden hinter einer grauhaarigen Frau am Stock ein, die so winzig war, dass Harry sie beinahe über den Haufen gerannt hätte.
„Verzeihung“, nuschelte er, doch die Frau schien ihn gar nicht zu registrieren, so vertieft war sie in ihre Ausgabe des Tagespropheten. Mehr versehentlich denn gewollt erhaschte Harry einen Blick darauf und unterdrückte ein frustriertes Stöhnen, als er seinem eigenen Foto-Selbst dabei zusah, wie es überfordert grinsend Ginnys herzliche Umarmung erwiderte. Natürlich hatten die Reporter exakt diesen Moment festgehalten. Selten war er so froh gewesen, es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, für seine Ausflüge in die Winkelgasse Vielsafttrank zu nutzen. Kopfschüttelnd zwang er seine Augen, statt der Bildunterschrift die Tagesangebote der Bäckerei zu studieren, und rief sich Ginnys Versicherung ins Gedächtnis, dass ihr die niveaulosen Klatschkolumnen egal waren. Dennoch nagte das Schuldgefühl schwer an ihm.
Er atmete tief durch und versuchte, nicht in düsteren Gedanken zu versinken, sondern sich aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren, wie Saphira es ihm beigebracht hatte.
Ich sehe … eins, zwei, drei, vier, fünf verschiedene Sorten Croissants. Fairy Scones, Kürbis-Rosinenschnecken, Shortbread, Banoffee Pie und … Sein Magen grummelte so laut, dass die kleine Frau vor ihm sich umdrehte und ihn so empört anstarrte, als hätte er etwas grob Unhöfliches zu ihr gesagt. Gleichsam verlegen wie amüsiert mied er ihren Blick und schloss für einen Moment die Augen, um aus dem Wust an Geräuschen, dem Klappern und Zischen, Brabbeln und Raunen fünf distinkte Dinge, die er hörte, herauszufiltern.
Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln und vertrieb die Sorgenfalte zwischen seinen Brauen, als das herbe Aroma frisch aufgebrühten Kaffees und der Geruch ofenwarmer Brötchen ihn an das gestrige Frühstück in Hogsmeade zurückdenken ließen. Es hatte sich so herrlich familiär angefühlt, trotz seines heftigen Schlafmangels lebendig und energetisch mit den beiden fröhlichen Kindern, Saphiras warmherziger Art und Andromedas ausgeglichen ruhigem Wesen. Eine Atmosphäre, die ansteckend war und seine eigene allmorgendlich miesepetrige Laune vertrieb. Teddy – der die ganze Zeit auf seinem Schoß gesessen und dem es irgendwie gelungen war, Harry Schokocreme sowohl in die Haare als auch auf die Socken zu schmieren – hatte seine gesamte Aufmerksamkeit für sich beansprucht, sodass er selbst kaum zum Essen gekommen war und kein winziges bisschen Gehirnaktivität für düstere Gedanken übrig gehabt hatte. Selbst Sophie war ihm gegenüber inzwischen richtig aufgeschlossen, hatte zum Abschied begeistert gewunken und: „Bis bald, Harry!“, gerufen, nachdem es Andromeda endlich gelungen war, Teddy von ihm loszueisen. Und Harry freute sich jetzt schon auf den Sonntag mit seinem Patensohn, auch wenn er kaum zu träumen wagte, dass diese seltsame Woche tatsächlich das Potential barg, noch besser zu werden.
Vielleicht war es genau das, was er brauchte, um sich wieder aufzuraffen: mehr Gesellschaft. Wenn er nur wüsste, woher er die Energie dafür nehmen sollte.
Harry war ein Familienmensch, durch und durch. Das Alleinewohnen lag ihm nicht. Und das Stadtleben ebenso wenig. Ein gemütliches Häuschen auf dem Land, vielleicht ein paar Hühner im Garten und Platz zum Quidditch spielen … Da sah er sich.
Die viel zu große, schrecklich leere Stadtvilla verschlang ihn mit Haut und Haar, raubte ihm mehr Nerven als er sich leisten konnte, und obgleich die Renovierung vieles änderte, den Schrecken schmälerte und die Düsternis vertrieb, wusste Harry (so sicher wie er das Fliegen liebte), dass er sich dort nicht auf ewig abgemalt sehen wollte.
Die jüngsten Erlebnisse hatten eine fast schmerzhafte Sehnsucht nach all den gemütlichen Stunden im überfüllten Fuchsbau entfacht, ließen ihn die Wärme, die nur eine liebende Familie geben konnte, so sehr vermissen, dass es wehtat. Eine Familie, die ihn einst wie einen Sohn und Bruder aufgenommen hatte und der er seit Monaten aus eigener Unzulänglichkeit die kalte Schulter zeigte. Harry fröstelte unwillkürlich und biss die Zähne zusammen. Wie nur hatte er es so weit kommen lassen können?
Er wusste nicht, wie, er wusste nicht, was genau, aber einer Sache war er sich inzwischen sicher: In seinem Leben musste sich etwas ändern. Es war an der Zeit, das Selbstmitleid hinter sich zu lassen und erwachsen zu handeln. So schwer es auch fiel … Er wollte sein Verhältnis zu den Weasleys kitten und an den Sonntagen bei Teddy nicht bloß vor seiner hässlichen Lebensrealität fliehen, sondern ein aufrichtig zufriedenes, rechtschaffenes Vorbild für seinen Patensohn sein, jemand, der die Chancen, die das Leben ihm bot, ergriff, etwas aus sich machte, einen Beitrag zur Gesellschaft leistete.
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Trotz der frühen Stunde stöberten bereits einige Hexen und Zauberer neugierig durch die surrenden und blinkenden Auslagen von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, lasen Werbeschilder, die verheißungsvoll verkündeten: Mal wieder ins Fettnäpfchen getreten? Stilvoller-Abgang-Pastillen lassen dich auf der Stelle im Boden versinken. Oder: Nase voll von drögen Unterrichtsstunden, langwierigen Geschäftsterminen und den immer selben Anekdoten deiner senilen Tante? – Tagtraum-Zauber!
Überwöge seine Angst davor, sich statt in einer angenehmen Phantasie erneut in einem Albtraum wiederzufinden, nicht der Sehnsucht nach einer kleinen Realitätsflucht, würde Harry diese tatsächlich einmal ausprobieren …
„Hey“, stieß er aus und klopfte Ron auf die Schulter, den er beim Auffüllen eines Regals entdeckte, das die vielversprechende Aufschrift trug:
Vom Oger zum Guhl* – Furunkel, Warzen und Eiterbeulen loswerden
* auch wir können keine Wunder vollbringen – noch nicht
„Hm?“, grummelte Ron und drehte sich mit verschlafener Miene um. „Ne, die Haarwuchstinktur haben wir noch nicht wieder vorrätig, da müssen Sie nächste Woche wieder reinschauen“, kommentierte er die tiefen Geheimratsecken Harrys heutiger Erscheinung, in einem Tonfall, der Harry vermuten ließ, dass er diese Frage der frühen Stunde zum Trotz heute nicht zum ersten Mal beantwortete.
„Ich bin’s, Mann“, raunte Harry ihm zu. Ron blinzelte irritiert, ehe Erkenntnis in seinen müden Augen aufleuchtete.
„Harry! Sag das doch gleich“, rief er aus und gab ihm zur Begrüßung einen kräftigen Hieb zwischen die Schulterblätter, der die Luft aus Harrys Lungen trieb.
„Shht“, lachte er und warf einen paranoiden Blick über die Schulter, aus Furcht, von anderen Kunden erkannt zu werden, im selben Moment, da wie gerufen George auf sie zueilte und mit einem breiten Grinsen verkündete:
„Harry! Diese engelsgleichen Augenringe erkenne ich doch in jedem Gesicht wieder. Und ist das ein Stresspickel? Dagegen haben wir doch unsere Stresspickel-Wickel. Einfach das Gesicht für etwa eine Stunde darin einbandagieren und du bist so gut wie neu. Ich habe eine Freundin, die schwört auf unsere Tinkturen!“
„Seit wann hast du ne Freundin?“, wollte Ron wissen, während Harry sich mit einem verlegenen Schmunzeln dem Regal zuwandte und – mehr um beschäftigt auszusehen und sich nicht direkt den neugierigen (vielleicht auch nur eingebildeten) Blicken der Umstehenden auszusetzen – ein schwarzes Fläschchen in Form einer Fledermaus mit dem Werbeversprechen: Fahle Haut wie ein Vampir? Sag dem Grufti-Look leb wohl! (Neue Auflage unserer bewährten Snape-Gedenk-Tinktur), herausnahm.
Er zuckte überrascht zurück, als plötzlich zu seiner Rechten die Figur eines kleinen, geflügelten Fisches zu surren begann und die riesigen Glubschaugen wachsam auf ihn richtete.
„Oh, oh, der Flink-Finger-Schnapper wittert, dass du das gar nicht kaufen willst“, sagte George und deutete auf den merkwürdigen Fisch, wobei er Rons Frage nach seinem Beziehungsstatus elegant überhörte.
„Der bitte was?“, fragte Harry.
„Der Flink-Finger-Schnapper“, erklärte George, „schnappt alle, die sich was geschnappt haben. Ist noch ein Prototyp und manchmal etwas voreilig, aber ich bin guter Dinge, dass wir eine erste funktionale Version zumindest für unseren Laden noch diesen Monat entwickeln werden. Bis das in Serie geht und wir sie auch verkaufen, wird es aber noch etwas dauern. War Rons Idee, nachdem wir bei der Inventur festgestellt haben, dass leider nicht all unsere Kunden auch … zahlungswillig sind.“
Ron ließ ein stolzes Grinsen sehen.
„Ah, das macht Sinn!“, nickte Harry anerkennend. „Raffiniert. Die Verbrecherjagd hat für dich also schon vor der Aurorausbildung begonnen, huh?"
„Immer wachsam“, zwinkerte Ron in einer erschreckend akkuraten Stimmimitation Moodys … oder Barty Crouchs als Moody, denn diesen Ausspruch, der auch in Harrys Kopf so typisch für den alten Auroren anmutete, hatten sie (soweit Harry erinnerte) nie aus dem Mund des echten Alastor Moodys gehört. Harry erschauderte unwillkürlich und brachte trotzdem ein fast ehrliches Lachen zustande.
„Sinn wird nicht gemacht, Sinn ergibt sich, das sagt zumindest – jah, egal“, murmelte George vor sich hin und fügte dann lauter an: „Wie geht’s, wie steht’s? Was verschafft uns die Ehre deines Besuchs?“
„Wer sagt das? Deine ominöse Freundin?“, hakte Ron mit skeptisch zusammengekniffenen Augen nach. Doch auf diesem Ohr schien George taub zu sein.
Harry versteckte ein Grinsen hinter seinem Handrücken und erwiderte halbwegs wahrheitsgemäß: „Gut, gut, ich ähm … ich hab ein paar neue Besenpflegetinkturen gekauft und dachte, ich schau auf dem Rückweg mal vorbei. – Und ich hab Frühstück mitgebracht“, erinnerte er sich und hielt die Tüte voll mit frischen Backwaren demonstrativ in die Höhe.
„Oha, perfekt, ich bin am Verhungern!“, stieß Ron aus und nickte in Richtung der Büroräume. „Lass uns nach hinten gehen, ich hab mir ne Pause verdient.“
„So, so, hast du das?“, fragte George skeptisch, drehte sich jedoch gleichzeitig nach ihrer Mitarbeiterin um und rief: „Jenny, wir sind ne Weile in ner Besprechung. Du managst das hier, oder?“
„Klaro!“, nickte Jenny hinter der Kasse, ehe sie damit fortfuhr, beißende Brausefrisbees abzuwiegen.
„Hm, Besenpflegetinkturen“, raunte George verschwörerisch, während sie sich ihren Weg durch den Laden bahnten. „Ich hab gehört, du denkst über eine Karriere als Fluglehrer nach.“ Er wackelte bedeutungsvoll mit den Brauen und Harry brauchte einen Moment, bis er begriff, worauf George vermutlich anspielte – auch wenn sich seinem Verständnis entzog, woher ausgerechnet er das wissen konnte …
„Hä?“ Ron blieb so abrupt im Türrahmen stehen, dass Harry gegen ihn stolperte.
„Sorry, Mann“, nuschelte er, während er das Gleichgewicht wiederfand und sich rasch zu George umdrehte, damit Ron die Wahrheit nicht von seinem Gesicht ablesen konnte, als er so irritiert wie irgend möglich erwiderte:
„Wie kommst du denn auf sowas?“
„Ach, so ne Intuition“, winkte George ab, doch das Feixen auf den sommersprossigen Zügen verriet, dass er sehr viel besser im Bilde war, als Harry bislang angenommen hatte. Vielleicht plauderte Andromeda ein wenig zu offenherzig mit Molly …
„Ne, ne, an den Aurorplänen hat sich nichts geändert“, stellte Harry klar und folgte Ron in das von Prototypen, Ideenzeichnungen, Rezepten und Zauberformeln, Verpackungen und Bestellformularen nur so überquillende Büro. Er räumte einen Karton Kotzpastillen beiseite und ließ sich auf dem nun freigewordenen Stuhl am Tisch nieder, während Ron ihnen Tee einschenkte.
Harry schüttelte sich heftig, als das bekannte Brodeln und Kribbeln unter seiner Haut begann, das die nachlassende Wirkung des Vielsafttranks ankündigte. Das Hinterzimmer hatten sie offenbar gerade rechtzeitig betreten, bevor Harrys Zeitmanagement ihm mal wieder um ein Haar zum Verhängnis geworden wäre.
„Ach, hi Harry, wo kommst du denn so plötzlich her?“, kommentierte George trocken, während Harry die Innentasche seines nun etwas zu weitem Umhangs nach dem Brillenetui abtastete.
„Das muss heute noch alles raus“, fuhr George nuschelnd und mit vollem Mund fort, nachdem er sich als erster an Harrys mitgebrachten Leckereien bedient hatte, und deutete zu Rons sichtlichem Verdruss auf eine mehrseitige Liste gestern eingegangener Bestellungen.
Harry folgte seinem Fingerzeig und spürte seine Laune schlagartig sinken, als er darunter hervorlugend die aktuelle Ausgabe des Tagespropheten entdeckte.
Obgleich er befürchtete, es eigentlich gar nicht so genau wissen zu wollen, zog er die Zeitung mit spitzen Fingern hervor und warf einen angesäuerten Blick auf die in hohnvollen Großbuchstaben gedruckte Schlagzeile:
HARRY POTTER UND GINNY WEASLEY – DAS JUNGE GLÜCK ZERSTÖRT WEGEN IHR?
Skeeter enthüllt: Eine Affäre, ein Kind und die Rückkehr einer verschollen geglaubten Reinblüterin – lesen Sie hier alles über die fiesen Pläne, Harry Potters Liebesglück zu zerstören.
Direkt darunter befand sich ein Foto … nein, bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass es sich um drei separate Fotos handelte, die lediglich so eng beisammen abgedruckt worden waren, dass es auf den ersten Blick den Eindruck erweckte, es wäre nur eines. Ganz links hielt sich Saphira beim Lachen die Hand vor den Mund, in der Mitte stand Harry, verloren wirkend nach links und rechts schauend. Das letzte Foto zeigte Ginny, die bedrückt den Kopf hängen ließ. Das Bild, auf dem er und Ginny sich umarmten, musste auf Seite zwei zu finden sein … Bei Merlins geblümtem Schlüpfer! Wie viele Zeilen hatten sie nur mit diesem himmelschreienden Unsinn gefüllt?
„Ach du Scheiße“, murmelte Harry und warf die Zeitschrift so angewidert zurück auf den Tisch, als säße ein besonders ekliges Insekt darauf. „Und natürlich von Skeeter, wem auch sonst!“
„Oh, es kommt noch besser, wenn du einen Blick in die Hexenwoche werfen möchtest“, frohlockte George. „Da bist du nämlich nicht mehr das arme, unschuldige Opfer, sondern der fiese Playboy, der mit den Gefühlen der Ladies spielt. Und das Beste: Auch dieser Artikel ist von unserer lieben Rita. Ihr Repertoire bedient wirklich jedes Herzens Begehr.“
„Will ich es wirklich wissen?“, murrte Harry und wich Rons finsterem Blick aus, indem er hinab auf sein angebissenes Eclair starrte. Der Hunger war ihm vergangen.
„Seit wann liest du überhaupt die Hexenwoche?“, fragte er, um Zeit zu gewinnen, sich die erste Frage selbst zu beantworten.
„Seit Ginny sie mir mit hilfreichen kleinen Anmerkungen schickt“, zwinkerte George. Harry hob den Kopf und musterte ihn überrascht. George schien das vollkommen erst zu meinen. Ron rollte mit den Augen und stopfte sich mit solcher Inbrunst ein Croissant in den Mund, als wollte er sich selbst davon abhalten, dem Gespräch etwas hinzuzufügen.
„Und ihm hat sie verboten, sich als ihr großer Beschützer aufzuspielen“, erklärte George mit einem Kopfrucken Richtung seines Bruders.
„Jah, lass hören“, seufzte Harry schwer und warf Ron einen hoffentlich entschuldigend wirkenden Blick zu – denn in Anbetracht dessen, wie sehr Ginnys Ruf unter seinen Entscheidungen litt, konnte er den Unmut des Freundes durchaus nachvollziehen.
„Harry Potter im Bermuda-Dreieck der Liebe – Held der Herzen oder feiger Herzensbrecher?“, las George theatralisch vor. „Und nun Ginnys erster Kommentar: Wie lange meinst du, saß die Skee-ge (verstehst du, Skeeter plus Ziege hahaha) wohl an diesem Satz? Muss sie ihre vorletzte Gehirnzelle gekostet haben, sich dieses poetische Meisterwerk aus den Fingern zu saugen.
Saphira Black und ihre süße Tochter – nach dem tragischen Ableben ihres verboten attraktiven Onkels Sirius Black (Bild auf Seite 4) Als Respekt vor den Toten verteilt wurde, war Rita gerade Gassi die letzten Nachfahren aus dem legendären Hause Black – scheinen vollends vom Glück verlassen. Kein Erbe, kein Ehemann, kein Vater. Wie tief kann eine Reinblüterin sinken? Eines ist sicher: So unterirdisch tief wie du wird sie gar nicht sinken können
Ist der Hintergrund ein bitterer Liebeskampf zwischen zwei gleichermaßen verletzten Hexen? Und sollte ich je so tief sinken, mich mit einer anderen Frau um einen Mann zu zanken, töte mich bitte.
Am Tag der Jahresfeier der Schlacht um Hogwarts bot sich uns ein trauriges Bild: Saphira Black, wie ihr Name ganz in schwarz, blass, müde, niedergeschlagen und doch: aufrecht. An ihrer Hand das Kind, dessen schneeweiße Haut und schwarze Zöpfe die leuchtend grünen Augen, die uns allen so bekannt vorkommen, betonen … Doch was fehlt, das ist ein Vater. Ich kotz gleich. Mum darf das niemals lesen … davon erholt sie sich nicht. Am Ende adoptiert sie das Kind, damit Harry und ich damit große glückliche Familie spielen.
Wie uns aus zuverlässiger Quelle bekannt ist, wurde auch im Ministerium kein Vater für das bedauernswerte Mädchen eingetragen. Diese zuverlässige Quelle zieht sich besser warm an. Ariadne wetzt schon die Messer, das hör ich bis hier!“
Dass Ginny mit Crouch per Du war, war ihm allerdings neu. Genauso wie die Tatsache, dass er und Crouch wohl doch etwas gemeinsam hatten: Den Wunsch, diese Quelle zu liquidieren. Nur dass dies in seinem Fall natürlich nicht wörtlich zu verstehen war. Ariadne hingegen … Harry dachte lieber nicht allzu gründlich darüber nach.
„Dabei muss man kaum seine Brille putzen, um das Offensichtliche, das wir nicht aussprechen dürfen, zu erkennen!“, fuhr George fort und fasste sich in gespielter Rührung an die Brust. „Liebe Leserinnen, ich kann mit meinen Beobachtungen nicht alleine sein. Wir alle sehen, wem dieses Kind ähnelt, diese Augen sind unverkennbar! Spielt sie drauf an, Saphira hätte sich in einem genetischen Experiment selbst geschwängert?“
Harry schnaubte. Er konnte Ginnys triefenden Sarkasmus aus den Worten heraus beinahe hören.
„Auf der anderen Seite dieser tragischen Geschichte haben wir Ginny Weasley. Die toughe Quidditch-Spielerin hat sich zutiefst verletzt in ihre Arbeit zurückgezogen, meidet die Öffentlichkeit und steht für kein Interview zur Verfügung. Was denkt die, wofür ich bezahlt werde? Fürs Dummschwätzen sicher nicht.”
Das kleine Grinsen, welches sich zuvor auf sein Gesicht geschlichen hatte, verlosch.
„An ein Liebescomeback zwischen Potter und der armen, betrogenen Ginny Weasley glauben nach den Bildern des letzten Wochenendes nur noch die vollkommen hoffnungslosen Romantiker. Bleib stark, Ginny! Die Solidarität der Frauenwelt steht hinter dir! Ist das überhaupt ein korrekter Satz? Ist das eine Drohung? Wer ist diese personifizierte Solidarität, die mir in den Nacken atmet? Rita, die hinter mir steht, ist so ziemlich mein schlimmster Albtraum. Würde lieber auf der Ersatzbank der Puddletowner Pfützen Planscher enden, als Ritas Frauenwelt nachts im Dunkeln hinter mir zu wissen.
Zahl es Potter mit jedem gefangenen Schnatz heim! Ich bin Jägerin, aber was soll’s. Schnatz, Quaffel, Klatscher, fangen, werfen, schlagen – ist doch im Grunde genommen alles dasselbe!“
Harry vergrub das Gesicht in den Händen und wünschte, er könnte einfach aufhören zu existieren.
„Und mittendrin in diesem Bermuda-Dreieck vergifteter Liebe: Ah, hier spielt sie wieder auf den Titel an. Stilmittel oder ist ihr keine weitere Metapher mehr eingefallen? HARRY POTTER“, las George erbarmungslos weiter. „Der Junge, der überlebte. Der Junge, der das Black-Anwesen erbte. Doch ist er auch: Der Junge, der die Mutter seiner Tochter im Stich ließ? Diese Frage werden wir uns wohl noch stellen dürfen – ohne jemandem damit etwas unterstellen zu wollen. Natürlich nicht.
Während Potter es sich in der alten Stadtvilla der Blacks gemütlich zu machen scheint (einer Quelle aus Potters persönlichem Umfeld zufolge findet dort gerade eine kostspielige Renovierung statt), stünden Saphira Black und ihre gerade einmal zweijährige Tochter ohne die Großzügigkeit ihrer Stiefschwester mittellos auf der Straße. Wie nur kann Potter mit seinem Gewissen vereinbaren, eben jenes Haus zu besetzen, in dem Saphiras Vater – Sophies Großvater – aufwuchs, während die kleine, unvollständige Familie ums nackte Überleben kämpft?“
„Ich hab genug gehört …“, grummelte Harry. Wut loderte in ihm auf. Und das paranoide Unbehagen, belauscht, verfolgt, ausspioniert zu werden. „Und woher weiß sie von der Renovierung? Was für eine Quelle aus meinem privaten Umfeld soll das bitte gewesen sein?“ Sein Mund war so trocken, dass ihm das Reden schwer fiel, und er griff nach seiner Tasse; nur um dann doch nicht daraus zu trinken, aus Angst, dass ihm der Schluck in der zugeschnürten Kehle stecken blieb.
„Du weißt doch, wie der kleine Käfer ist …“, erwiderte George und zuckte die Schultern. „Ich glaub nicht, dass jemand freiwillig mit ihr gesprochen hat.“
„Wir sollten sie endlich beim Ministerium melden! Was denkt die sich eigentlich?“ Harry kochte innerlich. Seine Finger schlossen sich so fest um das warme Porzellan, dass sie kreidebleich wurden.
„Es sei denn …“, begann Ron verschwörerisch und sprach dann doch nicht weiter.
„Es sei denn was?“
Ron zuckte beiläufig die Schultern und sah zugleich sehr erpicht darauf aus, auszusprechen, was ihm durch den Kopf ging.
„Nun spuck’s schon aus!“
„Es sei denn, Black selbst hat das initiiert, um ihren Ruf aufzubessern“, sagte er glatt und erwiderte Harrys Blick, fest entschlossen, seinen Standpunkt zu verteidigen.
„Red keinen Stuss, Ron!“, gab Harry zurück. „Glaubst du wirklich, dieser Schund hier macht irgendetwas für sie besser?“
Und er wollte sich gar nicht ausmalen, was all dies erst für Sophie bedeutete. Noch mochte die Kleine nichts davon begreifen, doch was, wenn sie älter wurde? Wenn die Eltern ihrer Spiel- und Klassenkameraden sie mit Lügen und Gerüchten über das Mädchen gefüttert hatten und sie verstand, dass die Gesellschaft sie zum Außenseiter bestimmt hatte, noch bevor sie selbst nur den Hauch einer Chance bekam, ihren Platz darin zu finden … Sollte Saphira am Ende mit all ihren Bedenken Recht behalten? Hatte Harry sie nun nur noch weiter darin bestärkt, das Land wieder zu verlassen und fernab der feindseligen Vorurteile ein besseres Umfeld für sich und ihre Tochter zu suchen? War alles, was er richtig zu machen glaubte, exakt das Falsche? Machte sein Eingreifen am Ende alles nur noch schlimmer?
„Naja“, sagte Ron von Georges mahnendem Blick unbeeindruckt. „Ist ja kein Geheimnis, dass du dieses Helferding hast – und dass Black dir plötzlich am Arsch klebt wie ein Dauerklebefluch, kommt mir einfach verdächtig vor!“
„Erzähl mir was Neues“, stöhnte Harry und rieb sich mit dem Handrücken über die pochende Stirn. Er war es satt, mit Ron zu diskutieren, wusste dem allerdings auch nichts Gutes mehr entgegenzusetzen. Rons Bedenken waren nicht völlig aus der Luft gegriffen – von seinem Standpunkt aus betrachtet – doch Harry vertraute Saphira und hatte gleichzeitig das Gefühl, dass jede Verteidigung seinerseits Rons Misstrauen nur weiter anfachte.
„Sie ist Malfoys Exfreundin!“, betonte Ron so eindringlich, als handelte es sich um eine Information, die Harry bislang noch nicht bedacht hatte.
„Sag mal, hängt bei dir die Schallplatte?“
„Hängt bei mir was?“
„Du wiederholst dich.“
„Vielleicht macht gerade das den Reiz aus“, nuschelte George aus dem Mundwinkel, doch niemand reagierte auf ihn.
„Versteh mich nicht falsch, Mann“, murmelte Ron und kratzte sich am Hinterkopf, als suchte auch er diesmal vorsichtiger nach den richtigen Worten, um keinen Streit vom Zaun zu brechen.
Wenn du schon so anfängst, lag es Harry auf der Zunge, doch er schluckte die Worte herunter und erwiderte Rons Blick abwartend.
„Ich wünsch dir natürlich, dass du wen findest und so … aber ausgerechnet Black? Hast du vergessen, was sie im Krieg getan hat?“
„Worauf willst du hinaus?“ Harry runzelte die Stirn. „Sie war nicht mal im Land.“
„Später nicht mehr. Aber du warst selbst dabei, als sie zugegeben hat, Malfoys Pläne gekannt zu haben. Wochen im Voraus! Sie wusste, dass er Dumbledore töten wird, dass Todesser in die Schule kommen … alles. Du selbst hast es damals gesagt: Sie trägt eine Mitschuld daran. Sie hatte alle Gelegenheiten, das Richtige zu tun, und hat sich bewusst dafür entschieden, stattdessen die Todesser zu decken. Ich versteh einfach nicht, wie du das vergessen kannst.“
„Ich hab’s nicht vergessen“, sagte Harry ruhig und rieb sich die schmerzenden Schläfen. „Aber es hätte ohnehin nichts geändert. Dumbledore wusste, dass er sterben muss. Von Dracos Auftrag und dass Snape es am Ende tun würde. Wie oft habe ich selbst versucht, ihn vor Dracos Machenschaften zu warn-“
„Das ist nicht der Punkt und das weißt du genau“, fiel Ron ihm dazwischen. „Oder wusste Black etwa von Dumbledores geheimem Masterplan?“
Harry nickte bedächtig und sagte dann: „Natürlich nicht. Es war nicht richtig, was sie getan hat, aber wenn Dumbledores Geschichte uns eines gelehrt hat, dann dass die Fähigkeit zu Verzeihen manchmal eine der wichtigsten ist – oder wie stellst du dir vor, hätten wir Voldemort besiegt, wenn uns Snape nicht im Hintergrund den Weg bereitet hätte?“
Ron zuckte die Schultern und schwieg.
„Snape … Snape hat damals meinem Vater und Sirius nicht verzeihen können. Sein Hass hat nicht nur dem Mord an meinem Vater, sondern auch meiner Mutter den Weg geebnet. Mit dieser Schuld musste er sein Leben verbringen und Tag für Tag versuchen, sie gutzumachen. Meinst du nicht, dass wir uns das als mahnendes Vorbild nehmen sollten, es nicht so weit kommen zu lassen?“
„Verzeihen ist eine Sache“, brachte Ron zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Aber … muss man deswegen gleich mit ihr in die Kiste springen?!“
„Das ist nie passiert“, widersprach Harry energisch. „Wir sind Freunde!“
„Hui, hui, hui, seid ihr überhaupt schon alt genug für sowas?“, fiel George in einem schwachen Versuch, die Situation zu entschärfen, dazwischen.
„Ich … ich find’s nur so unfair! Bill wird sein Leben lang mit den Narben in seinem Gesicht leben müssen – und wenn Black den Orden gewarnt hätte, wären vielleicht mehr von uns anwesend gewesen und hätten die Todesser früher überwältigt. Und Fred … Fred ist tot und sie und Malfoy leben einfach weiter, als ginge sie das alles überhaupt nichts an! Als hätten sie nichts getan. Und du tust plötzlich so, als wäre das alles nur so eine Lappalie. Och, wegen Leuten wie ihnen ist Voldemort überhaupt erst so weit gekommen, konnte Fred und Tonks und Lupin und deine Eltern ermorden, aber was macht das schon? Verzeihen wir ihnen einfach und nehmen sie in unseren Freundeskreis auf. Macht ja nichts! Kann jedem mal passieren, oder?“
Ron atmete schwer. Seine Ohren waren röter als die Haare. Und Harry konnte ihm nicht in die Augen sehen.
George schien es nicht länger auf seinem Stuhl ausgehalten zu haben. Stumm starrte er aus dem Fenster und Harry sah gegen das helle Licht nichts als die scharfen Umrisse seines Profils, aus denen er seinen Ausdruck nicht deuten konnte.
Und da waren sie wieder: die unerträglichen Schuldgefühle, die ihn Nacht für Nacht wachhielten, sein Hirn zerfraßen und ihm das Herz schwer machten. Er fühlte sich wie die Abrissbirne im Porzellanladen. Egal, wie umsichtig er darauf Acht gab, niemanden zu verletzen, keine weiteren Leben zu beschädigen, nachdem so viele seiner Fehler schon zu Tod und Verlust, angeknacksten Freundschaften und schwierigen Verhältnissen geführt hatten … egal, wie sehr er sich wünschte, nichts mehr kaputt zu machen: Die Welt um ihn herum war noch immer so fragil, dass seine pure Anwesenheit ständige, schmerzhafte Erinnerung genug sein musste. Haltsuchend schlang er die bebenden Finger um die inzwischen kalte Tasse und starrte sein eigenes, blass vor sich hin waberndes Spiegelbild auf der Oberfläche an.
Du hast das provoziert. Vollidiot.
Ron war nicht gänzlich im Unrecht. Und Harry konnte die ohnmächtige Wut, die ihn quälte, leider viel zu gut nachvollziehen, als dass er dem noch etwas entgegenzusetzen hatte. Vielleicht war an Rons Zweifeln mehr dran, als Harry sich bislang hatte eingestehen wollen. Vielleicht verklärte die rosarote Brille seinen Blick auf die Wirklichkeit und Harry sah allzu leichtfertig über Dinge hinweg, die ihm ansonsten ein ähnlicher Dorn im Auge wären, wie sie Ron nun sauer aufstießen. Vielleicht war es zu früh und sie alle noch nicht bereit, das zu vermischen, was einst strikt getrennt war, die Grenzen zwischen Widerstandkämpfern und Unentschlossenen aufzuweichen, sodass Menschen wie Saphira unbehelligt in der Masse untergehen konnten.
„Das macht sie auch nicht mehr lebendig.“ Georges Stimme riss Harry so ruckartig aus der Abwärtsspirale seiner Gedanken, dass es wehtat. Der Ausdruck auf seinen kreidebleichen Zügen traf ihn wie ein Faustschlag im Magen. In Momenten wie diesen wirkte er so fremd, dass es beinahe unmöglich erschien, sich den fröhlichen, unbeschwerten George an der Seite seines ewig grinsenden Zwillingsbruders ins Gedächtnis zu rufen.
Einige Augenblicke lang war es so unerträglich still, dass Harry das Geräusch seines eigenen Atems zu verabscheuen begann.
Dann sagte Ron:
„Ich weiß.“
Er ließ die zuvor angespannten Schultern hängen und sah so niedergeschlagen aus, dass Harry ihm tröstend auf den Rücken klopfen wollte. Doch er wagte es nicht.
„Tut mir leid, echt, ich … Wenn mein Verhalten respektlos war, dann … “
George schüttelte den Kopf und brachte Harry mit einem Blickkontakt, der kaum länger als eine Sekunde anhielt, zum Schweigen. Der Schmerz in seinen Augen war unerträglich. Stumm tätschelte er seinem Bruder die Schulter, obwohl er selbst den Trost ebenso bitter nötig haben musste. Und Harry fühlte sich so schuldig und hilflos, dass er am liebsten im Boden versunken und nie wieder aufgetaucht wäre.
Die abrupte Stille zwischen ihnen war so ziemlich das Unangenehmste, das Harry seit langem verspürt hatte. Er schämte sich. Er schämte sich so sehr, dass er einen Zeitumkehrer herbei wünschte, um das Gesagte ungeschehen zu machen.
Sie hörten die sich nähernden Schritte vor der Tür und doch zuckten alle drei gleichermaßen zusammen, als es schließlich klopfte. Harry ließ vor Schreck die Teetasse fallen, von der er gar nicht mehr wusste, dass er sie mit steifen Fingern umklammert hielt. Klirrend zersprang das Porzellan am Boden in seine Einzelteile, eine traurige Pfütze unangerührten Tees unter sich lassend.
„Jah?“, rief George rau.
Jenny streckte den Kopf herein und fragte: „Äh, Ron, kommst du mal bitte? Eins dieser Schnapp-Dinger hat sich im Allerwertesten eines Kunden verbissen, der sich mit unbezahlter Ware zu nah an der Tür aufgehalten hat.“
„Nicht schon wieder.“ Ron stöhnte matt und erhob sich schwermütig, ehe er Jenny mit gezücktem Zauberstab in den Laden folgte, ohne Harry noch einmal anzusehen.
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und zurück blieb nichts als Unbehagen. Mit Ron zu streiten hatte schon immer wehgetan, doch nie war die Angst vor dem endgültigen Verlust ihrer Freundschaft so überwältigend gewesen wie heutzutage.
„Ich wollte wirklich nicht –“, murmelte Harry und presste unter der Brille die Finger auf die brennenden Augen.
„Hör schon auf“, sagte George und setzte sich wieder neben ihn an den Tisch. „Ist nicht deine Schuld, okay? Nichts davon.“
„Hm.“ Nur mühsam schluckte Harry den Drang, sich wieder und wieder zu entschuldigen, herunter. Verlegen wandte er den Blick ab und blieb an der zerbrochenen Tasse hängen, die er mit einem gemurmelten: „Reparo“, dazu zu ermutigen versuchte, sich wieder zusammenzufügen. Mäßig erfolgreich. Die großen Scherben setzten sich zusammen, doch blieben Risse sichtbar, wo winzige Splitter ihren rechten Platz nicht mehr fanden. Der Henkel schien sich mit diesem kläglichen Exemplar von Tasse überhaupt nicht mehr identifizieren zu wollen und verweilte, wo er war, lag so abgeneigt da, als schämte er sich für Harrys erbärmlichen Reparaturversuch. Wahnsinn, langsam drehte er wirklich durch, oder? Ein Tassenhenkel, der sich schämte. Aber sicher. Einen unzufriedenen Laut ausstoßend, hob er die beiden Einzelteile auf und legte sie vor sich auf den Tisch. George war zu vertieft darin, Ordnung auf dem überfüllten Tisch zu schaffen, als dass er davon Notiz genommen hätte.
Und allein gelassen mit seinen Gedanken, fragte Harry sich wieder und wieder: Was, wenn Ron Recht hatte? Wenn Harry gerade im Begriff war, alles zu zerstören, Freundschaften aufs Spiel setzte für eine Frau, der er nicht trauen sollte? Und das, nachdem er auch ohne Saphiras Präsenz in seinem Leben schon seit Monaten kein guter Freund mehr gewesen war. Wann hatte er sich zuletzt nach Rons oder Hermiones Befinden erkundigt? Ernsthaft erfragt, wie es ihnen nach allem, was geschehen war, ging?
„Willst du … darüber reden? Fred, meine ich …“, sagte Harry nach ein paar Minuten erdrückenden Schweigens, in denen George den Sinn des Lebens zwischen Croissants und Scones gesucht und nicht gefunden, seinen eigenen Tee geleert und die Bestellformulare so akkurat ordentlich Ecke auf Ecke gelegt hatte, dass sie beinahe wie aus einem Stück gefertigt wirkten.
„Auf keinen Fall“, sagte George entschieden und sah ihn endlich wieder an. „Nicht jetzt“, fügte er einige Atemzüge später an. „Aber … danke, dass du gefragt hast. Traut sich irgendwie keiner. Sie sprechen kaum seinen Namen aus, weißt du?“
„Ist so verdammt schwierig alles“, seufzte Harry und George nickte abgehackt.
„Und bei dir? Du siehst aus, als würde dir irgendwas auf der Seele brennen.“
„Hm“, seufzte Harry erneut. „Ist nicht so wichtig jetzt.“
„Raus damit, könnt ‘n Themenwechsel vertragen.“
„Geht um Saphira …“, gestand Harry und entlockte George ein ironisches Zucken seines Mundwinkels.
„Für Fragen in der Liebe stehe ich immer zur Verfügung.“
Harry schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf und sagte schließlich: „Das muss unter uns bleiben, ja?“
„Schieß los.“
„Meinst du … Ron hat Recht? Mache ich wegen“, er malte Anführungsstriche in die Luft, „‚meines Helferdings‘ einen Fehler, indem ich Saphira unterstütze?“
„Kommt darauf an … Was genau meinst du mit unterstützen?“
„Naja, die Sache ist die …“ Harry überlegte einen Moment, ob es wirklich ratsam war, ehe er sich einen Ruck gab und beschloss, George ins Vertrauen zu ziehen. Nachdem er Saphira ins Ministerium begleitet hatte, würden die Zeitungen ohnehin voll davon sein … Und seine Bedenken konnte er schildern, ohne auf die Hintergründe einzugehen, die Saphira so vehement geheim zu halten versuchte (und die doch bereits irgendwie ihren Weg in die Klatschpresse gefunden hatten).
„Sie hat ein paar Probleme mit dem Ministerium … Sie wurde als Verwandte ehemaliger Todesser registriert und nun verweigern sie ihr die Apparierprüfung und drohen damit, Sophie als gefährlich einzustufen, was einfach … absurd ist. Ich verstehe das Prozedere, wenn es um Ehefrauen flüchtiger Todesser geht oder ähnliches, aber Saphira selbst war nicht einmal im Land während des Kriegs. Und zwar genau aus diesem Grund: Weil sie nichts mehr mit denen zu tun haben und verhindern wollte, dass ihr Kind unter Todessern aufwächst.“
Schon bei dieser groben Schilderung spürte Harry lange vergessen geglaubte Wut in sich aufbrodeln, ein überwältigendes Gefühl von Ohnmacht ob dieser Ungerechtigkeiten, die ihn viel zu gut an seine eigenen Erlebnisse mit dem Ministerium erinnerten. Damals, als ihm niemand Glauben schenken wollte, das Ministerium Voldemorts Rückkehr verleugnete und ihn als durchgeknallten Spinner darstellte … ihn anklagte und der Zaubererwelt zu verstoßen drohte, nachdem er Dudley und sich selbst vor den Dementoren gerettet hatte. Hitze kroch ihm den Nacken herauf und er spürte seine Schultermuskeln verkrampfen, während seine Zauberstabhand nach dem sicheren Gefühl des vertrauten Holzes zwischen den Fingern verlangte. Es erschien ihm leichter, sich im offenen Kampf gegen einen bewaffneten Todesser zu verteidigen, als nur mit Worten, die niemand hören wollte, deren Wahrheitsgehalt keinen Menschen interessierte, gegen eine geschlossene Wand paragraphenreitender Ministeriumsbeamter anzugehen. Er wusste genau, was Saphira durchmachte – und er konnte sie damit nicht alleine lassen. So wie sie Harry versprochen hatte, ihn nicht mit seinem Schlaftrankproblem alleine zu lassen.
„Und du willst da hingehen und ihnen deine Meinung sagen?“
„Kurz gesagt … jah.“
„Und du fragst, ob das ein Fehler ist, weil du dir mehr davon verhoffst, als nur dein Bedürfnis nach Gerechtigkeit zu stillen?“
„Wie meinst du das?“
„Naja … schau mal, Harry: Angenommen, du machst das alles für sie und in drei Wochen erzählt sie dir dann, dass sie jetzt mit … sagen wir mal, Malfoy wieder zusammen ist – bereust du dann, ihr geholfen zu haben, oder denkst du immer noch, dass es die Sache wert war und sie eine gerechtere Behandlung verdient hat?“
„Ehm“, nuschelte Harry und rieb sich mit dem Handrücken über die angespannte Stirn, während er über das Gesagte nachdachte. „Also ich würde jetzt keine Freudensprünge machen, geb ich zu … aber … das eine hat mit dem anderen eigentlich nichts zu tun, oder? Es gibt keinen legitimen Grund, ihr das Apparieren zu verbieten – zumal sogar besagter Malfoy, der Schlimmeres getan hat, es darf, solange er seine Auflagen einhält. Er ist ja kein gefährlicher Todesser, der sie korrumpieren würde. Und nichts, wirklich gar nichts rechtfertigt, dass Sophie ins Visier genommen wird. Saphira ist eine gute Mutter. Sie erzieht mit so viel Liebe, dass es mich doch schwer wundern würde, wenn aus Sophie kein anständiger Mensch wird, völlig egal, wer –“ Harry bremste sich, ehe er auf das heikle Vaterthema zu sprechen kam, auch wenn George sich nach seinen Ausführungen vermutlich seinen Teil denken konnte.
„Also, nein“, schloss Harry, nachdem er tief durchgeatmet und seinen Zorn auf dieses vermaledeite System heruntergeschluckt hatte. „Ich erhoffe mir davon nichts. Ich will es tun, weil es das Richtige ist. Und das völlig unabhängig davon, dass ich ... also ... ob sie und ich – du weißt schon.“
„Dann hast du dir deine Frage doch selbst beantwortet, oder?“, erwiderte George glatt, lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Für mehr Beziehungstipps: Lies meine Kolumne in der Hexenwoche.“
„Du machst Witze, oder?“, stieß Harry aus und konnte sich ein Glucksen nicht verkneifen.
„Habe ich jemals etwas nicht ernst gemeint?“, empörte sich George in tadelndem Tonfall.
Ein flüchtiges Grinsen huschte über Harrys Züge.
„Meinst du, Ron wird das irgendwann verstehen?“
„Der kriegt sich schon wieder ein, mach dir da mal keinen Kopf“, versicherte George. „Ich glaube, er fühlt sich einfach etwas verloren, seitdem er dich und Hermione nicht mehr täglich um sich hat.“
„Kann sein.“ Betreten senkte Harry den Kopf. Er schämte sich, manchmal zu vergessen, dass er nicht der einzige war, dem die Umstellung schwer fallen musste. An zu vielen Tagen gelang es ihm nicht, hinter seinem eigenen Leid noch Augen für das Befinden anderer zu haben. Umso schlimmer, dass ausgerechnet George, dessen Schmerz Harry sich nicht einmal auszumalen wagte, sie alle besser zu verstehen schien, als sie es selbst vermochten. „Du hast viel Zeit nachzudenken, hm?“
„Ich …“, begann George, gab seine entspannte Haltung auf und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab, als suchte er Halt, ehe er leise, doch deutlich sagte: „Ich sehe einen Heiler, zweimal die Woche. Er kann das alles immer ganz gut einordnen, hilft irgendwie … nicht durchzudrehen, nach allem, verstehst du?“
Harry klappte der Mund auf und er starrte George an, als hätte dieser soeben gestanden, Ariadne Crouch zu daten.
„Seit wann?“, stieß er aus und hätte sich selbst ohrfeigen können, weil die unsensiblen Worte den Weg mal wieder schneller zu seinem Mund als seinem Hirn gefunden hatten.
„Kurz nach der Schlacht“, erwiderte George gerade heraus und zuckte die Schultern. „Weiß nicht, ob du Heilerin Price kennengelernt hast, bevor ihr losgezogen seid. Sie hat für den Orden gearbeitet, nachdem sie die psychosomatische Station im Mungo geschlossen haben. Nach dem Krieg hat sie mir angeboten, dass ich mich melden kann, wenn ich mal reden will … Als sie die Station dann wieder aufgemacht haben, dacht ich, ich mach mal ‘n Termin und schau’s mir an … Ist nicht so übel eigentlich.“
„Ich hab auch schon drüber nachgedacht“, gestand Harry mehr der Tischplatte als George und fühlte sich trotzdem mit einem Mal, als wäre die Last auf seinen Schultern um mehrere Kilo leichter geworden. „Das heißt … ich habe am Dienstag schon meinen ersten Termin. Saphira hat mir das empfohlen … und in die Wege geleitet.“
„Ah“, nickte George mit einem halben Lächeln. „Hab sie zweimal dort getroffen.“
„Oh.“ Überrascht zog Harry die Brauen zusammen. „Habt ihr euch unterhalten?“
„Nee, nur im Vorbeigehen ‚Hallo’ gesagt. Kenn’n uns ja eigentlich nicht.“
„Hm.“ Davon hatte sie ihm nichts erzählt. Dabei wäre das Wissen, dass jemand aus seinem direkten Umfeld diese Hilfe in Anspruch nahm, durchaus ein Argument gewesen, um ihn gegebenenfalls eher dazu zu überreden, ihr Angebot anzunehmen. Doch wahrscheinlich hatte sie bereits vermutet, dass er nichts von Georges Terminen im St Mungo wusste. Und aus Diskretion darüber Stillschweigen bewahrt. Sein Respekt vor ihr wuchs mit einem Schlag an. Saphira war vertrauenswürdig.
„Wissen die anderen davon?“, fragte er vorsichtig.
„Ginny“, antwortete George knapp und atmete tief durch, ehe er erklärte: „Ist nicht so, als würde ich absichtlich ein Geheimnis draus machen, aber hat sich mit dem Rest einfach nicht ergeben. Ich fürchte, Mum hätte Probleme damit zu verstehen, warum ich mit jemand Fremdem reden will. Sie hat genug Sorgen, als dass sie sich auch noch darüber den Kopf zerbrechen sollte, warum mir die Familie nicht reicht und manchmal … ist es einfacher, keine ungestellten Fragen zu beantworten.“
„Jah, das verstehe ich“, sagte Harry und fühlte sich George plötzlich verbunden, dem Kreise seiner Wahlfamilie wieder so nah, als hätte er den Draht zu ihnen nie verloren. Vielleicht hatte er das auch nie.
„Und du sagst, das hilft?“
Ehe George zu einer Antwort anheben konnte, flog die Tür hinter Harry wieder auf und Ron trat fluchend herein, die Haare zerzaust wie nach einer wilden Rauferei, die Arme voller Flink-Finger-Schnapper.
„Ich musste die alle aus dem Verkehr ziehen. Sind echt durchgedreht, als ich den einen von Anthony Goldsteins Hintern entfernen wollte, ohne ihm vorher die Ware abzunehmen. Haben sich alle auf uns gestürzt“, keuchte er, warf die surrenden kleinen Fische in eine leere Pappkiste auf dem Boden und wischte einmal mit dem Zauberstab darüber, um die fluchtbereiten Diebes-Jäger unter einer magischen Barriere einzusperren.
„Na, dann weißt du ja, wo heute Nachmittag dein Platz ist, hm?“, schmunzelte George und deutete auf die Liste mit den fälligen Bestellungen. „Den Krempel versenden und dann einen neuen Prototypen herstellen. Den Zauber solltest du inzwischen mal raushaben.“
„Du bist ‘n schlimmerer Sklaventreiber als Mum“, stöhnte Ron, kickte die Kiste mit den verzweifelt gegen ihre unsichtbare Gefängnismauer anhüpfenden Schnappern unter ein Regal und ließ sich dann mit einem zerknirschten Seitenblick auf Harry zurück auf seinen Stuhl sinken.
Schweigend betrachtete er den talentlosen Reparaturversuch Harrys Tasse und sagte dann leise: „Wusstest du, dass die in Japan oder so kaputtes Geschirr mit Gold wieder zusammenkleben?“
„Nee“, erwiderte Harry mit vorsichtiger Irritation. „Ist das nicht irgendwie … Verschwendung?“
Ron zuckte die Schultern. „So genau hab ich das auch nicht kapiert. Hermione hat das in Muggelkunde gelernt. Der Wert steigt mit jeder Reparatur und das soll irgendwie die Unvollkommenheit und Einzigartigkeit wertschätzen oder so. Weiß nicht mehr.“
„Poetisch diese Muggel“, kommentierte George trocken.
Harry verkniff sich angesichts Rons unverändert ernster Miene ein Schmunzeln und überlegte fieberhaft, was er sagen konnte, um die angespannte Stimmung zu lockern, ohne Gefahr zu laufen, gleich ins nächste Fettnäpfchen zu treten (vielleicht hätte er sich vorhin ein paar Stilvoller-Abgang-Pastillen kaufen sollen), doch es war Ron, der als erster das Wort ergriff:
„Wegen vorhin … tut mir leid, das hätt ich anders –“
„Ne, mir tut’s leid“, fiel Harry ihm dazwischen.
„Und mir erst! Schließt mich nicht aus“, brüstete sich George überschwänglich und zog die beiden in eine unerwartete, schraubstockfeste Umarmung.
„Jah, komm, ist gut, George! Weg!“, murrte Ron, nachdem sein Bruder ihm zum achten Mal kräftig auf den Rücken geklopft hatte, konnte sich den Anflug eines Lachens jedoch kaum verkneifen.
„Wenn’s dir so wichtig ist, versuche ich, mich mit Black zu arrangieren, okay?“, seufzte er und zuckte die Schultern. „Heißt nicht, dass ich ihr vertraue oder so tun werde, als würd ich sie mögen, aber … ich werd die Klappe halten, solange sie mir nicht blöd kommt.“
„Danke, Ron.“
Grinsend lehnte Harry sich in seinem Stuhl zurück. Vielleicht war er doch keine riesige Abrissbirne im Porzellanladen. Sondern nur eine kleine. Der angerichtete Schaden teilweise noch zu flicken. Und vielleicht waren die Bande der Freundschaft am Ende stärker, wenn es ihnen gelang, auch diese Nachwehen des Krieges gemeinsam zu überstehen und an ihnen zu wachsen. Wie Porzellanschalen, die man mit Gold klebte – oder wie auch immer das funktionierte.